Aber wen befragt man da aus der Nähe von Ströbele, um noch etwas über den Alt-68er zu erfahren?
Mir fällt Rainer Langhans ein. In den letzten zwanzig Jahre führte ich eine ganze Reihe von Gesprächen mit dem Kommune-I-Gründer. Über alle politischen, religiösen und ideologischen Gräben hinweg sind Langhans und seine Frauen mir sehr vertraut geworden.
Ich kann sagen, dass es wohl kaum einen kommunikativeren Menschen gibt als Rainer Langhans. Er stellt sich dem Gespräch, weicht nicht aus und ist meinungsstärker als die meisten, die ich kenne.
Alexander Wallasch: Christian Ströbele ist heute gestorben. Du bist jetzt in dem Alter, wo immer mehr Freunde wegsterben.
Rainer Langhans: Ja, er war ein Jahr älter als ich. Na klar, die Einschläge kommen näher. Bei Christian sah man ja schon lange, dass er sehr krank ist. Ich hätte gerne noch mal mit ihm geredet. Ich habe das auch überlegt, wenn ich mal nach Berlin komme. Aber ich habe mir schon gedacht, dass es vielleicht nicht mehr gehen wird.
Alexander Wallasch: Gibt es viele alte Bekannte und Freunde, wo Du das Gefühl hast, hier wäre das eine oder andere noch zu besprechen?
Rainer Langhans: Viele sind schon tot. Aber mit den Aktiven, und vor allem sofern sie noch am Leben sind, klar. Ich habe ja noch mal ein Stück dazugelernt, was das angeht, was wir damals gemacht haben. Und was daraus geworden ist oder was der jeweils Einzelne daraus gemacht hat. Und ja, ich weiß nicht, vielleicht ergibt sich da jetzt keine große Gelegenheit mehr.
Alexander Wallasch: Aber gibt es auch Enttäuschungen? Wenn ich Leute von früher treffe, das ist nicht immer automatisch toll. Manchmal ist es auch ein enttäuschendes Wiedersehen.
Rainer Langhans: Das kann sein. Ja, das stimmt. Aber ich bin da sehr offen, finde ich. Natürlich habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass diese Sachen, die ich sehe und probiere, dass die von wenigen meiner damaligen Mittäter verstanden werden. Aber ich würde es immer wieder versuchen. Jetzt vor kurzem habe ich Matthias Matussek getroffen. Das ging sehr gut.
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Alexander Wallasch: Wenn ich an Ströbele denke, muss ich immer auch an den Film „Die Anwälte“ denken, wo er, Otto Schily und Horst Mahler getrennt voneinander in diesem alten Gerichtssaal interviewt werden. Und ich hatte damals den Eindruck, dass Schily und Ströbele ziemlich versteinert sind, dass die beiden direkt abfallen gegenüber dem Bösewicht Mahler.
Rainer Langhans: Ja, der war der Aktivste von allen. Ich habe mehr mit Horst als mit Christian zu tun gehabt. Mit Horst war ich sehr eng befreundet und habe das sehr lange versucht, noch aufrechtzuerhalten. Hat er aber dann irgendwann leider abgebrochen. Ich habe auch versucht, ihn im Gefängnis zu besuchen. Aber es hat leider nicht geklappt. Er hat mir über seine Tochter ausrichten lassen, dass er nicht will. Schade. Also, da ging das gar nicht mehr.
Alexander Wallasch: Die RAF hat Ströbele nachher noch das Übelste hinterhergerufen. Ich glaube aber, das muss man nicht so überbewerten. Das hat eigentlich jeder Anwalt abgekriegt damals, oder?
Rainer Langhans: Natürlich, die Anwälte haben in den Augen der RAF immer zu wenig getan. Und die haben immer versucht, die Anwälte zu mehr zu bewegen, was ja bei Mahler dann auch geklappt hat. Das ist dann in diese Richtung natürlich gegangen.
Dass die Anwälte hätten mehr tun können, sagen Inhaftierte aber immer. Ich habe das ja selbst erlebt im Knast. Da denkst du immer: Die müssten doch jetzt noch mehr tun. Ich sitze hier und kann nichts tun.
Alexander Wallasch: Wie lange saßt Du ein?
Rainer Langhans: Das war nicht so viel. Ich glaube, fünf Wochen waren es. Untersuchungshaft.
