Ein Bühnenprogramm als Lehrstück: Die Wiederentdeckung einer deutschen Debattenkultur

Serdar Somuncu im RBB: Freischärler und Guerillas haben im Donbas mit westlichen Waffen Russen umgebracht

von Alexander Wallasch (Kommentare: 16)

„Die Niederträchtigsten und Verlogensten und Hinterhältigsten sind die Deutschen, weil sie Russland damals versprochen haben, dass es keine EU-Erweiterung geben wird.“© Quelle: Youtube/ RBB radioeins

Man kann ja nicht alles kennen. Oder haben Sie schon vom regelmäßigen Gesprächsduell der beiden Kabarettisten Florian Schröder und Serdar Somuncu gehört?

RBB radioeins beschreibt sehr schön, was da in über zwei Stunden passiert, in denen die Zuschauer im Zelt zwei Männern lauschen, die auf der Bühne etwas machen, das in vielen deutschen Wohnzimmern spätestens seit der Corona-Pandemie von politisch korrekten Sprechanweisungen ,gegen Rechts' regelrecht erwürgt wurde:

„Wenn Florian und Serdar ins Tipi kommen, kann alles passieren. Dann fliegen die Fetzen, Gläser gehen zu Bruch, Geldscheine werden verteilt – und die Zuschauer stehen vor der Bühne und fragen, ob denn heute noch Kabarett käme.“

Wir steigen spät ein, die beiden Kontrahenten sitzen im 50er-Jahre-Interieur da schon fast zwei Stunden auf dieser Bühne, haben die Zuschauer und sich selbst gegenseitig beschimpft, sind erst nicht richtig in Fahrt gekommen und dann zu sehr. In Summe könnte man es eine wunderbare Erinnerungsshow nennen, wie wild und gern früher in deutschen Wohnzimmern – nein in Kneipen! – darum gerungen wurde, am Ende irgendwie Recht zu haben.

Hier scheut sich keiner der beiden, öffentlich nach Argumenten zu suchen, sich ranzutasten, laut zu fluchen, zu lachen, mit sich und dem anderen zu hadern, bis diese Gleitfahrt eines Monologs entsteht, auf den die Zuschauer vielleicht gewartet haben.

Zehn Minuten, die sich lohnen, hier transkribiert wiedergegeben zu werden. Mehrfach am Abend beschwören sich die beiden, dass sie die Ukraine als Thema weglassen wollen. Aber dann ist es doch so weit. Das Friedensmanifest von Wagenknecht und Schwarzer gab den Ausschlag.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Florian Schröder startet, währenddessen kocht es in Serdar Somuncu schon über, seine Explosion folgt auf dem Fuße, vorher hatte er irgendwann mit hochrotem Kopf den Tisch umgetreten, ein paar Zuschauer sind verfrüht gegangen, eine von alldem Ungehaltene erhielt am Bühnenrand ihr Geld zurück.

Hier der Showdown, High-Noon, wir steigen direkt bei Schröder ein:

Florian Schröder: Worum es mir geht: Putins Ziel ist eine Rehabilitierung dessen, was das russische Reich ist. Es geht ihm um Größenwahnsinn. Und das ist das Einzige, was ich daran kritisiere, dass er versucht, eine Form der Identität wiederherzustellen, von der er glaubt, dass es die richtige sei.

Und es ist eine ethnisch gesäuberte Realität. (…) Und jetzt kommt der Punkt, warum ich Wagenknecht und Schwarzer für die Verlogendsten halte, die es in dem ganzen Spiel gibt: Zu behaupten, man sei für Frieden und gleichzeitig zu sagen, man sei für einen sofortigen Frieden, man müsse jetzt reden und man müsse eben sich  mit Putin an einen Tisch setzen.

Das ist eine Verhöhnung aller Opfer dieses Krieges in der Ukraine, ganz egal, wie man zu welcher Seite steht. Es ist unmenschlich, es ist barbarisch. Und an der Grenze dessen, was Putin selbst tut.

