Im Fieber der Anteilnahme

Selenskyj im Reichstag: AfD und BSW verweigern den Kriegsdienst

von Alexander Wallasch (Kommentare: 15)

Hier will niemand hintenanstehen oder als empathieloser Menschenfeind gelten.© Quelle: Bundestag.de / Screenshot

Der Auftritt des ukrainischen Präsidenten im Deutschen Bundestag bewegte viele Abgeordnete und Zuschauer und führte gleichzeitig auch zu einer Verweigerungshaltung des BSW und großer Teile der AfD. Demokratie oder Schande? Kann das ein Akt des Ungehorsams gewesen sein mit dem Potenzial, die Ukrainekriegspolitik der Bundesregierung ein Stück weit aufzubrechen?

Man muss kein Fußballfan sein, um bei einem Endspiel feuchte Augen und dieses charakteristische Brennen zu spüren, wenn sich innerlich alles auf so seltsame Weise zusammenzieht und für den Moment ein Fieber der Anteilnahme erzeugt.

Solche Gefühle hatten wohl auch die allermeisten Abgeordneten des Deutschen Bundestages und ihre Gäste, als der ukrainische Präsident in seiner Landessprache eine flammende Rede vor dem Plenum hielt. Anzunehmen ist, dass es auch vielen Zuschauern vor den Fernsehgeräten so ging. Die Rede wurde live übertragen, der Applaus zu Beginn und zum Ende wollte kaum enden.

Selenskyj kam Arbeitskleidung. Einfacher olivgrüner Pullover mit einem Emblem des ukrainischen Dreizacks, dazu die schon obligatorische Cargohose. Diesem Konzept vertrauten schon Palästinenserführer Jassir Arafat oder auch Revolutionsführer Che Guevara bei ihren historischen Auftritten vor der UN-Vollversammlung – das sind die historischen Bilder, die hier mitschwingen.

Ganz klar: Die Wirkung solcher Augenblicke ist eindeutig. Hier will niemand hintenanstehen oder als empathieloser Menschenfeind gelten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Alternative für Deutschland gingen das Wagnis trotzdem ein und verkündeten im Vorfeld – die eine früher, der andere später –, dass sie der Rede fernbleiben wollen. Und sie bleiben fern bis auf vier AfD- und wohl einen BSW-Abgeordneten.

Die ersten Reaktionen auf diese Verweigerung kamen prompt. Minister Lauterbach etwa schrieb per X:

„Jetzt gleich spricht Präsident Selenski im Bundestag. Die Ränge der Abgeordneten sind voll gefüllt. Nur die @AfD fehlt, bis auf 4 Feigenblatt Hinterbänkler. Die Diener Putins im Parlament fehlen heute. Keiner vermisst die Verräter der Demokratie.“

Zuvor hatte Lauterbach sich noch mit ukrainischen Kriegsverletzten ablichten lassen, noch gibt es ja keine deutschen, möchte man anfügen.

Schnell dabei war auch BILD-Reporter Paul Ronzheimer. Der für seine inszenierten Kriegskulissen bekannte Berichterstatter twitterte:

„Im Bundestag sehen wir in diesen Minuten, wie unsere Republik regiert würde, wenn AfD und BSW die Macht bekommen: Deutschland stünde dann an der Seite von Kriegsverbrecher Putin. Das Fernbleiben der Abgeordneten bei der Rede von Selenskyj zeugt von mangelndem Respekt, völlig fehlendem außenpolitischen Bewusstsein und purem Populismus.“

Jeder hat das Recht, sich kritisch zu äußern. Eine Erkenntnis dieses denkwürdigen Nachmittags im Bundestag geht zweifelfrei so:

Über die Emotionen und das Pathos hinaus, ging es hier vor allem darum, weitere Waffenlieferungen in die Ukraine zu unterstützen, weitere deutsche Steuermilliarden für diesen Krieg frei zu machen. Und womöglich sogar darum, Deutschland endgültig zur Kriegspartei zu machen. Auch vieles in der Rede des ukrainischen Präsidenten deutete leider darauf hin.

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Genau deshalb war die außergewöhnliche Reaktion des BSW und der AfD für unsere Demokratie ein großartiges Geschenk. Denn dieser Akt des Ungehorsams hatte das Potenzial, die Ukrainepolitik der Bundesregierung ein stückweit zu hinterfragen, vielleicht sogar zu brechen.

Ja, man darf in Deutschland gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und für unbedingte und sofortige Friedensverhandlungen sein, ohne sich dafür von Vertretern der Regierung oder der regierungsnahen Medien als Helfershelfer des „Kriegsverbrechers Putin“ bezeichnen lassen zu müssen.

Viele Deutsche wissen zu schätzen, was Wagenknecht, Weidel und Co hier in aller Deutlichkeit mit Abwesenheit klargestellt haben. Es ging niemandem darum, despektierlich zum Gast des Hauses zu sein. Es ging vielmehr darum, diese Inszenierung ein stückweit zu brechen. Entsprechend erwartbar hysterisch auch manche Reaktionen darauf.

Wer sich die Aufmacher der X-Accounts unserer Regierungsmitglieder anschaut, etwa jenen von Annalena Baerbock im vertraulichen Gespräch mit Selenskyj unter speziellen dramatischen Lichtverhältnissen, der bekommt mehr als nur eine Ahnung, um was es hier eigentlich gehen soll.

Die Bundestagspräsidentin der SPD trug zur Eröffnungsrede einen Orden, der ihr persönlich von Präsident Selinskyj überreicht worden war. Ja, es werden wieder Orden getragen im Reichstag.

Nur noch eine Handvoll der heutigen Abgeordneten des Bundestags waren schon 2001 im Reichstag anwesend, um der in Deutsch gehaltenen Rede von Präsident Putin an selber Stelle zu lauschen, wo heute Selenskyj sprach. Dem russischen Präsidenten dankte das gesamte Haus mit anhaltenden Applaus. Putin sagte 2001 zum Abschluss seiner Rede:

„Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.“

Nicht gesichert ist, ob sich damals Putin oder heute Selinskyj bei ihrem Besuch auch die Grafffiti-Hinterlassenschaften von Rotarmisten im Reichstag angeschaut haben, die erhalten geblieben und beim Umbau noch architektonisch herausgestellt wurden. Zur Erinnerung: Während des Zweiten Weltkriegs kämpften auch Millionen Ukrainer in der Roten Armee gegen Nazi-Deutschland.

Der Bundestag berichtet auf seiner Webseite über eine Anekdote im Zusammenhang mit den Graffitis:

„Es überrascht angesichts der Vielzahl von Inschriften nicht, dass sich gelegentlich einzelne Urheber auch Jahrzehnte später noch identifizieren lassen. Beispielsweise entdeckte der Student Anar Nadzhafov aus Aserbaidschan, der im Deutschen Bundestag ein Praktikum bei einem Abgeordneten absolvierte, die Inschrift seines Großvaters Mamed Nadzhafov.“

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