Ulf Poschardt macht es, Mathias Döpfner kann es besser: Welt-Chefredakteur und Springer-Chef neigen beide dazu, selten, aber doch regelmäßig so eine Art Kick-Off-Gesellschafts- oder Medienkritik in Gutsherrenart zu veröffentlichen. Eine, die dann bitte ordentlich bei den Kollegen und dem gemeinen Volk nachgären soll. Gutsherrenart deshalb, weil ihre Kritik zwar hervorsticht https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/alexander-wallasch-heute/standpauke-von-mathias-doepfner-auswuechse-der-hybris-in-medienbranche/, sogar ätzend sein kann, aber sich anschließend beide wie selbstverständlich wieder in ihr Wohlstandsschneckenhaus zurückziehen in der Hoffnung oder Gewissheit, mit ihrem Vorstoß etwas angezettelt zu haben.
Damit stehen Poschardt und Döpfner übrigens lange nicht alleine da. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit setzte seinen gewichtigsten Wespenstich 2017, als er der Branche in einem Beitrag bescheinigte, insbesondere im Zusammenhang mit der Massenzuwanderung kritische Meinungen „unter den Generalverdacht“ zu stellen. Was die Zeit unter seiner Regie anschließend und bis heute allerdings nicht davon abgehalten hat, Kritiker der Merkelregierung unter Generalverdacht zu stellen.
So traf es schon Monate nach di Lorenzo Generalabrechnung eine Autorin, für deren kritische Meinung in der Rubrik Pro & Contra zu Schleppertätigkeiten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor der libyschen Küste man sich hochnotpeinlich entschuldigte. Mariam Lau, so heißt die Autorin, hatte sich unter der Überschrift „Oder soll man es lassen?“ so weit geäußert, dass diese Aktionen der Aufnahme von Menschen aus Schlauchbooten zur Problemlösung „null und nichts beizutragen hat.“ Alles also nur eine Alibifunktion auch bei di Lorenzo?
Bleiben wir bei Ulf Poschardt, der versuchte es jetzt zum Jahresausklang 2020 gleich mit einem Doppelschlag hochherrschaftlicher Empörung. Aber wie ernst zu nehmen ist das alles noch? Womit hat Poschardt die Trommeln geschlagen?
Zunächst positionierte er sich da kritisch, wo sich die Zeit entschuldigt hat. Über diese Positionierung des Chefredakteurs der Welt schreibt evangelisch.de:
„Die Kanzel sei kein Ort für Parteitagsreden. Zwar sei das kirchliche Engagement für die Schwächsten der Schwachen lobenswert, sagte der Protestant Poschardt mit Bezug auf das Engagement der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Doch endeten die Probleme "ja nicht in dem Moment, wo man die Leute auf so ein Schiff geholt hat". Sondern es stellten sich "sehr vertrackte Fragen nach der Pull-Funktion solcher Rettungsaktionen“.
Poschardt also 2020 im 2018er Mariam-Lau-Modus. Zusätzlich wirkt das aber leider auch wie ein Nachtreten Richtung Heinrich Bedford-Strohm, dessen Tage als Chef der EKD gezählt sind und der mit seinem Engagement für ein Schiff zur Seenotrettung – andere sagen Schlepperhilfe – auch intern in die Kritik geraten war, aber seinen Hut noch aufrecht nehmen soll. Poschardt sieht also den arg Angeschlagenen und tritt nach. Und weil es so vermeintlich risikolos war, folgt eine Art Generalabrechnung mit der Kirche des Gefallenen und der Hinweis, sich doch bitte auf ihre spirituellen Angebote zu konzentrieren:
„Aber da bieten die Kirchen nichts an. Stattdessen reproduzieren sie mediale linksliberale oder vermeintlich liberale ökologische Klischees.“
Poschardts eigentlich ziemlich verdruckste Kritik („vertrackte Fragen“) am Sea-Watch-4-Einsatz des Schiffes von Bedford-Strohm bleibt ihm Kern allerdings fundamental. Denn wer von einer „Pull-Fuktion“ der Schiffe der NGOs vor der libyschen Küste spricht, der macht sich mit dieser Kritik mindestens aus Sicht des EKD-Chefs mitschuldig. Für den nämlich ist der Umgang mit Seenotrettern „eine Schande“.
