Was Generalleutnant Kai Rohrschneider – er arbeitet als Abteilungsleiter im SPD-geführten Verteidigungsministerium – in seinem Schreiben „Ergänzungen zum Traditionserlass“ formuliert hat, wächst sich zu einem handfesten Skandal aus.
Sein Schreiben wurde nach der aufgeregten medialen Berichterstattung vom Verteidigungsministerium wieder einkassiert.
Um was ging es konkret im Ergänzungsschreiben zum Traditionserlass von 2018? Der Traditionserlass der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen legt fest, dass weder die Wehrmacht, das NS-Regime noch die NVA als Institution traditionsstiftend für die Bundeswehr sein können.
Problem dabei: Die Bundeswehr selbst wurde aufgebaut unter Zuhilfenahme von zehntausenden Wehrmachtssoldaten und Wehrmachtsoffizieren. Kurz gesagt: Ehrt man diese Soldaten, ehrt man auch ihren Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg. Als Vorbild taugen sie deshalb laut Erlass von 2018 grundsätzlich nicht. Lediglich nach strenger individueller Prüfung seien Ausnahmen möglich, diese Personen als Vorbild und damit traditionsstiftend für die Truppe vorzustellen.
Soweit in der Bundeswehrgeschichte verankert. Besagter Abteilungsleiter der Bundeswehr unternahm jetzt den Versuch, diese scharfe Einschränkung zu unterwandern. Kann, darf oder soll man 80 Jahre nach Kriegsende irgendwelche kameradschaftlichen, strategischen oder soldatische Tugenden vom Vernichtungsfeldzug der auf Adolf Hitler als Führer eingeschworenen Wehrmacht trennen?
Der eigentliche Skandal aber ist ein anderer: Rohrschneider begründet den Wunsch der Bundeswehr, jetzt alte Wehrmachtshaudegen zu ehren, mit der „Zeitenwende“ von Olaf Scholz.
Da stehen Sätze mit Bezügen zur Wehrmacht, die man noch vor wenigen Jahren nicht einmal ansatzweise für möglich gehalten hätte:
„Mit der durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelösten Zeitenwende ist die Bedeutung von Kriegstüchtigkeit von Streitkräften, die sich maßgeblich aus einem hohen Einsatzwert und hoher Kampfkraft ableitet, auch für die Traditionspflege gestiegen.“
Die Zeitenwende habe es notwendig gemacht, dass „in Traditionspflege ein größeres Augenmerk auf militärische Exzellenz (Fähigkeit bzw. Können) gelegt (wird) gegenüber anderen traditionsstiftenden Beispielen wie klassische soldatische Tugenden (Charakter) oder Leistungen für die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft“.
Rohrschneider ist sich durchaus bewusst, welchen Sprengstoff er da ausgelegt hat. Entsprechend der Eiertanz mit Worten. Seine Intention bleibt dennoch eindeutig.
Zugespitzt: Der Blitzkrieg soll als herausragende soldatische Leistung wieder von der Bundeswehr gefeiert und gewürdigt werden, unabhängig von den verbreiteten Greul, die damit verbunden waren:
„Dabei ist die dem Geist des Traditionserlasses zugrundeliegende Auffassung von zentraler Bedeutung, dass Tradition nicht den Anspruch des makellosen Ideals erhebt und menschliche Fehlbarkeit akzeptiert. Im Einzelfall kann die Notwendigkeit einer Gewichtung zwischen etwaiger persönlicher Schuld und Leistung im Ergebnis zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Traditionsfragen führen.“
Übersetzt: Indem man bestimmte „Erfolge“ der Wehrmacht mit den hinter diesen Erfolgen stehenden Wehrmachtssoldaten verbindet und diese dafür ehrt und feiert, soll, so Rohrschneider für die Bundeswehr, „die Traditionspflege unter anderem die Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf stärken, wenn es der Auftrag erfordert“.
Warum dann aber nicht gleich solche echten alten Haudegen würdigen und feiern wie den erfolgreichen Panzerkommandant Otto Carius. Das wäre konsequent. Oder Kongo-Müller, der seine militärische Wehrmachts-„Exzellenz“ auch später gegen Aufständische im Kongo einsetzte.
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Nicht mehr nur der gefallene Soldat soll geehrt werden, sondern jetzt – im Windschatten des Ukrainekrieges – wird das besondere Augenmerk eher auf das gerissene Frontschwein gelegt als auf jene, die der Weltkrieg verschlungen hat.
