Sigmar Gabriel hat jetzt im Spiegel einen „Debattenbeitrag“ geschrieben, der im Wesentlichen eine Verteidigungsschrift für seinen Parteigenossen Frank-Walter Steinmeier ist. Steinmeier war wie Gabriel Außenminister der Bundesrepublik Deutschland und ist heute ihr Staatsoberhaupt.
Der Bundespräsident wollte nach Kiew reisen und gemeinsam mit dem polnischen Amtskollegen und weiteren hohen Staatschefs in Kiew seine Solidarität erklären.
Aber Steinmeier wurde vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj die Einreise verwehrt. Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, griff den Bundespräsidenten in diesem Zusammenhang zusätzlich scharf an.
Melnyks Anwürfe gegenüber Steinmmeier hätten dabei kaum wuchtiger ausfallen können, ein buntes Sammelsurium von Anschuldigen, Mutmaßungen und Beschimpfungen:
„Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle.“
Und weiter:
„Aus Putins Sicht gibt es kein ukrainisches Volk, keine Sprache, keine Kultur, und daher auch keinen Staat. Steinmeier scheint den Gedanken zu teilen, dass die Ukrainer eigentlich kein Subjekt sind.“
Der Botschafter befindet zudem, dass Feingefühl für Steinmeier in Bezug auf die Ukraine ein Fremdwort sei.
Der zentrale Anwurf von Andrij Melnyk liest sich dann so:
„Steinmeier hat seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben.“
Hier muss man sich im Gegenzug fragen, welches Spinnennetz die ukrainische Regierung ihrerseits gesponnen hat, dass ihr Botschafter in Deutschland auf diese Weise übergriffig wird.
Und was macht der Bundeskanzler? Er ist „irritiert“ Olaf Scholz sagt Sätze auf, als wäre die nette Oma nur bei Kaffeekränzchen bei der Nachbarin ausgeladen worden: „Der Bundespräsident wäre gerne in die Ukraine gefahren. Deswegen wäre es auch gut gewesen, ihn zu empfangen.“ Das kann man diplomatisch finden. Aber Diplomatie ist hier gar nicht erste Aufgabe des Bundeskanzlers. Dieses Amt ist vor allem eines, das zu Machtworten befähigt.
Ihre Unterstützung zählt
Aber es geschah nichts von Seiten des Bundeskanzlers, also fühlte sich wohl Sigmar Gabriel berufen und schrieb Tage später für den Spiegel einen Debattenbeitrag.
Kurz zu Gabriels aktuellem Hintergrund nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik: Der Sozialdemokrat ist Vorsitzender der Atlantik-Brücke, also Vertreter einer deutsch-amerikanischen Freundschaft. Außerdem sitzt er heute in einer Reihe von Aufsichtsräten und ist Mitglied zweier bedeutender Thinktanks, elitärer Denkfabriken.
Zunächst zeigt Gabriel umfänglich Verständnis für die emotionale Verfassung des Ukrainers in Kriegszeiten. Dann aber wird er deutlich:
„Was wir allerdings nicht hinnehmen sollten, sind Verschwörungstheorien über die Politik unseres Landes und seine Verantwortungsträger.“
Eine gefährlichere Variante der Verschwörungstheorien sei die Behauptung von Melnyk, der Bundespräsident habe in seiner aktiven Zeit als Politiker ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft, welches bis in die heutige Regierung hineinwirkt.
Gabriels Begründung geht dann so:
„Spinnennetze dienen bekanntlich dem Fang und der anschließenden Verwertung der Beute. Auf den Punkt gebracht insinuiert dieser Vergleich, dass der frühere Kanzleramts- und Außenminister die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert habe. Das ist wahrheitswidrig und bösartig. Wahr dagegen ist, dass der Außenminister Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel mehr als alle anderen in Europa dafür getan hat, die Ukraine zu unterstützen. Und deshalb muss man der Falschdarstellung öffentlich auch dann widersprechen, wenn man der Ukraine in der aktuellen Situation nicht nur mit Geld und guten Worten, sondern auch mit Waffen zur Seite stehen will.“
Nein, man muss nicht die gleiche politische Auffassung vertreten wie Gabriel. Aber hier formuliert der Politiker einmal hochprofessionell, deutlich in der Sache und diplomatisch im Ton.
