Von einem Grauen der Welt

Im Westen nichts Neues: Immer dieses Kreuz mit den Pazifisten

von Alexander Wallasch (Kommentare: 8)

Die Idee eines bewaffneten Pazifismus entspricht der Idee einer rohen Leber als Eisenlieferant für den Vegetarier.© Quelle: Youtube / Netflix

Der Antikriegsroman schlechthin gewinnt in einer Neuverfilmung hochverdient vier Oscars. „Im Westen nichts Neues“ trifft aber auch wegen des Ukrainekriegs einen Nerv. Und bei einigen löst er gar Nervenentzündungen aus.

Bittere Lehrstunden für die sogenannten „etablierten Medien“ und für die Politik: Der polit-mediale Komplex muss hinnehmen, dass ausgerechnet ein Antikriegsfilm zu einem der beiden Abräumer der Nacht der Oscars 2023 wurde.

Noch Ende September 2022 schrieb n-tv irritiert über „Im Westen nichts Neues“:

„Obwohl sich diese Geschichte um einen Konflikt dreht, der mittlerweile über 100 Jahre zurückliegt, erscheint sie vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs aktueller denn je. Ein Angriffskrieg, der der sich verteidigenden Ukraine aufgezwungen wurde und aus dem es derzeit auch nur einen militärischen Ausweg zu geben scheint. Die Botschaft, die "Im Westen nichts Neues" sendet und Bergers Film nun einmal mehr untermauert, ist dennoch wichtig und für alle Zeiten richtig: Am Ende kennen Kriege auf allen Seiten nur Verlierer.“

Wer hier „nur einen militärischen Ausweg“ und „Die Botschaft (…) Ist dennoch wichtig“ zusammenbringt, der will damit auch sagen: Hey, sorry Remarque, die Nazis haben doch Deine Bücher verbrannt und Dir die Staatsbürgerschaft entzogen, wie kannst Du da noch guten Gewissens Pazifist geblieben sein?

Was direkt zu der spannenden Frage führt, ob der 1970 in Locarno verstorbene Schriftsteller Erich Maria Remarque heute Unterzeichner des Friedensmanifestes von Wagenknecht und Schwarzer wäre. Das Osnabrücker Erich Maria Remarque-Friedenszentrum veröffentlichte auf seiner Webseite einen Link „Solidarität mit der Ukraine“ mit gelb-blauer Flagge. Dahinter heißt es:

„Aus aktuellem Anlass finden Sie hier Zitate von Erich Maria Remarque über Krieg, Nationalismus, Menschenrechte und Pazifismus. Das Angebot wird laufend ergänzt.“

Im Friedenszentrum ist auch das Remarque-Archiv untergebracht, man fühlt sich der humanistischen Position und Tradition des Autors verbunden. Hinter dem Ukraine-Solidaritätslink wird Erch Maria Remarque beispielsweise folgendermaßen zitiert:

„Wenn nur die Geschichte unserer Begegnung dazu dient, den Menschen in aller Welt einzuhämmern, dass es so etwas wie ‚Feinde‘ nicht gibt, dann hat es sich gelohnt.“

Und aus dem Jahr 1933:

„Vielleicht ist nur deshalb immer wieder Krieg, weil der eine nie ganz empfinden kann, was der andere leidet.“

Aus dem Jahr 1944:

„Man sollte beweisen, daß in einer Zeit, wo ein Flugzeug in wenigen Stunden alle europäischen Grenzen überqueren kann, kein Konflikt zwischen europäischen Nationen so unlösbar sein kann, daß er einen Krieg mit seinen Schrecken rechtfertigt ... , daß sich ein Krieg noch nie ausgezahlt hat – nicht einmal für den Sieger.“

Ein Satz in „Im Westen nichts Neues“ lautet:

„Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre, Handgranaten – Worte, Worte, aber sie umfassen das Grauen der Welt.“

Dieses „Grauen der Welt“ hat allerdings nie aufgehört zu sein, es konzentriert sich 2023 wieder in der Ostukraine. Als 1930 „Im Westen nichts Neues“ in Hollywood verfilmt wurde und später zwei Oscars bekam, tobten die Nazis in Deutschland.

Adolf Hitler hat vielleicht ähnlich schreckliche Erfahrungen an den Fronten des ersten Weltkrieges gemacht wie Erich Maria Remarque. Der eine wurde der Führer, das Monster, der Schlächter, der andere ein Autor mit Kernthema Pazifismus. Und jeder der beiden reklamierte für sich, seine Lehren aus den Kriegserlebnissen gezogen zu haben.

