Die Kumpanei der Macht und die Hetzattacken der Mächtigen

Cem Özdemir fordert eine Brandmauer zu Roland Tichy

von Alexander Wallasch (Kommentare: 32)

Özdemir über die Neuen Medien: „Ein normaler Mensch, der mit Messer und Gabel isst und zivilisiert ist und eine Erziehung genossen hat, lässt da die Finger davon und muss anschließend die Hände waschen.“© Quelle: ZDF Mediathek/ Lanz Screenshot

Wenn ein Minister den Zuschauern einer Sendung empfiehlt, sich nach der Lektüre eines Artikels von Roland Tichy die Hände zu waschen, dann ist das kein Kavaliersdelikt oder einfach nur eine bekiffte Blödheit, sondern der schmutzige Sound aus deutschen Diktaturen, wie diese mit kritischen Medien umgegangen sind.

Das müsste man sich zweimal anschauen, aber man schafft es natürlich nicht: Da sitzen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) und der Merkelminister a.D. Peter Altmaier (CDU) bei Lanz in modernen Formsesseln und herzen und necken sich eine Stunde lang wie alte Kumpels.

Özdemir duzt Altmaier, nennt ihn aber beim vollen Namen. Bei Lanz sind beide gemeinsam auf Mission. Ihnen geht es darum, die CDU/CSU darauf einzuschwören, weiterhin auf die Rolle des Oppositionsführers zu verzichten, um als Auswechselspieler an der Seite der Ampelregierung zu bleiben.

Es gilt hier, mit allen Mitteln beim Gegenüber den Versuch zu unterdrücken, eine Mehrheit mit der AfD zu suchen, jene Annährung, die sich vielerorts an der Basis längst eingestellt hat, wo man sich persönlich kennt, sich schätzt. EIne Annährung, die sich unter keinen Umständen bis ins Parlament ausbreiten soll, wie ein schädlicher Virus.

Diese beiden Politiker demonstrieren in Persona, wie sich so eine Annäherung früher unterschiedlicher politischer Lager entwickeln kann. Die beiden sind der lebende Beweis dafür, dass ein Nebeneinander im Parlament einer Fraternisierung förderlich ist: Der vegetarische Kiffer und der passionierte Würstchenesser haben über die Jahre im Bundestag zusammengefunden.

Aber gerade weil diese persönlichen Erfahrungen vorhanden sind, ist es den Grünen so besonders wichtig, dass die AfD im hohen Haus gemieden wird, wie der Teufel das Weihwasser meidet: Bloß keine Nähe entstehen lassen, die womöglich eine Annäherung der Union und der AfD über eine Vielzahl von persönlichen Kontakten zur Folge haben könnte.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun beschreibt die Situation auf Nachfrage von alexander-wallasch.de so:

„Selbst nach sechs Jahren achten die Grünen wie Blockwarte darauf, dass Kollegen von der FDP oder der Union bloß keine intensiven Kontakt zu AfD-Politikern entstehen lassen.“

Eine weitere Altmaier-Özdemir-Aufgabe bestand nun bei Lanz darin, die Zuschauer darauf einzuschwören, dass Grundsatzdebatten ein Relikt der Bundesrepublik in den Jahrzehnten vor der großen Transformation waren.

Die Fakten sind jetzt unverrückbar, erklärt Cem Özdemir. Wenn man eine Mehrheit von 51 Prozent hätte, betont er, dann ginge es nicht mehr ohne die 49 Prozent.

Exemplarisch wird hier verkündet, dass das Ringen um Positionen und Mehrheiten der Vergangenheit angehört. Demokratie muss neu gedacht werden, es darf nur noch darum gehen, zu debattieren, wie man ein Ziel erreicht, längst nicht mehr darum, welches dieses Ziel sein soll.

