Ein Ort automobiler Hochkultur in Deutschland

Ein Requiem für Volkswagen – Ein letzter Blick auf die Gläserne Manufaktur in der Abenddämmerung

von Alexander Wallasch (Kommentare: 3)

Eine Manufaktur aus Glas und ein Scherbenhaufen© Quelle: Webseite der Gläserne Manufaktur, Screenshot

Ein letzter mächtiger Paukenschlag einer Sinfonie deutscher Schaffenskraft, die bald einhundertjährige Geschichte von Volkswagen – erloschen in einem Moment. Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden steht auf der Abschussliste.

Die Belegschaft ist heute überschaubar, die ursprünglich anvisierten Mitarbeiterzahlen wurden in Dresden in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen selten erreicht. Heute sind dort kaum mehr als 300 Mitarbeiter tätig, die Dual-Studierenden und Auszubildenden schon eingerechnet.

Der Bau selbst soll etwa so teuer gewesen sein wie der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. An beiden Standorten ein Hauch von potemkinschem Dorf. Ursprünglich wollte Volkswagen von der Fertigungsstätte nahe des Dresdner Großen Garten aus mit dem Phaeton die automobile Luxusklasse erobern, aber Dieselgate machte den über zwei Tonnen schweren Fahrzeugen nach kaum mehr als zehn Jahren Produktion einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

Alles, aber auch wirklich alles an diesem von den Münchner Henn-Architekten entworfenen Fahrzeugbaus war auf die Präsentation der Fertigung der Luxusklasse von Volkswagen ausgerichtet, bis hin zum Sternekoch Thorsten Bubolz, der im Foyer des Hauses gut betuchten Fahrzeugabholern ein erstklassiges Menü servierte. Ein kulinarisches High-Class-Erlebnis, das dazu beitragen sollte, die erste Begegnung mit dem neuen Phaeton zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen.

Von Gärtnerkolonnen gepflegte Teiche mit Zierfischbesatz unterhalb der leichten Anhöhe, ein alles überragender gläserner Fahrzeugturm, der die Phaeton-Luxusklasse wie in einer überdimensionalen Museums-Vitrine den Vorbeikommenden präsentierte. Die Fertigung selbst in ihrer Ausstattung einmalig mit gewachsten Edelholzparkettboden in der oberirdischen Fertigung. Wenn hier überhaupt mal mit Öl gekleckst wurde, dann in den nicht einsehbaren Kellergeschossen.

Und überall da, wo den Autobauern von Neugierigen auf die Finger geschaut werden konnte, waren diese in weiße Handschuhe gekleidet. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt dazu 2011 im Vorfeld zum zehnjährigen Jubiläum des Hauses: „Hier ist der Blaumann verpönt, die Arbeiter tragen weiß – und gleiten über feinen Parkettboden.“ Die bayerische Zeitung sparte damals nicht an Lobeshymnen für die Fertigung der Volkswagen-Luxusklasse:

„Bei der finalen Qualitätskontrolle, wenn die Autos mit eigenen Reifen auf dem Boden rollen, besteht das Parkett aus dem Holz der Deutschen Mooreiche. Die ist nämlich dunkler, man will im Wohnzimmer ja nicht sofort jeden Gummiabrieb sehen.“

Deutsche Mooreiche! Eines der als Highlight herausgestellten Momente der Fertigung war die sogenannte „Hochzeit“, der Moment, wenn Karosserie und Motor vereint werden – inszeniert hier tatsächlich wie automobiler Sex. Sogar für einen hochklassigen Soundtrack wurde einmal gesorgt, als eigens ein Steinway direkt in die Fertigung geschoben und die französische Starpianistin Hélène Grimaud dort muszierte, wo man sonst eine Stecknadel fallen hören kann.

Lange hatte Dresden um die Jahrtausendwende darüber diskutiert, wie das denn überhaupt möglich gemacht werden kann, ohne eine Lärmbelästigung, so einen Automobilbau mitten in der Stadt zu zelebrieren. Das Ergebnis war die so genannte Cargo-Tram, blaue Straßenbahnen, die vom Außenlager aus, die Manufaktur im Herzen Dresdens anfuhren, beladen mit den dort für den Bau des Phaeton benötigten Fertigungsteilen.

Wer jetzt denkt, dieser Aufwand wäre doch unverhältnismäßig groß und teuer – auch dafür hatte Volkswagen eine Antwort: Diese im Volkswagen-Blau gehaltenen Straßenbahnen fuhren als Volkswagen-Botschafter der Gläsernen Manufaktur durch Dresden.

