Im nordrhein-westfälischen Paderborn feiern sie seit nunmehr 500 Jahren das Libori-Fest. Ein Fest, ein bisschen wie Weihnachten: christlicher Anlass für eine Sauf- und Fressmeile. Damit die Party einigermaßen friedlich abläuft, entwickelt die Polizei entsprechende Konzepte. In Paderborn ist Libori traditionell so etwas wie die fünfte Jahreszeit. Pandemiebedingt musste das Fest, das Hunderttausende anlockt, zwei Jahre lang ausfallen.
Paderborn feierte vor wenigen Tagen das 500ste Libori-Fest rund um die Rückkehr von christlichen Reliquien. Die Stadt Paderborn wurde dafür mit der Gegenwart des sozialdemokratischen Bundespräsidenten beehrt, Frank-Walter Steinmeier ist reformierter Christ, aber kein Lutheraner, er beruft sich auf Johannes Calvin, ist also Calvinist.
Aber solche innerchristlichen Details sollen hier nicht weiter interessieren. Spannender ist, was der Bundespräsident anlässlich dieses großen Jubiläums zu sagen hatte, denn Steinmeier beschränkte sich nicht darauf, etwa ein Fass anzustechen und ein paar salbungsvolle Worte von Christ zu Christ zu sprechen, er nutze diesen über Paderborn hinaus eigentlich ziemlich unbedeutenden Tag dazu, mit ganz dicken Backen den Krieg in der Ukraine zu thematisieren.
Steinmeiers zur zweiten Amtszeit eingekaufte Haltungsjournalisten von der Süddeutschen Zeitung und der Zeit haben ihm da was Flottes zusammengeschrieben, den Bogen muss man für so einen Tag erst einmal hinbekommen wollen.
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Steinmeier erzählt den versammelten Paderbornern zunächst die Welt vor tausend Jahren als ein großes Jammertal, die Menschen lebten, so der Sozialdemokrat, „in Angst vor dem Hunger, vor marodierenden Heeren und Banden, vor unbarmherzig Herrschenden – im Grunde vor jedem neuen Tag.“
Und Steinmeier spricht sogar die Mitschuld der Kirchen an, über die Reliquien, auf denen das Fest bis heute beruht, sagt er: „Damals stärkten solche Gaben nicht nur den Glauben, sie festigten bestehende Herrschaft.“
Der Calvinist über die christlichen Kirchen: „Es hat nie eine gerade Linie von den christlich geprägten Grundüberzeugungen zum faktischen Handeln gegeben. Immer wieder hat es schreckliche Verirrungen und Verbrechen gegeben.“ Für einen echten staubtrockenen Askese-Calvinisten müsste so ein reliquienbasiertes Sauffest demnach ein Gräuel sein, eine üble Ketzerei.
Steinmeier will aber sowieso etwas anderes, als den Leuten die Party versauen und eine kirchliche Schuld thematisieren. Er will in seiner Rede diese düstere Zeit als eine Drohkulisse aufbauen, in die uns die Gegenwart zurückkatapultieren würde, wenn … ja, wenn Deutschland, wenn die Europäische Gemeinschaft der Ukraine nicht kriegerisch zur Seite steht gegen den Angreifer Russland.
Den Paderbornern müsste angesichts dessen eigentlich der Mund offen gestanden haben, oder sie haben schon ein Glas vorgeglüht und die Tragweite dieses verbalen Missbrauchs ihres Festes durch den Bundespräsidenten ist ihnen gnädiger Weise entgangen.