Alexander Wallasch: Hans-Christian Ströbele saß ja auch. Und er hat später zehn Monate auf Bewährung gekriegt.
Rainer Langhans: Ich bin damals freigesprochen worden. Aber ich fand die Inhaftierung trotzdem sehr unangenehm, weil du nicht weißt, ob du wieder rauskommst. Da bin ich noch mal von der Schippe gesprungen. Aber Leute wie Horst, die wollten, dass ich für die Glaubwürdigkeit der Bewegung ruhig etwas länger einsitzen sollte. Aber dazu hatte ich keine Lust, weil ich ganz neu mit Uschi zusammen war und das wollte ich mir nicht wegen so einem Märtyrerding einfach abschneiden lassen.
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Alexander Wallasch: Von der Intention her, dem Staat die Stirn zu bieten, müsstet Ihr doch eigentlich Vorbilder für heutige Bewegungen sein. Aber das wird von denen gar nicht kommuniziert.
Rainer Langhans: Die haben ja nun auf der ganzen Linie verloren. Das ist nicht gerade nachahmenswert. Ich meine, das merken sie sich, die Leute, wenn du da etwas probierst, was sehr weit ging.
Alexander Wallasch: Na gut, aber der Michael Ballweg sitzt ja mittlerweile im Knast, seit Wochen. Der hat mit seinen Querdenkern Hunderttausende zusammengebracht.
Rainer Langhans: Warum? Weil er so üble Geldgeschäfte gemacht hat. Der hat die ganzen Leute abgezockt. Ich meine, darüber ist er doch gestolpert.
Alexander Wallasch: Aber ist das nicht schon das Narrativ des Staates mit dem Geld? Er hat ja Spendengelder bekommen. Niemand hat ihm da eine Verwendung abverlangt für dieses oder jenes Projekt. Nutzt der Staat das nicht für Repressionen?
Rainer Langhans: Ja gut. Kann man immer bezweifeln, ob die das benutzen. Nicht nur. Dass sie das benutzen können, das zeigt eben, dass die ganze Geschichte ziemlich schräg ist. Wenn man jemanden übers Geld kriegen kann, dann hat er nicht allzu viel versucht.
Alexander Wallasch: Eine beeindruckende Hans-Christian-Ströbele-Szene war für mich jene im alten Wasserwerk, als Joschka Fischer die Bombardierung Belgrads forderte und Ströbele teilweise unter Tränen eine Rede hielt gegen den Kriegseinsatz und immer wieder erklärte, dass wir Deutschen das nicht tun dürfen. Das ist mir hängengeblieben.
Rainer Langhans: Der Ströbele war in jeder Beziehung ein wirklich treuer Grüner. Er hat ja an vielen Stellen Einspruch erhoben und dabei sein Kreuzberger Ding hochgehalten. Ein grünes Urgestein, der sein Ding nie verraten hat, so wie die Grünen dann zunehmend eben immer mehr verraten haben. Verstehe ich ja alles, wenn man pragmatisch sein muss und an die Macht will, dann muss man natürlich von vielen hehren Zielen Abstand nehmen. Ein bisschen wenigstens.
Alexander Wallasch: Fing das nicht mit dem Rotationsprinzip eigentlich schon an, dass die Grünen aufgegeben hatten?
Rainer Langhans: Da kann man eine riesige Liste aufstellen. Das fing ja schon mit Fischer spätestens an, mit den Realos, mit dem Krieg. Und da war Ströbele, ein Urgestein. Im Grunde genommen hätte man ihn ausschließen müssen. So wie es die SPD jetzt mit Schröder versucht.
Alexander Wallasch: Ströbele hat sich noch zuletzt gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen. Seine Rechnung ging da ganz einfach: Mehr Waffen, mehr Tote. Aber was hat Ströbele wirklich erreicht? Was ist sein Lebenswerk?
Rainer Langhans: Für mich ein vollendetes, schönes Lebenswerk, auf das er zurückblicken konnte. Das finde ich wirklich bemerkenswert. Und insofern ist er wirklich ein sehr authentischer, glaubwürdiger Politiker. Natürlich hätte ich, wenn ich jetzt mal mit ihm zusammengetroffen wäre, noch mal mit ihm darüber geredet, wie weit das wiederum von dem Achtundsechziger-Zeug abgewichen ist. Insbesondere, dass er sich parlamentarisch so bemüht hat, dieses grüne Zeug durchzubringen. Aber gut, das ist eine ganz besondere Diskussion.
