Auf der Suche nach der „klassischen CDU“

Werteunion, CDU und AfD – die Mutter aller Missverständnisse

von Alexander Wallasch (Kommentare: 13)

Hans-Georg Maaßen hat in beinahe jedem Gespräch die Politik der Unionsparteien kritisiert.© Quelle: Youtube / Tagesthemen, Screenhot

Für Journalisten war der Februar die perfekte Fundgrube. Fraglos standen Hans-Georg Maaßen und die Neugründung der Werteunion im Fokus des Interesses. Eine sehr persönliche Analyse.

Und wer Alexander-Wallasch.de regelmäßig liest, der weiß, dass Dr. Maaßen seit Juni 2022 Woche für Woche eine aktuelle Zustandsbeschreibung der Republik abliefert. Die Resonanz der Leser auf die Gelegenheit, alle sieben Tage zu erfahren, was ein kluger Analyst zur gegenwärtigen politischen Situation zu sagen hat, ist immer besonders groß.

Diese Gespräche gehören zu den meistgelesenen Veröffentlichungen auf Alexander-Wallasch.de. In den letzten Monaten konnten unsere Leser quasi live mitverfolgen, wie bei Hans-Georg Maaßen die Entscheidung heranreifte, den Schritt zu wagen und eine eigene Partei aufzubauen. Sollte es auf den vorhandenen Strukturen der Werteunion passieren? Das war die finale Entscheidung und die Werteunion entschloss sich in Erfurt dazu, ihren Vorsitzenden damit zu beauftragen, eine Partei zu gründen, was dann auf einer Rheinfahrt bei Bonn auch in die Tat umgesetzt wurde.

Aber damit begannen ein paar relevante Unstimmigkeiten: Insbesondere wurde Kritik geübt an der Vorgehensweise von Dr. Maaßen und seinem Team, an der Auswahl der etwa 40 Personen, die letztlich das Programm beschlossen. Diese Kritik ist legitim, wie bei allen Entscheidungen, die eine Minderheit für eine Mehrheit fällt.

Auch einige Leser von Alexander-Wallasch.de hat dabei jene Entscheidung von Hans-Georg Maaßen irritiert, den Unternehmer Markus Krall nicht in sein Team zu holen. Mich hat daran zunächst nur überrascht, dass überhaupt jemand der Auffassung sein konnte, dass Maassen und Krall ein Team seien, die gemeinsam eine Partei aufmachen wollten. Denn die Chronologie der Ereignisse gibt das nicht her.

Markus Krall hat diesen Eindruck zwar bewusst über Wochen genährt, Hans-Georg Maaßen hatte aber schon Wochen zuvor klargestellt, dass er Krall in seinem Team nicht favorisiert. Daraufhin hatte Krall begonnen, seine X-Follower gegen Maaßen und die Werteunion zu mobilisieren – mit einem gewissen Erfolg.

Warum macht Krall das? Er hatte für sich beschlossen, dass er die Wirtschaftspolitik der Werteunion alleinig bestimmt. Das Wirtschaftsprogramm hatte dann allerdings großteils ein Wirtschaftsprofessor geschrieben, der ebenfalls Mitglied der Werteunion ist. Krall war zudem empört darüber, nicht von Maaßen zu jenem Kreis der 40 Personen gezählt zu werden, mit denen auf einer Rheinfahrt das Programm beschlossen und die Partei gegründet wurde.

Es folgte der Austritt von Krall und Otte aus dem Verein Werteunion – beinahe auf die Minute zeitgleich veröffentlicht via X. Aber was hatte Otte damit zu tun?

Interessant war hier für mich, dass Otte zu keinem Zeitpunkt eingeplant war oder damit gerechnet haben konnte, eine Rolle in der Partei Werteunion zu spielen. Das Tischtuch zwischen ihm und Maaßen war längst zerschnitten, als Maaßen seine Mitgliedschaft in der Werteunion ruhen ließ, nachdem Max Otte als damaliger Vorsitzender als Präsidentschaftskandidat der AfD kandidierte.

Markus Krall hatte im Vorfeld der Gründung der Werteunion über Wochen von der Gründung einer eigenen Partei gesprochen und immer auch Hans-Georg Maaßen ins Spiel gebracht und seinen X-Followern damit suggeriert, Maaßen wolle etwas mit ihm zusammen machen. Zur Hilfe kamen Krall hier Begegnungen der beiden und eine ähnliche Auffassung über bestimmte Dinge.

