Was aus der pazifistischen Anti-Kriegs-Partei von 1980 geworden ist – Eine Spurensuche

Die Camouflage-Grünen sind empört über Wagenknechts Friedensmanifest

von Alexander Wallasch (Kommentare: 10)

Aus dem Manifest: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt!“© Quelle: Pixabay / Clker-Free-Vector-Images / Die Grünen, Montage Alexander Wallasch

In der Bundesrepublik ist diese Diskussion über ein halbes Jahrhundert alt und sie ist Teil des Gründungsmythos der Grünen. Man kann sie herunterbrechen auf die simple Frage: Können Waffen Kriege beenden?

Eine Fotografie aus dem „Archiv grünes Gedächtnis“ zeigt die Fahne eines Demonstranten, die motivisch zusammenfasst, was die grüne Geisteshaltung – dieses Patchwork der Inhalte vieler unterschiedlicher Bürgerbewegungen – damals ausmachte. Abgebildet auf der Fahne sind fünf Symbole: Zentral im Mittelpunkt die weiße Friedenstaube und das Peace-Zeichen, dazu die obligatorische Sonnenblume und die Anti-AKW-Sonne. Ein kommunistischer Stern wurde ebenfalls dazu sortiert.

Präziser und umfassender kann man die grüne Bewegung kaum zusammenfassen, das Foto muss etwa Ende der 1970er Jahre aufgenommen worden sein. Gleich im zweiten Absatz der grünen Geschichtsstunde heißt es in einem historischen Rückblick zur Fotografie auf der Webseite der Grünen:

„Wir haben gestritten und Pullover gestrickt, wurden als Müslifresser und Ökospinner verlacht. Doch unsere Idee hielt das nicht auf – weil wir beharrlich für sie gekämpft haben, auch gegen die mächtigsten Gegner.“

Auch das ist eine präzise Beschreibung der damaligen Stimmungslage der Grünen. Über die Gründung der Partei heißt es, die Menschen, die sich zu den Grünen zusammengeschlossen haben, stammten „aus Umweltverbänden, der Friedens- und Anti-Atom-Bewegung, Dritte-Welt-Gruppen bis hin zu Fraueninitiativen“.

Ein weiteres Foto zeigt die Friedensbewegten Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck. Ein zentraler Kampf der jungen Partei galt der Verhinderung des Nato-Doppelbeschlusses. Die Grünen standen neben den Kirchen und Gewerkschaften an der Spitze einer Friedensbewegung, die Hunderttausende mobilisierte.

Verhindern konnten die großen Demonstrationen „gegen den Rüstungswahn“ die Aufrüstung indes nicht: Der Bundestag stimmte am 22. November 1983 mehrheitlich der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zu. Die Bemühungen der grüngefärbten Friedensbewegung, mit Friedenscamps, Sitzblockaden und Menschenketten die Nachrüstung noch in letzter Minute zu verhindern, scheiterten.

Das ist die grüne DNA. Die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesministerin Renate Künast gab im Januar 1990 eine Pressekonferenz mit „Totalverweigerern des Wehrdienstes“ aus Ost- und Westdeutschland. Die grüne taz schrieb dazu: „Die AL-Abgeordnete Künast wies ebenfalls darauf hin, daß die Sache politisch entschieden werden müsse und nicht im ,engen Rahmen alliierter Anweisungen'.“ Es ging hier um die weitere Behandlung von Totalverweigerern.

Zeitsprung. Im Juni 2022 schrieb die Bundestagsabgeordnete Renate Künast auf „Abgeordnetenwatch“:

„Wir stehen an der Seite der Ukraine und unterstützen ihr Recht auf Selbstverteidigung. Dazu gehört, dass wir neben finanzieller und humanitärer Hilfe und den bisherigen Waffenlieferungen jetzt auch die Lieferung schwerer Waffen auf direktem Wege und im Rahmen des Ringtausches beschlossen haben.“

Am 28. Mai 2022 befand dann die grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die Grünen wären nie eine Friedenspartei gewesen. Roth verteidigt die Lieferung schwerer Waffen gegenüber der Frankfurter Rundschau unter anderem mit den südamerikanischen Befreiungskämpfen, die Grünen wären nie nur friedlich gewesen:

„In unseren Anfängen haben wir die Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika unterstützt und die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika. Da war ein Christian Ströbele vorne mit dabei, um Geld für Waffenlieferungen zu sammeln. Wenn in keinster Weise anders möglich, kann der Griff zu Waffen das letzte Mittel sein, um gegen Unterdrückung aufzubegehren, um sich Freiheit und Selbstbestimmung zu erkämpfen, damit überhaupt politische Perspektiven entstehen können.“

Hier könnte man ketzerisch anmerken, Roths Haltung sei nah dran an einer noch radikaleren Forderung, 1970 geäußert von der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof: „ ... und natürlich kann geschossen werden.“

Unvergessen und auf seine Weise versöhnlich war für viele grüne Pazifisten die tränenerstickte Rede ihres Abgeordneten Christian Ströbele im Bonner Wasserwerk, der sich gegen den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr im Kosovo richtete. Außenminister Joschka Fischer sah damals keine Alternative zum Nato-Einsatz und befürwortete so die Bombardierung Belgrads, ein roter Farbbeutel traf Fischer auf dem Parteitag der Grünen, sein Trommelfell riss, letztlich bekam er aber die Zustimmung für den Kriegseinsatz.

Die Grünen stimmten damit der Bombardierung unter anderem von Belgrad zu, einem Nato-Einsatz außerhalb eines Bündnisfalls, kein Nato-Mitglied war angegriffen worden, es gab zudem kein UN-Mandat, die Völkerrechtsmäßigkeit dieses Einsatzes ist bis heute umstritten.

Auf dem Bielefelder Parteitag der Grünen am 13. Mai 1999 stellten Christian Ströbele, Claudia Roth und andere einen Antrag mit dem Titel „Die Luftangriffe sofort beenden und mit der Logik der Kriegsführung brechen“. Darin stand eine Forderung, die das ganze Dilemma eines grünen Pazifismus zusammenfasste, nämlich die Frage, welches Prinzip grüner Politik einen höheren Stellenwert besitzt: „Die Wahrung und der Schutz der Menschenrechte oder das Bekenntnis zu Pazifismus und Antimilitarismus.“

Roth und Ströbele forderten 1999, dass die grüne Außenpolitik eine Vereinbarung dieser beiden Prinzipien finden müsse.

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Damit ist der Konflikt hier hinreichend zusammengefasst. Bezogen auf den Ukraine-Krieg ist der Schutz „europäischer Werte“ als Argument für die Lieferung schwerer Waffen hinzugekommen. Claudia Roth hatte in besagtem Antrag von 1999 aber noch eine bemerkenswerte Feststellung gemacht. Die grüne Entscheidung für einen Kriegseinsatz sei letztlich erfolglos geblieben:

„Heute ist festzustellen: Die humanitäre Katastrophe wurde beschleunigt, sie wurde größer, als die meisten wirklich befürchtet hatten, und sie dauert immer noch an.“

Faktisch gibt es 2023 keine relevante grüne Strömung mehr für „Pazifismus und Antimilitarismus.“ Folgerichtig kommt sie von links und von der AfD. Unter anderem die AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla und Petr Bystron stellten zuletzt einen Antrag zu einer Friedensinitiative .

Auf der gegenüberliegenden Seite und unter deutlich größerer medialer Beachtung veröffentlichen die linke Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht, die Publizistin und Verlegerin Alice Schwarzer und über sechzig weitere Prominente ein „Manifest für den Frieden“, verbunden mit einer Change.org-Petition, die mittlerweile weit über zweihunderttausend Bürger unterschrieben haben.

Dort heißt es unter anderem:

„Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt!“

Die Reaktion der Grünen kommt prompt. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt kommentiert den Friedens- und Verhandlungsapell gegenüber einer Zeitung so:

„Ein Appell für Friedensverhandlungen mit einem sofortigen Ende aller militärischer Unterstützung für die Ukraine ist nicht nur naiv, sondern auch unehrlich.“

Und die graue Eminenz der Grünen fährt weitere harte Geschütze gegen Wagenknecht und Schwarzer auf. Ihr geht es um nicht weniger, als jede pazifistische Regung rigoros niederzukartätschen. So ein „Dilemma“ wie 1999, als der Farbbeutel an Fischers Ohr knallte, soll sich nicht wiederholen.

