Gestern telefonierte ich eine knappe halbe Stunde mit Anna Hamilton, sie ist die von einem Fast-Autor verschmähte Hausgeberin einer Essay-Buchreihe beim Verlag „zu Klampen“. Sie war es, die vor einem halben Jahr mit einer Idee zu einem Essay zu Ulf Poschardt ging.
Poschardt wurde jüngst zum Nachfolger des „Welt“-Herausgebers Stefan Aust gekürt. Und er schafft es offenbar, nebenbei noch einen Essayband zu schreiben. Ein schmales Büchlein von immerhin noch 165 Seiten. Das erscheint jetzt allerdings als „Book on Demand“, das sind solche Publikationen, die keinen Verlag gefunden haben und nach Verlangen – und natürlich Bezahlen – der Leser bei Amazon nachgedruckt werden.
Der Titel des nun nicht bei „zu Klampen“ erschienenen Buchs lautet „Shitbürgertum“.
Was war passiert? Frau Hamilton berichtete gegenüber Alexander-Wallasch.de, dass das Manuskript erst am 15. Dezember und nach einem halben Jahr einer bis dahin „guten Zusammenarbeit“ bei ihr angekommen sei. Sie habe sich ganz schnell daran gemacht, es zu redigieren. Anschließend habe sie Herrn Poschardt ihren Eindruck geschildert und Vorschläge gemacht, was noch zu ändern sei.
Daraufhin habe Ulf Poschardt ihr den Vorschlag gemacht, den Vertrag aufzulösen. Sie habe das sehr bedauert. Aber man sei doch „einvernehmlich“ übereingekommen, den Vertrag aufzulösen.
Jetzt ist Ulf Poschardt zwar nicht Angela Merkel. Aber ein Verlag macht mit einem Poschardt, seinen Möglichkeiten bei Springer und Poschardts Beziehungen zur umliegenden Presse allemal ein gutes Geschäft – wenn der Autor nicht zu gierig ist.
Ulf Poschardt trifft auf eine Herausgeberin, die zunächst eine Idee zu einem Essay an ihn heranträgt. Das schmeichelt Poschardt. Er sagt zu, er schreibt, es macht Arbeit. Und dann gefällt der Herausgeberin trotzdem nicht, was Poschardt abliefert. Das allerdings ist im schreibenden Gewerbe – ganz gleich, ob Journalist oder Buchautor – alles andere als ein ungewöhnlicher Vorgang. Auf dem üblichen Weg liegt es dann, Änderungsvorschläge zu besprechen und umzusetzen. Jedenfalls, solange es nicht die zehn Gebote sind, Gott braucht kein Lektorat. Aber Poschardt schmeißt hin.
Er schmeißt aber nicht hin, um sich einen neuen Verlag zu suchen, Poschardt erklärt jetzt plötzlich, es brauche gar keine Verlage mehr. Via X lässt der frischgebackene Welt-Herausgeber so pseudorebellisch mitteilen:
„Niemand braucht mehr einen Verlag. Sei dein eigener Verlag.“
Die offenbar mehr der Qualität als dem Kommerz verpflichtete Anna Hamilton spricht an keiner Stelle wie eine Beleidigte. Und sie bleibt auch Poschardt gegenüber durchgehend höflich und angenehm. Eine kluge Buchmacherin, der man in jeder Silbe auch ihrer Erfahrungen als Lektorin nachspüren kann.
Unausgesprochen ist es dennoch von ausgeprägter Unhöflichkeit – geradezu rotzlöffelig von Poschardt – auf diese Weise nachzutreten, weil man mit einer Arbeit nicht sofort einen Sturm der ungeteilten Begeisterung ausgelöst hat. Der grau gewordene ewige Springer-Kronprinz mag nicht kritisiert werden. Und die Kritik war umfassend: Es sei gar ja kein Essay geworden, sondern eine nicht bestellte Polemik, erklärt Frau Hamilton sachlich und in aller Ruhe.
Und um auch das auszuschließen: Von einer pfiffigen Marketingstrategie, die sie mit Poschardt ausgeheckt habe, will Anna Hamilton im Gespräch nichts wissen.
Es könnte ja sein, dass dieses ganze Theater nur einem Ziel galt: zu trommeln, was der gediegene Herr Poschardt da Wildes erschaffen hat, das von einem Verlag auf den Index gesetzt werden musste. Denn so will es Poschardt jetzt aussehen lassen: Als das nicht verlegte Skandalbuch.
Aber seien wir ehrlich: Dieser Ulf Poschardt ist nicht Klaus Kinski, die 1960er Jahre sind vorbei. Und niemand ist automatisch wild nach dem, was ein Langzeit-Bewohner des Elfenbeinturms 2024 so für wild hält.