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Und die Zeit lässt eine Redakteurin gerade schreiben: „Es ist gut, dass die „Sea-Watch 4“ Menschen vor dem Ertrinken rettet. Und gut für die evangelische Kirche, dass sie das mit diesem Schiff derart öffentlichkeitswirksam tut.“ Die Autorin schreibt unter der Überschrift „Lärm beim Retten.“ Ja, es soll lautloser, soll von Seiten der EKD bescheidener zugehen, wohl auch mit weniger Eitelkeiten des scheidenden EKD-Chefs. Aber die heilige Seenotrettung rührt die Zeit deswegen noch lange nicht an. Der Artikel geht sogar noch weiter. Es wäre damit nicht getan. Waffenexporte der EU in Bürgerkriegsgebiete müssten ebenfalls unterlassen werden und Spendenaufrufe für die Ärmsten der Welt sollen ertönen.
Da hat der Philosophie an einer von Jesuiten getragenen Hochschule studierte Ulf Poschardt also mit seiner Arschbombe ein paar Wellen in tieferen Gewässern gemacht, dort wo die Haie schwimmen. Aber doch nur, um sich gleich wieder mitsamt seiner Chefredakteursschwimmflügel ins Nichtschwimmerbecken zurück zu retten. Über seinen tollkühnen Ausflug mag Posschardt nun aber so selbstüberzuckert gewesen sein, dass der Welt-Chefredakteur sich umgeschaut hat unter seinen eifrigen Redaktionssynchronschwimmern und dieses devote Mainstreamballett plötzlich ganz was irre langweilig fand.
Also noch mal kurz an den Rand des Beckens und Arschbombe Nr.2, bevor es endgültig zurückgeht ins vorgewärmte weichgespülte Frotteehandtuch XXL mit Sportwagenemblem geht.
Die zweite Bombe mal live und im Originalton: „Journalist*innen fehlt der Mut zu Meinungen abseits vom Mainstream.“ soll Poschardt gegenüber dem Fachmagazin „Journalist“ gesagt haben, zitiert das Onlineportal Turi2. Klar ist dabei nicht, ob Poschardt das Gendersternchen so brav mitgesprochen hat, wie das Anne Will der Nation jeden Sonntagabend nach dem Tatort in ihrer Talkshow vormacht.
Aber das ist auch vollkommen schnuppe, weil es sowieso im Gelächter untergegangen sein muss, sollte ein auch nur einigermaßen aufgeweckter Journalist Ulf Poschardt bei diesem Gespräch leibhaftig gegenübergesessen haben.
Der Welt-Chefredakteur hält sein Blatt tatsächlich für „eine der letzten Bastionen des „freiheitlich-liberalen“ Denkens“. Die meisten anderen Medien seien laut Poschardt „in ihrer moralischen Blase gefangen.“ Da wird es aber Zeit auch für den Autor hier, seine „moralische Blase“ mal zu überprüfen. Poschardt ergänzte in besagtem Interview, besagte Gendersternchen-Journalisten hätten seiner Meinung nach viel zu viel Angst vor Shitstorms und trauten sich deshalb zu selten, Sichtweisen abseits des Mainstreams zu vertreten. Poschardt sieht ein „Klima von Angst und Unsicherheit in einigen Redaktionen.“ Welche Folgen es allerdings für diejenigen hat, die so agieren, verschweigt Poschardt.
Aber was bezweckt dann so ein aufgeregtes Rascheln im Blätterwald? Wer ist gemeint und an welcher Stelle genau? Und noch wichtiger, wo sind die Leuchttürme in dieser Geschichte? Poschardt benennt sie nicht, oder doch, es kommt der Verweis auf das von ihm geführte Blatt. Und von diesem Welt-Leuchtturm herunter rapunzelt Poschardt zu den Journalisten unter ihm, er sehe dort ein „Klima der Angst und Unsicherheit in einigen Redaktionen.“
Und dann greift Ulf Poschardt auch schon wieder zum vorgewärmten Handtuch und er entschuldigt sich, wie Turi2 zitiert: „Bei der Welt gebe es daneben etwa eine Menge Kommentare mit „klarer Haltung“ zur AfD.“
Was sagt der Bademeister zu alldem? Freischwimmer kann leider nicht erteilt werden, zu lange am Beckenrand festgehalten. Aber tatsächlich wollte Ulf Poschardt seine Schwimmflügel nie ablegen, er wollt nur mal kurz schauen, was die mutigen Schwimmer da draußen vor der Boje so machen und padelte mit dem Armen ein stückweit raus, sah auf einmal nur noch Wasser, erschrak und dann berührten seine Zehenspitzen den Sand nicht mehr. Hilfe! Ulf Poschardt geriet für einen ganz kurzen Moment in Seenot. Also wenn nicht sowieso Ebbe gewesen wäre bei dieser hübschen Simulation freiheitilich-liberalen Denkens. Eine Trockenübung am Schwimmbadrand. Mehr nicht.
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