Säße Tim Kellner auf dem Klo von Jan Böhmermann, gäbe es keine Strafe, sondern La-Olas

Toilettengeschichten gegen Baerbock: Tim Kellner zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt

von Alexander Wallasch (Kommentare: 20)

Ist das Realsatire vom Gericht? Tim Kellner soll zusätzlich zur Bewährungsstrafe noch 1500 Euro an das UNO-Flüchtlingswerk bezahlen.© Quelle: Youtube / Tim Kellner Screenshot

Wurde der bloggende politische Satiriker Tim Kellner zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er eine Aussage von Annalena Baerbock über afrikanische Toilettenanlagen zum Anlass nahm, die Außenministerin als Expertin für solche „Scheißhäuser“ zu bezeichnen?

Tim Kellner ist ein erfolgreicher Blogger und Youtuber mit mittlerweile knapp einer halben Million Abonnenten. Kellner sagt von sich selbst, er habe „eine gefestigte Meinung“.

Im Internet widersprechen sich die Aussagen zu Kellners Biografie teilweise. Kellner war Polizist und war oder ist Vorsitzender eines Biker-Clubs in Detmold. In seiner Youtube-Selbstdarstellung schreibt er unter anderem:

„(Ich) habe meinem Land als Soldat und Polizist gedient. Ich habe eine gefestigte Meinung und sage, was ich denke, auch wenn das mittlerweile in Deutschland nicht mehr erwünscht ist. Ich bin Präsident des Motorradclubs Brothers Guard MC Germany.“

Kellners Vorname wird mal mit einem, dann wieder mit zwei „m“ geschrieben. Bei seinen als „Satire“ vorgestellten Youtube-Clips nennt sich Kellner auch „Love Priest“ und tritt mit einer rosa-roten Herzbrille vor einer surrealen Wohnzimmerkulisse aus Plüsch-Einhörnern auf.

Tatsächlich sind Tim Kellners alle zwei Tage erscheinenden Fünfzehnminüter auch inhaltlich samt comicartiger eingeblendeter Filmschnipsel unverkennbar satirisch angelegt.

Aber es gibt doch einen Unterschied zu anderen deutschen Satiresendungen. Wenn sich der öffentlich-rechtliche politische Aktivist Jan Böhmermann satirisch über Prominente auslässt, passiert nichts. Geht Kellner auf Sendung, dann schaut die Staatsanwaltschaft offenbar zu, wie sich jetzt herausstellte:

Der Ex-Polizist wurde zu 8 Monaten Haft verurteilt, weil er die deutsche Außenministerin in einem Clip beleidigt haben soll. Die Strafe wurde laut Strafbefehl auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Die konkreten Vorwürfe werden von Kellner nicht genannt oder gezeigt. Das mag rechtliche Gründe haben. Jetzt gab Kellner dem Sender „Auf1“ ein kurzes Interview zum Vorgang. Da heißt es von Kellner zunächst erklärend:

„Ich habe das erst mal als Scherz wirklich aufgefasst und kann bis zum jetzigen Moment auch noch gar nicht glauben, dass das wirklich real sein soll. Aber ich kann Euch allen da draußen versichern, es ist wirklich kein Scherz. Die meinen das wirklich ernst.“

Zur konkreten Beschuldigung selbst äußert sich Kellner sehr knapp:

„Gegenstand der Strafanzeige ist, ganz einfach gesagt ein kurzer, lustiger Baerbock-Clip. Punkt.“

Der Auf1-Moderator fragt nach:

„Also, es war noch nicht mal ein Content, den Du jetzt mündlich erstellt hast oder Dir selbst sozusagen ausgedacht hat, sondern es war eine vorhandene Videoaufzeichnung, kann man sagen.“

Antwort Tim Kellner:

„Absolut richtig, die auch schon Monate vorher überall durchs Netz ging. Und ich möchte noch mal betonen, ich betreibe eine Satire-Schrägstrich-Comedy-Sendung und möchte nochmalig erwähnen: Es war – beziehungsweise ist – ein lustiger kurzer Baerbock-Clip, der dazu führte, dass ich jetzt acht Monate Haft kassiert habe, die wiederum ausgesetzt worden sind, gnädigerweise, zu drei Jahren auf Bewährung plus 1500 Euro an das UNO-Flüchtlingswerk, die ich auch noch zahlen muss. Der Strafbefehl ist, wie gesagt, eingegangen. Wir haben bereits Einspruch eingelegt. Das bedeutet, dass es auch zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Detmold kommen wird, und ich muss dazu sagen, auf diese Verhandlung freue ich mich natürlich sehr.“

Interessant ist hier die vom Gericht festgelegte Zahlung an das UNO-Flüchtlingswerk, die angesichts der oftmals auch zuwanderungskritischen satirischen Äußerungen von Kellner durchaus politisch verstanden werden darf.

Das entspräche in etwa der Anweisung an verurteilte linksextreme Klimakleber, ein Strafgeld an „Tichys Einblick“ zu bezahlen oder eine vergleichbare regierungskritische Publikation.

