Wenn der Graben quer durch die Gesellschaft zum Schützengraben wird

Der Ukrainekrieg und die ungeimpften Putinversteher

von Alexander Wallasch (Kommentare: 2)

Wiegt das Misstrauen vieler Menschen schon so schwer, dass die Verwerfungen des Corona-Regimes viele auf die Seite Putins schlagen, nur weil die Bundesregierung die Ukraine unterstützt? Und welche Rolle spielen die USA?© Quelle: © Bildmontage: YouTube Screenshot / WELT Nachrichtensender, phoenix, DW Deutsch

Russland gegen Ukraine? Die völkerrechtswidrige Invasion Russlands in die Ukraine ist kein Fußballspiel, das man vom Spielfeldrand aus betrachten oder gar befeuern sollte. Hier kann es nicht darum gehen, für diese oder jene Seite zu votieren. Woher aber kommt der Eindruck, dass überproportional viele Kritiker der Corona-Maßnahmen die Seite Putins verteidigen? Wo ist hier der Zusammenhang?

Eine nicht repräsentative Umfrage via Twitter mit knapp 1200 Teilnehmern – viele Maßnahmenkritiker darunter – ergab am 21. Februar, also noch vor der Invasion der Russen, dass 73 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass die USA den Ukraine-Konflikt eskaliert. Lediglich 16 Prozent gaben Russland die Hauptschuld, 6 Prozent der Ukraine bzw. 5 Prozent Russen in der Ukraine.

Auf die Ukraine rollt jetzt ein gigantischer russischer Militärkonvoi zu und Wladimir Putin hat die Atom-Alarmbereitschaft aktiviert. Für Politik und Medien ist der Aggressor eindeutig identifiziert. Würden die 1200 Twitter-Nutzer heute anders abstimmen?

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Über dreihundertfünfzig User von Twitter antworteten gestern auf folgende Frage: „Warum macht es gerade den Eindruck, als müsste jeder Corona-Maßnahmen-Kritiker der beste Freund von Putin sein?“

Original Beitrag von Alexander Wallasch auf Twitter

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Userin „Chrissy“ erkennt eine Zuordnung von „Wir“ und „Sie“. Und eine „Out-Gruppe“, die negativ etikettiert wird. Die positive oder jedenfalls weniger negative Haltung zu Putin wäre „eine Selbstinvestition, um all die pos. Gefühle der Gruppenzugehörigkeit aufrechtzuerhalten.“

Eine „Claudia“ findet, „Vertrauen in unsere Regierung, die mit dem Kriegstreiber Biden 'Hand in Hand' geht“, sei seit dem letzten Jahr verloren gegangen: „Jahrelang hatten sie Putin belächelt, statt mit ihm in den Diskurs zu gehen.“

Ein anderer Nutzer befindet kategorisch: „Je informierter, desto mehr für Putin.“

„GK“ sieht die „Spaltung der Spaltung“, die Gruppen würden sich demnach immer weiter spalten. Und die Losung „Bist du nicht für mich, bist du gegen mich“, würde noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Die Bundesregierung hat sich klar positioniert. Sie steht an der Seite der Ukraine samt Waffenlieferungen und einer 100 Milliarden-Aufrüstung der Bundeswehr. Aber erzwingt das bei Corona-Maßnahmen-Kritikern automatisch die Gegenposition? Folgt man der Umfrage und den Kommentaren, dann sind die Gräben tief, die staatlichen und medialen Diffamierungen zu weit fortgeschritten. Aber wo Gemeinsamkeiten verloren gehen, wird die Gegenposition zum Automatismus.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Situation in der Ukraine vor dem Einmarsch der Russen nicht so eindeutig für die ukrainische Sache sprach, so wie es eine klare Haltung gegen die völkerrechtswidrige russische Invasion jetzt suggerieren könnte.

So schrieb die Stiftung Wissenschaft und Politik, welche die Bundesregierung berät, 2019 in einer Analyse unter der Überschrift „Der Donbas-Konflikt“ von „widerstreitenden Narrative(n) und Interessen“ und von einem

„schwierigen Friedensprozess“. Also alles andere als eine eindeutige richtig-falsch oder Freund-Feind-Bewertung.

Über die Lage in der Ukraine heißt es dort: „Kyiw und die „Volksrepubliken“ driften immer weiter auseinander. Die humanitäre Notlage von Millionen Menschen entlang der Konfliktlinie ist bedrückend und droht in dauerhafte Armut und Unterentwicklung überzugehen.“

2019 folgte der eindringliche Appell der Stiftung an beide Seiten: „Alle Konfliktparteien müssen angehalten werden, Eskalationsrisiken zu vermeiden.“ Der humanitären Notlage im Konfliktgebiet würde von der ukrainischen Seite nicht wirksam entgegengetreten. Ein Fazit lautete damals: „Mit zunehmender Isolation der umstrittenen Gebiete wächst gleichzeitig deren Abhängigkeit von Russland.“

Die Studie berichtet weiter: „Auch das Verhältnis zwischen Russland und den konfliktrelevanten westlichen Akteuren EU, Nato und USA hat sich drastisch verschlechtert, was eine Lösung weiter erschwert. Die verschiedenen Konfliktebenen sind eng miteinander verbunden, und die Friedenshemmnisse verstärken sich gegenseitig.“

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So sehr der Westen heute die Ukraine als unverbrüchlich Teil Europas begreifen möchte, so gering war das Interesse am Ukraine-Konflikt in den Jahren zuvor.