Am 31. Juli 1917 wurde Remarque in Flandern in den Hals geschossen und Granatsplitter trafen Arme und Beine des damals zwanzigjährigen Reserve-Rekruten. Auch Hitler war in Flandern, auch er erhielt das Eiserne Kreuz, auch er wurde verwundet, auch er landete im Lazarett.

Der Tagesspiegel veröffentlichte 2010 ein zu dem Zeitpunkt achtzig Jahre altes Foto vor dem Kino „Mozartsaal“ am Nollendorfplatz in Berlin-Schöneberg. Zu sehen sind dutzende Polizisten, die die Aufführung der Hollywood-Verfilmung schützen müssen, weil kriegsgeile Nazis in ihren Kinositzen toben.

2023 will der ukrainische Präsident Wlodomyr Selenskyj zur Oscar-Verleihung eine Rede halten, aber seine mutmaßliche Aufforderung, endlich Kampfjets zu schicken zur Verteidigung gegen die russischen Angreifer, kann von ihm mangels Einladung nicht platziert werden. Inoffiziell mit einer seltsamen wie verstörenden Begründung: Die Diversität würde fehlen, im Krieg kämpften doch nur weiße Soldaten.

Der Tagesspiegel weiß durchaus auch Kurioses zu berichten von so einem Kinotag vor mittlerweile bald einhundert Jahren:

„Die Vorstellung wurde unterbrochen, was auch nicht half. Goebbels hetzte, Fäuste flogen, nach Fortführung des Films folgten Stinkbomben, bis als Höhepunkt 'aus kleinen Pappkartons weiße Mäuse in solcher Zahl losgelassen wurden, dass man auf einen Ausverkauf dieses Artikels in sämtlichen Berliner einschlägigen Tierhandlungen schließen konnte', wie Brodnitz schrieb. Die 16 anwesenden Polizisten wurden der Lage nicht Herr, zumal 'knapp drei Dutzend der Hauptschreier' ihre Abgeordnetenausweise zückten. Seit den Wahlen im Mai 1930 war die NSDAP zweitstärkste Partei im Reichstag. Draußen auf dem Nollendorfplatz ging es weiter, rund 1500 Randalierer waren noch vor der alarmierten Polizeiverstärkung eingetroffen, versuchten das Kino zu stürmen, wichen erst dem Gummiknüppel.“

Zynisch könnte man hier anmerken, dass sich heute ausgerechnet Menschen auf ähnliche Weise gegen Andersdenkende benehmen. Linke oder Linksradikale, die angetreten sind, einen ,Kampf gegen Rechts' zu führen. Auch heute wieder mit dabei Personen mit Abgeordnetenausweisen, die im Plenum des Bundestages eine Finanzierung der Schlägertruppen fordern oder vom Bundestagsvizepräsidenten aufgefordert werden müssen, ihren Antifa-Sticker zu entfernen.

Im Westen nichts Neues.

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Der Verlag Kiepenheuer und Witsch verlegte 1994 einen Sammelband aus Texten und Interviews von Erich Maria Remarque und gab ihm den Titel „Ein militanter Pazifist“. Im Klappentext ein im Kontext „Ukrainekrieg“ neuerdings ein wieder populär gewordenes Zitat des Autors:

„Ich dachte immer jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.“

Könnte es vielleicht sein, dass es zwischen Pazifismus und militärischer Verteidigungshaltung keine Entscheidungsschlacht geben kann, kein Für und Wider, keine abschließende Positionierung für die eine oder andere Seite? Möglicherweise muss das Ideal des Pazifismus als Regulativ, als starkes Gegengewicht bestehen bleiben, um legitime Kampfhandlungen gegen einen Aggressor im rechten Moment wieder mahnend einzuhegen und zurückzuholen?

Wer könnte sich anmaßen, den Überlebenden von Auschwitz hinterherzurufen, die Befreiung durch die Rote Armee war aus pazifistischer Sicht nicht statthaft. Umso leichter scheint es heute Befürwortern von immer mehr Waffenlieferungen in die Ukraine zu fallen, Friedensinitiativen wie die von Wagenknecht/Schwarzer zu diffamieren.

Der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, der Vize-Außenminister der Ukraine, twitterte zum Friedensmanifest:

„Hallo ihr beide Putinschen Handlanger:Innen @SWagenknecht & #Schwarzer, euer Manifest für Verrat der Ukrainer könnt ihr zusammenrollen & gleich in den Mülleimer am Brandenburger Tor werfen. Das Blut von ukrainischen Opfern vom Vernichtungskrieg wird ewig an euren Händen kleben“

Demnach soll die Forderung nach einem Ende der Kampfhandlungen nicht gleichwertig bestehen dürfen neben jener nach militärischer Selbstverteidigung der Ukraine. Warum eigentlich nicht? Warum muss hier eine abschließende Beurteilung gefällt werden, getragen noch dazu von üblen Diffamierungen und Beschimpfungen?

