Heimat der vierten Gewalt im Niemandsland zwischen den Fronten

Alexander Wallasch und seine „widerliche pharisäerhafte Galle“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Auf der einen Seite der Nachbar, der mich anschreit, ich würde gemeinsame Sache machen mit „Ukraine-Nazis“. Und auf der anderen Seite der CDU-Bundestagsabgeordnete, der mich per WhatsApp beschimpft, gemeinsame Sache mit dem russischen Aggressor zu machen.© Quelle: © Quelle: Freepik.com / gaudyirina, Bildmontage: Alexander Wallasch

Der Braunschweiger Ratsherr Robert Glogowski (Grüne) ist seit Jahren aktiv in der Ukrainehilfe und Mitbegründer eines Vereins für die Ukraine. Glogowski gab mir ein eineinhalbstündiges Interview erzählte, was ihn bewegt und was er in der Flüchtlingshilfe erlebt.

Als ich dieses Interview in den sozialen Medien ankündigte, passierte Folgendes: Ich ging mit dem Hund spazieren und traf einen Nachbarn aus dem Viertel, in dem ich wohne. Wir hatten früher schon Gespräche geführt zu den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, er ist ungeimpft und aktiv in der Corona-Maßnahmen-Kritik.

Nach einem kurzen Wortwechsel wurde ich über einen längeren Zeitraum von ihm angeschrien und beschimpft, weil ich mich mit „Ukraine-Nazis“ eingelassen hätte – bezugnehmend hier auf das Interview mit Glogowski und auf Kritik an Putin in vorhergehenden Kommentaren in den sozialen Medien. Auch vorbei radelnde Passanten waren hoch irritiert und baten den Schreienden, sich zu beruhigen.

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Ich war mindestens ebenso entsetzt aber auch empört über diese Respektlosigkeit von einem, der von mir weiß, dass ich mir immer beide Seiten anhöre. Dieser Versuch einer politischen Vereinnahmung berichtender Journalisten muss scheitern. Und er scheitert regelmäßig an mir.

Und gestern dann die genaue Spiegelung dieser unschönen Ereignisse: Ich bin mit einer Reihe von Bundestagsabgeordneten über WhatsApp verbunden. So auch mit einem langjährigen CDU-Bundestagsabgeordneten, der deshalb auch regelmäßig im Verteiler für meine Texte landet.

Der Abgeordnete erhielt auf diesem Wege nicht nur das Interview mit Glogowski, sondern auch eine aufwühlende Geschichte, die zuvor von deutschen Medien gemieden wurde - es ging um Menschen, die in der Ukraine mutmaßlich wegen Plünderei oder Sympathie mit dem russischen Aggressor mit Plastikfolie an Bäume, Laternenmasten und Verkehrsschilder gefesselt, gedemütigt und von Passanten und Militär gequält werden.

Zwei Tage später berichtet auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete las also meinen Text und unbändige Wut muss in ihm aufgestiegen sein. Aber erstaunlicherweise nicht über diese entsetzlichen Prangerszenen, sondern darüber, dass ich berichtet hatte.

Wütend schrieb er mir über WhatsApp folgende Zeilen:

„sehr geehrter herr wallasch, ich weiss: wenn Ihr Haus in Schutt und Asche geschossen würde und die abgerissenen beine ihrer Nachbarn umherlägen und es zu jeder Tages und Nachtzeit Fliegeralarm gäbe, dann teilten Sie sicher mit denen, die die Leichen fleddern und das Geschäft der Bomber bejubeln Ihr letztes Hemd. Aber nicht alle haben einen so unverwundbaren Grossmut wie Sie. Mit einem Wort: Ihre widerliche pharisäerhafte Galle, die Sie nun schon seit Wochen über die Ukrainer ausspucken ist mir zuwider. Ich bitte Sie, mich nicht mehr per whatsapp zu kontaktieren und ihre Beiträge aufzudrängen. Ich habe schwache Nerven ..:“

Die Nachricht ging noch ein paar Zeilen weiter, die ich hier aber auslasse, weil sich daraus eventuell Rückschlüsse auf den Absender ziehen lassen. Man könnte das nun abtun als Beschimpfung und Beleidigung, als durchsichtige Diffamierung der journalistischen Arbeit. Aber ich bin nicht frei davon, hier nicht mindestens betroffen zu sein von der Wucht des Anwurfs.

Der Journalist im Niemandsland. Auf der einen Seite der Nachbar, der einen im öffentlichen Raum anschreit, man würde gemeinsame Sache machen mit „Ukraine-Nazis“ machen. Und auf der anderen Seite der CDU-Politiker, der mir via WhatsApp eine „widerliche pharisäerhafte Galle“ bescheinigt, weil ich gemeinsame Sache mit dem russischen Aggressor machen würde.

Tatsächlich aber bin ich fest davon überzeugt, dass die journalistische Rolle/Aufgabe idealerweise auch genau da zu finden ist: Im Niemandsland (Kommentare und ausgewiesene Meinungsartikel explizit ausgenommen). Die Daseinsberechtigung bzw. Hauptaufgabe der sich ab 2015 neu etablierenden alternativen Medien bestand ja genau darin: dieses Niemandsland überhaupt erst sichtbar zu machen.