Diese Friedensengel sind nichts anderes als das, was Putin tut. Sie reden ihm das Wort, weil sie genau das in den vergangenen Jahren erstaunlicherweise gesagt haben, was auch Putin gesagt hat. Nämlich Hass auf Leute, die aus dem Ausland kommen. Wagenknecht hat seit Jahren gesagt, wir brauchen keine ausländischen Fachkräfte, wir brauchen Deutsche. Es ist die gleiche ethnische Säuberung, für die Sahra Wagenknecht an der Grenze zur AfD seit Jahren steht.

Es ist homophob, es ist transphob, was Alice Schwarzer macht, was Sarah Wagenknecht macht, und darin übrigens in Übereinstimmung mit dem, was Putin macht.

Und ich glaube, es handelt sich um eine ganz gefährliche Identifikation mit dem Aggressor, im Glauben, man sei im Grunde selbst jahrelang das Opfer gewesen in seinem Kampf. Und jetzt endlich hat man einen, mit dem man sich verbinden kann, weil er hat sich ja auch genauso bedroht gefühlt wie man sich selbst. Und deswegen wollen (sie) nicht Frieden. Sie behaupten es nur, und dabei spielen sie Putins Spiel, und das ist das Verlogene, was ich verachte.

(Applaus)

Serdar Somuncu: Ja, wenn man den Arsch im Warmen hat, kann man so reden, dann kann man auch klatschen, super easy von mir, so blablabla …

Florian Schröder: Du hast den Arsch auch im Warmen …

Serdar Somuncu: Ja, aber ich sage, ich will keine Waffen in die Ukraine schicken.

(Applaus)

Also pass auf, wir rollen das mal anders auf: Die Niederträchtigsten und Verlogensten und Hinterhältigsten in dieser ganzen Geschichte sind die Deutschen. Die Deutschen, die ihre Wiedervereinigung sich ergaunert haben, weil sie Russland damals versprochen haben, dass es keine EU-Erweiterung geben wird.

Was meinst du, was Länder, die im Warschauer Pakt waren, als allererstes wollten, wenn der Warschauer Pakt nicht mehr da ist? Die wollen in die EU und die wollen in die NATO. Das ist keine freiwillige Entscheidung, das ist ein Zwang aus Angst. Die wollen nie mehr wieder mit Russland irgendwas zu tun haben.

Dass aber die EU der Ukraine 2014 die Versprechung gemacht hat und die Leute auf den Maidan getrieben hat und die Leute da abgeschossen wurden von irgendwelchen Polizisten in mehreren orangen und gelben und grünen Revolutionen, hat hier niemanden interessiert, der seinen Arsch im Warmen hatte.

Darf man die Leute verrecken lassen? Und da war auch nicht Putin da und irgendein Teufel, den man an die Wand malen musste. Sondern da gab es nur Interessen, nämlich die EU-Erweiterung in Richtung Osten und die NATO-Erweiterung, damit die Vormachtstellung, die Machtstellung der USA erhalten bleibt.

Und der einzige Schlüssel dazu war, Russland so zu destabilisieren, dass Russland nie mehr wieder ‘ne Chance haben würde, sich den Amerikanern oder wem auch immer in den Weg zu stellen. Und mit dieser Regionalmacht Russland, mit der man dann nicht gesprochen hat, hat man sich‘s gründlich verscherzt.

Diesen fruchtbaren Dialog jetzt, den es mit Putin gab, als er im Bundestag gesprochen hat, die Hand, die man ihm ausgestreckt hat, die er angenommen hat, weil er sogar auf Deutsch im Bundestag gesprochen hat. All das ist vergessen?

All die Bemühungen, die Russland gemacht hat, um auf die Deutschen auch zuzugehen und eine europäische Einigung zu erzielen, die auf Augenhöhe ist mit Russland?

Alles das ist vergessen und jetzt beschränkt man sich darauf, dass angeblich die Russen einen Überfall gemacht haben, der nicht geplant war und nicht provoziert war?

Was ist denn im Donbas passiert? Wie viel Leute sind denn 2014 bis 2018/19/20 im Donbas gestorben? Und nicht, weil Russen dort interveniert haben, sondern weil Freischärler und Guerillas mit westlichen Waffen Russen umgebracht haben.