Dirk Kurbjuweit, der stellvertretende Spiegel-Chefredakteur, schrieb zur Oscar-Nacht von „Im Westen nichts Neues“ (hinter der Bezahlschranke) einen klugen einleitenden Satz:

„Edward Bergers Spielfilm »Im Westen nichts Neues«, nun Oscar-gekrönt, verbreitet die in Deutschland derzeit nicht gern gehörte Botschaft, dass es beim Krieg vor allem ums Aufhören gehen muss.“

Kurbjuweits Schlagzeile über diesen einleitenden Worten lautet: „Böse Kriege, gute Kriege“. Eine Gegenüberstellung auch auf eine Frage, auf die bis heute keine endgültige Antwort gefunden wurde: Waren die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki Beschleuniger des Waffenstillstandes?

Ganz sicher waren sie das, aber sie waren auch gleichermaßen ein Verbrechen gegen die Menschheit, so wie beispielsweise die Zerstörung Dresdens, einer Stadt, die zum Zeitpunkt ihrer Vernichtung zigtausenden Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten Schutz gewährt hatte. Auch hier wieder die Frage: Hat die Zerstörung Dresdens den Krieg verkürzt und das Ende des Krieges beschleunigt?

Historiker sind sich heute weitestgehend einig darüber, dass die Nazis die Zerstörung Dresdens sogar noch für Durchhalteparolen zu nutzen wussten.

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) titelte vor ein paar Wochen: „Der Ukraine-Krieg und die Krise des Pazifismus“. Die Zeitung stellt Ihrem Text ein Zitat von Annalena Baerbock voran:

„Unsere Waffenlieferungen helfen Menschenleben zu retten: Eine menschenrechtsgeleitete Aussenpolitik (sollte sich) fragen, wie wir durch weitere Lieferungen Leben retten.“

Der Autor des Artikels startet mit einem provokanten Satz, den man sich in dieser von den Grauen des Krieges überhitzten Debatte erst einmal trauen muss, der deshalb aber nicht weniger wahr ist: Die Ukrainer verteidigen sich nicht, „um ihr Leben zu retten, sondern ihre Unabhängigkeit. Hätten sie vor einem Jahr vor dem russischen Angriff kapituliert, wären Zehntausende noch am Leben.“

Und die NZZ attestiert eine Verwirrung der politischen Landschaft in Deutschland:

„Es gibt jetzt in Deutschland links-grüne Bellizisten und eine nationalpazifistische Rechte.“

Der Bellizist ist laut Duden ein „Kriegstreiber“. Die NZZ scheute sich hier offenbar, den gängigeren Begriff zu wählen. Weiter heißt es da:

„Den Kriegskurs der Regierung unterstützen 70 Prozent der Mitglieder. (…) Möglicherweise ist das auch ein Indiz dafür, wie stark die Grünen mittlerweile verbürgerlicht sind und im Justemilieu der deutschen Republik angekommen.“

Und auch hier bringt der Autor Auschwitz ins Spiel, wenn er die DNA-pazifistische Vorkriegsparole „Nie wieder Krieg“ erweitert zu: „Nie wieder Krieg, nie wieder Ausschwitz“. Das wiederum bedeutet ja nichts anderes als: Wenn wir ein Auschwitz verhindern können, dann muss der Pazifist zur Waffe greifen.

Der Philosoph Ola Müller, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt, bläst ins selbe Horn. Er plädiert für einen „verantwortungsethischen Pazifismus“, der Gewalt nicht absolut ablehnt, sondern immer auch die negativen Folgen des Gewaltverzichts einkalkuliert. Das ist dann ungefähr so sinnig, wie man einem „körperverantwortlichen Vegetarismus“ anpreisen würde, der sich einmal die Woche ein Stück blutig rohe Leber gönnt, weil darin das Eisen besser verfügbar sei als im Spinat.

Nein, die Debatte um einen Krieg darf niemals den Gesetzmäßigkeiten des Krieges folgen. Feind und Freund, schwarz oder weiß, enden in der Regel tot oder lebendig und nicht in Friedensverhandlungen. Die bellizistischen Grünen und die Ampel lehnen heute eine Forderung nach diplomatischen Bemühungen ab. Oder nein, sie befürworten solche, aber eher im Sinne von Clausewitz: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der (Diplomatie) mit anderen Mitteln."

„Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, daß der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden."

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