Aber außer von Krall selbst gibt es von Maaßen im Vorfeld der Gründung der Partei Werteunion praktisch keine explizite Zustimmung, dass er mit Krall eine Partei plant.

Markus Krall selbst soll ja ursprünglich eine eigene Partei geplant haben, die eben nicht auf den Strukturen der Werteunion aufbaut. Dafür wollte er Maaßen gewinnen, der sich dann aber für die Werteunion entschied. Krall nahm in dem Moment Abstand von einer Krallpartei und entwickelte besagte Idee eines Duos Maaßen/Krall in der Werteunion und verbreitete diese Idee vielfach über X mit dem von ihm erhofften Ergebnis, dass viele Leute der Auffassung waren, dass sei auch der Wunsch von Maaßen.

Ja, rückblickend kann man Hans-Georg Maaßen sicher vorwerfen, dass er Markus Krall nicht rechtzeitig klaren Wein eingeschenkt habe. Aber auch Maaßen hat das Recht, über Dinge nachzudenken und sich Klarheit zu verschaffen, was er selbst gern möchte. Diese Zeit hat er sich in der Causa Krall genommen. Möglicherweise hätte Maaßen frühzeitiger reagieren müssen, als er sah, dass Krall schon öffentlich für ein Duo warb, von dem Maaßen noch gar nicht wusste, ob er ihm angehören möchte.

Ebenfalls schlecht beleuchtet ist der Gründungsakt der Werteunion auf der Rheinfahrt mit 40 Personen samt der Frage, inwieweit sich die Mitglieder und Landesverbände der Werteunion hier zu wenig abgeholt und gewürdigt sahen und wie weit Hans-Georg Maaßen hier das Heft zu fest in den Händen gehalten hatte.

Kommen wir zur Rolle von Max Otte. Die ist deutlich nebulöser. Otte kann sich gar nicht von der Partei Werteunion lossagen, weil er dort – und insbesondere neben Hans-Georg Maaßen – keine Zukunft gehabt hätte. Und er wusste das. Hier war die Motivation von Otte eine andere. Der nämlich erschien erst auf der Bildfläche, als Krall endlich klar wurde, dass seine Möglichkeiten in einer Partei Werteunion deutlich eingeschränkter sind als von ihm ursprünglich erhofft.

Otte warf von da an alles in die Waagschale, den Feldzug des sich verstoßen fühlenden Krall gegen Maaßen zu befeuern. Hierzu muss man wissen, dass Otte mittlerweile eine größere Zahl der so genannten Neuen Medien unterstützt. Mitunter habe ich den Eindruck, ich bin der Einzige, der keine Mittel von Otte annimmt bzw. bekommt. Und Alice Weidel bedankte sich unlängst via X persönlich für 10.000 Euro, die Otte der AfD gespendet hatte und nicht etwa dem Verein Werteunion. Ich kenne weder Otte noch Krall persönlich. Mit Krall habe ich ein Interview geführt und einige gute Telefonate. Ich würde gar behaupten, dass Markus Krall ein charmanter und angenehmer Zeitgenosse ist.

Kommen wir zu meinem Verhältnis zu Maaßen und der Werteunion. Ich bin und werde niemals Mitglied irgendeiner Partei sein. Das ist für mich mit meiner Tätigkeit als Journalist nicht vereinbar. Was nicht automatisch bedeutet, dass ich die Inhalte der Werteunion nicht teilweise richtig fände. Aber ich finde auch Inhalte der AfD tragfähig. Ebenso, wie mir bestimmte Inhalte der Wagenknecht-Partei interessant erscheinen.

Meine Hauptaufgabe sehe ich darin, einen Journalismus zu pflegen, den viele bei den Öffentlich-Rechtlichen und den ehemaligen Leitmedien mittlerweile vermissen. Natürlich ist schon das ein Politikum. Und was Hans-Georg Maaßen angeht, teile ich sehr viele seiner politischen Einschätzungen, aber eben auch nicht alle.

