Die schreibende Philosophin Thea Dorn und der Schriftsteller Richard Wagner veröffentlichten 2011 im Knaus Verlag ihren Bestseller „Die deutsche Seele“, ein Buch, so dick und schwer, wie eine alte Hausbibel. Ein Buch, für das man schon einen Tisch benötigt, weil es auf den Knien gelesen zu sehr drücken würde. Ein gewagter Titel mit eigentlich weniger gewagtem Inhalt, eine Art Biedermeier-Sammlung deutscher Befindlichkeiten und Eigenarten sortiert nach Begriffen von A-Z wie „Abendbrot“ und „Zerrissenheit“ als aufgespürte Puzzleteile der deutschen Seele.
Kein geringerer als Bestsellerautor Martin Walser las für die Zeit und er befand über die schwergewichtige Anthologie, welche die deutsche Seele sucht, Wagner würde klug argumentieren und Dorn würde durch mutiges „sich-gehen-lassen“ auffallen. Also gewissermaßen die Dame in Wallungen, der Herr sortierend; sei es Walser gegönnt, das 2011 so empfunden zu haben, was ihm heute einen Shitstorm als alter weißer Mann einbrächte.
Geschenkt, denn viel interessanter ist etwas ganz anderes, dass angesichts der hohen Verkaufszahlen und medialen Beachtung von „Die deutsche Seele“ kaum Widerhall gefunden hat: Beim öffentlichen Nachdenken darüber, was denn nun deutsch sei, hatten die Autoren 2011 das Phänomen des Querdenkens zu einer deutschen Eigenart gemacht, zu nichts weniger nämlich als einem für sie unverzichtbaren Teil der deutschen Seele.
Dorn/Wagners mittlerweile zehnjähriges Jubiläum feiernde Versöhnung mit dem Deutschen beinhaltet neben Kapiteln wie „Abendbrot“, „Schadenfreude“ oder „Freikörperkultur“ auch eine liebevolle Auseinandersetzung – eine kleine Ode fast – an die „Querdenker“. Ein Querdenkertum, dass laut Erklärungsversuch des Klappentextes Teilergebnis der Frage sei, „was das eigentlich ist, die deutsche Seele.“
Das Autorenduo verspürte eine große Sehnsucht, wie es weiter heißt, „danach, das eigene Land wirklich kenne zu lernen“. Ihr ursprüngliches Vorhaben war es deshalb: Inventur zu machen „in den Beständen der deutschen Seele.“
Heute, zehn Jahre nach dieser erfolgreichen „Reise zu den Wurzeln unseres nationalen Erbes“ sind die in „Die deutsche Seele“ liebevoll und warmherzig gewissermaßen aus der tiefen Hosentasche von Karl Valentin gefischten „Querdenker“ teilweise unter Verfassungsschutz gestellt und vielfach von den Medien als AfD-nahe Nazis, Spinner und Corona-Leugner diffamiert und diskreditiert worden.
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Diese damals von Dorn und Wagner so behutsam mit spitzen Fingern freigelegte deutsche Seele kommt also schon zehn Jahre später Kapitelweise auf den Index ohne das davon jemand nennenswert Notiz genommen hätte.
Überhaupt erstaunen viele Parallelitäten und Auffälligkeiten zum Heute. So starteten Dorn und Wagner ihr Vorwort damals so: „Luft ist uninteressant, solange sie selbstverständlich ist. Erst wenn sie dünn wird, beginnst du, sie zu spüren. Erst, wenn du sie zu vermissen beginnst, spürst du, dass da etwas ist, das du nicht verlieren willst.“
Ist das nicht bemerkenswert? Wo die Autoren sich selbst Mut zusprechen wollten, als Deutsche einer deutschen Seele der Vor-Auschwitz-Zeit (Walser wies für die ZEIT explizit darauf hin) nachzuspüren, klingt diese Sätze heute ganz zufällig wie eine Vorwegnahme eines Problems mit pandemischen Ausmaßen: Corona und Atemnot.
