Viele erfolgreiche Männer sind schon über Frauengeschichten gestolpert. Springer-Chef Mathias Döpfner gehört nicht dazu. Er strauchelte allerdings gefährlich über zwei große Männerfreundschaften. Für gleich eine Serie von Dramen sorgte hier Bestsellerautor Benjamin von Stuckrad-Barre, im Mittelpunkt eines weiteren stand Ex-Bildchef Julian Reichelt (heute nius.de).
In beiden Fällen ging es um Verrat. Um Interna aus der Kommunikation mit dem Springer-Milliardär. Stuckrad-Barre langte kräftiger hin, mit Reichelt gab es später einen außergerichtlichen Vergleich. Die Frankfurter Rundschau besuchte das Schlachtfeld, nachdem sich der Rauch verzogen hatte, und schrieb, was dort zu sehen war:
„Die Taktzahl der Vorwürfe gegen den Springer-Verlag ist hoch: Bild gegen den ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt, der frühere Springer-Autor Benjamin Stuckrad-Barre gegen Vorstandschef Mathias Döpfner, Zeit gegen Döpfner, Stern gegen Döpfner, Stuckrad-Barre gegen Döpfner und Reichelt, ohne letzteren Namen in den Mund zu nehmen. Offenbar ekelt es ihn dabei. Medien sind schnell dabei, von einer „Schlammschlacht“ zu sprechen – hierbei ist der Begriff gedeckt.“
Jetzt veröffentlichte Mathias Döpfner einen Leitartikel zum Terrorangriff der Hamas und den sich anschließenden Militäraktionen Israels. Ein Döpfner-Text, der sich liest wie die Kurzfassung eines Artikels von Julian Reichelt, der auch bei Nius.de selbst für heftiges Flügelschlagen sorgte, weil Reichelt die Bombardierung deutscher Städte als Legitimierung für eine von ihm geforderte Bombardierung des Gaza-Streifens heranzog. So etwas schaffen ansonsten nur eingefleischte Deutschland-Hasser.
Julian Reichelt wird mutmaßlich selbst gestaunt haben, als er jetzt den Leitartikel von Döpfner las, der sich in seiner Duplizität durchaus auch lesen kann wie eine Verteidigungsrede für den Ex-Mitarbeiter und Männerkumpel.
Unter dem nicht besonders einfallreichen aber provokanten Titel „Free Palestine!“ schrieb Döpfner:
„Es ist Zeit, dass sich der Westen einer historischen Aufgabe stellt: Palästina zu befreien wie die Alliierten einst Deutschland. (...) Nur ein geschlossenes Bündnis demokratischer Gegenwehr aus Amerika und Europa kann jetzt Menschenrechte und Zivilisation im Nahen Osten wiederherstellen.“
Auch Döpfner will keine Kompromisse. Das stärke nur die Täter. Bei Reichelts Geschichte im Mittelpunkt stand die Forderung, Palästina mit Flächenbombardements „in jeder Hinsicht“ zu brechen, einschließlich des Willens der Zivilbevölkerung. Dabei dürfe man den Tod von hunderttausenden Zivilisten in Kauf nehmen, so wie es die Briten und Amerikaner taten, als sie die deutschen Städte in Schutt und Asche legten.
Man muss es zweimal lesen: Döpfner möchte es gerne so machen wie Reichelt. Nein, er geht sogar noch weiter. Wenn man seine Forderung zu Ende denkt, dann verlangt Döpfner, dass auch deutsche Bomber über dem Gaza-Streifen eine todbringende Last abwerfen, bis Palästina von der Hamas befreit ist, inklusive der unvermeidbaren Kollateralschäden:
„Palästina muss von seinen diktatorischen Machthabern befreit werden wie Deutschland im Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten.“
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Döpfner ist in diesem Moment Reichelt und Reichelt ist Döpfner. Beide haben es allerdings vermieden, ihre Erzählung des alliierten Bombenterrors konsequent zu Ende zu führen. Denn als Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945 flächenmäßig bombardiert wurde, mit dem Ziel, möglichst viele deutsche Zivilisten zu ermorden, war das Undenkbare bereits in der finalen Planung:
Fast ein halbes Jahr später – die deutsche Wehrmacht hatte längst bedingungslos kapituliert – warfen die US-Amerikaner am 6. und 9. August 1945 zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki ab, 100.000 Menschen waren sofort tot, weitere 130.000 starben erwiesenermaßen Jahre später an den Folgeschäden. Wie viele Japaner womöglich noch Jahrzehnte danach im Zusammenhang mit den Atombombenabwürfen an Spätschäden litten und verstarben, ist zweifelsfrei nie ermittelt worden.
