21 Prozent für die AfD – Wegen oder trotz des rechten Flügels?

In Schnellroda betet man täglich für die „Christianisierung von Ostdeutschland“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

Krah zu Kositza und Kubitschek gewandt: „Ich wäre nicht Spitzenkandidat ohne Ihrer beider Hilfe.“© Quelle: Youtube / Schnellroda, Screenshot

Auch im zweiten Durchgang der Gesprächsrunde zwischen Schnellroda und dem EU-Spitzenkandidaten der AfD werden keine Gefangenen gemacht. Dieses Mal wird’s allerdings deutlich gruftiger. Es geht um eine Renaissance des Mittelalter-Katholizismus und ein energisch-ängstliches Wegbeißen der Liberal-Konservativen.

Das tägliche selbstbespiegelnde woke Blabla kommt immer mehr Menschen schon aus den Ohren heraus. Die Probleme wachsen scheinbar immer weiter an und mit ihnen wächst die Hektik, die sich bisweilen in Panik auswächst, wenn es darum geht, Lösungen anzubieten.

Es scheint demnach etwas am System kaputt zu sein. Köpfe, die sich in Klausur begeben und über das Grundsätzliche nachdenken, sind selten geworden. Noch seltener solche, die sich um das Schicksal Deutschlands und die Deutschen Gedanken machen. Das ist Pfui, das ist Nazis, das ist Minus-Deutschland.

Denker wie Götz Kubitschek und sein Verlag Antaios, Ellen Kositza und der Thinktank der Eheleute in Schnellroda scheuen sich nicht, über Deutschland nachzudenken, und müssen schon seit Jahren einen harten Preis dafür bezahlen. Haldenwangs Aufmerksamkeit muss man sich verdienen. Von außen ist leicht gesagt, sowas solle man bitte als Auszeichnung empfinden. Die Diffamierungen und Ausgrenzungen bis tief in die Familien hinein sind nicht von Pappe.

Nun werkeln Kubitschek und Kositza nicht irgendwo hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Sie gehen mit ihrem Diskussionsangebot über die sozialen Medien offensiv nach außen, wie zuletzt in einem einstündigen Gespräch mit Maximilian Krah, dem EU-Spitzenkandidaten der AfD. Ich hatte Ihnen am dritten August darüber berichtet.

Vor der Wahl ist nach der Wahl: Krah wurde EU-Spitzenkandidat der AfD und er tauchte jetzt ein zweites Mal in Schnellroda vor der Kamera auf. Dieses Mal ersetzte Champagner das Weinangebot, der Hausherr goss dem Gast drei Mal halbgroßzügig nach. Aber daran alleine kann es nicht gelegen haben, dass auch ein paar Korken dort knallten, wo manches sonst verschlossen bleibt.

Nun veröffentlicht sich so ein Video nicht von selbst, es wird veröffentlicht und stellt sich zur Diskussion, die wir hier gern annehmen. Aber fangen wir von hinten an. Denn in den letzten fünfzehn Minuten der guten Stunde geht es ans Eingemachte zwischen Götz Kubitschek, Ellen Kositza und Maximilian Krah.

Letzterer hat das letzte Wort in Schnellroda und nutzt es, die Bedeutung von Schnellroda für die AfD zu bekräftigen: „Ich wäre nicht Spitzenkandidat ohne Ihrer beider Hilfe.“

Kubitschek hatte noch eine Stunde zuvor beflissentlich und weniger aus Bescheidenheit erwähnt, dass er doch nur „Beobachter von außen“ sei. In der ersten Ausgabe dieses Gesprächs war das „Wir“ zwischen AfD und Schnellroda kaum zu überhören. Der zweite Durchgang wirkt dahingehend disziplinierter, aber Maximilian Krah zieht das Tuch final vom Zylinder: „... nicht ohne Ihrer beider Hilfe.“

Wer sich auf die Suche nach der Beziehung zwischen Partei und neurechtem Thinktank macht, der läuft Gefahr, die Arbeit von Haldenwang zu erledigen, denn Schnellroda ist ja der dicke fette Honigtopf des Verfassungsschutzes: Erst erklärt man Kubitschek und Co zu verbotenen Früchten und dann wartet man einfach auf die blauen Wespen, die neugierig zum Naschen vorbeikommen.