Für Göring-Eckardt ist das Manifest keineswegs eine Absage an weitere Gewalt, die Initiatorinnen würden damit befürworteten, „dass der russische Präsident Wladimir Putin und seine Leute weiterhin unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer überfallen, einsperren, vergewaltigen und verschleppen ließen.“

Eine freie Gesellschaft dürfe auf die russische Aggression nicht mit Belohnung reagieren. „Die Ukraine verteidigt nicht nur ihr eigenes Land, sondern auch unsere Freiheit und vor allem die europäische Sicherheit", so Göring-Eckardt weiter.

Das ZDF erinnert an dieser Stelle – hier nahezu subversiv in der Platzierung der Erwähnung –, dass die Grünen in Ehrenämtern in der evangelischen Kirche engagiert seien.

Auch Annalena Baerbock kommentierte Wagenknecht/Schwarzers Friedensinitiative – die übrigens auch von der langjährigen grünen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer erstunterzeichnet wurde – umgehend und ebenfalls scharf. Via Twitter geteilt wurde ein Video mit dem Baerbock-Kommentar unter anderem von „Antifa Zeckenbiss“, die das Manifest „irrsinnig“ nennt.

Und wieder „verspricht“ sich hier mutmaßlich die deutsche Außenministerin analog zur Aussage, wir seien mit Russland im Krieg, wenn Baerbock ihren Kurzkommentar mit dem Worten beginnt: „Das, was wir da in der Ukraine tun …“, damit würden wir auch „unsere eigene Freiheit verteidigen. Deutschland allerdings „tut“ nichts in der Ukraine, allenfalls doch „für“. Oder weiß Baerbock hier schon mehr?

Das Manifest kommentiert Baerbock so:

„Da gerade an diesem Tag wieder ein Aufruf die Runde macht, man sollte sich einfach nur mal an den Tisch setzen, ob jetzt die ganze Ukraine oder die halbe Ukraine, möchte ich daran erinnern, was das bedeutet. Menschen sitzen zum Teil seit elf Monaten im Keller und trauen sich nicht raus. Kinder gehen teils seit einem Jahr nicht zur Schule. (…) „Und all diejenigen, die sagen, Waffen müssen nur schweigen, weil dann haben wir Frieden, möchte ich sagen: Was ist das für ein Frieden, wenn man unter russischer Besatzung leben muss, jeden Tag die Sorge hat, dass man kaltblütig ermordet, vergewaltigt oder als Kind sogar verschleppt wird? Ein Diktatfrieden, wie ihn manche jetzt fordern, das ist kein Frieden. Sondern das wäre die Unterwerfung der Ukraine unter Russland.“

In der Sache eng an der Seite der deutschen Außenministerin steht der ehemalige ukrainische Botschafter und aktuelle Vize-Außenminister Andrij Melnyk, der das Manifest von Wagenknecht/Schwarzer auf seine ganze unverwechselbare Art und Weise kommentiert:

Die beiden seien „Hexen“, sie seien – von Melnyk korrekt gegendert – „Ukraine-Hasser:innen“ . Und anspielend auf eine von den beiden Frauen abgekündigte Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor kommentiert Melnyk: „Der Blocksberg im Harz wäre ein viel geeigneterer Treffpunkt. Schwefeldunst und Schierlingsdüfte.“

Auch die mitunterzeichnende Margot Käßmann muss sich von Melynk einmal quer durchbeleidigen lassen. Sie stände in Putins Diensten. Käßmann unterstütze „schamlos“ die Aggression gegen die Ukraine, sie sei eine echte „Schande-Pastorin. Pfui“.

Schon kurz nach der Veröffentlichung des Manifests twitterte der Vize-Außenminister der Ukraine, Andrij Melnyk in Richtung Wagenknecht und Schwarzer:

„Hallo ihr beide Putinschen Handlanger:Innen @SWagenknecht & #Schwarzer, euer Manifest für Verrat der Ukrainer könnt ihr zusammenrollen & gleich in den Mülleimer am Brandenburger Tor werfen. Das Blut von ukrainischen Opfern vom Vernichtungskrieg wird ewig an euren Händen kleben.“

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