Die militärische Bedeutung solcher Minen ist zu groß, um ganz darauf zu verzichten

Kein Geheimnis: Die Ukraine und Russland setzen im Donbass seit Jahren Antipersonenminen ein

von Alexander Wallasch (Kommentare: 5)

Sie sehen aus wie unbeholfene dicke Schmetterlinge, sie regnen vom Himmel, sie heißen „Kinderkiller“ oder „Schmetterlingsminen“, sie amputieren Gliedmaßen, sie zerfetzen Kinderkörper, sie kommen auf beiden Seiten zum Einsatz.© Quelle: Youtube / Wiki4All / Pixabay / Alexandra_Koch / Clker-Free-Vector-Images, Montage Alexander Wallasch

„Human Rights Watch“ hat den Einsatz von verstümmelnden Antipersonenminen im Ukrainekrieg auf die Tagesordnung gesetzt mit Fingerzeig Richtung Kiew. Allerdings ist der Einsatz solcher Minen im Donbass schon seit Jahren kein Geheimnis. Die USA ebenso wie Russland produzieren die geächteten Waffen nach wie vor (Stand 2020).

Viele Menschen erinnern sich noch an dieses heroisch anmutende Foto von Lady Di, als die ungekrönte Königin der Gazetten noch wenige Monate vor ihrem Tod mit Splitterschutzweste ein Minenfeld in Angola inspizierte.

Fünf Jahre nach ihrem Unfalltod 1997 schrieb die Deutsche Welle:

„Für Initiativen gegen Landminen war der 31. August 1997 ein unheilvoller Tag. Damals raste ein schwarzer BMW mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Betonpfeiler.“ *

Wäre Lady Di noch am Leben, müsste sie ihr Anti-Minen-Engagement auf die Ukraine ausweiten.

Von dort nämlich kam aktuell ein Alarmruf der einflussreichen privaten Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, die anprangerte, dass während mutmaßlicher Einsätze des ukrainischen Militärs tausende mit Raketen abgefeuerter Antipersonenminen im Gebiet der ostukrainischen Stadt Isjum verstreut und dabei auch Zivilisten getötet worden seien.  

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Gestern hatte die Ukraine zugesichert, diese schweren Vorwürfe untersuchen zu lassen. Das Außenministerium des Landes bekannte sich zunächst zur auch von der Ukraine (im Juni 2006) unterzeichneten Ottawa-Konvention, einer Ächtung und Vernichtung solcher Antipersonenminen.

Zur Erwiderung des ukrainischen Außenministeriums – der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melynk, ist dort Vize-Außenminister – gleich mehr.

Zunächst aber noch einen Schritt weiter zurück in das Jahr 1970, Lady Di ging noch in die Grundschule, während die Amerikaner hunderte von Millionen dieser Antipersonenminen produzierten, um sie einzusetzen.

Antipersonenminen, die nicht zwischen Soldat und Zivilist unterscheiden, hergestellt, um sie im Vietnamkrieg von Flugzeugen, Raketen aus oder via Artilleriegranaten in größeren Mengen gleichzeitig abzuwerfen. Allein seit 1975, also nach Abzug der US-Streitkräfte, sind dort geschätzt bis zu 50.000 Zivilisten bei der Explosion von US-Hinterlassenschaften aus Minen und Blindgängern ums Leben gekommen.  

Und obwohl es nur am Rande beteiligt war, wurde Laos im Vietnamkrieg massiv bombardiert: „Allein 260 Millionen Munitionen aus Streubomben wurden über dem Land abgeworfen! Es gehört zu den Ländern, die am meisten unter den Auswirkungen von Streubomben leiden“, schreiben die Nobelpreisträger von „Handicap international“ auf einer ihrer Webseiten.

Die westliche Medienberichterstattung konzentrierte sich allerdings mehr auf den Einsatz russischer Antipersonenminen während des Krieges in Afghanistan von 1979 bis 1989.

Tatsächlich kamen auch dort in großen Mengen solche auch „Kinderkiller“ oder „Schmetterlingsminen“ genannten Minen zu Einsatz. Afghanistan leidet heute unter einer der weltweit höchsten Verseuchungen durch Landminen. Die Opferzahl übersteigt die 30.000, die Hälfte davon Kinder.