Steinmeiers Wendepunkt in seiner Rede trieft vor Zynismus angesichts der Verwerfungen unserer Zeit, wenn er sagt:
„So schauen wir zurück auf die Ursprünge des Libori-Festes, zu dem jedes Jahr hunderttausende Besucher kommen – und erinnern uns daran, wie aus der armen, meist von Hunger und Not und Gewalt geprägten Welt jenes freie, friedliche und wohlhabende Europa wuchs, in dem heute zu leben wir das große Glück haben.“
Hier zitiert sich Steinmeier quasi selbst, als er im Oktober 2020 die von der Pandemie und den Lockdowns so schwer Betroffenen am 30. Jahrestag der Deutschen Einheit verspottete mit dem Satz: „Wir leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat.”
Steinmeiers Hinleitung zur Einforderung einer Art bedingungsloser Solidarität und Beistandspflicht mit der Ukraine scheut keine historischen Verdrehungen: Die christlichen Verwerfungen und Quälereien der Menschen hätten in Europa immer wieder eine Neubesinnung auf unsere guten geistigen Wurzeln erfordert.
Verdrehung deshalb, weil für Steinmeier beispielsweise die Menschenrechte „ursprünglich im Christentum“ angelegt sind, aber in Europa „gegen die amtlichen Vertreter des Christentums“ durchgesetzt werden mussten:
„Immer wieder musste die Bergpredigt oder das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gegen die Kirche selbst in Erinnerung gerufen werden.“
Die Aufklärung als Rückbesinnung auf die wahren, die echten und ursprünglichen europäischen Werte der griechischen Philosophen, der großen Vordenker und Väter der Demokratie aus eintausend Jahren europäischer Geschichte (ab etwa 600 v. Chr.) – die Philosophie der Antike ist für den Calvinisten Steinmeier nicht relevant.
Stattdessen verbalisiert der Bundespräsident ein neues Reich des Bösen: Hier die christlichen „westlichen“ Werte, dort Putins Russland. Steinmeier knüpft an Ronald Reagan an, der US-Präsident hatte 1983 auf der National Association of Evangelicals den Begriff „Reich des Bösen“ für die damalige Sowjetunion geprägt.
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Wussten die meisten Europäer vor dem Ukrainekrieg nicht einmal sicher, ob die Ukraine überhaupt geografisch, geschweige denn kulturell (als Teil von Reagans Reich des Bösen) zur Europa gehört, ist die Ukraine bei Steinmeier in den Mittelpunkt des europäischen Wollens und der europäischen Werte gerückt.
Mit dem Einmarsch in die jahrelang umkämpften Gebiete der Ukraine hätte Putin die europäische Sicherheitsarchitektur vernichtet. Steinmeier und seine helfenden Haltungsjournalisten formulieren politisch und historisch betrachtet einen ziemlichen Unsinn, wenn es in der Rede weiter heißt:
„Aber in diesen Tagen geht es noch um mehr: Der Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, ist auch ein Krieg gegen die Einheit Europas. Wir dürfen uns nicht spalten lassen, wir dürfen das große Werk eines einigen Europa, das wir so vielversprechend begonnen haben, nicht zerstören lassen. Es geht in diesem Krieg nicht allein um das Territorium der Ukraine, es geht um den im doppelten Sinne gemeinsamen Grund unserer Werte und unserer Friedensordnung.“
Was die Ukraine mit der „Einheit Europas“ zu tun hat, mit der Europäischen Gemeinschaft, ist schleierhaft, bleibt das alleinige Geheimnis des Bundespräsidenten. Das Narrativ, welches hier neu gestrickt werden soll, ist ziemlich atemberaubend in seiner folgenschweren Verdrehung.
Die europäischen Werte wären die verpflichtende Grundlage, „eine eindeutige Haltung“ zum Ukrainekrieg an den Tag zu legen, so Steinmeier. Deutschland und Europa müssten bereit sein, diese Werte zu verteidigen, für ihre Geltung einzustehen – also explizit auch in der Ukraine.
Und dann ein noch tiefer gehender Satz dieser Rede: Steinmeier ist kurz vor dem Fassanstich in Paderborn endlich dort angekommen, wo er von Anfang an hinwollte:
Für die Verteidigung unserer Werte in der Ukraine müssten wir Deutschen auch bereit sein „empfindliche Nachteile in Kauf zu nehmen“.