Nur ein Beispiel: Die zu einem Teil offenbar auch katholisch geprägte Werteunion – hier etwa beim zunächst als Sprecher der Werteunion vorgestellten Martin Lohmann verankert – sehe ich mit Skepsis. Hier ist die Werteunion übrigens wieder näher beim katholisch geprägen Schnellroda und bei Maximilian Krah, dem EU-Spitzenkandidat der AfD – Ellen Kositza etwa betet jeden Abend für die Christianisierung des Ostens, wie sie einmal vollkommen ironiefrei erklärt hatte.

Ich könnte auch etwas über weitere Mitglieder der Partei Werteunion sagen und was ich persönlich in ihnen sehe, aber das ist nicht meine Aufgabe als Journalist.

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Und natürlich haben mein Team und ich bei Gründung der Werteunion auch darüber nachgedacht, inwieweit es jetzt noch legitim ist, die Gesprächsreihe mit Hans-Georg Maaßen fortzusetzen. Wir haben kein einziges Argument gefunden, das dagegen spräche und freuen uns darüber, dass auch Dr. Maaßen diese Reihe weiterführen mag. Warum auch nicht? Alles liegt ja offen auf dem Tisch. Und diese Gespräche gehören für unsere Leser weiterhin mit zum Interessantesten, was Alexander-Wallasch.de anbietet.

Wenn Sie mir eine persönliche Bemerkung bzw. Einschätzung zur Aufregung der letzten Tage gestatten: Mir kam es so vor, dass oft vergessen wurde, dass die AfD in der Werteunion natürlicherweise auch einen Mitbewerber sieht und diesen Mitbewerber entsprechend bekämpft.

Insbesondere Köpfe wie Maximilian Krah hatten schon früh zum Angriff auf Maaßen geblasen. Das gleiche gilt für den gesamten Komplex rund um den Think Tank „Schnellroda“ und ihren Spiritus Rector Götz Kubitschek, deren Einfluss auf die AfD immer noch zu sehr unterschätzt wird.

Diese Kreise haben kein Interesse daran, dass es eine Annäherung oder auch nur einen konstruktiven Austausch der AfD und der Werteunion gibt, weil diese mutmaßlich nur zustände käme auf Basis einer wie auch immer gearteten Distanzbewegung der AfD in Richtung Schnellroda, Krah usw. Das musste zuletzt auch Alice Weidel im Gespräch mit Marine Le Pen erfahren, als auch hier Maximilian Krah auf besondere Weise negativ thematisiert wurde.

Hier sind offenbar weitere Teile jener Energie verortet, die über das soziale Medium X gegen Maaßen und die Werteunion aufgebracht wurde. Ich glaube, es ist ein großes Missverständnis, anzunehmen, dass diejenigen, die sich jetzt in einigen Kommentaren auf X so vehement negativ gegen Maaßen und die Werteunion stellen, in der Hauptsache enttäuschte Werteunion-Anhänger seien.

Hier kommen potenzielle AfD-Anhänger mit Followern von Krall und Otte zusammen, die entsprechend massiv Stimmung gegen die Werteunion gemacht haben.

Das wiederum führt direkt hin zu der Überlegung, warum Hans-Georg Maaßen mehrfach betont hat, dass die Werteunion nicht „AfD-Light“ sei, sondern „die klassische CDU“. Sogar von der CDU als „Premiumpartner“ war die Rede, was für Aufruhr in den genannten Kreisen sorgte.

Dazu eine einfache Überlegung: Wer eine Partei erfolgreich machen will, braucht zwingend Wahlerfolge, also Wählerstimmen. Hans-Georg Maaßen hat in beinahe jedem veröffentlichten Gespräch mit Alexander-Wallasch.de die Politik der Unionsparteien unter Merz und Söder kritisiert. So, wie Maaßen auch die Politik der Ampel und die von Angela Merkel kritisiert hat. Wichtig hier auch: Die Politik der AfD hat Hans-Georg Maaßen viel weniger oft kritisiert.

Und da sind wir bei der Mutter der Missverständnisse angekommen. Dazu gehört ein Bündel wirklich spannender Fragen: Was ist die „klassische CDU“, wie viel davon steckt in der gegenwärtigen CDU und wie viel davon in den Positionen von Maaßen und der Werteunion – und noch viel spannender: Wie viel davon steckt in der AfD?