Aber zurück zum Kommentar des ukrainischen Außenministeriums zum Vorwurf von Human Rights Watch. Das Ministerium erinnert in seinem Schreiben daran, dass die Ukraine gemäß der Ottawa-Konvention bereits drei Millionen Antipersonenminen zerstört hätte, insbesondere Bestände an äußerst gefährlichen POM-2-Minen.

Gleichwohl, so betont das Ministerium, habe Russland nach dem Angriff auf die Ukraine (übersetzt) „die gesamte Palette verbotener Minen eingesetzt und verwendet, insbesondere die für Zivilisten besonders gefährlichen POM-3-Minen“ einer bestimmten Bauart.

Schaut man sich die Karte der Unterzeichner der „Ottawa-Konvention“ an, also der Ächtung solcher Minen, dann fallen drei große weiße Flecken auf: Die USA, China und Russland. Die „Zeit“ schrieb 2009 : „Die USA werden auch unter Präsident Barack Obama die Konvention zum Verbot von Landminen nicht unterzeichnen. Die Regierung begründet dies mit Sicherheitsverpflichtungen.“

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Laut Statistiken von „Handicap International“ werden für das Jahr 2020 weiterhin zwölf Staaten aufgelistet, die aktiv Landminen produzieren, darunter China, die USA und Russland. Selbst Vietnam als eines der hauptbetroffenen Länder ist einer dieser Produzenten.  Und was die USA betrifft: Die hatten schon 2014 unter Obama angekündigt, diese Produktionen einzustellen.

Laut Statistik der NGO ist die Ukraine zwar kein aktiver Produzent, allerdings ist das Tempo der laut Vereinbarung zugesagten Vernichtung der eigenen Bestände deutlich reduziert:

„Griechenland und die Ukraine verstoßen nach wie vor gegen das Übereinkommen, da beide Länder die aufeinander folgenden Fristen für die vollständige Zerstörung ihrer Lagerbestände versäumt haben.“

Wenn das ukrainische Außenministerium jetzt mitteilt, dass die Ukraine (übersetzt) „gemäß der Ottawa-Konvention bereits 3 Millionen Antipersonenminen zerstört hätte“, dann wäre die viel wichtigere Frage, wie groß hier weiterhin der angemahnte und verbliebene Altbestand ist, von dem jetzt im Krieg mit Russland mutmaßlich laut Human Right Watch etliche von ukrainischer Seite aus zum Einsatz gekommen sein sollen.

Aber wie unterscheidet man russische und ukrainische Antipersonenminen? Gar nicht, denn beide sind sowjetischer Bauart, sei denn, die Russen würden keine Altbestände verwenden, sondern neu produzierte, so sie welche einsetzen, auch hier hatte Human Rights Watch im Ukrainekrieg mehrfach Mutmaßungen über einen Einsatz angestellt.

Eine weitere mutmaßliche Möglichkeit: Die Ukraine bekäme aus einer anderen als der sowjetischen Alt-Produktion neue Antipersonenminen geliefert. Etwas ist hier von Interesse: Die sowjetischen Antipersonen-Minen PFM-1 sind ein fast exakter Nachbau der US-amerikanischen BLUE-43/B.

So inhaltlich dünn wie die Antwort des ukrainischen Außenministeriums, so wichtig die Frage nach Bedeutung solcher geächteter Minen in einem Krieg.

Hier ist eine Meldung der ukrainischen Nachrichtenseite Censor.net von 2016 interessant. Die Nachrichtenseite wurde im März 2015 in der Ukraine zum besten Internet-Medium des Jahres gekürt. Chefredakteur Yurii Butusov nahm die entsprechende Auszeichnung im Palast „Ukraina“ bei der Preisverleihung zur Person des Jahres 2015 entgegen.

Yurii Butusov ist ein ausgewiesener Militärjournalist – Selinskij hatte einmal angemerkt, dass Butusov wütend auf ihn sei, weil er Butusov keinen Posten im Verteidigungsministereium gegeben hätte: „He also noted that Butusov was not given any position in the Ministry of Defense, and this made him angry."

Butusov ist auch im Westen kein Unbekannter, Pro Sieben beispielweise zitiert ihn schon als Experten.