Aber das Video ist nunmal freiwillig in der Welt. Und was Schnellroda da aufgetischt hat, ist schon harter Tobak. Dick unterstreichen muss man eine Aussage von Ellen Kositza. Die sagt nämlich zehn Minuten vor Schluss etwas zum Mitschreiben:

„Ich bekenne, dass ich täglich für die Christianisierung von Ostdeutschland bete, weil ich es für enorm wichtig halte, dass wir aus der horizontalen Ödnis wegkommen.“

Eine „metaphysische Aufrichtung“ hält sie obendrein für „eminent wichtig“.

Zuvor hatte sich Ellen Kositza als Leserin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geoutet und Claudius Seidl, dem langjährigen Feuilletonchef, einen Punkt zugestanden, als dieser die Auffassung vertrat, die fünf neuen Bundesländer seien vom Glauben abgeschnitten.

Die Drei von Schnellroda – wir schauen immer noch rückwärts – sind sich darin einig, wie wichtig eine Erneuerung des Christentums sei, eine Erneuerung des Katholizismus. Ohne Kirche sei die Kulturfeindlichkeit im Osten mit den Händen zu greifen, so Kositza. Und weiter mit dem spitzen Finger tief im Osten: „Die ist ja auch ganz sympathisch, die Kulturfeindlichkeit, aber es wurzelt sehr tief und es ist etwas sehr Trauriges.“

Von einem Besuch in Merseburg erzählen die Eheleute. Da hätten sie ein Konzert angeschaut und in den Musikern Vertreter der hier so dünn gesäten Bürgerlichkeit erlebt. In der Pause hätte der Dialekt so schön geklungen und Mendelsohn wurde gegeben im tausendjährigen Dom. Kubitschek schwärmt versonnen von Leuten, die es hier noch gäbe, „die weder dem Geld noch dem Erfolg Macht über ihr Leben einräumen“.

Und in Kombination mit Kositzas überraschender Ost-Missionsarbeit fragt man sich dann schon, ob die drei nebenbei auch Knaster geraucht oder eine Überdosis „Schlafes Bruder“ geschaut haben. Krah saugt an seiner ellenlangen Jubelzigarre, die doch immer wieder ausgeht. Aber Ellen spendiert zuverlässig von ihrem Dauerfeuer.

An einer Stelle im letzten Drittel der angebrochenen Schwarz-Weiß-Stunde setzt Krah zu einem längeren Monolog an, der so beginnt:

„Diese Übereinstimmung an Werten, an Kultur, an Grundüberzeugungen, das, was man gesunden Menschenverstand nennt, eigentlich ist es seit den 68ern nicht mehr allgemein verbindlich. Aber mittlerweile ist es eben komplett erodiert. Es ist auch erodiert, weil das ethnische Substrat nicht mehr da ist. Denn diese Kulturvorstellungen sind natürlich an ein Volk im ethnischen Sinne gebunden. Das heißt, wir haben eine Zeit, wo es diese allgemein anerkannten Übereinstimmungen und Grundlagen nicht mehr gibt.“

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Sind das schon Worte, wie direkt aus dem Giftschrank der deutschen Geschichte gerissen, ist das toxisch oder nur tollkühn? Es ist mindestens das Rütteln an einem Tabu, dass die Nachkriegszeit aus gutem Grund geformt hat. Kultur und Abstammung sind in Deutschland jedenfalls geschiedene Leute. Der Grund ist einfach: Weil die Ackerfurchen solcher Überlegungen mit Millionen Leichen gepflastert sind.

Nun muss Ethnie nicht notwendigerweise auf Abstammung basieren, aber schon der Hauch einer Idee davon ist der deutsche Alarmknopf. Soll der hier überwunden werden, dieser Knopf, der durchaus stolz machen darf, wo andere schon von Umerziehung faseln?