Oder am Beispiel: Die offenen Grenzen für Zuwanderung stehen nicht mehr zur Diskussion, sondern allenfalls noch, wie der Ansturm in den Kommunen zu bewältigen und zu bezahlen ist. Der taz-Reporter Peter Unfried im Gespräch mit Minister Habeck hatte es unlängst aus der gemeinsamen grünen Bubble heraus so formuliert, als er von Habeck wissen wollte,

„ob die Demokratie in der Lage ist, unangenehme Maßnahmen zu ergreifen auch gegen – sagen wir mal – das Freiheitsverständnis von Minderheiten, indem sie sich selbst und diese Gesellschaft schützt und eben militärisch oder auch klimapolitisch Maßnahmen ergreift, die nach unserer bisherigen Kultur nicht als superdemokratisch verstanden werden.“

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Auch Özdemir und Altmaier haben die Schnauze voll von „superdemokratisch“. Und mit fortgeschrittener Stunde und weil der Widerspruch in dieser widerspruchsfreien Runde ausbleibt, kommt es zu einem bemerkenswerten wie entlarvenden Monolog von Cem Özdemir (Markus Lanz, 6.6.2023, ab 1:02:50), hier zunächst in der transkribierten Fassung zum Nachlesen:

„Ich weiß nicht, wie die Zuschauer das empfinden, unseren Disput hier. Das ist ja ein gepflegter Disput. Wir lassen uns ausreden, lassen das Argument des anderen und der anderen gelten und beziehen uns drauf. Das ist ja aber nicht mehr die Art des Diskurses, wie wir ihn gesellschaftlich gerade überall pflegen, sondern da hat sich ja was dramatisch verändert.

Das ist übrigens auch ein Problem der Medien, nicht nur der Politik, was die Frage angeht, ,glaubt man denen', ,Lügenpresse', usw. Da sitzen ein paar Leute, der ehemalige Chefredakteur der Bild, der selbst der Bild zu irre ist. Da gibt's Tichy, da gibt's irgendwie andere. Die machen in der rechten Bubble was, das kennen wir aus den USA von Breitbart, finden irgendwas, behaupten irgendwas. Das muss gar nicht im Entferntesten wahrheitsgemäß sein, ziehen Schnipsel von ihm (Red.: Özdemir zeigt dabei auf Altmaier), von mir, von anderen raus, bringen das.

Und dann wiederholen sie das ständig in der Bubble. Und früher wäre klar gewesen, das ist so irre, ein normaler Mensch, der mit Messer und Gabel isst und zivilisiert ist und eine Erziehung genossen hat, lässt da die Finger davon und muss anschließend die Hände waschen. Heute diffundiert das, da gibt's den ersten Kollegen in demokratischen Parteien, der das zitiert, aufgreift, das eine oder andere Medium, und dann ist es irgendwann mal sagbar, weil das ja auch mal jemand ,Seriöses' in Anführungszeichen gesagt hat.

Und dann ist es in der Mitte. Das heißt, die Brandmauer zum Irrsinn wird gerade massiv eingerissen. Und das ist doch ein Problem! Da profitiert weder die CDU/CSU davon, noch die Grünen, noch die SPD, noch die FDP, und wir verlieren da alle als Demokratie.

Das Endstadium davon ist die USA, wo die eine Hälfte der Gesellschaft der anderen nicht mehr glaubt, wo Fakten, Wahlergebnis(se) in Frage gestellt (werden), wo soll das enden, dass wir dann künftig im Matheunterricht quasi mit dem Mathelehrer diskutieren, ob zwei und zwei noch vier macht, dass man auch andere Ergebnisse zulässt? Das verrutscht ja. Wir (Red.: Zeigt wieder auf Altmaier) streiten uns nicht über die Fakten, wir interpretieren sie manchmal anders. Da draußen gibt's aber ne AfD und andere, die die Fakten, also solche, in Frage stellen. Gibt es überhaupt eine Klimakrise? Ist Putin überhaupt schlecht?“

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Für diesen Ausbruch muss man Minister Özdemir dankbar sein. Denn was er da kundtut, ist auf besondere Weise entlarvend, zeigt es doch, wie sehr der Grüne stellvertretend für die Etablierten eine Art angestammte Deutungshoheit einfordert bzw. vehement darauf besteht. Es ist selbstredend exakt diese Arroganz, diese Ausgrenzung und diese von Machtfantasien geprägte Diffamierung der Neuen Medien, die überhaupt erst dazu geführt hat, dass es diese unüberwindbar erscheinenden Graben heute gibt.