Alexander Wallasch: Aber ist ihm vielleicht doch ein bisschen die Kraft weggebrochen? Wollte er vielleicht sein Lebenswerk nicht beschädigen? Hätte nicht zum Schluss der Blick doch noch so klar sein können, zu sehen, wo die Grünen in der Ampel hintreiben? Viele sagen öko-sozialistischer Faschismus, Einschränkung der Grundrechte, der chinesische Mensch, die Corona-Regeln, der mutmaßliche Hungerwinter.
Rainer Langhans: Er war der Typ Rechtsanwalt. Ströbele verstand, dass die Grünen ganz pragmatisch an die Macht wollen und auch mal etwas gestalten wollen. Ich glaube, Christian war klug genug, um das zu wissen, dass er weniger Kompromisse gemacht hat als jene, die an die Macht wollten. Ich glaube schon, dass er verstand, dass man das auch so probieren kann. Er hatte, glaube ich, nicht so eine Position, wo er „Verrat“ ruft.
Alexander Wallasch: Heute wird unter grüner Herrschaft gleich jede Gegenmeinung mit der Nazikeule bearbeitet. Da staune ich immer, dass nicht ein paar aufrechte Leute aus der linksgrünen Ecke, dass die nicht reflexartig Partei ergreifen. Ströbele wäre in der Lage gewesen, so etwas zu sehen, aber er hat sich dazu nicht zu Wort gemeldet meines Wissens. Die haben sich doch früher für Meinungsfreiheit eingesetzt. Aber wohl nur, als es um ihre eigene ging.
Rainer Langhans: Die ganze Situation hat sich so stark verändert, dass wir immer stärker in dieses Spalterische reinkommen, dass wir immer extremere Ränder auch bekommen. Auch durch die Corona-Geschichte. Und in diesem Untergangsgefühl werden die Leute natürlich verzweifelt rumschreien: Was ist hier los? Wer ist schuld? Nein, das darfst du nicht mehr sagen, dann gehen wir noch schneller unter, das ist klar. Wir sind in einer gewissen Panik-Situation.
Alexander Wallasch: Ja, das ist die Stimmung.
Rainer Langhans: Und die erzeugt natürlich eine ganz anderes Meinungsklima, eines, das eben ganz und gar nicht mehr so tolerant ist, wo viel Meinungspluralismus herrscht, sondern das erzeugt eine sehr starke Schwarz-Weiß-Denke. Wir befinden uns in einem zunehmenden Krieg angesichts dessen, dass wir gerade untergehen.
Alexander Wallasch: Aber die Grünen haben diese Untergangsfantasien selbst kreiert.
Rainer Langhans: Natürlich, wenn du heute Politiker bist, dann musst Du damit umgehen. du kannst auch gar nicht anders. Du kannst auch nicht sagen: Ich bin so wie wir vor fünfzig Jahren oder so, das geht nicht. Du musst innerhalb dieses Meinungsklimas irgendwo mitschwimmen und da eine gewisse Position beziehen.
Und die wird sich natürlich unterscheiden von den früheren Versuchen der Grünen – in einer anderen Zeit –, Politik zu machen. Das ist Pragmatismus und Du musst pragmatisch sein als Politiker. Du kannst ja nicht irgendwann sagen: Ich mach das immer noch so wie vor dreißig, vierzig Jahren.
Sondern man muss mit den Leuten ins Gespräch kommen, die jetzt alle in Panik sind. Die gerade untergehen. Das ist klar, dass das schwieriger wird. Und da musst du gucken, dass du ein halbwegs weniger kriegerisches Meinungsklima immer wieder befürwortest.
Und das macht ja so ein Typ wie Habeck. Der spricht mit den Leuten ganz anders als kriegerisch, als normal politisch. Und du siehst, die Leute hören das und finden das auch gut. Der ist heute der beliebteste Politiker. Aber das sind natürlich auch nur ein paar Versuche, das noch ein bisschen aufzuhalten oder ein bisschen menschlicher zu gestalten, dass wir hier im großen Krieg eben gerade miteinander untergehen.
