Zeitenwende-Vorstoß der Bundeswehr versandet

Zeitenwende abgesagt: Hitlers Helden taugen doch nicht als Vorbilder der Bundeswehr

von Alexander Wallasch (Kommentare: 8)

Einmal im Kübelwagen nach Russland und wieder zurück© Quelle: Youtube / ZDFinfo, Screenshot

Ein paar Tage lang hat die Bundeswehr ein deutsches Selbstverständnis massiv erschüttert und ein Papier veröffentlicht, das es der Bundeswehr gestatten sollte, achtzig Jahre nach Kriegsende eine Reihe von Wehrmachtsoldaten auch offiziell in ihre ehrende Traditionspflege mit einzupflegen.

Was Generalleutnant Kai Rohrschneider – er arbeitet als Abteilungsleiter im SPD-geführten Verteidigungsministerium – in seinem Schreiben „Ergänzungen zum Traditionserlass“ formuliert hat, wächst sich zu einem handfesten Skandal aus.

Sein Schreiben wurde nach der aufgeregten medialen Berichterstattung vom Verteidigungsministerium wieder einkassiert.

Um was ging es konkret im Ergänzungsschreiben zum Traditionserlass von 2018? Der Traditionserlass der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen legt fest, dass weder die Wehrmacht, das NS-Regime noch die NVA als Institution traditionsstiftend für die Bundeswehr sein können.

Problem dabei: Die Bundeswehr selbst wurde aufgebaut unter Zuhilfenahme von zehntausenden Wehrmachtssoldaten und Wehrmachtsoffizieren. Kurz gesagt: Ehrt man diese Soldaten, ehrt man auch ihren Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg. Als Vorbild taugen sie deshalb laut Erlass von 2018 grundsätzlich nicht. Lediglich nach strenger individueller Prüfung seien Ausnahmen möglich, diese Personen als Vorbild und damit traditionsstiftend für die Truppe vorzustellen.

Soweit in der Bundeswehrgeschichte verankert. Besagter Abteilungsleiter der Bundeswehr unternahm jetzt den Versuch, diese scharfe Einschränkung zu unterwandern. Kann, darf oder soll man 80 Jahre nach Kriegsende irgendwelche kameradschaftlichen, strategischen oder soldatische Tugenden vom Vernichtungsfeldzug der auf Adolf Hitler als Führer eingeschworenen Wehrmacht trennen?

Der eigentliche Skandal aber ist ein anderer: Rohrschneider begründet den Wunsch der Bundeswehr, jetzt alte Wehrmachtshaudegen zu ehren, mit der „Zeitenwende“ von Olaf Scholz.

Da stehen Sätze mit Bezügen zur Wehrmacht, die man noch vor wenigen Jahren nicht einmal ansatzweise für möglich gehalten hätte:

„Mit der durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelösten Zeitenwende ist die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen.“

Die Zeitenwende habe es notwendig gemacht, dass „in Traditionspflege ein größeres Augenmerk auf militärische Exzellenz (Fähigkeit bzw. Können) gelegt (wird) gegenüber anderen traditionsstiftenden Beispielen wie klassische soldatische Tugenden (Charakter) oder Leistungen für die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft“.

Rohrschneider ist sich durchaus bewusst, welchen Sprengstoff er da ausgelegt hat. Entsprechend der Eiertanz mit Worten. Seine Intention bleibt dennoch eindeutig.

Zugespitzt: Der Blitzkrieg soll als herausragende soldatische Leistung wieder von der Bundeswehr gefeiert und gewürdigt werden, unabhängig von den verbreiteten Greul, die damit verbunden waren:

„Dabei ist die dem Geist des Traditionserlasses zugrundeliegende Auffassung von zentraler Bedeutung, dass Tradition nicht den Anspruch des makellosen Ideals erhebt und menschliche Fehlbarkeit akzeptiert. Im Einzelfall kann die Notwendigkeit einer Gewichtung zwischen etwaiger persönlicher Schuld und Leistung im Ergebnis zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Traditionsfragen führen.“

Übersetzt: Indem man bestimmte „Erfolge“ der Wehrmacht mit den hinter diesen Erfolgen stehenden Wehrmachtssoldaten verbindet und diese dafür ehrt und feiert, soll, so Rohrschneider für die Bundeswehr, „die Traditionspflege unter anderem die Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf stärken, wenn es der Auftrag erfordert“.

Warum dann aber nicht gleich solche echten alten Haudegen würdigen und feiern wie den erfolgreichen Panzerkommandant Otto Carius. Das wäre konsequent. Oder Kongo-Müller, der seine militärische Wehrmachts-„Exzellenz“ auch später gegen Aufständische im Kongo einsetzte.

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Nicht mehr nur der gefallene Soldat soll geehrt werden, sondern jetzt – im Windschatten des Ukrainekrieges – wird das besondere Augenmerk eher auf das gerissene Frontschwein gelegt als auf jene, die der Weltkrieg verschlungen hat.

Wer seine Soldaten erfolgreich tief nach Russland geführt hat, soll jetzt dafür geehrt werden, weil der Einmarsch der russischen Armee auf ukrainisches Territorium diese Ehrungen der eisernen Russlandbezwinger erforderlich macht?

Mehrfach und nachdrücklich beruft sich Generalleutnant Kai Rohrschneider auf die „Zeitenwende“ des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Das alles stehe „im Kontext von Zeitenwende und Kriegstauglichkeit“.

Der Versuch einer sprachlichen Umdeutung scheitert allerdings kläglich, wenn Soldaten der Wehrmacht via Chiffre umschrieben werden: „traditionsstiftende Personen aus der deutschen Militärgeschichte.“

Rohrschneider hat konkrete Vorstellungen, wer geehrt werden soll. Man kann es in seinem Papier im Anhang nachlesen.

Der Zeitenwende-Vorstoß von Generalleutnant Kai Rohrschneider ist gescheitert, er wurde von der Bundeswehr abgeblasen. Das Verteidigungsministerium zog die „Ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ zurück: Die ergänzenden Hinweise seien in Gänze außer Kraft gesetzt.

Grund seien aufgekommene Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses, erklärte Generalinspekteur Carsten Breuer. Rohrschneider habe Bezüge hergestellt hat, „die sich in der Rückschau nicht als förderlich herausgestellt haben“.

Nur die militärische Exzellenz, unter Beweis gestellt im Zweiten Weltkrieg, reiche eben nicht aus, so Breuer, und habe nie ausgereicht, um traditionswürdig im Sinne des Traditionserlasses zu sein.

Breuer drückte sein Bedauern aus. Am Mittwoch erklärte der Generalinspekteur die neue Regelung für aufgehoben, gültig ab sofort:

„Die ergänzenden Hinweise haben Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen. Um diese auszuräumen und ein klares Bekenntnis zu den zentralen Bezugspunkten des Traditionsverständnisses, den Festlegungen zu traditionswürdigem Verhalten und der Verpflichtung der Bundeswehr auf die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen der Bundesrepublik Deutschland zu unterstreichen, haben wir entschieden, die Ergänzenden Hinweise mit sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen. Der Traditionserlass aus dem Jahr 2018 ist unverändert gültig. Für Traditionswürdigkeit in der Bundeswehr waren, sind und bleiben Wertebindung und das klare Bekenntnis zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zwingend. Nur auf Grundlage dieser Wertebindung, die sich nicht allein auf professionelles Können im Gefecht reduziert, kann soldatisches Selbstverständnis sinn- und traditionsstiftend sein. Ich bitte Sie, dies auch weiterhin für die Traditionspflege in Ihren Verantwortungsbereichen umzusetzen.“

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