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Entsprechend ernüchternd auch die ersten Seiten, die man bei Amazon bereits Probelesen kann. Schnell stellt sich der Eindruck einer dünnen Gemüsesuppe im angeschlagenen Meissner-Porzellan ein. Da will einer kochen – raus auf die Straße gehen – aber sich dabei nicht die Schürze dreckig machen. Aber mit abgespreiztem Finger kann man keine Töpfe schleppen - Steine werfen. Und da kommen dann so manierierte Sätze zustande, wie dieser hier:
„Das Shitbürgertum ist die Endmoräne einer die wilde Anthropologie des liberalen und libertären Bürgertums einfangenden Disziplinarmacht.“
Oh je, es ist schwer, sich selbst zu befreien, wenn man sich auf der Straße schon wenige Minuten später nach dem heißen Kakao und dem warmen Turmzimmer zurücksehnt. DJ Poschardt legt seit Jahrzehnten die immer gleiche Platte auf. Das reicht offenbar für die Chefetagen von Springer. Aber es reicht eben nicht mehr für eine inhaltliche Relevanz.
Poschardt hatte längst aufgegeben, ein Frank Schirrmacher werden zu wollen. Der früh verstorbene FAZ-Herausgeber setzte über Jahre die Themen, schrieb tragfähige Essays, welche bundesdeutsche Debatten auslösen. Und es gelang Schirrmacher, die relevanten Bestseller dazu zu verfassen.
Was für ein Gigant. Und demgegenüber nun ein Ulf Poschardt mit einem kleinen Tornisterbändchen, mit dem eine Liebhaberin der Sprache und des Ausdrucks dann nichts mehr zu tun haben möchte, weil es, wie sie es nennt, am Thema vorbeigeschrieben sei. Setzen sechs, möchte man anfügen.
Ulf Poschardt schreibt bei Amazon über sein Buch im Selbstverlag, Ulf Poschardt sei „einer der renommiertesten Journalisten Deutschlands“. Und da dreht man sich nur deshalb nicht peinlich berührt weg, weil es so erwartbar peinlich ist. Selbst in der Peinlichkeit fehlt hier der Überraschungseffekt.
„Ein Weckruf zur Selbstreflexion“ will Poschardt geschrieben haben. „Weg von Büllerbü, hin zu Gotham City“, dabei aber bloß nicht die Knie dreckig machen, nachher soll’s noch mit sauberer Hose ins Borchardt gehen. Mal schauen, wer einen da so treffen will, der gar nicht wusste, dass man auch vorbeischaut, so funktioniert das ja immer.
Nun gut, Humor hat er doch. Jedenfalls dort, wo Poschardt sein „Büchlein“ (18 Euro) mit den Wahlkampfreden von Donald Trump vergleicht. Auch bei Trump kämen „große Wahrheiten“ mit „historischen Analysen“ und dem Zorn jener zusammen, die „aus dem privilegierten Diskurstheater ausgeschlossen sind“.
Und dann versteht man endlich, wonach sich Poschardt sehnt: Nach dem Leben der Anderen. Nach denen, die gegengehalten haben, die sich nicht in der Sicherheit der Etappe eingerichtet und vor jedem Fronteinsatz weggeduckt haben und trotzdem den ukrainischen Verdienstorden letzter Klasse dafür bekommen haben, bei Springer so fleißig für Waffenlieferungen getrommelt zu haben.
Es ist so überdeutlich – beinahe schön – in seiner plötzlichen Klarheit: Ulf Poschardt möchte gar nicht mehr Schirrmacher sein. Ulf Poschardt will Julian Reichelt sein!
Und dann ist es auch wieder so banal in der naheliegenden Intention: Der neue Welt-Herausgeber Ulf Poschardt benimmt sich wie der überalterte Junggeselle, der doch noch im Ehehafen angekommen ist, wie Prinz Charles unter der ihm viel zu großen Königinnenmutterkrone. Und dann soll es für Poschardt noch einmal Junggesellenabend sein.
Bitte einmal Hangover. Wenn schon nicht so sein wie Reichelt, dann wenigstens einmal so wild feiern wie Reichelt. Aber statt Heinos Nutten, Koks und Erdbeeren reicht‘s bei Poschardt nur für ein kleines Essaybändchen mit viel zu dicken Backen, das keiner wollte, weil es am Thema vorbei geschrieben wurde.
„Shitbürgertum“ von Ulf Poschardt bei Amazon. Alexander-Wallasch.de hat die 18 Euro bezahlt. Wenn sich wider Erwarten etwas darin findet, dass noch igrendwie berichtenswert oder wenigstens komisch ist, soll das hier nachgeholt werden. Ob Poschardt mit seinem Büchlein auch noch auf Lesereise geht?
Das wäre dann sicher der mutigste Akt dieses Trauerspiels um das Klimakterium eines Mannes, der als „Welt-Herausgeber“ oben angekommen ist und sich jetzt nach dem Lärm der Straße zurücksehnt, als wäre er jemals dort zu Hause gewesen. Seemannsgarn einer Landratte.
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