Die Ära Merkel war für die Altmedien aus journalistischer Sicht – übrigens auch aus monetärer - eine echte Katastrophe: Die großen Magazine und Verlage hatten sich als vierte Gewalt im Staat aufgegeben und so eine klaffende Lücke hinterlassen. Leute wie Roland Tichy haben diese Lücke erkannt und mit neuem Leben erfüllt, mit kritischem Journalismus. Oder präziser: Mit regierungskritischem Journalismus.

Die Berichterstattung der Altmedien in der Zuwanderungskrise war hier zweifellos der Booster der alternativen Medien. Die Pandemie-Berichterstattung wurde zum zweiten großen Booster.

These: Wäre Merkel noch vor 2020, also vor der Pandemie abgetreten – möglicherweise hätten sich einige Altmedien unter einer neuen Regierungskoalition wieder an der ihr ursprünglich zugedachten Rolle als vierte Gewalt aufgerichtet. Sicher sagen kann man das freilich nicht.

Richtig ist nach wie vor der fälschlicherweise immer wieder George Orwell nachgesagte Satz: "Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Propaganda.“

Verbürgt hingegen ist, was Giovanni di Lorenzo als Chefredakteur der Zeit Anfang 2017 gegenüber dem Magazin Cicero über den Journalismus der Altmedien bekannte: Ihn hätte gestört, „dass eine von der Politik der Bundesregierung abweichende Meinung, manchmal auch schon kritische Fragen, unter den Generalverdacht gestellt wurden, man habe etwas gegen Flüchtlinge oder betreibe das Geschäft der Populisten.“

Über die Haltung der/seiner Medien schrieb di Lorenzo: „Wir waren aber zumindest in der Anfangszeit geradezu beseelt von der historischen Aufgabe, die es nun zu bewältigen galt.“ Die Bild-Zeitung hätte sogar die Parole der Autonomen übernommen („Refugees welcome“).

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Und dann folgte bei di Lorenzo 2017 ein Satz, der so 1:1 auch für die Debatte rund um die Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht gelten muss: „Damit einher ging die Missachtung der Ängste in der Bevölkerung.“ Leere Worte eines einflussreichen Altmedienmacher, der ein Bekenntnis des journalistischen Unvermögens abgeliefert hat nicht etwa als Auftrag an sich und sein Haus, sondern lediglich als Alibi.

Di Lorenzo hat sich seinen Ablassbrief im Cicero einfach selbst geschrieben. Medienmacher wie SWR-Intendant Kai Gniffke (ehemals Verantwortlicher für Tagesschau) legte nach und auch Claus Kleber entdeckte nach seinem Abgang ein paar Windungen einer journalistischen Ethik wieder, freilich viel zu spät und belächelt von den Aktiven, von Kleber aus dem Altersruhesitz herübergerufen zu jenen, die seinen Platz eingenommen haben, die Badische Zeitung titelt: „Claus Kleber kritisiert zu viel Ideologie im Journalismus“.

Von der Berichterstattung zur Massenzuwanderung hin zur völlig missglückten Pademie-Erzählung der Medien - ein großes Desaster. Und mit diesem Erbe treffen die deutschen Altmedien direkt auf das einschneidendste Ereignis der Nachkriegszeit, den Krieg in der Ukraine. Man muss kein Hellseher sein, um hier zu bescheinigen, dass das schief gehen muss.

Spannend wird jetzt zu beobachten sein, wie sich die neuen alternativen Medien in der Berichterstattung zur Ukraine-Krise aufstellen. Zweifellos gehört noch mehr Selbstbewusstsein dazu, hier die Rolle der vierten Gewalt auszufüllen als noch bei der Massenzuwanderung oder zur Pandemie.

Ebenfalls richtig ist, dass sich die erfolgreicheren unter den alternativen Medien mittlerweile ein stückweit etabliert haben. Oder banaler ausgedrückt: Dauerhaft erfolgreich sind. Böse Zungen würden vielleicht sagen, sie sind schon teilweise im Establishment angekommen.

Oder wie es der Journalist Ulrich Wickert einmal formulierte:

„Medien sind geprägt durch wirtschaftliche Interessen. Verlage müssen sich überlegen: Wie verkaufe ich mein Blatt? Wie viel Gewinn mache ich? Das ist in meinen Augen schon eine Beschränkung der vierten Gewalt.“

Aber ich bin nicht bange, ob wir als alternative Medien unserer Rolle gerecht werden. Und wenn es nicht so furchtbar pathetisch und selbstgerecht klänge, würde ich sagen: Solange wir beschimpft werden, machen wir alles richtig. Und wenn wir von beiden Seiten beschimpft werden, dann sind wir im Niemandsland angekommen. Dort, wo Journalisten ihre Zelte aufschlagen, an der Wiege der vierten Gewalt.

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