Warum das journalistisch und im historischen Kontext ein Offenbarungseid war, dazu gleich im Detail. Zunächst noch mehr vom großen Freitag-Aufmacher des Blattes:
Braut Anastasiia wurde abgelichtet im Stil einer kolorierten Schwarzweißaufnahme des frühen 20. Jahrhunderts. Auf dem Zeitungsfoto trägt sie einen geflochtenen Blumenkranz im Haar, rechts unten der Hinweis: „Thema des Tages“.
Die Brautleute wurden, so erzählt es der Artikel, vom Vorgesetzen des jungen Soldatenbräutigams getraut. Die technisch anspruchsvolle Ausrichtung der Trauung übernahm die Gastgeberin der Braut, eine Braunschweiger Fahrlehrerin, welche die Geflüchtete schon vor Wochen bei sich aufgenommen hat.
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Der eigentliche Artikel im Innenteil der Zeitung trägt den Titel: „Liebe in Zeiten des Krieges: Anastasiia sagt 'Ja'“. Der Bräutigam und weitere seiner Kameraden sind auf einem Foto zu sehen, Männer in Flecktarn und im Vordergrund vor dem Großbildschirm die Braut in Weiß.
So weit, so ergebnisoffen. Was diese Heirat allerdings in der Nacherzählung so verstörend macht, ist der linkische Stil des Redakteurs, der sich nicht entscheiden kann, was er eigentlich erzählen will:
Die große Kriegesheldenheiratsgeschichte oder doch diese provinzielle, unfreiwillig komische Inszenierung, der er gerade beiwohnt: Erst ist die Luftpumpe für die weißen Ballons kaputt, dann bläst eine Nachbarin das schlaffe Hochzeitsplastik stramm, alles wird berichtet.
Es folgt der Hochzeitsmarsch im Garten hinterm Braunschweiger Einfamilienhaus vor dem Großbildschirm mit der Zoomübertragung aus dem Schützengraben:
„‘Alexa, spiel den Hochzeitsmarsch!‘, so hat es Manuela Schatz von der obersten Treppensstufe aus mit Donnerstimme angeordnet“, schreibt der Mann von der Zeitung seine Beobachtungen auf, als käme jeden Moment Loriot als Paul Winkelmann mit der Nachricht der großen Senfbestellung ums Eck.
Der Autor vermeldet auch, dass Weiß nicht ganz Weiß ist, sondern eher Hellblau „und tüchtig Tüll“ hat.
„Hier steht eine ‚Kriegstrauung‘ an“, erfährt der Leser und lernt gleich hintendran, dass das „laut Rechtslexikon ... eine ‚erleichterte Form der Eheschließung in Kriegszeiten, z.B. durch Ferntrauung‘“ ist.
Die deutsche Gastgeberin dieser komisch-gespenstischen Szenerie erklärt unter ihrem Porträt, jede Frau hätte das Recht, „einmal im Leben Prinzessin zu sein“.
Prinz Andrey ist 26 Jahr alt und kämpft mit seiner Einheit im Osten der Ukraine, „genauer hat man derlei nicht zu wissen“, souffliert der Redakteur wie aus dem Lexikon für Frühneuhochdeutsch.
Und weil dieses „derlei“ jetzt in der Welt ist, wird es zwei Sätze später für den anschließend die Trauung vornehmenden Vorgesetzen gleich noch einmal verwendet: „Auf seinen 'Kommandeur' genannten Vorgesetzen (genauer hat man derlei nicht zu wissen) …“
In seiner „Camouflage-Uniform“ wäre der Bräutigam schon mal kurz auf der Leinwand zu sehen gewesen. Tarnanzug, Flecktarn? Nö, „Camouflage“ klingt viel schöner nach Christine Lambrecht und ihren so unbedingt diversen Panzern.
Ach ja, es fallen ein paar Regentropfen „in die Hochzeitssuppe, die eh keiner angerührt hat, weil alle so aufgeregt sind“, heißt es da weiter über die deutsch-ukrainisch-ukrainische Kriegshochzeit.
Die Gastgeberin der Ukrainerin „wischt sich eine Träne aus dem Auge und sagt dann nur einen Satz: 'So ist das Leben'“, schreibt es der Redakteur über seiner Regensuppe auf.
Und dann fasst er zusammen: „Tja, das Leben also. Das Leben, die Liebe, der Krieg…“
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Tja, so klingt Journalismus, der sich auserzählt hat, der sich selbst verdaut hat über einer lauen Hochzeitssuppe, dem es einfach nicht gelingen will, das Erlebte seinen Lesern emotional verständlich zu vermitteln – eine echte Geschichte, verschwommen erzählt mit dem abgespreizten Finger, durch den Boden einer dünnwandigen Teetasse beobachtet. Das Leben, die Liebe, der Krieg … und ein Redakteur.
