Vorab: Was sind die Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestages? Sie unterstützen die Mitglieder des Hauses bei ihren Tätigkeiten. Ihre Arbeiten stellen immer eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Diese Ausarbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen.
Schon bei der Fragestellung des Papiers wird es heikel:
„Die vorliegende Ausarbeitung thematisiert die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Bundesregierung oder einzelner ihrer Mitglieder durch den Verfassungsschutz aufgrund von Verstößen der Bundesregierung gegen Verfassungsrecht oder einfaches Recht.“
Der Fachbereich „WD 3 Verfassung und Verwaltung“ des WD befindet vorab, dass die Frage des rechtlichen Rahmens für eine Beobachtung von Regierungsmitgliedern durch den Verfassungsschutz „soweit ersichtlich weder in der Rechtsprechung noch in der rechtswissenschaftlichen Literatur thematisiert“ wird:
„Besondere Vorschriften für die Zulässigkeit von Beobachtungsmaßnahmen gegenüber der Bundesregierung enthält das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) nicht.“
Wann überhaupt jemand vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf, ist gesetzlich verankert in § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG:
„Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben.“
Die WD klären vorab auch, was genau mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung gemeint ist. Interessant auch, wann überhaupt die „Sammlung und Auswertung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörden“ nach § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG erfolgen darf: Nämlich dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die geschützten Rechtsgüter vorliegen. Diese Anhaltspunkte müssen mehr, als nur bloße Vermutungen sein und es darf noch keine Gewissheit über das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestehen.
Das Papier der WD kommt unter Punkt 2.3 zu einem Zwischenergebnis: Die Beobachtung der Bundesregierung oder von Teilen bedarf mindestens eines Verdachtes, dass diese „gezielt auf die Beseitigung oder Außer-Geltung-Setzung des Grundsatzes der Rechtsbindung der vollziehenden Gewalt“ hinarbeitet.
Im Papier wird auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Zusammenhang mit einer Beobachtung des Abgeordneten und späteren thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) zitiert. Das höchste Gericht hatte in den Zusammenhang klargestellt, dass in der Beobachtung von Abgeordneten durch Verfassungsschutzbehörden
ein Eingriff in das freie Mandat vorliege.
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Allerdings mit dem entscheidenden Nachsatz, dass dieser Eingriff „jedoch im Einzelfall im Interesse des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein könne.“
Die WD weisen weiter darauf hin, dass im Vorfeld einer Beobachtung wegen konkreter Zweifel an der Verfassungstreue eines Mitglieds der Bundesregierung den Vorwürfen „noch im Rahmen eines Untersuchungsausschusses im Bundestag nach Art. 44 GG nachgegangen werden“ kann.
Und es gibt noch eine weitere Eskalationsstufe vor der Beobachtung: „In Betracht kommt schließlich auch die Durchführung eines konstruktiven Misstrauensvotums nach Art. 67 GG, um eine Bundesregierung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen aus dem Amt zu entfernen.“
Und außerdem, so das Papier, dürfe eine Person, „die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, durch den Bundespräsidenten gar nicht erst als Bundeskanzler oder Bundesminister ernannt werden.“
Der WD entdeckt bei der Suche nach Antworten so etwas, wie einen Fehler im System:
„Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Regelungen zum Verfassungsschutz nicht die Beobachtung einer Bundesregierung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz vor Augen.“
Unter Punkt 5.1 stellt das Papier weiter fest, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Informationsdienstleister der Bundesregierung ist.
Schon alleine diese Tatsache mache eine Beobachtung schwer. Denn die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden dienen stets der Unterrichtung der Regierung über den Stand verfassungs- oder sicherheitsgefährdender Bestrebungen: „Die Regierung soll so dazu befähigt werden, rechtliche wie politische Maßnahmen zur Abwehr der beobachteten Bestrebungen zu ergreifen.“ Aber was, wenn sie selbst im Fadenkreuz steht?
Das Bundesverfassungsgericht stellte 2013 klar: Ziel des Verfassungsschutzes ist „nicht die operative Gefahrenabwehr, sondern die politische Information“. Wen also informieren, wenn die Regierung selbst Objekt der Beobachtung geworden ist?
Der WD schreibt dazu:
„Geht man davon aus, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz insbesondere als Informationsdienstleister für die Bundesregierung tätig wird, stellt sich jedoch die Frage, inwieweit zu dieser Aufgabe auch die Beobachtung der Bundesregierung selbst oder einzelner ihrer Mitglieder zählen kann. (…) Unklar ist beispielsweise, wie und vor allem wem gegenüber das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner Aufgabe der Information und Unterrichtung nachkommen soll, wenn Beobachtungsobjekt und primärer Informationsadressat identisch sind.“
Ein zentraler und entscheidender Satz im Papier der Wissenschaftlichen Dienste:
„Gleichwohl kann aus diesem Umstand nicht abgeleitet werden, dass eine Bundesregierung oder ihre Mitglieder per se von einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz auszuschließen sind.“
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Es ist also schwer möglich, aber nicht unmöglich:
„Nicht unberücksichtigt bleiben darf jedoch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Prinzip der wehrhaften Demokratie, aus der die Verpflichtung aller staatlichen Einrichtungen und Amtsträger abgeleitet wird, die Ordnung des Grundgesetzes aktiv zu wahren und zu verteidigen. Mit Blick hierauf könnte in ganz außergewöhnlichen Umständen die Beobachtung einer Bundesregierung und ihrer Mitglieder durch das Bundesamt für Verfassungsschutz trotz dessen Stellung als Informationsdienstleister der Bundesregierung grundsätzlich als möglich erscheinen. (…) Ein Tätigwerden in der Verwaltungshierarchie gegenüber vorgesetzten Stellen oder Personen ist nicht per se ausgeschlossen. Insbesondere im Bereich der Strafverfolgung gibt es entsprechende Beispiele aus der Praxis.“
Das Papier aus dem WD hat allerdings einen Pferdefuß parat hinsichtlich der Möglichkeit einer Beobachtung der Bundesregierung durch den Verfassungsschutz: So wird noch einmal abschließend darauf hingewiesen, dass auch eine Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes durch die Bundesregierung besteht.
„Soll nun jedoch eine Bundesregierung ihrerseits durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werden, wirft dies die Frage auf, ob bei einer solchen Verkehrung des Kontrollzusammenhangs die Kontrolle des Bundesamtes durch die Bundesregierung überhaupt noch wirken kann.“
Die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste endet mit einer Art Empfehlung für die Bundesregierung: Wenn ihr nicht beobachtet werden wollt, dann schafft entsprechende Gesetze, die Euch dagegen schützen. Oder in den Worten der WD:
„Dieser Umstand könnte zum Anlass genommen werden, generell den Ausschluss der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder von der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. ein besonderes Gebot zur Zurückhaltung bei einer entsprechenden Beobachtung zu fordern.“
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