Knapp zwanzig Minuten hatte man Klaus von Dohnanyi zugestanden, viel zu wenig, um in die Tiefe zu gehen. Aber immerhin durfte sich die Moderatorin Sandra Maischberger allein und nicht in großer Runde mit dem SPD-Urgestein unterhalten.
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Hier das Interview in voller Länge:
Sandra Maischberger: Hallo, schönen guten Abend, schön, dass Sie aus Hamburg gekommen sind, Herr von Dohnanyi. Sie sind 93, das muss man heute, finde ich, deshalb wissen, weil Sie den Zweiten Weltkrieg eben nicht nur erlebt haben, sondern auch in den letzten Kriegsjahren noch zum Kriegsdienst eingezogen wurden. In den letzten Kriegstagen ist Ihr Vater im Konzentrationslager hingerichtet worden, weil er im Widerstand war. Frank Elstner war letzte Woche hier und sagte, jemand der ein bisschen etwas mitbekommen hat, der träumt in diesen Tagen auch die eigenen Dinge oder von dem Krieg jetzt. Wie geht es Ihnen damit?
Klaus von Dohnanyi: Wenn ich diesen Krieg sehe, dann versuche ich darüber nachzudenken, wie das weitergehen wird. Mich besorgt, dass aus diesem Krieg ein größerer werden kann. Und wenn selbst von amerikanischer oder von russischer oder von neutraler Seite gesagt wird, es könnte ein Weltkrieg daraus entstehen, dann ist das eigentlich das, was mich am meisten interessiert. Wir sind hier für Deutschland verantwortlich, wir sind für die Unversehrtheit unseres Landes verantwortlich. Wir sind nicht verantwortlich für andere Länder, sondern für uns und wir müssen versuchen, unser Land zu schützen. Ich habe ja eine NATO-Übung in Vertretung von Helmut Schmidt gemacht. Ich war der Chef sozusagen im Bunker damals. Und diese NATO-Übung hat dazu geführt, dass Russland leicht vorankam - war im kalten Krieg noch - und dass dann die USA, ohne mit uns darüber zu reden, auf deutschem Gebiet taktische Nuklearwaffen abgeworfen hat.
Sandra Maischberger: Das war in welchem Jahr?
Klaus von Dohnanyi: Das war 1979. Daraufhin habe ich meinem Vertreter, Klaus Blech, der dann später Botschafter in Moskau wurde, einen Brief an Helmut Schmidt geschrieben: „Herr Bundeskanzler, das geht doch nicht, dass wir von den USA überhaupt nicht gefragt werden, was die in Deutschland machen.“ Dann hat Bundeskanzler Schmidt mich empfangen und ich habe gesagt: „Das ist doch ein unmögliches Verfahren.“ Da hat er gesagt: „ich weiß, das ist NATO-Strategie, wenn ein solcher Angriff geschieht, werden bei uns nukleartaktische Bomben abgeworfen.“ Daraufhin habe ich zu Schmidt gesagt. “Das ist doch aber ein ungeheurer Vorgang“ Da hat er gesagt: „Weißt Du, wenn eine Gefahr für Krieg entsteht, werde ich Deutschland für neutral erklären.“ Daraufhin habe ich gesagt: „Helmut, dann ist es zu spät.“ Das ist unsere wahre Lage und über die wird viel zu wenig in Deutschland geredet.
Sandra Maischberger: Mit Verlaub, Helmut Schmidt hat ja aus dieser Erfahrung heraus diesen NATO-Doppelbeschluss in die Wege gesetzt, weil er mit am Tisch sitzen wollte, weil er mitbestimmen wollte. Seit 79, kurzgefasst, haben sich die Dinge ja verändert. Um jetzt ans Heute zu kommen: Olaf Scholz hat auch das Wort vom dritten Weltkrieg und auch das Wort vom Atomkrieg in einem Interview sehr offensiv verwendet. Haben Sie wirklich Sorge, dass die Situation, in der wir jetzt sind, in eine solche kommen könnte?