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Alexander Wallasch: Aber diese Ausgrenzung, die betreibt doch Habeck selbst. Sonst hätte er da längst mal interveniert. Ihr hattet damals mit den Medien ähnliche Probleme. Bei der Bildzeitung brannten die Autos. Später sah man Euch dann auf den Covers der Magazine, Uschi Obermaier oben ohne und so weiter.
Was mich zum Begriff „Liebe zu Deutschland“ führt. Kann man diesen Begriff mit den Grünen überhaupt zusammenbringen? Gab es irgendwann eine Liebe zu Deutschland in dieser Szene? Irgendein Verhältnis zum eigenen Land und den Leuten? Oder war das alles nur Deutschland, du mieses Stück Scheiße?
Rainer Langhans: Wir kommen alle aus dieser großen Liebesberauschtheit, die wir damals 68 bei der Studentenrevolte – eine kurze Zeit lang wenigstens – erlebt haben. Da kommen wir alle her. Und Christian war natürlich auch ein Erbe davon. Was aber nicht hieß, dass er Nationalist wurde oder war, sondern er hatte einfach Liebe, wenn Du so willst, für den Menschen oder eine Achtung. Und er hat versucht, mit diesen grünen Überlegungen, also Umweltkram und so weiter etwas für sie zu tun.
Aber dieses Nationalistische, das war nicht da. Insofern ist diese Geschichte: Entweder du liebst Deutschland oder du hasst Deutschland. Die ist Quatsch. Das ist alles so neues kriegerisches Gerede. Nein, wir wollten damals, dass die Welt besser wird. Und wir sahen, dass das so nicht werden wird, wenn man die Umwelt so kaputt macht – also jetzt aus der grünen Perspektive gesprochen.
Und das hat ja Christian nun wirklich gemacht. Aber dieses Nationalistische nicht. Das war nie unsere Sache. Wir waren, wenn du so willst, international Liebende. Wir liebten alle. Das war die Grundierung. Und daraus haben sich natürlich diese ganzen begrenzten Geschichten jeweils abgeleitet bis hin zu den Grünen, bis zur Frauenbewegung. Aber doch, auch Nationalgeschichten. Rudi Dutschke war so ein bisschen nationaler, weil der aus der DDR kam.
Alexander Wallasch: Ein großes Thema war ja ab 2015 die Massenzuwanderung. Wir haben gesehen, was auf den Straßen passiert ist, nicht nur in der Silvesternacht 2015/16 auf der Kölner Domplatte. Ich habe Jahr für Jahr die Kriminalitätsberichte gelesen, die schon vom damaligen Innenminister Seehofer verfälscht erzählt wurden. Dann ging es für viele direkt in diese Corona-Maßnahmen-Kritik und dann kam der Ukrainekrieg.
Die Corona-Kritiker sind teilweise anders aufgestellt als noch die Zuwanderungskritiker. Da sind Esoteriker dabei, klassische Impfkritiker, aufrechte Linke, alles. Da hat der Staat noch mehr Angst gehabt als bei der Zuwanderungskritik, die er besser mit der Nazikeule abräumen konnte.
Rainer Langhans: Na klar. Das ist spannend. Denn es gibt ja jetzt diese große Spaltung. Einige versuchen halt noch die alte Geschichte zu retten. Zu denen übrigens aus meiner Sicht auch noch die Grünen gehören, weil sie ja so schön pragmatisch die Politik verbessern wollen: Endlich sind wir diese CDU los.
Aber es gibt da natürlich Leute, die sehen schon, dass da was ganz anders kommen wird und dass dieses Alte untergeht, dass wir das nicht mehr retten können. Diese Spaltung, die vollzieht sich jetzt und umfasst die jeweils verschiedenen Gruppen.
Jetzt kommen auch die Esoteriker oder die sogenannten Spirituellen. Die kommen auch zum Zug und werden jetzt noch Verschwörungstheoretiker genannt oder auch Esoteriker, was ja alles abwertende Begriffe sind. In Wirklichkeit heißt das: Diese Leute gucken schon ein bisschen weiter, geben das Alte in gewisser Weise verloren und gucken in die Richtung, wohin es geht.
