Schmidts besonders ätzender und bissiger, aber niemals menschenfeindlicher Humor hat sich in die DNA seiner deutschen Zuschauer eingeschrieben. Was Harald Schmidt machte, war neu im deutschen Fernsehen. Seine Nachahmer von Stefan Raab bis Oliver Pocher schwammen auf dieser Welle zu eigenem Erfolg.
Aber der katholische Nürtinger kam nicht aus dem Nichts zu seinen Talkshows. Vom Statisten zur Schauspielschule ging er später durch die harte Schule der Theater-Kabarettisten beim Düsseldorfer Kom(m)ödchen, bis ihn der Westdeutsche Rundfunk zunächst für „MAZ ab!“ und dann für „Pssst ...“ engagierte.
Vom Geheimtipp zum Kassenschlager entwickelte sich das Satire- und Comedy-Format „Schmidteinander“, das Harald Schmidt gemeinsam mit Herbert Feuerstein moderierte, und das es vom Sendeplatz beim WDR ab Folge 33 ins Samstagabendprogramm der ARD schaffte. Einige der Running-Gags der Sendung schafften es als Bestseller auf deutsche Schulhöfe wie beispielsweise Schmidts den Rennfahrer Michael Schumacher parodierender „Schumi-Daumen“.
Nach Einstellung des Formats wurden die Folgen mehrfach wiederholt. So bereits zwischen 2009 und 2011 auf dem ARD-Sender „Einsfestival“ und von 2011 bis 2013 als Best-of-Sendungen. Im Frühjahr 2016 wurden Samstag und Sonntags auf WDR 18 komplette Folgen erneut abgespielt.
Und weil der öffentlich-rechtliche Sender längst um die hohen Zuschaltquoten des Nostalgiepublikums weiß, werden Schmidteinander-Folgen auch 2023 wieder aus der Mottenkiste geholt. Der WDR strahlt aus und gleichzeitig landen Folgen in der Mediathek, wo die über dreißig Jahre alte Kreuzung aus Late-Night, Talk und Comedy weitere Zuschauer unabhängig vom Sendezeitpunkt erreichen kann.
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Um kurz noch zu verdeutlichen, was junge Zuschauer damals so verrückt gemacht hat, hier eine exemplarische Szene: Der Musiker und Komiker Helge Schneider ist zu Gast, er will sein Kaugummi loswerden und klebt es unter den Schreibtisch von Harald Schmidt. Der wiederum holt es sich dort weg und kaut es ein paar Sekunden lang einfach selbst weiter. So etwas war zu Beginn der 1990er Jahre ein gefeierter Spaß für die Zuschauer.
Jetzt also in der x-ten Wiederholung. Und wer ohne Nostalgiegefühle an diese Sendung herangeht, der entdeckt gewisse Längen, der versteht schnell, dass es sich hier um keine zeitlose Kunst, sondern vielmehr um Material für Zuschauer handelt, die sich erinnern wollen.
Und jetzt passiert etwas Seltsames, das schon 2021 Zweitausstrahlungen beispielweise älterer Schimanski-Tatorte widerfahren ist: Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten warnen neue und jüngere Zuschauer montagabends in der Wiederholung mittels eines eingeblendeten Warnhinweises vor politisch unkorrekten Witzen der „Fernsehgeschichte“.
Im Wortlaut lautet der Einblender:
„Das folgende Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung.“
Auch beispielsweise den Wiederholungen der Sendung „Zimmer frei“ mit Christine Westermann und Götz Alsmann wurde dieser Disclaimer vorgeschaltet. Es ist hier zunächst alles so wie bei Arzneimittelwerbungen oder Filmausstrahlungen mit FSK-Altersbeschränkungen. Nur das hier bereits ohne Beanstandung ausgestrahlte Sendungen nachträglich und über dreißig Jahre später auf dem Index gelandet sind, wie sonst nur kontaminierte Bücher aus der NS-Zeit, bei deren Verkauf etwa penibel erwähnt wird, dass es den Lesern natürlich nur um die rein wissenschaftlich-historische Analyse gehen darf.
Das ist Cancel-Culture im vorauseilenden Gehorsam: Mit seinen Zwangsgebühren bezahlt der Nostalgie-Zuschauer jetzt obendrein den belehrenden Hinweis, dass er sich früher für eine diskriminierende Sprache begeistert oder sie sogar weitererzählt hat. Schämen soll er sich und nur noch mit Entsetzen und schlechtem Gewissen schauen.
Aber schauen soll er schon noch, damit die Quoten des WDR stimmen. Und für die Quote ist dieses alte kontaminierte Zeugs dann offenbar doch noch sendefähig, wenn auch mit Anstandswauwau-Vorspann, während sich auf den Berliner Straßen alte Männer Stahlringe um den runzeligen, regenbogenbunt angemalten Penis binden, damit flanieren gehen und der Bundestag ihnen zu Ehren den Reichstag mit Ostertischdecken beflaggt.