Klaus von Dohnanyi: Also ein Atomkrieg wäre wahrscheinlich nur ein Zufall, weil keine der beiden Mächte, die hier über Atomwaffen verfügen, weder Russland noch die USA, einen Erstschlag machen würden. Dann kriegen sie genauso einen Schlag zurück. Dafür sind beide Seiten gerüstet. Das wirkliche Problem ist eine Ausweitung des Ukrainekrieges auf Deutschland und das genügt ja. Das hat ja im vergangenen Zweiten Weltkrieg keine Atomwaffen in Europa gegeben und trotzdem war Deutschland total zerstört. Ich wünschte, dass mancher der Zuschauer hier sich mal die alten Bilder anguckt, wie die Städte aussahen und was in diesen Städten geschehen ist. In Hamburg, innerhalb von drei Tagen 34.000 Tote, zivile, nur zivile Tote und 160.000 Verletzte, bei einem großen und bei mehreren hintereinander laufenden Luftangriffen. Das sind die großen Gefahren.
Sandra Maischberger: Wir haben hinter uns Mariupol, wo nicht wenige sagen, das sind Bilder, die einen sehr stark auch an die Bilder aus dem zweiten Weltkrieg erinnern. Wenn Sie das so sagen, dann klingt das ein bisschen so, das müssen Sie richtigstellen, als ob es Ihnen darum ginge, dass das, was da an Zerstörung passierte, möglichst da bleiben soll.
Klaus von Dohnanyi: Nein, nein darum geht es mir nicht.
Sandra Maischberger: Hauptsache es kommt nicht zu uns.
Klaus von Dohnanyi: Darum geht es mir nicht. Natürlich sind wir für uns verantwortlich und die Ukraine ist für sich verantwortlich. Und die USA sind die führende Macht im Westen und sie sind eigentlich für die Zukunft der Sicherheit Europas verantwortlich. Ob sie da unsere Interessen teilen, darüber habe ich ein Buch geschrieben und da bin ich der Meinung, dass das eine sehr fragliche Angelegenheit ist, denn sie sind weit weg. 6.000 Kilometer, ein Atlantik dazwischen und im Grunde genommen ist auch Mariupol - das weiß ich aus telefonischen Kontakten mit den USA in diesen Tagen - Mariupol ist eine kleine Zeitungsnotiz von der Größe.
Sandra Maischberger: Das stimmt.
Klaus von Dohnanyi: Und das ist schon eben sehr viel mehr.
Sandra Maischberger: Gut, aber Joe Biden gibt einen Etat jetzt für diese Verteidigung aus, der erst einmal spektakulär ist. Also insofern wäre das ein Hinweis darauf, dass die USA ein Interesse daran haben, dass jedenfalls nicht Putin diesen Krieg gewinnt. Aber wir kommen gerne zurück auf das, was Sie in Ihrem Buch geschrieben haben. Sie haben gesagt in diesem Buch, das heißt „Nationale Interessen“, und das hat Kontroversen hervorgerufen, dass Sie …
Klaus von Dohnanyi: Auch Zustimmung! (lacht)
Sandra Maischberger: Schön, dass Sie das so sehen können, dass der Westen eine Mitschuld an dem trägt, was da passiert. Sie haben geschrieben: „Die bisherige Politik der Konfrontation von Seiten des Westens hat diese Sicherheit, die sich Wladimir Putin wünschte, nicht erbracht. Könnten wir nicht statt der ständigen Dämonisierung Putins einfach mit einer normalen menschlichen Erfahrung beginnen? Nur im Dialog kann man erkennen, was der Andere will und wo gemeinsame Fortschritte möglich sind.“ Also Politik der Konfrontation und Dämonisierung Putins. Nach der Veröffentlichung kamen der Einmarsch und diese Bomben und diese Zerstörung und diese Ermordung von Zivilpersonen. Glauben Sie, dass sie diese Sätze wirklich noch aufrechterhalten können?
Klaus von Dohnanyi: Aber sicher. Frau Maischberger, im Buch habe ich ja geschrieben, warum es einen Krieg geben wird. Und zwar deswegen, weil der Westen nicht bereit war, über die einzige wichtige Frage für Russland und für Putin, nämlich die Frage der Zugehörigkeit der Ukraine zur NATO, über diese Frage auch nur zu verhandeln. Präsident Biden hat abgelehnt darüber zu verhandeln. Putin hat darum gebeten und am Ende kam heraus, das Biden gesagt hat, wir werden anstatt einer Verhandlung über diese Frage Sanktionen einführen, harte Sanktionen. Und hinterher hat er gesagt, ich wusste, dass diese Sanktionen den Krieg nicht verhindern werden. Ausdrücklich hat er das gesagt.