Übrigens auch die nur wenige Jahre später zu einem inneren Zerwürfnis, zu einem tiefen Graben quer durch die Gesellschaft führende Debatte um die Massenzuwanderung ab 2015 ist bei Dorn und Wagner schon als Debattenanstoß angelegt:
„Seit Jahren streiten wir darüber, welche Einwanderer dazugehören und welche nicht. Dient diese ganze Debatte nicht letztlich dem Zweck, von dem abzulenken, worüber wir eigentlich diskutieren müssen: Was von Deutschland noch zu Deutschland gehört?“
Den in „Die deutsche Seele“ ein Kapitel gewidmeten Querdenkern sollen zehn Jahre später allerdings nicht mehr zur deutschen Seele nach Dorn und Wagner gehören, sie sollen viel mehr – geht es nach Verfassungsschutz, Politik und Altmedien – die Ausgestoßenen sein, die Paria, der Bodensatz, der Nährboden für alles Schlechte und Zersetzende in diesem Deutschland von 2021.
Bei Dorn und Wagner ganz frisch aus dem Dunkel der deutschen Geschichte geschlagen und in das Kapitel „Querdenker“ eingeklebt, finden Querdenker sich wieder, eingebettet zwischen den Kapiteln „Puppenhaus“ und „Rabenmutter“. Haus und die Mutter sollen demnach ebenso wie die Querdenker Missing Links der verschütteten deutsche Seele sein.
Vor dem „Puppenhaus“ finden sich noch die Kapitel „Narrenfreiheit“, „Ordnungsliebe“ und das „Pfarrhaus“ – alle samt Begrifflichkeiten, denen etwas schwiemelig und gemütlich antiquiertes anheftet, so von gestern klingt das, wie ein Bekenntnis zu deutschen Seele aus dem dünner werdendem Lüftchen über ihrem Elfenbeinturmversteck, dort ausgeatmet von Thea Dorn und Richard Wagner mit Tintenflecken an den Fingerspitzen.
Zwischen „Wurst“ und „Wiedergutmachung“ übrigens auch das Kapitel „Winnetou“, der Indianerhäuptling aus der Feder von Karl May, der bei Dorn und Wagner „eine der populärsten Figuren der deutschen Kulturgeschichte“ ist. Ein edler Wilder, also gewissermaßen das Pendant zum irgendwie kontaminierten Germanen.
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Die Wiedergeburt des Querdenkers passierte vor zehn Jahren in „Die deutsche Seele“ im gleichnamigen Kapitel, Seite 382 ff. „Am Anfang war der Querulant“ beginnen die Autoren vielversprechend vielleicht schon Richtung der Kritiker der Querdenker 2021 – freilich ohne es ahnen zu können. Der Querulant könnte einem schon ganz schön auf die Nerven gehen, „stellte er doch im Grunde das mühsam erreichte Denkergebnis in Frage.“
Aber das wäre alles vor der mühevollen Überwindung der deutschen Diktaturen gewesen. Mit der „politisch korrekten Einrichtung der Demokratie“ sei die Stunde der Querdenker gekommen, heißt es da 2011 in „Die deutsche Seele“. Und besonders spannend bei Blick über ein Jahrzehnt hinweg heißt es bei Dorn und Wagner über die Metamorphose des Querdenkers aus dem Querulanten:
„Man konnte schließlich bei dem allseits geförderten Liberalismus einen, der anders dachte, nicht mehr abqualifizieren.“ Hier muss man 2021 zwangsläufig nachfragen: Gilt das auch im Umkehrschluss? Muss man den Liberalismus also als gefährdet betrachten, wo der Querdenker zum per Verfassungsschutz beobachteten Querulant abqualifiziert worden ist?
Dorn und Wagner bezeichnen die Entwicklung vom Querulanten zum Querdenker in der historischen Rückbetrachtung als die Geburt eines neuen „Stern am Begriffshimmel.“ Der Querdenker, so heißt es weiter, käme aus der Wissenschaft und meinte dort den „Transfer eines Wissensmodells in ein anderes Wissensgebiet“. Der CDU-Partei-Reformer Kurt Biedenkopf wird als typischer Querdenker erzählt, ebenso, wie der Münchner Kabarettist Karl Valentin und sogar der Frühscholastiker Pierre Abaelard.
Der „Querdenker“ sei einer gewesen, der sich einer „politischen Lagertreue nicht verpflichtet fühlte, ohne aber ein Rebell sein zu wollen.“ Sind die Querdenker von 2020/21 dem politischen Lager gegenüber zu rebellisch geworden? Müsste man sich fast fragen nach Dorn und Wagner – diese deutsche Seele übrigens auch schon fast ein verschollenes Werk: Die Halbwertzeit guter Literatur ist ja im 21. Jahrhundert auf ein historisches Tief gesunken.