Ein geradezu unanständiger Spagat von Paderborns Reliquien-Gebeinen zur zentralen Frage von Steinmeier: „Sind wir dazu bereit?“
Aber zu was? Man will es kaum glauben, aber der Bundespräsident will seine Bevölkerung darauf einstimmen, dass die Sanktionen gegen Russland in Russland zwar kaum eine Wirkung zeigen, aber in Deutschland „heute und in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten“ Entbehrungen abfordern werden.
Um zu verstehen, was hier passiert, muss man es in aller Deutlichkeit aussprechen:
Dieser große sozialdemokratische Spalter aus Schloss Bellevue gibt mit seinem unheilvollen Geschwätz von europäischen Werten, die im Donbass zu verteidigen sind, den Ausputzer für eine desaströse Außen- wie Innenpolitik der Ampelregierung – was wiederum ein umfassender Missbrauch des Amtes ist.
Angesichts des umfassenden Zerstörungswerkes der deutschen Politik der letzten beiden Jahrzehnte an der europäischen Einheit, wiegt die Axt, die Steinmeier jetzt an diese Einheit legt, besonders schwer. Nein, das Schicksal der Ukraine, so grausam es für so viele Ukrainer ist, es ist keineswegs und schon gar nicht bedingungslos an das Schicksal Europas gebunden.
Davon kann keine Rede sein. So etwas zu konstruieren, um beispielsweise die Lieferung schwerer Waffen zu rechtfertigen, drohende Energieknappheit oder gar die Gefahr eines Kriegseintritts Deutschlands ist nicht nur fahrlässig, sondern bodenlos in jeder Hinsicht, vorgetragen vom Bundespräsidenten auf einem Reliquienfest mit anschließender Fressmeile:
„Aber in diesen Tagen geht es noch um mehr: Der Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, ist auch ein Krieg gegen die Einheit Europas. Wir dürfen uns nicht spalten lassen, wir dürfen das große Werk eines einigen Europa, das wir so vielversprechend begonnen haben, nicht zerstören lassen. Es geht in diesem Krieg nicht allein um das Territorium der Ukraine, es geht um den im doppelten Sinne gemeinsamen Grund unserer Werte und unserer Friedensordnung.“
Und nein, hier soll ein schon fünfhundert Jahre altes Fest der Paderborner gar nicht entwertet oder verhohnepipelt werden, hier geht es auch nicht um eine Debatte um die Wurzeln Europas: Es geht um eine politische Ideologie, vorgetragen vom deutschen Bundespräsidenten, welche diese Werte missbraucht.
Steinmeiers Rede ist in dem Moment von großer Kühnheit geprägt, wo er die Verwerfungen der christlichen Kirchen thematisiert und im selben Atemzug nach einem tausend Jahre alten Muster einer neuen öko-sozialistischen Religion das Wort redet.
Wem es wirklich darum geht, die europäischen, die deutschen Werte zu schützen und zu verteidigen, der muss dafür nicht extra an den Hindukusch oder nach Kiew reisen, der größte Feind dieser Werte sitzt längst im eigenen Haus.
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Kommentar von Roland Weinert
nicht in meinem namen!
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Kommentar von MfG
Guter Kommentar , aber sozialdemokratischer (Spalter) kann ich nur mit Gänsefüßchen gelten lassen. Der Mann ist Bonze aber kein Sozialdemokrat.
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Kommentar von Michael Holz
Der im Hinterzimmer ausgekungelte "Winkaugust" kann gut schwatzen. Er "verdient" im Jahr 240.000 Euro und für seine Büttel im Amt bekommt er nochmals um die 70.000 Euro. Dieser Mann ist genau so heuchlerisch - oder dumm? - wie die grünen Öko-Kommunisten Barebock, Göring-Eckard und Habeck. Man sollte "Kartoffelstan" nur noch bedauern, ob ihrer geballten Intelligenz in der politischen "Elite".