Wohin geht es denn? Nicht in das Alte zurück, nicht in das „neue Normal“, wie das heute genannt wird, sondern in eine ganz andere Welt, die wir noch kaum sehen können, die wir uns vor allem nicht vorstellen können mit unserem ziemlich beschränkten Verstand, mit unserem aufgeklärten Gerede.
Alexander Wallasch: Aber das klingt wieder so ein bisschen, als wenn es irgendeine naturgegebene Bewegung wäre. Die Unterstellung der Demonstranten, der Kritiker heute, ist doch, dass der Staat ganz bewusst was vorantreibt, was man noch verhindern will.
Rainer Langhans: Ja, da hast Du völlig recht. Aber ich gucke mehr nach innen und da sieht es eben anders aus. Da sieht man, dass es eine große, große Bewegung gibt. Und uns beunruhigt, dass da etwas passiert, das wir nicht in den Griff bekommen. Totaler Kontrollverlust bei dieser Corona-Krankheitsgeschichte.
Die Angst ist, dass die uns unaufhaltsam in irgendetwas schiebt, wo wir nicht wissen, wer das ist, was das ist, wohin das geht. Und um dem irgendwie gerecht zu werden, versucht sich der Verstand mit allen möglichen Mitteln entgegenzustellen und wird dem absolut nicht gerecht. Wir hampeln dann rum, werden immer verzweifelter und natürlich auch spalterischer. Aber der Verstand kriegt es nicht in den Griff.
Und deswegen glaube ich, dass diese Leute Unrecht haben und dass wir in Wirklichkeit in einer merkwürdigen Evolution sind, die jetzt etwas ganz Neues gegenüber den paar tausend Jahren abendländischer Zivilisation von uns verlangt, weil wir dieses Alte nicht weitermachen können.
Alexander Wallasch: Aber wenn sich die Ampel hinstellt und will die Grundrechte einschränken, will die Meinungsfreiheit einschränken, dann kann ich natürlich sagen: Okay, das ist jetzt alles im Fluss, Evolution und so. Ich kann aber auch sagen: Nein, das will ich nicht. Da gehe ich jetzt mal dagegen an, da demonstriere ich dagegen, da trete ich für meine Kinder ein, für unsere Grundrechte, für unsere Nation. Und so weiter. Ist das so falsch?
Rainer Langhans: Ja, und zwar deswegen, weil in dem Augenblick, wo ich versuche, die alten Rechte aufrechtzuerhalten, versuche ich das alte System aufrechtzuerhalten. Und manche Leute sehen eben heute schon, dass das nicht nur nicht aufrechterhalten werden kann, sondern dass es stirbt, dass das gut ist und dass aus dem Sterben des Alten etwas ganz anderes und neues Leben entsteht. Das heißt, wenn Du die alten Rechte noch haben willst, dann willst u das alte System noch haben. Aber das ist erledigt.
Alexander Wallasch: Aber die Rechte verschwinden doch nicht.
Rainer Langhans: Doch, die alten Rechte verschwinden. Zum Beispiel dieses Besitzrecht, all das löst sich gerade auf, weil sich diese Welt auflöst.
Alexander Wallasch: Aber das löst sich doch nicht gottgegeben auf. Das löst sich doch auf, weil bestimmte Gruppen und Ideologien das ganz bewusst so betreiben. So, den Eindruck habe ich.
Rainer Langhans: Das ist natürlich die Verschwörungstheorie-Nummer.
Alexander Wallasch: Aber warum, das sind doch politische Entscheidungen, die gefällt werden und Wirkung entfalten und gegen die dann angekämpft wird.
Rainer Langhans: In Wirklichkeit sind die einen nur geschickter als die anderen. Und wenn zum Beispiel Klaus Schwab sagt: Ja, die Menschheit, die wird sehr dezimiert werden und Great Reset und so weiter, dann sagt er nur: Mit meiner Theorie, mit diesen Anschauungen werde ich nur dem gerecht, wie uns gerade geschieht.
Wir wissen nicht, woher das kommt, und wir haben schon ein paar Jahre vorher diese große Pandemie gesehen. Aber deswegen war er es nicht, sondern Schwab hat nur versucht, mit einer in diesem Fall wohl ziemlich zutreffenden Theorie das zu erfassen, wie uns geschieht, was wir aber alle nicht in der Hand haben.