Trotzdem muss ein besonders schöner – nein, aufwendiger Satz! – von Dorn und Wagner hier noch zitiert werden: „Der Querdenker war letzten Endes auch ein Versuch, die Erkenntnisse von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann zum kommunikativen Handeln und zu den sozialen Systemen sanft zu korrigieren.“ Oberstes Ziel des Querdenkens, so die Autoren, sie eine Art „politische Familienaufstellung.“ Die Hochzeit der Querdenker soll „die Zeit der kritischen Intellektuellen in den siebziger Jahren“ gewesen sein. Warum? Das wäre nach Dorn und Wagner die Zeit des „Hinterfragens“ und der „Infragestellung“ gewesen.
Und auch hier wieder der Umkehrschluss: Ist diese Zeit also jetzt vorbei, wo dieses Hinterfragen und Infragestellen zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz geführt hat, wo soziale Medien auf Anweisung des Staates das Hinterfragen verboten haben und sogar gewillt sind, solche renitenten Verhaltensweisen zu eliminieren, zu ächten und an den öffentlichen Pranger zu stellen? Nein, „Pranger“ hat in „Die deutsche Seele“ kein eigenes Kapitel. Hätte aber eines haben können! Ist das gar typisch deutsch, diese Lust am Anprangern? Oder woher kommt das eigentlich?
Halten wir fest: Das Kapitel Querdenker ist 2021 trotz staatlicher Verfolgung noch lange nicht abgeschlossen. Die Autoren Thea Dorn und Richard Wagner allerdings schlossen ihr „Querdenker“ -Kapitel 2011 mit einer Erklärung ab, warum es immer weniger Querdenker gäbe:
„Das es den Querdenker heute nicht mehr allzu oft gibt, hat nicht zuletzt mit der Angst zu tun, er könnte doch noch, wenn auch unabsichtlich, an den Grundlagen rühren, an die man zwar nicht mehr glaubt, die man aber auch nicht weiter in Frage gestellt sehen möchte. Wer sich nicht an das Stillhalteabkommen hält, wird zum Spielverderber.“ Ist das allein nicht schon überaus bemerkenswert? „Die deutsche Seele“ 2011 – 2021…
Die deutsche Seele (Deutsch) Gebundene Ausgabe – 7. November 2011
Von Gemütlichkeit und Grundgesetz, von Abendbrot bis Zerrissenheit. Alles was deutsch ist.
So ein Buch hat es noch nicht gegeben. Zwei Autoren, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, erkunden liebevoll und kritisch, kenntnisreich und ohne Berührungsängste, was das eigentlich ist, die deutsche Seele. Sie spüren sie auf in so unterschiedlichen Begriffen wie »Abendbrot« und »Wanderlust«, »Männerchor« und »Fahrvergnügen«, »Abgrund« und »Zerrissenheit«. In sechzig Kapiteln entsteht auf diese Weise eine tiefgründige und facettenreiche Kulturgeschichte des Deutschen.
Alle Debatten über Deutschland landen am selben Punkt im Abseits: Darf man das überhaupt öffentlich sagen, etwas sei »deutsch« oder »typisch deutsch«? Kann man sich mit dem Deutschsein heute endlich versöhnen? Man muss es sogar, meinen Thea Dorn und Richard Wagner. Sie verspüren eine große Sehnsucht danach, das eigene Land wirklich kennen zu lernen, und machen Inventur in den Beständen der deutschen Seele. Ihr Buch ist eine erkenntnisreiche und unterhaltsame Reise an die Wurzeln unseres nationalen Erbes und geht durchaus ans Eingemachte. Obwohl es sich auch als Enzyklopädie lesen lässt, sind die Texte nicht aus nüchterner Distanz geschrieben. Auf diese Weise entstehen leidenschaftliche Plädoyers für bestimmte Merkmale des Deutschen, für ein damit verbundenes Lebensgefühl. Diese »Liebeserklärung« der Autoren ist ein sinnliches, reich bebildertes Buch, das die deutsche Seele einmal nicht seziert, sondern sie anspricht.
Herausgeber: Albrecht Knaus Verlag; Originalausgabe Edition (7. November 2011)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
ISBN-10: 3813504514
ISBN-13: 978-3813504514
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