Im ersten Durchgang der kleinen Gesprächsrunde gab es folgenden Dialog zwischen Krah und Kubitschek, der hier gut herpasst:

Die Nation dürfe nach Krah nicht auf die Solidargemeinschaft reduziert werden, sie sei auch eine Kultur- und ... er sucht noch das Wort, da hilft Kubitschek schon: „eine Abstammungsgemeinschaft.“

Aber weiter beim AfD-Spitzenkandidaten gleich im Anschluss an sein ethnisches Verbalexperiment mit kurzer Zündschnur:

„Wir sind an einem Punkt, wo tatsächlich mittlerweile alles Ausdruck von demokratischen Verhandlungsmechanismen ist, in den Formen des Verfassungsrechts. Alles ist möglich, wir können morgen beschließen, dass es 53 Geschlechter gibt, wenn dazu die (...) vorgesehenen Abstimmungsverfahren durchlaufen werden. Und das ist etwas, was es bis 1968 nicht gab. Da sind wir jetzt angekommen. In der völligen Beliebigkeit. Und damit auch im völligen Positivismus. Und darauf müssen wir eine Reaktion haben und dürfen einfach nicht gegen Wagener und die seinen darauf beharren, dass es so eine Art informellen Konsens gibt. Den gibt es tatsächlich nicht mehr, der ist empirisch nicht mehr feststellbar ... und dann müssen wir diese Leute natürlich gewinnen für uns.“

Hier wieder der Rückbezug zum ersten Durchgang, da hatte Krah sich noch belustigt, Dr. Maaßen wolle zurück ins Jahr 1980. Aber wohin schaut Krah jetzt zurück? Was liegt hinter 1968? Die konservativ-liberale alte Bundesrepublik wird belächelt, also noch weiter zurück. Aber wo anhalten? Schnellroda und Krah wandeln mutig noch weiter zurück. Und Kositza schwärmt dazu ganz versonnen von „feschen Burschen“ (...), muskulös, gut gelaunt, viril und vital aussehend“.

Über „Remigration“ wird gesprochen. Kubitschek gibt den Startschuss:

„Da zucken Leute zurück, die sagen, wir wissen es schon auch, wir nehmen es schon auch wahr, aber wir wollen eigentlich nicht über die Konsequenzen nachdenken, die eine echt andere Politik hätte.“

Abschiebung, Rückführung, Remigration – Kubitschek:

„Wir müssen mit Leuten arbeiten, die auch bereit sind, harte Dinge zu sagen und darüber nachzudenken, wie hart die Dinge umgesetzt werden können.“

Gerade noch wird man sich in der Runde bewusst, was das alles bedeutet, wie das Gesagte missdeutet werden könnte und rudert schnell zurück. Remigration, so Kubitschek weiter, sei doch nur die Ausschöpfung des Rechts. Von „Anreizen“ ist bei Krah die Rede. Er spricht davon, dass über 50 Prozent der Syrer immer noch auf Hartz4 seien, „die werden nie einen Job finden ....“

Dass es nicht einmal 50 Prozent sind, das hat neben anderen Boris Palmer für sein Tübingen längst veröffentlicht. Aber dafür müsste einer wie Krah die Messe seines Kriegsschiffs mal verlassen. Dafür muss man sich dem Täglichen anvertrauen, mal das Deck schrubben, als nur mit der dicken Zigarre vom Heck aus den Horizont abzupaffen.

Auf einem Busbahnhof hatte Krah mal einen Barfuß-Afrikaner gesehen, der sang Lieder, plaudert er und fragt so versonnen in die Runde: „Tun wir denen was Gutes, wenn wir sie lebenslang abhängig halten? Tun wir denen nicht eher Gutes, wenn wir ihnen eine Perspektive eröffnen in der Heimat, wo ihre Vorfahren lebten?“

Das ist so hingerotzt, dass es weh tut. Und immer noch weiter: „Die Afrikaner bleiben entweder unglücklich oder sie werden sich radikalisieren.“

Nicht, dass das alles immer falsch wäre, aber durchgehend katholischer Stammtisch im Youtube-Format ist an der Stelle ermüdend. Kubitschek wird’s auch zu bunt und er wirft schnell ein: „Die Sehnsucht nach einer sanften Republik ist fehl am Platz!“

Was passiert da? Vorgeführt wird der verzweifelte Versuch, die Welt von 2023 auszumessen mit den Schablonen einer Weltbetrachtung der Jahrhundertwende und des frühen 20 Jahrhunderts. Vollkommen losgelöst von der Idee des Internets miteinander jonglierend mit Begriffen von „Bürgertum“, mit denen heute nur noch die wenigsten etwas anfangen können. Ranzige Kategorien sind das leider. Und da entdeckt man dann schnell die großen Ähnlichkeiten zu Wagenknecht, die politische Inszenierung als nie enden wollende Theaterprobe.