Am 23.11.2016, also Monate nach seiner Auszeichnung und Jahre vor dem Angriffskrieg der Russen (Februar 2022), forderte besagter Butusov den Einsatz der geächteten Minen in der Ostukraine (übersetzt):

„Für die Ukraine ist es von entscheidender Bedeutung, sich aus der Ottawa-Konvention zurückzuziehen, um die Zerstörung verfügbarer Verteidigungswaffen während des Krieges im Osten zu stoppen.“  

Der Journalist macht 2016 deutlich, dass die Entsorgung der sich noch im Land befindlichen Antipersonenminen (übersetzt) „im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen im Osten der Ukraine überprüft werden (müssen), da diese Waffen heute an vorderster Front benötigt werden.“

Und Butusov wird noch deutlicher hinsichtlich der militärischen Bedeutung der Minen:

Eine Landmine ist eine effiziente Waffe, die besonders für die Verteidigung nützlich ist. Die PFM-1-Antipersonenmine ist von größter Bedeutung, da sie für groß angelegte Minenlegeoperationen während der Manövrierkriegsführung entwickelt wurde. Diese Minen können unter Verwendung von Befestigungen und Hindernissen gelegt werden, Baumaschinen, Mehrfachstartraketensysteme und sogar durch Abwerfen aus Flugzeugen und Helikoptern. (…) Die Massenverlegung dieser Minen kann definitiv einen Angriff im Falle einer möglichen Invasion eindämmen. Diese Minen werden jetzt unbedingt an der Front benötigt, vorausgesetzt natürlich, dass die Minenfelder erfasst werden. Beispielsweise werden PFM-1-Minen von der russischen Armee im Donbass eingesetzt.“  

Noch konkreter (zur Erinnerung, wie befinden uns im Jahr 2016):

„Wir müssen dem Westen endlich irgendwie erklären, dass sich die Situation geändert hat. Die Ukraine ist kein neutraler Staat mehr. Wenn Sie keine Waffen liefern, dann hören Sie wenigstens auf zu fordern, dass wir zerstören, was wir auf Lager haben. (…) Es ist absurd. Wir brauchen Minen an vorderster Front! Unsere Minen müssen unsere Stellungen schützen und russische Söldner entsorgen. Ich denke, die Ukraine muss sich vorübergehend aus der Ottawa-Konvention zurückziehen und sich von dieser Verpflichtung lösen. Ich hoffe, das Parlament wird diesem Thema Aufmerksamkeit schenken.“

Tatsächlich mahnte in der Folge die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete NGO an, dass, wie hier bereits erwähnt, auch die Ukraine Entsorgungspläne ihrer Antipersonenminen nicht einhalten würde.

Was das ukrainische Parlament in der Sache beschlossen hat, berichtete die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung 2018 über den Einsatz solcher Minen in der Ukraine:

„Die geltende ukrainische Gesetzgebung schafft auch zusätzliche bürokratische Hürden, da sie internationale Organisationen erheblich von tatsächlichen Minenräumungsoperationen einschränkt.“

Die grüne Stiftung äußerte sich 2018 auch dazu, wer diese Minen zu dem Zeitpunkt (2018) oder zuvor einsetzte:

„Während der aktiven Phase der Konfrontation änderte sich die Kontaktlinie zwischen den kämpfenden Seiten ständig, was zu einer größeren Kontamination des Territoriums mit verschiedenen Arten von Munition führte, die sowohl von der ukrainischen Armee als auch von den Separatistengruppen verwendet wurden.“

Die Fragen, die sich daraus ergeben:

Zu welchem Zeitpunkt hat die Ukraine angeblich damit aufgehört, solche Anitpersonenminen einzusetzen, die laut Militärexperte Butusov so eine herausragende militärische Bedeutung haben? Mit dem Angriff der Russen? Aber warum sollte die Ukraine in diesem Moment darauf verzichten?

Entsprechend unbestimmt wohl die Antwort des ukrainischen Außenministeriums auf die Vorwürfe von Human Rights Watch.

Der Stern schrieb 2019:

„22 Jahre nach seiner Mutter hat Prinz Harry Angola besucht und lief wie damals Prinzessin Diana ein geräumtes Minenfeld entlang. Begleitet wurde der 34-Jährige dabei von demselben Sprengmeister, der einst seine Mutter eskortierte.“

Möglicherweise wird Harrys Tochter Lilibet Diana in 22 Jahren nicht nach Angola gehen, sondern in die Ostukraine, wo bereits seit Jahren Unmengen russischer und ukrainischer Antipersonenminen das Land kontaminieren und ganze Landstriche faktisch unbewohnbar machen.

* Es war kein BMW, sondern ein Mercedes 280 S

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