Und dass man das nicht thematisiert und dass man nicht von Anfang an gesehen hat, dass das auf eine Eskalation zuläuft, hier mit einem – und jetzt gebe ich dir Recht – Psychopathen wie Putin, egoman, chauvinistisch, national verblendet, selbst Russland besessen, zu einem solchen katastrophalen Ergebnis führen würde – das hätten alle Politiker im Westen wissen müssen

(Applaus)

…Und sie haben es wissentlich provoziert. Und das Schlimmste ist, dass sie die  Ukraine damit ins offene Messer haben laufen lassen. Und sie tun es immer noch. Sie versprechen die Panzer. Wo sind die Panzer? Sind sie da? Das wird ein Jahr Lieferzeit brauchen, und da kommen da zehn Panzer an, die keiner fahren kann, weil er keine Ausbildung hat.

Wo sind die Waffen, die sie geschickt haben? Wo sind die Abwehrsysteme, die die Ukrainer brauchen? Ich hab's schon mal gesagt: Wenn die Deutschen die Ukraine unterstützen wollen, wenn die Europäer wirklich Interesse daran haben, dann muss die Ukraine sofort EU-Mitglied werden, dann muss die Ukraine sofort in die NATO aufgenommen werden, und dann müssen europäische und NATO-Truppen sich gegen Russland stellen.

Und wenn das passiert und wenn das eine intellektuelle Mittelschicht in Kauf nimmt, dass das passiert, dann sind wir in den Arsch gefickt.

(Applaus)

(…) Sorry, ich bin jetzt genauso emotional, wie Du das auch warst. Ich versuche trotzdem nochmal zurückzukommen:

Da können wir noch so viele Argumente aus der Sicherheit unseres Verstecks hervorbringen und Narrative wiederholen, vom bösen Putin und dem gerechten Kampf der Ukraine um unsere Werte. Das alles bringt nichts, weil am Ende zählt nur, wie viele Menschen sterben dort sinnlos Tag für Tag, und wir sind mittlerweile bei sechsstelligen Zahlen.

Unschuldige Männer, egal welchen Pass sie haben, verlieren dort ihr Leben. Und ich habe es schon mal gesagt: Ich will, dass das weder mit deutschen Waffen passiert, ich will nicht, dass es mit amerikanischen Waffen passiert.

Sondern ich will, dass eine europäische Friedensinitiative, gebildet von Frankreich, England, Deutschland, Italien, Spanien, der Türkei, allen Präsidenten, die es gibt, inklusive Israel und Amerika, dort hinfährt und an der Tür klopft, meinetwegen die Tür einschlägt und sagt, wir wollen Frieden.

Was müssen wir tun, damit es Frieden gibt? Welche Bedingungen stellt ihr uns? Und nicht, wie Selenskyj sein Parlament dazu auffordert, Verhandlungen mit Russland kategorisch zu verbieten.

Das ist doch die Gegenseite! Die Ukrainer sind doch gerade diejenigen, die nicht mehr verhandeln wollen, weil sie die Ahnung haben, dass die Europäer so dumm sind, sie so lange mit Waffen zu füttern, bis sie selbst Kriegspartei werden. Und dann Gnade uns Gott!

(…) Du magst aber Wagenknecht nicht, ich bin auch kein Fan von ihr. Aber sie hat in manchen Dingen einfach Recht: Wir haben mit diesem Krieg nur bedingt was zu tun. Wir können der Ukraine wieder Aufbauleistungen gewähren, wir können Milliarden in dieses Land pumpen. Wir können den Ukrainer sagen: Kommt nach Deutschland, wir geben euch ’ne Fluchtmöglichkeit.

Aber indem wir Waffen dorthin schicken, verlängern wir den Krieg! Es ist doch jetzt schon ein Jahr lang, und es ist nichts passiert. Ist das nicht jedem klar?


Den Höhepunkt der Wutrede bei „Live im Tipi" sehen Sie in bewegten Bildern hier.

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Kommentare