Mehr Demokratie und mehr Souveränität wagen

Sevim Dağdelen im Interview: Jeder weitere Tag Krieg ist ein verlorener Tag

von Alexander Wallasch (Kommentare: 3)

„Man muss für jeden froh sein, der sich diesem Gemetzel verweigert.“© Quelle: Youtube/ Maischberger, Screenshot

Sevim Dagdelen ist außenpolitische Sprecherin der Gruppe „Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) im Deutschen Bundestag und BSW-Spitzenkandidatin in Berlin. Wir sprechen mit ihr über ein Ende des Ukrainekrieges und über ukrainische Behörden in Deutschland.

Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte den Kanzler unterrichtet, eine ukrainische „Behörde“ in Deutschland eröffnen zu wollen. Die Pläne sind zwischenzeitlich konkret geworden, es gab dazu bereits ein hochrangig besetztes Treffen im Bundesinnenministerium. Was halten Sie von diesen Plänen?

Die Frage ist, ob Bundeskanzler Olaf Scholz nicht Verfassungsbruch begeht, indem eine Behörde in Deutschland etabliert wird, die offenbar auch damit befasst wird, Ukrainer für den Krieg zu rekrutieren. Erneut wird klar, dass die Bundesregierung meint, in der Ukraine den Stellvertreterkrieg gegen Russland fortführen zu müssen. Bisher wurden dafür bereits mindestens 37 Milliarden Euro an deutschen Steuergeldern verausgabt, wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mitteilte – finanziert aus den Kürzungen im Sozialbereich. Dazu die massiven Waffenlieferungen bis hin zur Diskussion, mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an Kiew für Angriffe auf Moskau die ultimative Eskalation zu wagen. Die Etablierung dieser Behörde bringt Deutschland wieder ein Stück näher in Richtung direkter Kriegsbeteiligung. Es ist insgesamt verantwortungslos.

Dürfen solche ausländischen Behörden einfach in Deutschland eröffnet werden?

Es geht hier um eine massive Verletzung der demokratischen Souveränität der Bundesrepublik im Sinne eines eigenen Beitrags für die Fortsetzung des Kriegs in der Ukraine. Man möchte wirklich meinen, diese Leute haben komplett den Verstand verloren. Zugleich werden alle diplomatischen Initiativen zur Beendigung des Krieges durch die Bundesregierung gemeinsam mit der Union weiter blockiert. Die Frage ist ja, was will man eigentlich? Ich fürchte es geht darum, noch mehr Ressourcen in einem verlorenen Krieg zu versenken.

Offiziell soll es um eine Wiedereingliederung von Ukrainern gehen. Was sind Ihre langfristigen Prognosen für 1 Million Ukrainer in Deutschland?

Mit Blick auf die Einigung von US-Präsident Donald Trump und des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf Friedensverhandlungen zeichnet sich eine diplomatische Lösung in der Ukraine ab und damit auch eine Perspektive für eine Rückkehr der Ukrainer. Die USA wollen diesen Krieg einfrieren. Ich denke nicht, dass es Herrn Selenskyj, auch wenn er in Kiew autokratisch durchregiert und weiterhin Neuwahlen verweigert, gelingen wird, sich gegen das Votum aus Washington zu stellen.

Die Ukraine hat einen Mangel an Soldaten. Wie gefährdet könnten 200.000 wehrfähige Ukrainer in Deutschland sein, wenn ukrainische Behörden (es sollen mehre Büros aufgebaut werden) Landsleuten in Deutschland so nahekommen?

Wer angesichts der Einigung von Trump und Putin auf Friedensverhandlungen weiter auf einer Fortführung des Ukraine-Krieges besteht, handelt in hohem Maße unverantwortlich. Die deutsche und europäische Diplomatie stehen durch ihre jahrelange Blockadehaltung vor einem Scherbenhaufen. Die Bundesregierung darf der Selenskyj-Regierung noch kurz vor einem Ende des Krieges nicht die kriegspflichtigen Ukrainer zutreiben und diese Ausgabe auch nicht ukrainischen Stellen in Deutschland überlassen. Auch wenn das die Bundesregierung nicht hören will, ist es in der Ukraine insgesamt schlecht um die Freiheiten in der Gesellschaft bestellt. Es lässt sich in keinem Fall mit dem Krieg rechtfertigen, dass die Regierung die Oppositionsparteien verboten hat, Gewerkschaften unterdrückt und russischsprachige Menschen drangsaliert.

