Der Bericht rund um die Bewerbungsbemühungen einer jungen Frau hat viele von Ihnen bewegt.
Was ich aus der großen Zahl an Kommentaren und E-Mails herauslas, war ein großes Mitgefühl, das man 2023 auch so zusammenfassen könnte: Wir passen aufeinander auf. Was mich hier wütend gemacht hat, ist auch die Wut vieler Leser, die in ihrer Nachbarschaft ähnliches erleben.
Stellvertretend möchte ich die E-Mail einer Leserin herausgreifen, die Betroffenen helfen möchte, ihre Ohnmacht zu überwinden. Im Schreiben werden eine ganze Reihe praktischer Ansätze skizziert, die jungen Menschen und ihren Eltern Mut machen und dazu animieren wollen, nicht aufzugeben.
Eine engagierte Leserin schrieb an alexander-wallasch.de:
"Gerne möchte ich meine Erfahrungen aus dem Bereich der Ausbildungsberatung und -vermittlung teilen und ein paar Tipps weitergeben. Junge Menschen auf Ausbildungsplatzsuche, wie die Nachbarstochter, die durchs Raster rutschen, sind mir öfters als Arbeitsvermittlerin für Ausbildungsplatzsucher begegnet.
Nach zusätzlichen, unnötigen Ehrenrunden in weiterführenden Schulen – meist zur Erlangung besserer schulischer Leistungen, zur Überbrückung oder ähnlichem – landen die Jugendlichen nicht selten desillusioniert, manchmal auch motiviert, aber mit unspezifischem Berufswunsch in der Ausbildungsberatung und in der Berufsvorbereitung (BvB) bei einem Träger.
Lehrer kümmern sich kaum um Bewerbung und Jobsuche. Wenn ein Schüler in der Abschlussklasse keine Ausbildung hat, wird er zur weiterführenden (Berufsfach-) Schule zur „Überbrückung“ geschickt, wo wiederum eine hohe Quote an Abbruch, schlechten Noten etc. bittere Realität ist. Manche Schulen bieten Coaching und Bewerbungstraining an, durchgeführt von externen Trägern, die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter finanziert werden. Falls auch das nicht fruchtet, gibt es die Möglichkeit, bis zu einem Jahr an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme in Vollzeit teilzunehmen.
Mit Unterstützung von Coaches, Sozialpädagogen, Dozenten sowie Ausbildern werden berufsbezogene, praktische und theoretische Kenntnisse vermittelt, ebenso wie die Möglichkeit, Berufe sowie Betriebe in Praktika kennenzulernen. Neben Sozial- und Bewerbungstraining finden Coachinggespräche zu Berufswünschen und umsetzbare Möglichkeiten der Ausbildungswünsche statt, inklusive Strategien zur Kontaktanbahnung zu Betrieben. Vermittlung von Praktika und Betreuung durch Betriebsbesuche werden durch engangierte Coaches umgesetzt.
Wer hier dennoch durchs Raster fällt, keine Arbeit oder Ausbildung gefunden hat, oder wegen Abbruch der Maßnahme aus diversen Gründen, wird / kann weiterhin durch anderweitige berufsbezogene Kurse betreut werden. Allerdings sollen Vermittlungen, Kurse usw. ausgerechnet in den genannten Bereichen ab 2024 durch Budget-Kürzungen bei den Jobcentern wegfallen
https://www.gffb.de/massive-budgetkuerzungen-der-jobcenter/
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/jobcenter-bundeshaushalt-kuerzungen-bremen-102.html
Hier noch ein paar Tipps für Ausbildungsplatzsucher: Die Nachbarstochter scheint sich aufgrund ihrer Bewerbung für den Verkauf zu interessieren. Verkäuferin und Kauffrau im Einzelhandel ist nach wie vor ein Lieblingsberuf. Wenn man die Perspektive auf die Vielzahl an Möglichkeiten anderer Berufe lenkt, gibt es Branchen, die händeringend Azubis suchen und ähnliche Tätigkeiten anbieten. Bei der Frage, warum im Verkauf, kommt oft: „Ich möchte Kunden beraten“. An Warenverräumung und Kassiertätigkeit wird weniger gedacht.
Folgende Tipps hab ich für die junge Dame: Es gibt etliche Berufe mit Kundenkontakt (interessant für Berufswunsch „Verkauf“) , wie z. B. Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Goldschmied, Pflanzenfachberater, Floristin, etc. die auch (dringend) Azubis suchen.
Wenn es um Berufe mit Kundenkontakt geht, kann man die Suchmöglichkeit auf viele Branchen erweitern. So z.B. Physiotherapeut, Pflege, Bibliothekarin, Handwerksberufe mit Kundenkontakt etc. Das Berufsinformationszentrum oder die spezifischen Seiten für Ausbildung der Agentur für Arbeit bieten einen Überblick über sämtliche Berufe an. Dazu findet man bei den Kammern ebenfalls ausreichend Infomaterial zu den Berufen und Ausbildungsbetriebe wie die Handwerkerrolle der Handwerkskammer, Innungen und Kreishandwerkerschaften.
Zusätzlich empfiehlt es sich, auch Social Media zu nutzen und sich ein paar Videos etc. über den Wunschberuf anzuschauen. Sollten diese oder andere Berufe in Frage kommen, ist es sinnvoll, die junge Frau vorbereitet mit gezielten, tiefergehenden allgemeinen Fragen zum Ausbildungsberuf zum Ausbildungsort zu schicken. Bewerbungsunterlagen mit schlechten Zeugnissen müssen hier noch nicht mitgebracht werden. So ein Gespräch zeigt Interesse, macht neugierig und ein erster Kontakt und Eindruck kommt zustande. Es geht ja in diesem ersten Gespräch nur um das Sammeln von Informationen und darum, einen Einblick zu gewinnen.