Was der WDR hier betreibt, ist die Verächtlichmachung und Entsorgung einer ganzen Generation.
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Kommentar von Eddy Nova
Diesen Artikel hier hab ich gestern gelesen und etwas länger darüber nachgdacht ! Und ich stelle einmal eine These in den Raum :
Wäre es möglich das einige Staatsfunk Mitarbeiter tierisch genervt über den Zwang zum "Woken Bullshit" sind und durch Überziehung das ganze ad absurdum führen wollen ?!
Ich denke im Sinn der "woken Deppen" war "Harald Schmidt" derart zu thematisieren ein riesen Fehler - ein Gefühl das ich schon beim Maassen ZDF Film hatte ..."Jetzt reich es aber" werden sich viele Bürgerliche sagen ...das ist der Tropfen der das Fass zum überlaufen bringt ...
Möglich das diese Art passiver Widerstand beabsichtigt war ? Darüber denke ich jetzt schon zum zweitenmal nach !
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Kommentar von Carl Peter
Ist es vielleicht nicht auch so, dass Harald Schmidt zu seiner Zeit nicht die gleiche Funktion des Hofnarren der Mächtigen für eine Bewusstseinstrübung der Bevölkerung erfüllt hat, wie heute der Jan Böhmermann?
Schließlich sind doch aus den damaligen Schmidtianern die heutigen Böhmermänner geworden.
Und bei wem bitteschön, will man sich über die Qualität von Hofnarren beschweren?
Der alte Narr möge doch in Ruhe sein fürstliches Gnadenbrot verzehren, und dem Neuen seins nicht streitig machen.
Ganz persönlich bin ich nicht so streng wie der Reich-Ranicki, und ich konnte beim Schmidt über meine eigenen gesellschaftlichen Verhaltensweisen lachen - beim Böhmermann ist es aber schlimm, da kommt gar kein Lachen über mich selbst auf. Den sollte man mit völlig nüchternem Magen anschauen, wenn man Angst vor der Verunreinigung seines Fussbodens hat, oder man ist in den letzten drei Jahren da ziemlich hart im Nehmen geworden.
Der Böhmermann kennt seine runderneuerten Schmidtianer, da wird erst aufgestanden, wenn’s Sofa brennt.
Sowas wäre dem Schmidt damals ziemlich peinlich gewesen - hat er nicht mal ungefähr gesagt, dass er ziemlich froh ist, dass alle verschiedener Meinung sind, dann hätte der Faschismus Null Chancen?
Na ja, ziemlich lange her.
Halt bloß die Schnauze, Schmidt. Ich würde dich trotzallem vermissen. Ich zähl’ die albernen Bapperln zu deinen Auszeichnungen, und ich bin auch nicht so blöd, dass ich nicht wüsste, dass mein Sofa nicht feuerfest ist.
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Kommentar von .TS.
Bleibt es wirklich nur bei diesem Vorschaltbelehrungshinweis?
Oder wird, deutlich problematischer, auch der Inhalt bearbeitet, unschöne Szenen gekürzt oder unliebsame Folgen ganz ausgelassen?
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Kommentar von R.S.
Umbero Eco....: „Leichtfertige Späße aber und albernes oder zum Lachen reizendes Geschwätz verdammen wir allzeit und überall, und keinem Jünger erlauben wir, zu derlei Reden den Mund zu öffnen.“„Die Komödien wurden geschrieben, um die Leute zum Lachen zu bringen, und das war schlecht. Unser Herr Jesus hat weder Komödien noch Fabeln erzählt, ausschließlich klare Gleichungen, die uns allegorisch lehren, wie wir ins Paradies gelangen, und so soll es bleiben.“ aus Der Name der Rose .....Was Jorge de Burgos beweisen wollte: Humor ist gefährlich
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Kommentar von Herbert Priess
Natürlich muß in diesen schweren Zeiten der Political Correctness der öffentlich verächtliche Rundfunk und gerade der West Doofe Rundfunk eine Warnung vor einen freien Geist stellen. Aber der Warnhinweis müßte lauten: Die folgende Sendung ist für Menschen die dem woken Zeitgeist folgen, Grün wählen, alle Linksgrünrotverwirrten und durchgegenderten halbintellektuellen Studiumabbrecher nicht geeignet. WARNUNG! Schwere Schäden am zelebralen Kortex sind nicht ausgeschlossen und der Sender übernimmt keine Haftung!
Ganz klein dann darunter: Allen die noch bei klarem Verstand sind wünschen wir viel Vergnügen!
Harald Schmidt, einer der Worte wie Pfeile abschießen kann ohne den anderen zu verletzen! Er ist eine lebende Kultfigur und natürlich habe ich seinen Kanal auf Youtube abonniert! Ich gehöre zu der Generation die der WDR mit dem Lied: Meine Oma ist ne alte Umweltsau! verunglimpft hat schon deshalb sind für mich die öffentlich Verächtlichen gestorben. Sie ruhen in Frieden! Es lebe Harald Schmidt!