Das Jobcenter und die Arbeitsagentur wollen mit dieser ukrainischen Behörde zusammenarbeiten. Wie geht das überhaupt rechtlich und haben Sie Bedenken wegen Datenschutz und Sicherheit der Ukrainer?

Das halte ich jetzt für einen Scherz, dass ukrainische Behörden hier die Arbeit der Arbeitsagentur übernehmen und die Leute in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren sollen. Das kann nicht ernst gemeint sein und ist wahrscheinlich nur die Tarnung für die Rekrutierungsfunktion dieser fragwürdigen Institutionen.

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Alexander-Wallasch.de hatte zuletzt eine nicht repräsentative Umfrage mit weit über tausend Teilnehmern gemacht, von denen über zwei Drittel alle wehrfähigen Ukrainer sofort an die Front schicken bzw. die nicht arbeitenden. Wie bewerten Sie das? Eine Verrohung?

Es ist doch Wahnsinn kurz vor einem Ende des Krieges noch einmal die 18- bis 25-Jährigen in den sicheren Tod treiben zu wollen, wie dies etwa die Union propagiert. Man muss doch für jeden froh sein, der sich diesem Gemetzel verweigert oder auch entzieht. Vielen hier ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass man mit dieser Forderung Deutschland zum Rekrutierungsgebiet macht und unser Land selbst ein Stück weit näher in Richtung Kriegseintritt bringt. Das kann doch keiner wollen.

Der Vizepremier der Ukraine sagte in Berlin, es müssten ja nicht alle an die Front, sie könnten auch in den Munitionsfabriken arbeiten. Bekommt Rheinmetall jetzt wieder Zwangsarbeiter (Rheinmetall baut bzw. betreibt bereits Fabriken für Rüstungsindustrien in der Ukraine)?

Das halte ich angesichts der für die Ukraine katastrophalen militärischen Lage für eine bloße Schutzbehauptung. Die Wahrscheinlichkeit ist jedenfalls sehr hoch, dass es von Deutschland sehr rasch an die Front geht. Gerade den neuen Rekruten wird dort eine Überlebenszeit von wenigen Tagen attestiert. Es ist Teil der ukrainischen Täuschungsmanöver, die auf der einen Seite nicht sagen können, was mit großen Teilen der vom Westen versandten Gelder passiert ist, und einer brutalen Oligarchengesellschaft, für deren Erhalt weiteres Kanonenfutter gesucht wird.

Sehen sie ein nahendes Ende des Ukrainekrieges?

Die Einigung von Trump und Putin auf Friedensgespräche zur Beilegung des Ukraine-Konflikts ist zu begrüßen. Ich sehe nicht, dass Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock dies noch hintertreiben könnten, auch wenn sie jetzt die Backen mächtig aufblasen. Es bleibt zu hoffen, dass eine Verständigung so schnell wie möglich erfolgt und nicht weiter sinnlos gestorben werden muss. Jeder weitere Tag Krieg ist ein verlorener Tag.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Donald Trump, der im Wahlkampf davon sprach, den Krieg schnell beenden zu wollen und jetzt stattdessen über Deals um Seltene Erden mit Selenskyj verhandelt?

Wenn auch mit etwas Zeitverzögerung, muss man anerkennen, dass Trump geliefert hat. Wer jetzt wie Verteidigungsminister Pistorius die Voraussetzung für Friedensgespräche als „bedauerlich“ bezeichnet, handelt in hohem Maße unverantwortlich. Sofabellizisten und selbsternannte Militärexperten an Bundeswehr-Hochschulen sollten in sich gehen und nachdenken, was sie in den vergangenen Jahren angerichtet haben.

Die Motivation von Trump, den Ukrainekrieg stillzustellen, um Ressourcen für andere Konflikte insbesondere im Pazifik zu mobilisieren, muss man ernst nehmen. Ein Abkommen über die Übergabe Seltener Erden wäre ganz im Sinne der offenen imperialistischen Ambitionen von Donald Trump, eine Weltmachtrolle der USA wiederherzustellen, auch zulasten der Europäer. Wir müssen insgesamt mehr Demokratie und mehr Souveränität wagen. Europa braucht Frieden mit Russland.

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