Sandra Maischberger: Sie wissen das, es gibt Widerspruch über diese Darstellung, es gibt den Widerspruch, den gestern hier z. B. der Botschafter Deutschlands in Moskau dargebracht hat. Der hat gesagt, es gab dieses sogenannte Angebot von Seiten Putins, das war im Dezember 21. Da waren Forderungen, die unerfüllbar waren, z. B., dass die USA den Raketenschirm aus Europa abziehen soll. Und die Position der Amerikaner war, wir verhandeln aber doch nicht ohne die Europäer. Jetzt haben Sie gerade gesagt, die Europäer spielen keine Rolle und Sie machen es ihm zum Vorwurf …
Klaus von Dohnanyi: Aber wir hätten natürlich mitverhandelt und es hat ja auch sowohl Olaf Scholz …
Sandra Maischberger: Das wollte aber die russische Seite…
Klaus von Dohnanyi: …wie Macron auch versucht, Frau Maischberger, das stimmt ja nicht. Die Entscheidungen sind ausschließlich von den USA getroffen worden. Ausschließlich. Und wenn Sie sich erinnern, vor kurzem gab es in Ramstein ja eine Konferenz der Verteidigungsminister. Da gab es eine Pressekonferenz, die wurde ausschließlich vom amerikanischen Verteidigungsminister abgehalten. Es gab auf diesem deutschen Gebiet - immerhin ein nicht exterritoriales, sondern ein deutsches Gebiet - weder eine deutsche Flagge, noch eine NATO-Flagge noch eine Europaflagge, sondern nur eine USA-Flagge. Das geht doch nicht …
Sandra Maischberger: Und trotzdem habe ich die deutsche Verteidigungsministerin gehört (und die Verteidigungsminister anderer Länder) auch. Da hatte der Krieg ja auch schon begonnen. (…) Der Botschafter von Fritsch hat das gestern gesagt: Es gab zahlreiche Versuche, mit Wladimir Putin zu reden. Es gab eine Pendeldiplomatie nach dem Dezember bis zum Beginn des Krieges beinah die ganze Zeit. Aber es wurde nicht (hin)gehört, weil die Forderungen maximal waren und Wladimir Putin nicht willens war, auch nur einen Jota davon abzugehen und der wollte auch mit den Europäern nicht darüber reden.
Klaus von Dohnanyi: Aber das ist doch, dass stimmt doch…
Sandra Maischberger: Er wollte mit den Europäern nicht reden, sondern nur mit …
Klaus von Dohnanyi: …was Herr von Frisch sagt, ist einfach falsch. Man hätte mit Putin natürlich verhandeln können, aber man hätte verhandeln können über die Frage …
Sandra Maischberger: Er sagte, er wollte es nicht …
Klaus von Dohnanyi: …über die Frage der Ukraine in der NATO. Und das haben die USA abgelehnt. Sie haben gesagt, darüber wird gar nicht geredet. Die anderen Punkte waren Randpunkte. Aber der Kernpunkt war für Putin seit 15 oder 20 Jahren die Frage der Erweiterung der NATO mit der Ukraine. Putin und Russland wollen einfach nicht, dass amerikanische Soldaten an der Grenze Russlands patrouillieren können. Und der heutige Chef des CIA, der Geheimdienste in den USA, hat im Jahre 2008 geschrieben, er kenne keinen Russen, der nicht diese Auffassung von Putin teile.
Sandra Maischberger: …der Chef der CIA…
Klaus von Dohnanyi: … die haben alle gewarnt. Und dann hat der Mann, der die ganze NATO-Erweiterung erfunden hat, nämlich Herr Brzezinski, im Jahr 2014 schon geschrieben, wir dürfen das nicht machen, das führt zu Krieg. Und in meinem Buch steht, wenn wir das weiter betreiben, gibt es Krieg und das ist passiert.
Sandra Maischberger: Aber es gibt die andere Darstellung, und übrigens genauso viele amerikanische Stimmen, die genau das Gegenteil sagen. Es ist ganz schwierig zu sagen, aber es gibt auch die, die sagen, 2008 wurde diese Frage - auch bezogen auf andere Republiken - abgewehrt von den Deutschen und den Franzosen mit Rücksicht auf Russland. Es gibt nicht wenige, die heute sagen, wäre die Ukraine heute in der NATO, wäre sie nicht überfallen worden. Sehen Sie das nicht?