Zum Strafmaß äußert sich Kellner gegenüber „Auf1“ so:

„Wenn man sich – in Anführungsstrichen – Kavaliersdelikte mal anschaut wie Messerstechereien und Vergewaltigung, die ja eigentlich durchgängig in Deutschland nur noch mit Bewährungsstrafen geahndet werden, dann ist das wirklich schon ein starkes Stück.“

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Der Auf1-Moderator erinnert an die Politikerin und Autorin Sawsan Chebli (SPD), die ebenfalls einmal versucht hatte, Kellner zu verklagen, damit aber scheiterte. Der regierungsnahe Tagesspiegel schrieb Anfang 2020 zum Freispruch für Kellner zunächst über die Klägerin:

„Chebli gehört zu den Politikern, die von der immer stärker werdenden Hetze im Netz am stärksten betroffen sind. Als Frau, als Muslimin, als eine, die sich gegen Rechtsaußen engagiert, die auch gegen Antisemitismus eintritt. Für Rechtsradikale ist Sawsan Chebli ein Trigger auf zwei Beinen. Sie gehört aber auch zu denen, die sich wehren.“

Weiter schreibt der Tagesspiegel:

„Wenn sich Rechtsradikale organisiert auf sie einschießen, stellt Chebli bis zu 30 Strafanzeigen pro Woche.“

Wenn diese Anzeigen allerdings alle so erfolglos sind wie die gegen Kellner, dann kostet Cheblis Hybris den Steuerzahler einfach nur eine Menge Geld.

Über Tim Kellner schreibt das linkspolitische Blatt, Kellners Ansprachen gegen Chebli seien „gehässig, boshaft, bewusst verletzend“. Aber sie sind wohl vor allem eines: Zulässig, wie das Gericht 2020 entschieden hatte.

Übrigens ebenso wie die Bezeichnung „Ziegenficker“ für einen ausländischen Staatsmann. Jan Böhmermann beschimpfte so Erdogan und kam selbst juristisch ungeschoren davon. Lediglich ein paar Zeilen seines Schmähgedichts wurden untersagt, Böhmermann drehte den Spieß um und klagte dagegen bis zum Bundesverfassungsgericht, wo er verlor.

Der Spiegel beispielsweise schrieb lediglich einen satirisch anmutenden Text zum Fall Böhmermann.

Die Staatsanwaltschaft Mainz stellte das Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann ein mit der Begründung, es seien keine „strafbaren Handlungen […] mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen“. Und weiter: Eine Karikatur oder Satire sei keine Beleidigung, sofern „die Überzeichnung menschlicher Schwächen [keine] ernsthafte Herabwürdigung der Person“ enthalte.

Aber was genau hatte Kellner nun in seiner Sendung über Frau Baerbock verbreitet oder gesagt? In einem Statement zur neuen „feministischen Außenpolitik“ vor Pressevertretern hatte sich die Außenministerin über afrikanische Toilettenanlagen unter anderem so geäußert:

„Wenn wir ein Dorf unterstützen, was wiederaufgebaut wird, in Nigeria,“ (…) muss man sich vorher fragen, „was bedeutet es für ein 10-jähriges Kind nachts, diese Sanitäranlagen zu erreichen oder für eine Frau, dann trifft man die Entscheidung vielleicht nicht für die Lage am Rande des Dorfes.“

Anlass war hier unter anderem, dass Deutschland im Rahmen der Entwicklungshilfe sanitäre Anlagen aufbaut. Frau Baerbock nahm das als Beispiel, wie man hier einen feministischen Blickwinkel zukünftig mitdenken will.

Verstörend hier zunächst, dass die Außenministerin im Kontext „feministische Außenpolitik“ nicht zuerst über „Kinderehen, Zwangsheirat, Frauenhandel und Zwangsprostitution“ sprach, sondern über Toilettenanlagen.

EIne Toilette wird vulgär umgangssprachlich „Scheißhaus“ genannt. Kellner hatte Baerbock in einem Clip deshalb „nigerianische Expertin“ für so eine Anlage genannt. Anzunehmen ist, dass diese Aussage im Mittelpunkt der Strafanzeige steht. Direkt nach dieser Bezeichnung hatte Tim Kellner Baerbock im Originalton aus besagtem Clip eingeblendet:

„Wenn man nach dem Geruch geht, könnte man sie am Rande des Dorfes planen.“

Etwas später nennt Kellner die Außenministerin dann noch eine „Planer-Expertin“ für Toiletten (Er nutzte auch hier den Vulgärausdruck) und ein „Außentoastbrot“.

Wenn es sich in der Strafanzeige ausschließlich um diese Passagen handeln sollte, dann ist es tatsächlich verwunderlich, was sich das Gericht dabei gedacht hat.

Tim Kellner macht auch um eine ernste Erkrankung keine große Sache, erwähnt aber in seiner Sendung zur Baerbock-Anzeige, dass ihm „mitten in seiner Krebstherapie“ jetzt „zahlreiche Anzeigen ins Haus flattern würden“.

In den sozialen Netzwerken fragten sich einige Nutzer noch, wie es denn sein kann, eine Strafe ohne Verhandlung zu bekommen. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, einen Strafbefehl ohne vorhergehende Verhandlung zu erlassen, nur im Falle von Vergehen. Hierunter fallen all jene Verstöße, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder einer Geldstrafe belegt sind (§ 12 StGB).

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