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Kommentar von Rudi Knoth
Gilt das auch für die Sendung von Schmidt und Pocher mit dem Nazometer? Dies war schon eine Sendung aus den "Nullerjahren". Der Hintergrund war wohl die Affäre um Eva Herrmann (richtig geschrieben?). Sie wurde wegen eines Interviews eine "Verharmlosung des 3 Reichs" vorgeworfen, was nach meinem Verständnis nicht zutrifft. Später wurde sie dann im ZDF bei Kerner eingeladen um analog wie in den heutigen Sendungen mit Markus Lanz ihre "falsche Meinung" zu revidieren. Sie tat dies nicht und sagte sogar das Wort "Autobahn, auf denen wir heute noch fahren", was Senta Berger mit "Autobahn geht gar nicht" kommentierte.
Daraufhin stellten Schmidt und Pocher den Nazometer vor, der bei "Naziwörtern" piepte. Dazu gehörten dann auch Worte wie "Autobahn", "Blitz" und "Gas". Bei dem doch heute häufigen Gebrauch des Wortes "Nazi" wäre solch ein Humor auch nicht angebracht oder?
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Kommentar von Bernhard Rossi
"Immer noch haben die die Welt zur Hölle gemacht, die vorgeben, sie zum Paradies zu machen." Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)
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Kommentar von M. Kroener
Es wird täglich absurder...
Wenn auch leider nicht mehr überraschend...
Ich bin mal gespannt, ob bzw. wann und wie Harald Schmidt das aufgreifen wird...
Zuletzt, seit 2020, war er ja für seine Verhältnisse eher mit abgezogener Handbremse unterwegs...
Obwohl man lobenswert anmerken darf, dass er sich bereits öfter mal kritisch zum ein oder anderen Sachverhalt äußerte... Aber eben eher zurückhaltend, selten und dann auch noch recht verklausuliert...
Wenn er mal die Handbremse lösen würde, so richtig rhetorisch und auch intellektuell Gas geben würde, dann wäre er eine echte Waffe mit immer noch großer Reichweite...
Aber ob er sich das antut?
Sinnvoll und damit wünschenswert wäre es ganz sicher...
Aber eine Rolle an einem deutschen Theater würde er dann wohl erst einmal nicht mehr bekommen...
Das liebt er aber eben sehr...
Ich finde, das sollte ihm egal sein...
Es wäre Zeit die Prioritäten neu zu bewerten...
Finanziell ist er eh komplett durch und damit wirklich unabhängig...
Einen eigenen TV-Sendeplatz gibt es auch nicht mehr, an dem er kleben könnte...
Ihn würde ich gerne gerade jetzt mit einem eigenen, unabhängigen, kritischen, aber auch unterhaltsamen Format im Bereich der Neuen Medien wöchentlich sehen...
Das wäre sicherlich ein Genuß und gleichzeitig ein wertvoller Beitrag für diese stark angeschlagene (Medien-) Gesellschaft...
"Auf, auf, Harald, trau Dich! Das Land und die Neuen Medien brauchen Dich jetzt mehr denn je..."
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Kommentar von SuperlogenRegierenDieWelt
Gesinnungsfernsehen, dass an dieser Stelle im Grunde selbstentlarvend zugibt, keine schon gewohnheitsmäßige Propaganda-Manipulation betreiben zu können und daher zumindest über den Vorspann per eingeblendeten Beipackzettel auf mögliche Nebenwirkungen meint hinweisen zu müssen, um so zumindest die Deutungshoheit behalten zu können.
Wenn andererseits diskriminierende & beleidigende Sprache einer schnippischen bis selbstherrlichen Sarah Frühauf per ARD-tagesthemen - Kommentar die 'Richtigen' trifft, indem gefordert wird, die 'egoistischen & für tausende Opfer mitverantwortlichen Impfverweigerer', trotz Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit per Impfpflicht de facto zwangsimpfen zu lassen, führt dies zu keinerlei Konsequenzen trotz zahlreicher Programmbeschwerden.
Dies zeugt nicht nur von unerträglicher Doppelmoral, sondern bestätigt den zu anfangs verwendeteten Begriff eines Gesinnungsfernsehens - nur diesmal aus der anderen Perspektive (https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tagesthemen/video-949037.html als geradezu historisches Zeitdokument [19.11.2021]).
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Kommentar von Sigrid Leonhard
"Was der WDR hier betreibt, ist die Verächtlichmachung und Entsorgung einer ganzen Generation."
Wenn der WDR und Kollegen meinen, dass sie einfach so verächtlich machen können, was ihnen nicht in den Kram passt, könnte sich das monetär negativ auswirken.
Würde mir sehr gefallen.
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Kommentar von Miriam Rechner*
Tja, heute sind so bezahlte Hetzer wie Böhmermann angesagt, der unter anderem Frauen als „Scheißhaufen“ bezeichnete oder jetzt aktuell die CDU als „Nazis mit Substanz“. Und das sind ja nur zwei Beispiele von diesem Demagogen, der dem Publikum als Satiriker verkauft wird.