Klaus von Dohnanyi: Es gab damals im Jahr 2008 zwar den Widerstand von Deutschland und Frankreich …
Sandra Maischberger: …und keine Aufnahme …
Klaus von Dohnanyi: … langsam. Aber es gab keine Zustimmung beim Rest der NATO-Mitglieder. Auf jeden Fall bei vielen.
Sandra Maischberger: Trotzdem, die Frage bleibt …
Klaus von Dohnanyi: Es wäre ein langsamer, mühsamer Prozess gewesen, der zu genau der heutigen Lage jedenfalls geführt hätte.
Sandra Maischberger: Wenn die Ukraine heute Teil der NATO wäre, glauben Sie, dieser Krieg hätte begonnen?
Klaus von Dohnanyi: Wenn die Ukraine heute in der NATO wäre, ist so ein Konjunktiv, wissen Sie. Wenn sie heute in der NATO wäre, dann wäre das vielleicht nicht passiert, aber der Prozess war ein ganz anderer. Ich kenne keinen der wirklich klugen Amerikaner, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen, der in dieser Frage abweicht. Und das wahre Problem ist, wir sind eben abhängig von den USA. Die USA haben eine innenpolitische Situation. Und der Botschafter, der 1990, als diese Urvereinbarung getroffen wurde, Botschafter in Moskau war, der schreibt in diesen Tagen, er hätte keine Zweifel, dass die innenpolitische Lage, nämlich der Wunsch von Herrn Biden, die nächsten Wahlen im November zu gewinnen, dazu geführt hat, dass er nicht verhandelt hat. Und ich teile diese Meinung.
Sandra Maischberger: Und dass die innenpolitische Lage in Russland irgendetwas damit zu tun hat, dass Wladimir Putin in den laufenden letzten Jahrzehnten immer aggressiver eine außenpolitische Strategie betrieben hat, das halten Sie für völlig ausgeschlossen.
Klaus von Dohnanyi: Das würde ich so einfach nicht sagen. Das war ja nicht so im Jahr…
Sandra Maischberger: Also die Schuld liegt alleine…
Klaus von Dohnanyi: …das war nicht im Jahr 2010, das war ab 2007, als er eine Rede in München gehalten hat. Übrigens, der Vorsitzende der Konferenz …
Sandra Maischberger: Ischinger…
Klaus von Dohnanyi: …also der Konferenz, der Münchner Sicherheitskonferenz, hat schon im Jahr 2018, also vor vier Jahren geschrieben, wir wollen das nicht machen.
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Sandra Maischberger: Ja, aber der sagt heute, dass es unmöglich ist, der NATO und dem Westen die Verantwortung für diesen Überfall in die Schuhe zu schieben.
Klaus von Dohnanyi: Das tue ich ja auch nicht.
Sandra Maischberger: Das klang gerade so.
Klaus von Dohnanyi: Ich mache das ja nicht.
Sandra Maischberger: Wer ist denn verantwortlich für das, was da passiert….
Klaus von Dohnanyi: Ich sage nur, die Verantwortung ist eine andere. Putin ist der Aggressor, aber die Möglichkeit, das zu verhindern, die lag im Westen. Und, dass Biden nicht verhandelt hat, sondern gesagt hat, über das, was euch wirklich wichtig ist, über das reden wir gar nicht, das ist nach meiner Meinung eine Sünde amerikanischer Politik.
Sandra Maischberger: Die Kritik, die an Ihrem Buch geübt wird, wird unter anderem daran geübt, dass Sie völlig außer Acht lassen, dass es Länder gibt, zwischen Amerika, zwischen Deutschland und Russland, die alle aus guten Gründen sich für einen NATO-Beitritt entschieden haben…
Klaus von Dohnanyi: Ist ja richtig…
Sandra Maischberger: …ja, das Baltikum, Polen zum Beispiel und sie haben es deshalb gemacht, weil sie auch Erfahrungen hatten…
Klaus von Dohnanyi: Richtig…
Sandra Maischberger: …mit einem …
Klaus von Dohnanyi: …alles verständlich…
Sandra Maischberger: …Imperium, das sie …
Klaus von Dohnanyi: …aber die Ukraine ist etwas anderes. Das ist der Punkt. Die Ukraine ist ein Teil…
Sandra Maischberger: Die dürfen das nicht?