Beide Texte von Döpfner und Reichelt lassen den Schluss zu, dass auch der zweifache Atomwaffeneinsatz gegen die japanische Zivilbevölkerung ein legitimes Mittel war, die Menschen von ihren diktatorischen Machthabern zu befreien. Jedenfalls jene, die das Grauen des alliierten Bombenterrors bis hin zu den Atombombenabwürfen überlebten.
Halten wir fest: 78 Jahre nach dem Terror gegen die deutsche und japanische Zivilbevölkerung ist es für zwei relevante Medienschaffende in Deutschland wieder möglich, einen Zivilisationsbruch neu zu denken.
Tatsächlich nannte eine interdisziplinäre Tagung der Universität Heidelberg Auschwitz und Hiroshima im Jahr 2011 in einem Atemzug „Bilder des Zivilisationsbruchs“ und sprach von „,Ikonen‘ der Massenvernichtung“. Eine Relativierung?
Mathias Döpfner ist kein Superlativ zu klein. Er rast Reichelt mit einem Megafon-Text hinterher und will offenbar eine noch kompromisslosere und endgültigere Lösung der Palästinafrage als Reichelt es für Nius.de formuliert hatte:
„Es ist Zeit, dass sich der Westen einer historischen Aufgabe stellt: Palästina zu befreien wie die Alliierten einst Deutschland.“
Das ist Wahnsinn. Und es scheint eine Krankheit unserer Zeit zu sein, keinerlei Tabu mehr zu kennen. Eine Zeitenwende in jeder Beziehung. Oder wie es Olaf Scholz während des Corona-Regimes und im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg für Deutschland festschrieb: „Es darf keine roten Linien geben.“
Dazu passt, dass einer von Benjamin Netanjahus Ministern gerade den Einsatz einer Atombombe über dem Gaza-Streifen ins Spiel brachte und dafür plädierte, gleichzeitig jede humanitäre Hilfe einzustellen. Die israelische Regierung distanzierte sich sofort. Immerhin.
Reichelts Portal Nius.de distanzierte sich von Reichelt. Mathias Döpfner blieb bisher unwidersprochen. Man darf aber darüber spekulieren, wann ein Alibitext folgen wird, der diesen Wahnsinn pro forma wieder einfangen wird.
Nachtrag: Grotesk wird diese Abschreiberei übrigens in dem Moment, wo sich Julian Reichelt vom Döpfnertext distanziert, also von seinem eigenen. Hier nachzulesen.
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Kommentar von Sandra Richter
Ich kann ja grundsätzlich den Ärger über Reichelt und seine BILD-Connection verstehen, mir geht es ähnlich. Trotzdem verfügt er über Qualitäten und Vernetzung, die ihn unersetzlich für den Kampf gegen den Sozialismus machen, der gerade mit einer unfassbaren Geschwindigkeit unser Land und unsere Zukunft zerstört. Sein letztes Video auf "Achtung Reichelt!" zeigt das einmal mehr:
https://www.youtube.com/watch?v=rnUw_4KW6ks
Passend dazu ein Kommentar darunter:
"Der Optimist lernt chinesisch, der Pessimist lernt arabisch, der Realist kauft sich ne Knarre!"
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Kommentar von Schafokalypse bald
Wie ich gerade sehe, hat die Sozialistische Zeitung den Times of Israel Artikel von Tal Schneider, Anfang Oktober, übersetzt:
"Jahrelang hat Netanjahu die Hamas gestützt – jetzt ist es uns um die Ohren geflogen.