Wagenknecht ist überhaupt das Stichwort. Sehr schnell wird klar, um was es hier auf der Metaebene eigentlich geht. Angst spielt eine große Rolle. Es ist die Angst des erschöpften Läufers auf den letzten Metern des Halbmarathons noch über die eigenen Füße zu stolpern, nichtsahnend, dass er sich doch zum Vollmarathon angemeldet hatte, das böse Erwachen also schon vorprogrammiert, Scholz sagt, bis zur Wahl haben wir sie wieder auf zehn Prozent.

Richtiggehend erfolgsbesoffen von den einundzwanzig Prozent Zustimmung für die AfD reklamieren sowohl Kubitschek wie auch Krah den Sieg für ihre Ecke. Krah prahlt, dass man da sei, wo man ist, verdanke man dem Scheitern der Liberalkonservativen. Die sollen jetzt mal von ihrem hohen Ross runterkommen, die Karawane sei weitergezogen.

Es ist leider so aufgebläht, wie es sich anhört. Aber es ist viel mehr falsch. Denn die 21 Prozent verdankt die AfD zunächst einmal dem brutalen Scheitern der Ampel.

Was für ein tragisches großen Missverständnis am Schnellrodaer Holztisch: Die AfD ist nämlich nicht wegen, sondern trotz ihrer freien Radikalen so groß geworden. Es sind die Liberalkonservativen auf allen Ebenen, die die echte Parteiarbeit machen, die Kompromisse schließen. Die sie daheim schließen müssen, die noch wissen, wie man den Gartenzaun anstreicht, damit er nicht so böse ausschaut.

Die Drei am Tisch wissen es genau: Wenn es zukünftig so etwas geben soll, wie eine große konservative Allianz für Deutschland, wenn es eine Annährung geben sollte zwischen Wagenknecht, etwa der Maaßen-Fraktion, wem auch immer und der AfD, dann wird sich das Tor für die freien Radikalen schneller wieder verengen, als der Champagner getrunken ist. Dann ist wieder Katzentischzeit, das mag ja das ewige Schicksal der Läufer auf dem schmalen Grat sein. Es bleibt ein Rollenspiel.

Krah meint, wir befänden uns in der Zeit der existenziellen Entscheidungen. Er will jetzt in Brüssel nach dem thüringischen Modell arbeiten, dafür hätte er sich aus Thüringen Rene Aust als Berater geholt – der habe ihm dankenswerterweise erklärt, wie man eine Fraktion „mit Leitplanken versieht“.

Wenn Krah, Kositza und Kubitschek einen „innerrechten Binnendiskurs“ debattieren, dann erkennt man die Sorge darum, dass ihnen die Felle wegschwimmen. Jetzt hat man über Jahre intern ordentlich ausgekeilt, jetzt muss doch nur noch diese blöde Idee einer bürgerlichen Allianz vom Tisch. Da wird man bissig. Da fallen Sätze wie diese hier:

„Konservativ-Liberale verachten ihre eigenen Wähler“, „Liberal-konservativ ist eine Diskussionsverweigerung“ und „Die Zeit ist von existenziellen Kämpfen geprägt, da kommt man mit Etiketten nicht weiter.“

Die Frage ist, wie groß die Wählerverachtung indes ist, wenn man, wie Kositza, von einer Christianisierung Ostdeutschlands' spricht. Maximilian Krah will in den kommenden Jahren mehr religiösen Bekenntnismut zeigen. Am Ende der Verwerfungen bleibt für Krah, sagt er noch versonnen, nur die Familie – nicht das Individuum – und der Glaube!

Schlusssatz Kubitschek: „Widerstand gegen die Auflösung aller Dinge kann nur leisten, wer einen nicht verhandelbaren Standpunkt hat.“

Der Katholizismus steht im Mittelpunkt der konservativen Revolution aus Schnellroda und der Schnellrodaner Maximilian Krah ist schon bis Brüssel durchgeritten. Aber Vorsicht, ein schnelles Pferd kann auch ein fliehendes Pferd sein. Es kommt auf den Betrachtungswinkel von außen an.

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Kommentare