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Kommentar von Alex Peiran
Herr Klose,
der Steinmeier hat sich an der UKRAINE bereits seinen 'Mund verbrannt'.
Als Außenminister unter dem Merkel-Regime trat er im Jahre 2014 als Vertreter der Garantie-Macht Deutschland in der Ukraine auf, die unter der Janukowitsch-Regierung die Bildung einer Übergangsregierung und geordnete vorzeitige Neuwahlen bestätigen und sicherstellen sollte. Wollte...? (Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine. - Ausländische Unterzeichner: Steinmeier, Sikorsky (PL)).
Wie auch die späteren Minsker-Verträge zeigten, waren die Worte und schriftlichen Versicherungen dieser Herren nicht die Tinte ihrer Unterschriften wert.
Und Historiker werden es zu bewerten haben, inwieweit Gestalten wie Steinmeier, direkt oder indirekt, an der Tragödie des ukrainischen Volkes ihren ganz eigenen Anteil haben.
Wenn sich... - In der Folge des westlichen Putsches in der Ukraine. - ... sich nicht noch das Schuldkonto dieser Herren um ein Vielfaches erhöhen sollte.
Wie wir es in diesen Tagen mitansehen müssen und am eigenen Leibe erfahren müssen.
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Kommentar von August Klose
Manchmal beschleicht mich das Gefühl ,DIE sehnen einen Krieg herbei , damit sie die Suppe drr letzten 20 Jahre, an der sie sich jetzt die Lippen verbrennen, nicht auslöffeln müssen. Die ihren werden sie schon rechtzeitig in Sicherheit bringen.
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Kommentar von Hildegard Hardt
Ich erlaube mir, Ihnen für diesen Artikel meine Hochachtungs auszusprechen!
Als Calvinist glaubt F.-W. Steinmeier an die Vorherbestimmung von Heil oder Unheil; der Mensch muß seine Auserwähltheit zur Erlösung durch sein Leben und seine Taten beweisen. Daß die Heuchelei unseres Staatsoberhaupt nicht gerade f ü r eine Erlösung spricht, ist unverkennbar.
Daß dieser Mann Deutschland auch noch mit einer zweiten Amtszeit "beglücken" darf, beweist, wie tief wir bereits gesunken sind. Von den viel gepriesenen "Werten" kann keine Rede mehr; wir haben sie unserer Geschichtsvergessenheit einerseits und dem kapitalistischen Denken andererseits schon längst zum Opfer gebracht.
Frank-Walter Steinmeier mag sich auf sicherem Boden wähnen, aber bekanntermaßen rächt sich alle Schuld. Wenn nicht auf Erden, so doch in einer anderen Ausprägung der Materie. Der sollte er besser nicht begegnen!
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Kommentar von Dusha
Ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer Webseite!
Schön, daß Sie diesen Weg - über "Tichys Einblick" und "Reitschuster"- gegangen sind.
Wer Ihre Texte kennt, mag ahnen, daß Sie diesen Weg in aller Folgerichtigkeit vielleicht auch gehen mußten.
Dafür allein meine Glückwünsche, mein Respekt und mein aufrichtiger Dank.
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Kommentar von Kawalski
Ein freundliches: "Steinmeier, hau ab!" ist doch bestimmt erlaubt, oder?
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Kommentar von H. Jacobsen
Ich schreibe hier besser nicht was ich von Steinmeiers Rede halte, denn es könnte unflätig werden. Eines weiß ich aber sehr gewiss, ich möchte das korrupte ukrainische Regime nicht unterstützen. Weder mit Waffen noch mit unserem Steuergeld. Ich möchte auch nicht, dass dieses Land ein Mitglied der EU wird, weil es dafür nicht ansatzweise die Voraussetzungen erfüllt.