Antimuslimischer Rassismus in Deutschland II

Empörung bei Helge Lindh (SPD) über Dr. Baumann (AfD)

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Helge Lindh, Mitglied des Deutschen Bundestages.© Quelle: © Screenshot: ZDF/Phoenix

Der Bundestag beriet in seiner 204. Sitzung über eine Große Anfrage der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Antimuslimischer Rassismus und Diskriminierung von Muslimen in Deutschland“. Die Linksfraktion forderte, dass „Unabhängige Expertengremium Islam/Muslimfeindlichkeit“ damit zu beauftragen, dem Bundestag eine Bestandsaufnahme und Handlungsempfehlungen vorzulegen.

Wir haben gestern den Redebeitrag von Dr. Bernd Baumann (AfD) dokumentiert. Helge Lindh (SPD) spracht direkt im Anschluss an Bernd Baumann (AfD). Aber anders als sein Vorredner findet er den Begriff eines „antimuslimischen Rassismus“ nicht unsinnig. Dafür hält er Baumann für eine Rassisten und fordert, dass sich Deutschland bei seinen Migranten für einen antimuslimischen Rassismus entschuldigt. Im Übrigen sollen wir nach Hanau und den Verbrechen des NSU endlich lernen zu trauern.

Helge Lindh (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (…) Herr Baumann, Sie haben ja gerade bei dem Thema bewiesen, dass Sie nichts verstehen und davon viel und dass Sie der personifizierte Beweis für die Berechtigung der Thematisierung des antimuslimischen Rassismus sind. Insofern war das ein hilfreicher Beitrag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, jedes Maßnahmenpaket, jede Entscheidung ist daran zu messen, ob es uns endlich gelingt – und das ist bisher nicht der Fall gewesen –, die Frage des antimuslimischen Rassismus – ich benutze diese Begrifflichkeit ganz bewusst, weil es sich darum handelt – emotional und in der Form von Empathie zu begreifen. Das scheint mir nach Hanau und nach dem NSU ausgesprochen wichtig zu sein.

Das bedeutet für die Zukunft, dass wir Fehler klar aussprechen, Versäumnisse benennen, dass wir uns entschuldigen, dass wir ein Zeichen des „Es tut uns leid“, des „Wir entschuldigen uns“ aussenden, dass wir den Rassismus als solchen benennen und – das kann keine einzelne Maßnahme, sondern das wird ein langer Prozess sein – dass wir lernen, zu trauern. Der NSU und auch Hanau haben gezeigt, dass wir dazu nicht imstande sind.

Und wer sich hier im Raum erinnert – Herr Baumann, Sie sollten sich das mal ganz genau ansehen –, dass wir im Fall NSU medial wie politisch eine lange Zeit die Opfer und die Angehörigen zum Täter gemacht haben: Das ist eine zutiefst beschämende Schande, die uns alle hier betrifft und nicht ruhig sein lassen kann.

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Wenn wir von dem Thema sprechen, sind, glaube ich, vier Punkte wichtig. Das Erste: Wir müssen heraus aus einer Kultur der Unterstellung und des Verdachts. Wir sprechen ja hier immer davon, dass wir Sicherheitsbehörden, dass wir Polizisten nicht unter Generalverdacht stellen wollen, zu Recht. Aber Musliminnen und Muslime leben in diesem Land permanent im Rahmen der Islamdebatten unter Generalverdacht.

Das Zweite: Wir müssen ran an die Frage der Repräsentanz. Es reicht nicht, dass wir Musliminnen und Muslime als Repräsentantinnen und Repräsentanten ihrer Community begreifen, sondern wir müssen auch das Zeichen aussenden, dass sie Repräsentantinnen und Repräsentanten dieses Landes sind – genauso wie Christen und Christinnen, wie Jüdinnen und Juden, sie sind genauso Repräsentanten Deutschlands. – Das ist das Zweite.

Das Dritte ist: Wir müssen raus aus der Barbarei des Verstehens, wie ich es nenne. Wir leben doch in einer humanen Gesellschaft davon, dass wir Dinge nicht verstehen und verstehen wollen und dass wir Dinge nicht gleichmachen sollen, sondern Verschiedenheit akzeptieren. Das macht uns doch aus.

Das Vierte – das scheint mir das Wichtigste zu sein –: Es gibt nicht nur so etwas wie ein Recht, seine Religion zu praktizieren, und ein Recht, sie auch nicht zu praktizieren, sondern auch ein Recht, sich nicht erklären zu müssen, nicht immer als muslimisch identifiziert zu werden, sondern einfach als Individuum anerkannt zu werden. Und dieses Recht haben wir Musliminnen und Muslimen in den letzten Jahrzehnten eben nicht zuteilwerden lassen, und da müssen wir ansetzen.

Und deshalb wünsche ich mir auch – und das ist vielleicht ein hehrer Wunsch noch für die nächsten Monate dieser Legislatur – dass es uns gelingt, in einem großen Angriff für Humanität fraktionsübergreifend dies noch vor Ende der Legislatur gemeinsam zu bekennen. Das würde mich freuen, im Sinne aller Musliminnen und Muslime – und als Zeichen des Zurückstellens parteipolitischer Erwägungen.

Vielen Dank.

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