Klaus von Dohnanyi: … ist lange Zeit ein Teil des russischen Staates gewesen, während das für Polen nicht galt. Das galt auch nicht für das Baltikum. Und dass die Russen, dass…
Sandra Maischberger: Also ein Staat, der seit 1991 unabhängig ist, den kann man einfach im Jahre 2021/22 einfach nochmal annektieren?
Klaus von Dohnanyi: Nein, nein. Ich verurteile die Aggression von Putin genau wie Sie. Ich sage nur, die Frage ist, hätte man es verhindern können. Und ich bin fest davon überzeugt, wenn man verhandelt hätte, über den entscheidenden Punkt … Wenn sie die Geschichte von Putin und das, was er über die Ukraine gesagt hat, über die Jahrzehnte zurückverfolgen, es war immer der Punkt: Dieses Land gehört nicht in die NATO. Und wenn wir diesen Punkt verhandelt hätten, dann wäre wahrscheinlich die Aggression nicht erfolgt.
Sandra Maischberger: Er hat gesagt, nicht nur dieses Land gehört nicht in die NATO, sondern seine Forderungen gingen dahin, dass er gesagt hat, dass auch das, was in der Erweiterung, also das Baltikum gehört da nicht rein, Polen gehört da nicht rein.
Klaus von Dohnanyi: Das ist ein Irrtum. Da fallen Sie irgendeiner falschen Information zum …
Sandra Maischberger: Nein, ich habe gerade … Nein, das ist das, was Wladimir Putin gesagt hat.
Klaus von Dohnanyi: Nein, nein, das stimmt nicht!
Sandra Maischberger: Nein, das ist das, was Wladimir Putin in den letzten Jahren gesagt hat, dass er zurück möchte….
Klaus von Dohnanyi: Nein, hat er nicht gesagt…
Sandra Maischberger: …dass er zurück möchte, auf einen Status von 1997 und dass…
Klaus von Dohnanyi: Ja, und der Status von 97…
Sandra Maischberger: …und das wäre etwas, dass diese ganzen Länder frei von dem Schutz der NATO stellen würde.
Klaus von Dohnanyi: Der Status von 1997 hatte eine Vereinbarung, wie diese Länder, wenn sie in die NATO kommen, bewaffnet werden.
Sandra Maischberger: Ja, richtig…
Klaus von Dohnanyi: … und darüber wollte er nochmal reden. Er hatte einen ganzen Kranz von Fragen zur europäischen Sicherheit. Und diese europäische Sicherheit enthielt als Kern für ihn die Frage, gehört die Ukraine in die NATO. Und wenn wir darüber nicht verhandeln, dann werden wir nicht ... Und ich glaube auch …
Sandra Maischberger: Was machen wir denn jetzt?
Klaus von Dohnanyi: Wenn wir heute nach vorne schauen …
Sandra Maischberger: Genau, das wollte ich gerade…
Klaus von Dohnanyi: …es gibt dort immer noch eine Chance. Es gibt nämlich die Chance einer Erklärung, aber die Adresse ist nicht Putin, die Adresse ist Washington. Es ist an Washington zu erklären, dass Selenskij Recht hat, wenn er sagt, die Ukraine könne auch neutral sein. Wenn eine solche Erklärung vor dem Ende der Wahlen von Präsident Biden käme, wenn er den Mut gegenüber der innenpolitischen Lage mit den Republikanern zu einer solchen Erklärung hätte, dann könnten wir noch einmal zurück zum Minkser Abkommen und könnten noch einmal versuchen eine Lösung zu finden, bei der die Ukraine nicht geteilt wird. Das ist immer noch möglich, aber nur aus Washington.
Sandra Maischberger: Also sie glauben, es muss Washington mit Russland über ein Land, das dazwischenliegt, verhandeln. Sie haben gerade gesagt, die Deutschen sollten nicht mitreden bei der NATO-Übung 79, jetzt sollen die Ukrainer nicht dabei mitreden, dass…
Klaus von Dohnanyi: Na, die können… der Selenskyi hat ja selber gesagt … ich verstehe Sie nicht, Frau Maischberger, Selenskyi hat gesagt …
Sandra Maischberger: Ich versuche, Sie zu verstehen. (lacht)
Klaus von Dohnanyi: Nein, nein. Selenskyi hat gesagt, sie könnten auch mit Neutralität leben. Das hören wir aber nicht aus Washington….