Im weiteren Verlauf seines Debattenbeitrags zählt Gabriel ein paar Verdienste Steinmeiers auf, die seiner Meinung in der Vergangenheit gut für die Geschicke der Ukraine waren. Das kann man im Einzelnen sicher alles diskutieren, hier wirkt es zudem ein wenig wie ein nachgereichtes Alibi.
Das muss aber gar nicht sein, denn die von Gabriel als Unverschämtheit empfundenen Übergriffigkeiten des Botschafters Melnyk gegen den Bundespräsidenten sind durch nichts zu rechtfertigen. Der Respekt dem Amt gegenüber muss sich Deutschland nicht erst verdienen. Er ist notwendiges, unabdingbares Handwerkszeug eines jeden Botschafters in Deutschland.
Gabriel wird zum Schluss seines Beitrags konkret: Er mutmaßt, wie es zu den ukrainischen Übergriffen gegen Steinmeier kommen konnte:
Für den Sozialdemokraten ist es kein Zufall, dass die massive Kritik des ukrainischen Präsidenten Steinmeier treffe. Ebenso wie Merkel und Macron stehe Steinmeier für die Minsker Verträge. Und die hätten als Weg zur friedlichen Lösung des Konflikts in der Ostukraine eine Art regionale Teilautonomie unter Wahrung der Staatszugehörigkeit zur Ukraine vorgesehen.
„Exakt diesen Weg will der heutige ukrainische Präsident ausschließen, denn schließlich hat er seine Wahl auch der massiven Kritik an seinem Amtsvorgänger wegen dessen Zustimmung zu den Minsker Abkommen zu verdanken.“
Der Atlantiker Sigmar Gabriel kontert also mit harten Geschützen indem er Selenskyj vorwirft, dieser hätte gewissermaßen im Vorraum des Krieges eine friedliche Lösung mit Russland ausgeschlagen. Ein Aspekt, der Gabriels Aufsatz tatsächlich zu einem gewichtigen „Debattenbeitrag“ macht, welchen die Altmedien bisher tunlichst vermieden haben.
Dabei hätte man es bewenden lassen können. Aber der ukrainische Botschafter bettelt regelrecht um ein Ende seiner Tätigkeit oder er ist der Meinung, er hätte Narrenfreiheit in Deutschland. Aber wer hat sie ihm gewährt und was war Melnyks Reaktion auf Gabriels Erwiderung?
Per twitter und als angehefteten Tweet schreibt der Botschafter öffentlich an Gabriel:
„Bösartig ist vor allem IHRE @sigmargabriel & Ihrer SPD-Kumpane jahrelange Putin-freundliche Politik gewesen, die den barbarischen Vernichtungskrieg gegen den Staat, Nation,Kultur, gegen Frauen & Kinder erst herbeigeführt hat. Die Aufarbeitung kommt noch. Shame on you“
Original Beitrag von Andrij Melnyk auf Twitter
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Dem ist nichts hinzuzufügen. Jetzt muss der seit seiner Wahl abgetauchte Bundeskanzler Olaf Scholz reagieren. Und zwar möglichst schnell weit über seine anfänglichen „Irritationen“ hinausgehend.
Andrij Melnyk muss seinen Posten räumen. Mindestens aber muss der ukrainische Präsident Selenskyj gegenüber seinem Botschafter ein Machtwort sprechen. Aber damit wird nicht zu rechnen sein, Selenskyj ist gerade damit beschäftigt, die Ukraine gegen die russische Armee zu verteidigen.
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