Wir haben doch das Gefühl, dass der Kontrollverlust immer größer wird. Fast ein Totalverlust. Die Pandemie hat das wirklich deutlich gemacht. Die Leute lagen nur noch tot da. Ich meine, das ist unsere Zukunft.
Und wenn du jetzt weitersehen willst, dann darfst du nicht sagen, wir müssen den Bill Gates daran hindern, das weiterzumachen, uns die ganzen Rechte zu nehmen und uns umzubringen, uns zu chippen und so weiter, sondern wir werden sehen, wohin das führt, wenn der alte Mensch stirbt und ein neuer Mensch entsteht. Nur daraus entstehen kann.
Alexander Wallasch: Das ist aber doch eine Grundfrage: Du sagst, dass der alte Mensch die Welt kaputt macht. Die anderen sagen, wir waren eigentlich mit dem alten System ganz zufrieden, wir haben gegessen, gelebt und geliebt.
Rainer Langhans: Wir haben uns überfressen, wir haben die Natur kaputt gefressen und deswegen präsentiert die uns heute endlich die Rechnung und sagt: Leute, so geht es nicht weiter, ihr seid am Ende. Überlegt euch was.
Die Fridays for Future sagen dann bloß: Ja, die Wissenschaft, die Wissenschaft, wir müssen nachhaltiger leben! Nein, das ist vorbei. Wir können das nicht mehr retten. Und deswegen sollten wir uns darum kümmern. Wohin führt das? Unser Sterben. Das heißt, wir sollten diese Sterbensübung ernst nehmen und sagen: Wer wird daraus erstehen, wenn der alte Mensch stirbt?
Alexander Wallasch: Jetzt muss ich aber mal eine böse Frage stellen: Das ist natürlich für Dich akuter, wo Du altermäßig an der Kante stehst. Ja, ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Für uns sind natürlich solche apokalyptischen Menschheits-Untergangsstimmungen vielleicht noch leichter erträglich als für einen 20-Jährigen, der am Anfang seines Erwachsenenlebens steht.
Rainer Langhans: Na ja, das weiß ich nicht, weil die ganzen 20-Jährigen, die sind ja schon tot für diese Welt. Die sind alle im Internet. Die sind schon tot hier, die tun ja gar nichts mehr. Das haben die schon längst verloren gegeben. Und das Internet ist, wenn Du so willst, die Vorstufe des neuen Menschen, also auf Deutsch: Eine virtuellere Existenzform, eine geistigere als diese krass materialistisch dumme, die sich selber tot frisst.
Alexander Wallasch: Also das Leben meiner Großmutter, die eine sehr bescheidene Frau war, die kaum Müll produziert hat, weil sie ihren Komposthaufen hatte, die sich immer um ihre Kinder gesorgt hat, die den Krieg überlebt hat, die Kinder durch den Krieg gebracht hat, die ein kleines Haus im Harz hatte – sie war immer bescheiden, hat immer wenig auf sich selbst geachtet und sie ist mit zunehmendem Alter eine starke Persönlichkeit geworden. Hat die so viel falsch gemacht?
Rainer Langhans: Nein, sie hat in ihrer Zeit offensichtlich vieles richtig gemacht. Nur Du weißt es, die Zeiten haben sich dann geändert. Wir konnten viel mehr fressen. Wir brauchten nicht bescheiden sein, wir konnten alles wegschmeißen, Wegwerfkultur und so weiter. Wir haben dann aus dieser Möglichkeit – die der Kapitalismus übrigens massiv bot – haben wir etwas Fürchterliches gemacht. Dummerweise! Wären wir so bescheiden geblieben, hätten wir mit diesen technischen Mitteln eine ganz andere Welt schaffen können, anstatt diesen verschwenderischen, vermüllten Planeten dann unseren Kindern zu hinterlassen.
Alexander Wallasch: Das ist ganz interessant. Denn Hans-Georg Maaßen hat neulich zum selben Thema in etwa gesagt: Aber wir haben unseren Kindern die Technik hinterlassen, diesen Müll dann wegzuräumen. Und das fand ich ganz interessant.
Rainer Langhans: Ja, das glauben die Techniker. Aber diese Technik wird auch verschwinden, weil diese Technik ist offensichtlich auf dumme Menschen gestoßen. Oder wir haben diese Technik schlecht verwendet, indem wir einfach nur Massen produziert haben und keine gute Qualität des Lebens. Denn dieses ganze Gefresse hat doch keine glücklichen Menschen hervorgebracht, sondern nur einen Müll-Planeten erzeugt.