Sandra Maischberger: Ja, mit Sicherheitsgarantien, die schwierig zu machen sind. Darf ich Ihnen noch eine weitere Frage stellen, denn es geht jetzt um die EU-Mitgliedschaft, auch der Ukraine, die liegt auf dem Tisch. Sollte die Ukraine Mitglied werden dieser Europäischen Union?
Klaus von Dohnanyi: Ich bin der Auffassung von Präsident Macron, die europäische Nation sollte um eine Freihandelszone erweitert werden, da kann die Ukraine dazugehören, so war auch das auch das Konzept, wenn man bei Ischinger nachliest. Man wollte sagen, die Ukraine kann sich an die Europäische Union anlehnen aber gleichzeitig nicht in die NATO gehen. Wenn man das heute machen würde, könnte man mit Putin verhandeln. Man könnte auch nach meiner Meinung zu einem Ergebnis kommen, das aus meiner Sicht für alle Seiten tragfähig wäre. Das ist nicht verhandeln über die Ukraine, das ist zurückzukommen, was die Ukraine einmal unterschrieben hat, nämlich das Abkommen von Minsk, in dem es heißt, die Region im Osten wird unabhängig, ähnlich wie das Baskenland, ähnlich wie Katalonien, ähnlich wie Quebec und dann können wir damit gemeinsam leben.
Sandra Maischberger: Dazwischen gab es Schwierigkeiten, das wissen Sie, aus der Region im Osten wurde zum Beispiel eine Passagiermaschine abgeschossen, also es war nicht so, dass dieses Minsker Abkommen in jedem Falle…
Klaus von Dohnanyi: Das ist völlig richtig…
Sandra Maischberger: … in jedem Falle umsetzbar gewesen war. Aber ich höre, dass Sie Hoffnung haben, dass es zu einer Verhandlungslösung kommt. Das ist das, was Sie uns heute als Botschaft mitbringen.
Klaus von Dohnanyi: Wenn es den Mut bei den Europäern gibt, sich nach Washington zu wenden und zu sagen, Ihr müsst endlich zugeben, dass das, was auch Selenskyi will, nämlich die Neutralität der Ukraine, ein Baustein einer zukünftigen Lösung in der Ukraine ist.
Sandra Maischberger: Das heißt also, eine Diplomatie Richtung Moskau halten Sie für völlig sinnlos?
Klaus von Dohnanyi: Völlig sinnlos im Augenblick, weil Moskau hat eine Entscheidung getroffen, die eine verbrecherische Entscheidung war, der Krieg ist ein Verbrechen, das bestreitet niemand. Aber es hat diese Entscheidung getroffen, weil der Kernpunkt der Interessen Moskaus, nämlich die Ukraine nicht in der NATO zu haben, überhaupt nicht verhandelt wurde und weil Biden ausdrücklich gesagt hat, darüber reden wir nicht.
Sandra Maischberger: Wie gesagt, also darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Wir müssen das jetzt an dieser Stelle mal so lassen. Es gibt einfach auch die Darstellung, dass das zu einem Zeitpunkt eben besprochen wurde, aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Verhandlung stand. Aber ich danke für Ihre Sichtweise, denn es ist eine wichtige. Herzlichen Dank, dass Sie unser Gast heute waren. Klaus von Dohnanyi war heute hier, herzlichen Dank!
(Es gilt das gesprochene Wort)
Anmerkung:
Das Interview wurde transkribiert von einer treuen Leserin von alexander-wallasch.de, der wir an dieser Stelle herzlich danken wollen. Einige wenige Passagen wurden der besseren Lesbarkeit wegen gekürzt bzw. Wiederholungen teilweise gestrichen und der Satzbau angepasst. Bitte schauen Sie das Video zum Abgleich, falls sie eine bestimmte Redewendung ungeglättet im Original nachhören möchten.
Hier das Video der Sendung
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Kommentar von Stefan Meschkank
Mein Eindruck ist eine voreingenommene und unterstellende Frau Maischberger, die es nicht geschafft hat, trotz ständiger unhöflicher Unterbrechungen, ihre Meinung durchzusetzen. Das ist kein Journalismus.