Wer seine Soldaten erfolgreich tief nach Russland geführt hat, soll jetzt dafür geehrt werden, weil der Einmarsch der russischen Armee auf ukrainisches Territorium diese Ehrungen der eisernen Russlandbezwinger erforderlich macht?
Mehrfach und nachdrücklich beruft sich Generalleutnant Kai Rohrschneider auf die „Zeitenwende“ des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz. Das alles stehe „im Kontext von Zeitenwende und Kriegstauglichkeit“.
Der Versuch einer sprachlichen Umdeutung scheitert allerdings kläglich, wenn Soldaten der Wehrmacht via Chiffre umschrieben werden: „traditionsstiftende Personen aus der deutschen Militärgeschichte.“
Rohrschneider hat konkrete Vorstellungen, wer geehrt werden soll. Man kann es in seinem Papier im Anhang nachlesen.
Der Zeitenwende-Vorstoß von Generalleutnant Kai Rohrschneider ist gescheitert, er wurde von der Bundeswehr abgeblasen. Das Verteidigungsministerium zog die „Ergänzenden Hinweise zu den Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ zurück: Die ergänzenden Hinweise seien in Gänze außer Kraft gesetzt.
Grund seien aufgekommene Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses, erklärte Generalinspekteur Carsten Breuer. Rohrschneider habe Bezüge hergestellt hat, „die sich in der Rückschau nicht als förderlich herausgestellt haben“.
Nur die militärische Exzellenz, unter Beweis gestellt im Zweiten Weltkrieg, reiche eben nicht aus, so Breuer, und habe nie ausgereicht, um traditionswürdig im Sinne des Traditionserlasses zu sein.
Breuer drückte sein Bedauern aus. Am Mittwoch erklärte der Generalinspekteur die neue Regelung für aufgehoben, gültig ab sofort:
„Die ergänzenden Hinweise haben Zweifel an der Wertebindung des Traditionsverständnisses der Bundeswehr aufkommen lassen. Um diese auszuräumen und ein klares Bekenntnis zu den zentralen Bezugspunkten des Traditionsverständnisses, den Festlegungen zu traditionswürdigem Verhalten und der Verpflichtung der Bundeswehr auf die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen der Bundesrepublik Deutschland zu unterstreichen, haben wir entschieden, die Ergänzenden Hinweise mit sofortiger Wirkung außer Kraft zu setzen. Der Traditionserlass aus dem Jahr 2018 ist unverändert gültig. Für Traditionswürdigkeit in der Bundeswehr waren, sind und bleiben Wertebindung und das klare Bekenntnis zur freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zwingend. Nur auf Grundlage dieser Wertebindung, die sich nicht allein auf professionelles Können im Gefecht reduziert, kann soldatisches Selbstverständnis sinn- und traditionsstiftend sein. Ich bitte Sie, dies auch weiterhin für die Traditionspflege in Ihren Verantwortungsbereichen umzusetzen.“
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Kommentar von .TS.
Auch bald 80 Jahre nach Neugründung ist ein normales Verhältnis und vernünftiger Umgang mit der eigenen Geschichte hierzulande unmöglich. Hinter diesem schwerkranken Selbstverständnis steckt vorsätzlicher Wille dessen Selbstheilungskräfte nach Kräften zu unterdrücken und zu sabotieren.
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Kommentar von Marion Sönnichsen
Verdrehen Sie mir hier nicht das Wort im Munde @ Mad Max. Nicht ich bin es, die die absurdesten Konstrukte zum Deutschen Nationalsozialismus bilden. Ich bringe hier nur ein Beispiel der Heuchelei. Es sind SPD und Grüne, die mit zweierlei Maß messen. Wenn SPD/Grün Woke „A“ sagen, wie „Alles für Deutschland“, dann müssen SPD/Grün Woke auch „Z“ sagen, wie „Zeitenwende“.
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Kommentar von Mad Max
@Marion Sönnichsen
… Respekt, wie die 'Zeitenwende-Rede' am 27. Februar 2022 von Olaf Scholz in einer Regierungserklärung, auf die sich Generalleutnant Kai Rohrschneider bezieht, auf die 'systematische Ermordung der Juden kommt' - das muss man/frau erst mal hinbekommen.
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Kommentar von Marion Sönnichsen
Zeitenwende: Dieser Begriff wurde nicht geprägt von Olaf Scholz, wie manche Zeitgenossen von der SPD meinen, sondern von dem NS-Verbrecher Hermann Esser, den Joseph Goebbels in seinem Tagebuch bezeichnete als: "Der kleine Hitler", in Essers Machwerk "Die jüdische Weltpest" (Heike B. Görtemaker, "Hitlers Hofstaat, S. 216, Fußnote 1, S. 454). Mit "Zeitenwende" war die systematische Ermordung der Juden gemeint.