Alexander Wallasch: Früher nannte man das, was Du hier erzählst, eine lupenreine Kapitalismuskritik.
Rainer Langhans: (lacht) Natürlich. Ich meine, wenn Du so willst, bin ich nach wie vor auch natürlich Marxist. Ich würde das aber ein bisschen weiter fassen. Vor allem, was diese ganze Materialismus-Kritik angeht, die ist immer zu kurz gewesen.
Genauso wie jetzt Maaßen mit seinem Vorschlag, da wieder auf die Wissenschaft zu gucken, wie die Fridays for Future. Nach dem Motto, die Wissenschaft stellt uns alles bereit, den ganzen Scheiß auch wieder aufzuräumen. Nein, wir werden auch diese Form von Wissenschaft verlassen, denn diese Wissenschaft sind wir. Wir sind es, die diese Wissenschaft so schlecht angewandt haben. Die ist ja, wenn Du so willst, eigentlich neutral. Ja, aber wir haben das Ganze schlimm gemacht. Atomenergie? Wir haben Bomben daraus gebaut, wir haben diese komischen Kraftwerke, die alles kaputt machen. Nein, das geht nicht. Es geht nicht durch die Wissenschaft, sondern es geht durch uns. Wir müssen uns ändern und deswegen müssen wir sterben und nicht die Natur wird sterben. Die Natur wird sowieso überleben.
Alexander Wallasch: Das klingt jetzt alles sehr dramatisch. Und es macht traurig. Kann man das nicht einfach lösen durch eine vernünftige Geburtenkontrolle? Ist es vielleicht ein quantitatives Problem am Ende?
Rainer Langhans: Klaus Schwab oder Bill Gates? Sicher, das probieren die ja. Kann man natürlich probieren. Und werden wahrscheinlich manche Leute auf jeden Fall probieren wollen. Und das sind super Kapitalisten, die werden da sicher einiges probieren können. Die Frage ist, ob uns das wirklich retten kann, ob wir unsere alte Welt noch retten können oder ob wir uns nicht klugerweise diesem Sterben überantworten sollen, weil wir wissen – und da kommt eben der Materialismus ins Spiel, der auf diese Weise ausgedient hat –, dass erst jenseits des Materialismus das wahre Leben beginnt.
Dieses Diesseits des Materialismus – und das haben wir reichlich ausprobiert – ist nur ein dummer Tod, ein Überfressen und tot. Und deswegen sage ich eben, und das ist auch der Titel meines Buches: „Geht nach innen“. Und da habe ich das so ein bisschen beschrieben, was passiert, wenn wir als Materialisten nach innen gehen und was wir da sehen. Und da sehen wir einiges, da sehen wir das ganz gut: Ja, durch dieses Sterben, durch diese Asche des Phönix, des Alten, geht das Neue daraus hervor.
Alexander Wallasch: Nun bin ich aber in einer ganz anderen Situation, weil, meine Tochter hat vor ein paar Tagen ihr Kind geboren und das liegt da in der Wiege. Und das möchte nicht nach innen gehen, sondern eigentlich nach draußen in die Welt.
Rainer Langhans: Das Kind ist ja ganz innen. Dieses Kind ist ja praktisch noch im Himmel. Jeder weiß doch, die kleinen Kinder sind Genies und deswegen rühren sie uns auch so. Aber wenn sie dann erzogen werden, und dann kriegen sie das alles ausgetrieben und sind später solche Arschlöcher wie alle.
Aber heute könnten und werden die Jungen mehr nach innen gehen. Das siehst Du an den ganzen Jungen. Die gehen doch alle schon ein Stück weit nach innen. Das nennt sich heute noch Internet. Wir werden doch darüber hinausgehen, denke ich. Aber das sind erste wichtige und richtige Schritte. Und da sind sie. Und deswegen können wir glücklich sein, dass wir jetzt diese Jungen haben, dass das die Enkel sind, die das ein Stück weit besser machen, als wir es damals konnten.
Alexander Wallasch: Aber erstaunlich, wo uns ein Nachdenken über Hans-Christian Ströbele jetzt hingeführt hat. Vielen Dank für das Gespräch!
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