Die Times of Israel beschuldigt Netanjahu, dass er die Hamas groß gemacht hat."
https://www.sozonline.de/2023/11/jahrelang-hat-netanjahu-die-hamas-gestuetzt-jetzt-ist-es-uns-um-die-ohren-geflogen/
Was für Corona-Leugner, tzzz.
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Kommentar von Carl Peter
Als unverbesserlicher Individualist sehe ich in der Gegenwart keine Lösung für die Massen der Zukunft, solange eine Lösung mit der Vergangenheit gesucht wird.
Und die beschleunigte Beobachtung der Vergangenheit macht die Gegenwart immer träger.
Aber eine Lösung in der Vergangenheit hätte es gegeben, in dem man in Deutschland 1945 einen jüdischen Staat errichtet hätte.
Dort wäre die lückenlose Aufarbeitung der Naziverbrechen möglich gewesen, und der Rest Nazideutscher hätte eine entsprechende Verwaltung erfahren.
Stattdessen schlägt sich das deutsche Volk der Zukunft nun mit Muslimen herum.
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Kommentar von Jürgen Frohwein
Wer genau hat denn nun "Bombenterror auf Gaza" gesagt? Reichelt, Döpfner oder jemand Anderer? Derzeit bombardiert Istael den Gazastreifen mit seinen Vergewaltigern und Mördern, also impliziert die obige Überschrift das Israel Terror ausübt? Die Sprache machts, liebe Leute, daran kann der Überbringer der Botschaft erkannt werden.
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Kommentar von Eugen Karl
Reichelt hat sich doch selbst vom Döpfner-Text distanziert. Unbegreiflich, warum das hier nun am Ende unter der Rubrik "Grotesk" einmal erwähnt wird. "Warum der „Welt“-Kommentar von Mathias Döpfner nicht unwidersprochen bleiben darf" gehört hier mit in die Diskussion, meine ich. Wenn schon den täglichen Reichelt, dann auch bitte ganz und ungekürzt. Das stärkste aus dem neuen Text:
"Es gibt in Deutschland keinen „Schuldkult“, sondern vielmehr einen Keine-Schuld-Kult, der in Weizsäckers Reinwaschungsrede vom „Tag der Befreiung“ seinen Höhepunkt fand."
Gibt es einen "Keine-Schuld-Kult"? Eine absurdere Verdrehung der Realität habe ich jedenfalls selten gelesen. Man muß schon eine Kollektivschuld bis über mehrere Generationen hinweg postulieren, um eine solch abenteuerliche Behauptung begründen zu können. Indes kennt unser Recht, unser Grundgesetz keine Kollektivschuld, schon gar nicht für Kinder und Kindeskiner.
Ludwig Marcuse, als Jude vor Hitler in die USA geflohen, hat dazu 1960 einmal folgendes geschrieben: "Ich bin aber leidenschaftlich gegen den Begriff, der im 'Hexenhammer' stehen könnte: Kollektivschuld. Sie ist das Produkt eines Kollektivwahns. Sie ist der Ausdruck einer Hitlermethode, die Praxis der baren Unmenschlichkeit: vom Einzelnen abzusehen und nur in Gruppen zu denken. [...] Kein Verzeichnis der Greuel sollte uns dahin bringen, so unzugänglich für das Individuum zu sein, wie es die verstorbene deutsche Gewalt war."
Es gibt keinen "Keine-Schuld-Kult" in Deutschland. Denn der überwiegende Teil der Deutschen hat faktisch keine Schuld an den NS-Verbrechen, da sie viel zu jung sind. Es bedarf also keines Kults, um das einleuchtend zu machen. Ob es nicht aber einen Schuldkult gibt, ist eine Frage, die hier offen bleiben mag. Es ist auch eine Frage, die über Deutschland hinausreicht und zu deren Beantwortung das Buch des Franzosen Pascal Bruckner: "Der Schuldkomplex", herangezugen werden könnte.