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Kommentar von Mad Max
… der Gratismut nicht weniger 'Nachkriegsgeborener' wird, je weiter das Kriegsende '45 zurück liegt, immer größer. Ich maße mir nicht an darüber zu urteilen, welcher Widerstand '33-'45 der richtige war … schon gar nicht als Nachkriegsgeborener.
Was Wehrdienstpflicht- und Kriegsdienstverweigerung, schon die Verweigerung des Eides auf den 'Führer', für den Einzelnen bedeutete, kann nachgelesen werden. KZ, Todesstrafe, Strafbatallion.
– (m)ein Großvater diente bei der Deutschen Kriegsmarine. Als solcher war er, zuletzt, an der Evakuierung '45 von mehr als 2 Millionen Menschen aus Ostpreußen beteiligt.
Ich habe Hochachtung vor meinen Vorfahren.
'Der Marineoffizier muß erst Menschen, dann Schiffe und letztlich Waffen führen können.' – Friedrich Ruge (1932)
Ehrenerklärung von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 1952, für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg.
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Kommentar von Petra Wilhelmi
Leider haben sich ein paar sprachliche Fehler eingeschlichen. Bitte übersehen
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Kommentar von Petra Wilhelmi
Ich bin vielmehr davor erschreckt, dass Krieg für die deutsche Regierung wieder ein Mittel der Politik sein soll. Dafür soll die "neue" Tradition wohl den Boden bereiten. Vorbilder, die den Krieg verloren haben und greuliche Untaten in Russland begangen haben denen mit über 20 Millionen Toten. Deshalb verstehen sich unsere sogenannten Eliten wohl auch so gut mit den Ukronazis.
Ich frage mich, muss jede Generation damit konfrontiert werden. Meine Großeltern mit WK1, meine Eltern mit WK2 und soll meine Generation mit Sohn und Enkeln wieder mit einem Krieg konfrontiert werden?
Was ist das für eine Zeitenwende? Eine Zeitenwende, wo wir auf einen Krieg vorbereitet werden sollen? Kein Mensch kann sich auf einen Krieg vorbereiten. Auf die Schrecken, auf die Zerstörung, auf die Angst, auf Verletzung und Tod, auf den Hunger hinterher. Meine Eltern wären im WK2 fast gestorben auf den verheerenden Angriff auf Leipzig. Gottseidank war die Bombe, die das Haus traf nur ein Blindgänger. Will man das alles wieder haben? Haben wir Deutschen nicht genug vom Krieg, den wir immer wieder und immer wieder verlieren?
Wenn man liest, aus welchen Familien unsere sogenannten herrschenden Politiker kommen, verwundert es einen nicht. Ihre Familienclans scheinen eine alte Rechnung mit Russland offen zu haben. Wir alle sollen dafür büßen? Unsere Lebensleistungen wollen die in Trümmern legen und uns den Tod offerieren? Und nur weil diese Herren und Damen ihren Vorfahren (noch lebend oder schon tot) eine Genugtuung bereiten wollen? Deutschland hat keine Feinde, Deutschland schafft sich aber seine Feinde selbst. Was ist es dieses Mal? Etwa wieder Lebensraum im Osten, weil wir hier von Migranten überrannt werden? Oder einfach nur schlicht und ergreifend Rache für damals.
Deutschland wird dann zum Schluss, wenn die feuchten Träume der Politikerschranzen in die Tat umgesetzt werden, nur noch ein Trümmerhaufen à la Gaza sein. Hier wird sich der Krieg dann abspielen. Und ein Scholz oder ein Pistorius werden auch nicht davon kommen und deren Familien auch nicht.
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Kommentar von Ego Cogito
Da schlage ich doch vor, die Heldenanleihen in Frankreich zu nehmen. Was immer Napoleon an "Gutem" in Europa geleistet hat, findet sich im Erbfreundschaftsland wieder. Einmal den Arc de Triomphe durchschreiten, man findet alle Schlachten und vorbildlichen Generäle und Heerführer. Ihre "Leistungen" zu Ehren der Grande Nation. Ungeschmälert und ungetrübt! Also da läßt sich doch der Eine oder andere Held auch für die Bundeswehr aktivieren. Zur Freude und zum Segen aller "Pazifisten" hierzuland und Outre de mer! Für die Verreckten mußte ein "Unbekannter" herhalten und schon is gut. Ich bin sicher die Truppe der Tricolore hat damit eine gesicherte Basis für ihr tun.