Wer die von den Etablierten so hysterisch geführte Debatte um die Verheerungen der Massenzuwanderung verfolgt hat und wer das Totalversagen der etablierten Politik und der Medien während des Corona-Regimes nicht vergessen will, der weiß ziemlich genau, von welcher Seite aus die Gräben geschaufelt wurden.

Aber was nun ganz besonders widerlich an der Rede von Özdemir ist:

Der von ihm angegriffene Roland Tichy hatte gerade erst aufgedeckt, dass auch Özdemirs Ehefrau mutmaßlich in die lange Reihe der Handaufhalter eingereiht und Geld vom Staat kassiert hatte. Erst berichtete Tichy, Reichelt legte nach und Özdemir erwähnt beide bei Lanz. Aber blöd nur für die Lanz-Zuschauer: Özdemir hatte vergessen, den Grund dafür zu erwähnen, warum ihm im Moment Tichy und Reichelt eingefallen sind - nämlich aus ganz persönlichen Motiven.

Cem Özedmir weiß natürlich ganz genau, warum die Neuen Medien so erfolgreich sind. Schlicht schon deshalb, weil die öffentlich-rechtlichen und die alten Medien irgendwann vor zehn Jahren beschlossen haben, ihren Aufgaben als Vierte Gewalt nicht mehr nachzugekommen.

Aus denselben Gründen übrigens, warum Friedrich Merz seiner Rolle als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag bis heute nicht gewillt ist nachzukommen: Die Macht ist verteilt, immer neue Posten kommen hinzu, der Staat ist Beute, der Pöbel da draußen nur noch lästig, die Mauern können nicht hoch genug sein, Demokratie ist lästig, Widerworte sind es sowieso.

Minister Özdemir sagt konkret in seinem Monolog, dass er die Mauern, welche die Etablierten um sich herum aufgebaut haben - diese grünen Wehrtürme gegen die Demokratie - gar nicht gewillt ist, einzureißen. Özdemir sagt stattdessen konkret, warum diese Mauern noch höher gebaut werden müssen: Weil seinesgleichen nicht davon profitiert:

„Da profitiert weder die CDU/CSU davon, noch die Grünen, noch die SPD, noch die FDP, und wir verlieren da alle als Demokratie.“

Demokratie? Verdrehter geht es ja kaum. Und die Pirouetten dieses Machtmissbrauchs drehen sich immer schneller. Gottseidank sind die Neuen Medien nicht gewillt, hier wortlos zuzusehen und sich schwindelig machen zu lassen.

Epilog: Was Cem Özdemir da bei Lanz über Roland Tichy gesagt hat, ist an Respektlosigkeit kaum mehr zu überbieten. Roland Tichy hat dazu bereits eine Stellungnahme veröffentlicht. Özdemirs schmutzige Anwürfe sind eines Bundesministers unwürdig. Wenn ein Minister den Zuschauern einer Sendung empfiehlt, sich nach der Lektüre eines verdienten Journalisten die Hände zu waschen, dann ist das kein Kavaliersdelikt oder einfach nur eine bekiffte Blödheit, sondern der schmutzige Sound aus deutschen Diktaturen, wie diese mit kritischen Medien umgegangen sind.

Ersparen wir uns hier, was man den Zuschauern einer Rede des Ministers empfehlen soll, wie diese sich dieser Rede gegenüber aufstellen sollen. Denn Özdemirs Niveau lässt sich kaum noch unterschreiten.

Özdemir selbst kann nur noch eines tun: Er kann bei Roland Tichy um Verzeihung bitten, sich entschuldigen. Und wenn Tichy diese Entschuldigung annehmen sollte, dann macht er das auch im Namen seiner vielen exzellenten Autoren.

Alexander Wallasch - Deutscher Schriftsteller und Journalist

Alexander Wallasch

Deutscher Schriftsteller und Journalist

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