Wer auf die Idee käme, dass die AfD heute Positionen vertritt, welche CDU-nah wären (etwa in der Migrationspolitik und Familienpolitik), bezogen auf eine CDU, wie sie Hans-Georg Maaßen vorschwebt, der steht kurz davor, diesen Knoten zu zerschlagen, der sich gerade um die Neugründung der Werteunion gezogen hat. Und dann erscheint alles ganz einfach:

Viele – hier vor allem auch jüngere Deutsche – haben gar keine Idee mehr davon, was Maaßen und die Werteunion eigentlich meinen. Sie kennen diese CDU vor Merkel schlicht nicht, also haben sie – jedenfalls aus dem eigenen Erleben – keine Vorstellung davon, wo die Werteunion hin will. Sie müssen sich eine „klassische CDU“ vorstellen, die Maaßen selbst noch real – quasi am eigenen Leib – erfahren und erlebt hat.

Wenn nun aber auch die AfD eine Reihe von Positionen der „klassischen CDU“ vertritt, wird es zukünftig wichtig sein, herauszuarbeiten, welche das sein könnten. Hilfreich wäre hier, kurz zu benennen, was die AfD unterscheiden könnte von einer „klassischen CDU“.

Die AfD ist EU- und Euro-kritisch, dass ist die „klassische CDU“ nicht. Der AfD schwebt auf europäischer Ebene eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Art vor, wie sie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) einmal praktiziert hat. Und die AfD ist grundsätzlich misstrauisch gegenüber Berufspolitikern und dem Parteienstaat („Parteien machen sich den Staat zur Beute“).

Die AfD unterscheidet sich ebenfalls mit ihrem Bekenntnis zu mehr direkter Demokratie von der „klassischen CDU“. Eine Position, welche auch die Grünen in ihren Gründungsjahren vehement vertreten haben, möglicherweise eine Position, die insbesondere neuen Parteien und solchen Parteien zu eigen ist, die noch nicht mitregieren. Interessant am Rande ist übrigens, dass die AfD nach wie vor ein Bekenntnis zur Nato in ihrem Parteiprogramm verankert hat.

Und damit wären wir wieder bei der Werteunion und ihren Positionen. Wenn die Werteunion, wenn Hans-Georg Maaßen sagt, die Werteunion sei „klassische CDU“, dann könnte das die AfD ebenfalls ein Stück weit für sich behaupten. Aber für beide gilt: Viele Wähler – und hier insbesondere die jüngeren – können mit diesem Begriff nichts anfangen, denn er zielt vor allem darauf, aus dem eigenen Erleben nachvollzogen zu werden. Und das kann allenfalls noch, wer vor 1970 geboren wurde.

Zusammenfassung: Der Streit um die Werteunion basiert hauptsächlich darauf, dass bestimmte, von der Mitarbeit an der Werteunion ausgeschlossene Kreise um Markus Krall und Max Otte die Falschmeldung befeuern, die Werteunion wolle zurück zu einer Art Merkel-CDU.

Das zu glauben, fordert insbesondere Krall seine X-Follower explizit auf. Krall bedient zudem den Kreis jener, die sich für besonders libertär halten, die demnach für eine Politik an der Basis grundsätzlich naturgemäß eingeschränkt zur Verfügung stehen. Und dieser Streit basiert zu großen Teilen ebenfalls auf einer Abwehrhaltung gegen die Werteunion aus den von Maximilian Krah vertretenen Kreisen, die eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit der Werteunion mit der AfD fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

Die Werteunion wäre jetzt tatsächlich gut beraten, schnell verständlich zu machen, was sie eigentlich mit der Position der „klassischen CDU“ meint und vor allem, inwieweit sie sich damit von der gegenwärtigen CDU abgrenzt – und auch von der AfD!

Das ist der Aufgabenzettel für Hans-Georg Maaßen. Und wer heute via Soziale Medien von einem Ende der Werteunion schreibt, von dem darf man ziemlich sicher sein, dass er entweder ein AfD-Anhänger ist oder eben zu jenem Kreis gehört, welchen Markus Krall und Max Otte in Stellung gebracht hat.

Eine Kritik aus dem Krall-Universum kann die Werteunion getrost an sich abperlen lassen. Mit der AfD allerdings muss sie sich auseinandersetzen. Denn die AfD ist inhaltlich am nächsten dran an der Werteunion. Das weiß auch Hans-Georg Maaßen. Das ist dann auch das Fazit dieser Überlegungen hier: AfD und Werteunion sind näher dran an der „klassischen CDU“ als die Merkel- oder Merz-CDU.

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