Die Manufaktur war erdacht als ein Ort automobiler Hochkultur aus Deutschland. Hier waren die weltbekannten New York Philharmoniker zu Gast. Und als die Frauenkirche eröffnet wurde, war es selbstverständlich, dass die prominenten Gäste in einem Phaeton-Shuttle-Service vorgefahren wurden. Zur Berlinale in der Hauptstadt gab es eine Phaeton-Lounge standardmäßig im Borchardt. Kaum ein Preisträger der Filmfestspiele, der sich hier nicht auf dem roten Teppich blicken ließ – das Dabeisein ein absolutes Muss.

Man kann heute lange darüber streiten, was an dieser einzigartigen Automobilherstellung Inszenierung und was authentischer Automobilbau war. Man kann sich im Nachhinein darüber wundern, das der Phaeton zeitweilig mehrheitlich nach China exportiert wurde. Aber hier wäre schon wieder die aufwendige Verpackung und Verschiffung der Fahrzeuge die nächste spannende Geschichte gewesen.

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Gehässige Stimmen munkelten, dass das eine oder andere Mal die zusammengebauten Fahrzeuge im Keller wieder demontiert und erneut auf die Fertigungsstraße vor Zuschauern geschickt wurde. Fakt ist, dass man zu keiner Tageszeit so etwas wie eine industrielle Hektik erleben musste.

Die Dresdner haben „ihrer“ Manufaktur über die Jahre etwas abgewonnen, die Präsenz von Volkswagen war im Stadtbild unübersehbar. Das war neuer Luxus aus Dresden, wo bisher die Semperoper und die Schätze August des Starken Besucher an die Elbe zu den weißen Raddampfern lockte.

Entsprechend ernüchternd fiel der Umbau der Gläsernen Manufaktur zum Haus der Elektromobilität von Volkswagen aus. Das war mehr als nur eine innerbetriebliche Umstellung. Vergleichbar allenfalls mit einer Ausstellung von Bauernhandwerk in einem ehemaligen Prachtschloss nach einer unblutigen Kulturrevolution.

Eine Szene soll hier stellvertretend noch einmal die kurze Geschichte der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen beschreiben: Es muss 2005 gewesen sein, als der erschütternde Film „Dresden“ über die Bombennächte im Schauspielhaus gezeigt wurde. Ehrengast war damals Helmut Kohl, für den man in der ersten Reihe des Theaters zwei Sitze reserviert hatte.

Aus den Rängen herunter konnte jeder beobachten, wie dieser Gigant von Mann anfing zu beben, als die Bomben fielen und ein infernalischer Lärm das gesamte Haus zum Beben brachte. Es wollte und wollte nicht aufhören und es war von der Regie auch exakt so gedacht. Anschließend wurde der Ex-Kanzler zu einem Dinner in die Gläsernen Manufaktur gefahren.

Von Innen bot sich ein durchaus dramatisches Bild: Die breiten Türen standen offen, die kühle Abenddämmerung schwappte immer wieder wie in Wellen herein, es fröstelte hier schnell, wer dem Außen zu nah kam. Ein Phaeton nach dem anderen glitt heran, als ein bestimmtes Modell mit langem Radstand für eine besondere Hektik sorgte. Helmut Kohl stieg aus und durchschritt die breiten Pforten, als es im selben Moment anfing in der Ferne zu donnern, als sei es ein Nachhall der so eben filmisch erlebten Bombardierung Dresdens.

Auch Kohl muss in dem Moment gewusst haben, dass dieser Auftritt ein ganz besonderer ist. Die Präsenz dieses Mannes war ungeheuerlich. Es traute sich kaum jemand, dem Alten den Mantel abzunehmen, so stark drückte diese düstere Aura eines Unberührbaren. Was der Phaeton für Volkswagen, war Kohl in dem Moment für die Politik. Ein letzter mächtiger Paukenschlag einer Sinfonie deutscher Schaffenskraft, die bald einhundertjährige Geschichte von Volkswagen – erloschen in einem Moment.

Die Gläserne Manufaktur steht auf der Abschussliste. Aufs Sterbebett gelegt wurde sie allerdings schon, als der letzte Phaeton hier Hochzeit feierte und nach dem Willen des großen Volkswagen-Automobilvisionärs Ferdinand Piech hier seine Auferstehung feiern sollte.

Wie man heute weiß, wurde es nichts mit dieser Auferstehung. Aber es war ein letztes umfassenden Glühen, an dass sich jene auch mit einer gewissen Ehrfurcht erinnern, die dabei sein durften, die diesen gefallenen Tempel des Automobilbaues live erlebt durften.

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Alexander Wallasch war als Textchef für das Magazin der Gläsernen Manufaktur über ein Jahrzehnt hinweg häufig Gast in Dresden. Die Stadt an der Elbe ist ihm besonders ans Herz gewachsen.

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