Wenigen ist überhaupt bekannt, welche dramatische und gefährliche Situation dort schon seit Jahren herrscht. Um nur eine Zahl zu nennen: 2014 und 2015 zählten die Vereinten Nationen „etwa 9100 Tote und 20700 Verletzte“. Seit 2016 kamen jährlich noch 500-600 Tote dazu.

Die Zone entlang der Konfliktlinie gehört zu den drei am stärksten verminten Gebieten der Welt. Seit 2014 wurden mehrere Zehntausend Wohnhäuser beschädigt oder zerstört. Mischen sich diese Bilder mit den aktuellen Aufnahmen von Zerstörungen? In der Ostukraine gibt es schon seit Jahren ein dauerhaftes zähes Ringen um jeden Quadratmeter Geländegewinn.

Die Studie datiert Anfang 2017 als Einschnitt im Verlauf des Konfliktes. So hätten „rechtsgerichtete ukrainische Veteranen und Aktivisten“ eine wirtschaftliche Blockade der umstrittenen/umkämpften Gebiete gefordert und die Regierung in Kiew hätte diesem Wunsch nachgegeben. Sie konnte, so heißt es, dem Druck nicht standhalten.

Wer weiß heute noch, dass der russische Präsident ebenfalls Anfang September 2017 den Vorschlag gemacht hatte, die UN solle eine Mission entlang der Konfliktlinie entsenden. In der Studie der Berater der Bundesregierung von 2019 wird Putins Vorschlag der vorerst letzte Schub hin zu „internationalen Friedensbemühungen“ genannt.

Und weiter: „Der Machtwechsel in Kiew war nach Sicht des Kremls von den USA inszeniert worden, um die Ukraine in die Nato einzugliedern und so Russlands Einfluss in seiner Nachbarschaft weiter zurückdrängen zu können.“

Soweit ein erster unvollständiger Blick auf die komplizierte und verfahrene Lage in der Ostukraine, die Russland am 24. Februar als Alibi nahm, in das Nachbarland einzumarschieren.

Zurück zur Frage auf Twitter, warum es den Eindruck macht, als wären Corona-Maßnahmen-Kritiker eher auf der Seite von Putin.

„whoknows“ schreibt dazu: „Wer dem Zentral-Narrativ nicht bedingungslos folgt, ist auch gleich Putin-Freund?“

„AlexN“ ist pessimistisch, er meint, man würde alleine „für das Hinterfragen des Geschehens schon als Putintroll beschimpft.“ Das Pendant hierzu wäre der „Corona-Leugner“, der die Maßnahmen der Regierung hinterfragt.

Eine „Emma“ übt Fundamentalkritik: „Zwei Jahre Lügen und Verachtung für Ungeimpfte und jetzt soll man diesen Politikern vertrauen? Die objektive Berichterstattung der Medien fehlt komplett.“

Ursula von der Leyen (Kommissionspräsidentin der EU) hat der Ukraine gerade eine Art Ad-Hoc-Eintritt in die EU angeboten hat, begleitet mit dem Worten: „Ihr gehört zu uns“. Die Zeit fragte irritiert Richtung von der Leyen: „Was, wenn sie es ernst meint?“

Erdogans Türkei, die jahrzehntelang umsonst um eine Mitgliedschaft gebuhlt hatte, wird sich jedenfalls sehr genau anschauen, was da gerade passiert.

Bleibt noch die Rolle der USA in diesem Konflikt. Deshalb hier abschließend ein paar unvollständige Eckdaten zum Engagement der USA in der Ukraine im Vorfeld der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands:

Anfang September 2021 sichert die USA der Ukraine Militärhilfen in Höhe von 60 Millionen Dollar zu, „Ziel sei eine wirksamere Verteidigung Kiews gegen russische Aggressionen, so US-Präsident Biden.“

Das ZDF schrieb hierzu: „Die USA bauen ihre Militärhilfe für die Ukraine aus und liefern dem Land weitere Rüstungsgüter zur Verteidigung gegen Russland.“

Insgesamt unterstützte die USA die Ukraine seit 2014 mit 2,5 Milliarden Dollar. Die Zahlungen aus September 2021 waren gedacht für „zusätzliche Panzerabwehrraketen vom Typ Javelin und andere Rüstungsgüter, 'damit sich die Ukraine wirksamer gegen russische Aggression verteidigen kann'.“

Nachdem Biden sich mit dem ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus getroffen hatte, gaben beide eine gemeinsame Erklärung ab, dass die USA und die Ukraine ihren anhaltenden Widerstand gegen die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 aufrechterhalten wollen.

Auch das sind wichtige Informationen über das Geschehen im Vorfeld des Krieges in der Ukraine. Informationen, die dafür sorgen, dass es keineswegs nur eine bedingungslose Gefolgschaften für die Sache der Ukraine gibt.

So fasst ein „Oliver Gorus“ per Twitter zusammen: „Wer nicht pro NATO ist, ist nicht automatisch pro Putin. Die meisten Impfpflichtgegner sind pro individuelle Freiheit. Also logischerweise weder für Putin noch für die westlichen Politiker.“

Passend dazu meldet ntv Newsticker gerade, dass Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius angekündigt hat, dass der Verfassungsschutz angesichts des Kriegs in der Ukraine verstärkt Putin-freundliche Parteien und Organisationen beobachten werde. "Es ist jedenfalls klar, dass der Verfassungsschutz sein Augenmerk derzeit besonders auf diejenigen Organisationen und Parteien im Land richtet, die womöglich eine besondere Nähe zu Putin auszeichnet", sagt der Sozialdemokrat. Das betreffe Teile der AfD sowie "Teile der Bewegung, die sich gegen die Corona-Maßnahmen wendet, denn hier gibt es eine Schnittmenge".

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