Und es wird kein Stück besser:
„Dass während des Gesprächs zwei Hunde und diverse Katzen (ein paar einheimische und zwei aus der Ukraine mitgebrachte) durchs (Zimmer) wuseln, ist in diesem Fall erwähnenswert. Tierliebe kann bei der Völkerverständigung sehr wichtig sein.“
Völkerverständigung auf einer ukrainisch-ukrainischen Hochzeit mit deutschen Zaungästen. Auch Kulinarisches bleibt rudimentär. Aber die Katzen sind ja divers. Zwinkersmiley.
Der Redakteur schreibt, dass sich die Braunschweiger Gastgeberin immer gefragt hätte, „warum Anastasiia oft so besonders bedrückt war“. Tja, woran könnte das wohl gelegen haben? Am Krieg in der Ukraine vielleicht? An ihrer Flucht nach Deutschland?
Um Himmels Willen, was für ein unempathisch zusammengeschusterter Hochzeitsschocker in Camouflage ist das eigentlich? Die Braut nimmt zwischendurch einen Gin Tonic, erfährt man noch. Ein Wunder, dass uns der Braunschweiger Redakteur nicht ausführlich erklärt hat, warum es kein Wodka sein wollte.
„Die beiden sind so süß zusammen“, ruft die Gastgeberin dazwischen, „ein ganz wunderbares Paar“. Und dann geht’s im „Thema des Tages“ schon wieder hinüber zur Hochzeitssuppe, die „ausgelöffelt“ wird, als würde der Redakteur schon ahnen, was er der Zeitung da eingelöffelt hat.
Dann ist es per Zoom geschehen, zwei Mal „Ja“ auf ukrainisch und vorbei, gelaufen. Der Mann von der Braunschweiger Zeitung legt sich nochmal richtig ins Zeug:
„Auch Verwandte, Freundinnen, Nachbarn sind hingerissen von dieser hier zumindest aufscheinenden Idee, dass der Liebe zwischen zwei Menschen sogar so ein abscheulicher Krieg nichts anhaben kann.“
Und weil der Schreiber wohl selbst ahnt, wie Banane das alles klingt, holt er sich kurzerhand Schiller zur Hilfe, den er sagen lässt: „Da sieht man kein Auge tränenleer.“ Aus der „Bürgschaft“ sei das, belehrt er jene Leser ohne Abo bei der freien Volksbühne für das Braunschweiger Staatstheater.
Die Uniformierten verabschieden sich aus dem Braunschweiger Hochzeitssuppen-Kampfgebiet, „ein Winken, die Leinwand ist wieder schwarz“. Junge, Junge.
Und dann hat es der Zeitungsmann selbst kapiert, als er schreibt: „Auch als Reporter ist man ja beinahe irritiert.“
Ja, dann fragen Sie erst einmal Ihre Leser!
Wirklich: Eine Berichterstattung über eine Kriegshochzeit im pompös-nationalpatriotischen Stile der Berliner Illustrierten von 1914 über einhundert Jahre später so zu versemmeln, muss man erst einmal hinbekommen.
Der Artikel endet damit, dass der Reporter beschreibt, jeder Hochzeitsgast im Braunschweiger Eigenheimgarten hätte noch etwas auf ein Holzherz geschrieben, so auch ein älterer Herr:
„Auf die etwas indiskrete Frage, was er darauf hinterlassen habe, sagt er, er habe nur ein einziges Wort geschrieben: ‚Frieden‘“.
Dann ist die Kriegshochzeitsgeschichte aus Niedersachsen zu Ende.
Und weil wir schon in Braunschweig sind, soll wieder Ulf Küch, der ehemalige Polizeichef der Stadt, zu Wort kommen. Der hat offensichtlich aus lokalpatriotischen Gründen noch ein Abo für die Zeitung offen und regte sich via Facebook ganz mächtig über diese ihm grotesk erscheinende Veranstaltung auf:
„Ich bin nur noch entsetzt, ob dieser Story heute in der Braunschweiger Zeitung.
Eine medial in Szene gesetzte Kriegstrauung a la 1. Weltkrieg und dabei wird die Tränendrüse der Leser auch noch fest gedrückt?
Ich empfehle allen zur Erdung dazu die Kurzgeschichte von Erich Maria Remarque aus seiner Reihe "Der Feind" (ISBN3-462-02420-5).
Die Kurzgeschichte lautet dort:
'Die Geschichte von Annettes Liebe'.
Ich hoffe, dass dieser jungen Ukrainerin und ihrem Mann das erspart bleibt.
Aber dazu solch einen Artikel zu verfassen, ist angesichts der dramatischen Hintergründe nicht mehr nachzuvollziehen.😢“
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