In einem zweiten weiteren Gespräch und bei gutem Verlauf des ersten Kontaktes, kann es ratsam sein, zu erfragen, ob ein kurzes Schnupperpaktikum von ein paar Tagen möglich ist, um den Beruf in der Praxis kennenzulernen. Wenn es unbedingt der Einzelhandel sein soll, könnte sich die junge Frau zunächst auch zur Überbrückung einen Minijob suchen und sich darüber ggf. für eine Ausbildung qualifizieren.
Es empfiehlt sich auch, ältere Zeugnisse von vor Coronazeit mit in die Bewerbung hineinzulegen, wenn diese ein positiveres Bild vermitteln. Der Eine oder Andere ist wegen Schulschließungen ins Schleudern gekommen incl. schlechter Noten. Auch Kammern, wie Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Landwirtschaftskammer bieten persönliche Ausbildungsvermittlung und Beratung an. Viel Erfolg!“
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Kommentar von Bernd Neumann
Ach ja, durch das Raster fallen. Ich erzähle mal eine andere Geschichte, und warum auf diese Dinge eine andere Sicht habe.
Anfang 2004 wurde ich arbeitslos. Nach fünf Jahren im Job. Die dot.com Blase war zerplatzt, mein Arbeitgeber, ein Investmenthaus, wurde erst von einem anderen geschluckt und dann alle aus der IT rausgeworfen - sie hatten ja schon eine. Es waren auch die Jahre, wo gerade in der IT das Outsourcing groß in Mode kam und echte interen IT-Jobs rar zu werden begannen, was de facto einer allgemeinen Gehaltssenkung entsprach. Ich bekam eine Abfindung, bzw. wurde freigestellt und man zahlte mein Gehalt neun Monate weiter. „Bis dahin bekommen Sie bestimmt was neues" sagte mir der Betriebsrat, der aber bloß die eigenen Leute sichern wollte. Neun Monate waren schnell rum, das glaubt man nicht. Ich habe jede Bewerbung in eine Excel-Datei eingetragen, so behielt ich den Überblick. Ich habe die Datei noch heute. 324 (!) Bewerbungen, nur Absagen. Und das waren keine elektronischen wie heute oder mal das Profil auf LinkedIn upgedated und der Headhunter ruft an. Umschlag, Mappe, Foto, Anschreiben. Immer wieder. Alles noch mit 64K-Internet. Ende 2005, zwei Monate vor Hartz IV, dann der erste Job, bei der Zeitarbeit, für 12 € die Stunde. So ging es weiter, Zeitarbeit, sechs Monate und Übernahme... das ich nicht lache. Immer wieder auch ein paar Monate arbeitslos. Im großen Boom der 2010er fiel dann auch noch mal was für mich ein guter Job ab, aber - die langen Jahre davor habe ich nie wieder wettmachen können. Perdu die Eigentumswohnung oder Rente auf Teneriffa, wie mein verstorbenen Vater, ein hoher Beamter, dessen Pension netto höher war als mein Bruttogehalt.
Nehmen wir meine Frau. 1998 den Doktor der Chemie gemacht. Sehr guter Abschluss, sechs Jahre Studium und drei Jahre Promotion, was bekam sie dafür? In der Chemie ist es üblich, daß die Profs an der Uni einen bei den großen Chemiefirmen empfehlen, also die Top-Talente oder die, die ihre Buddys sind. Meine Frau hatte Pech: Ihr Prof baute kurz vor Ende ihrer Doktorarbeit das Labor ab, kassierte noch Drittmittel ein und setzte sich mit einer Hand voll Leuten an eine Universität an der US-Ostküste ab. Niemand da, der sie empfahl, bei BASF, Bayer, Roche und wie sie alle heißen. Dann eine „Weiterbildung" vom Arbeitsamt, nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit, und dann ein Job bei einer Firma im Rheinland, die aber ein halbes Jahr später pleite ging. Wieder arbeitslos - eine Chemikerin mit summa cum laude! Aber so war das damals. Frau. Anfang dreißeig? Äh... wir melden uns wieder. Am Ende hatte sie Glück, ein Jahr später konnte sie bei einer großen Software-Firma quereinsteigen, da ist sie heute noch. Aber sie war 35, als es richtig losging, und ein Resultat war, daß sie kinderlos blieb (was sie heute bereut, wo es zu spät ist).
Warum ich das hier schreibe?
Ganz einfach: Typische Boomer-Schicksale! Wer hat sich um uns damals gekümmert? Habt Ihr in Erinnerung, wie das mit der Sozialhilfe vor Hartz IV lief, so mit Auto auf Geschwister anmelden und so?
ich erlebe die Generation Snowflake als selbstmitleidig, verwöhnt, schnell beleidigt und schnell krank. Die Welt erklären können zu glauben, aber einen Windsor-Knoten oder die Kochzeit für ein weiches Ei müssen sie googlen.
Kommt mir nicht mir denen. WENN sie wählen, wählen sie Grüne, Volt oder FDP. Auch mit 20 weiß man schon, was man tut! Noch eine Geschichte? Mein Vater war 20, als er als Infanterist bei der Wehrmacht im eisigen Schlamm in der Ukraine lag und auf T-34 schoß. Was hätte der wohl gesagt?
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Kommentar von Alfonso Kerner
"Viele Leser reagierten mit Empörung und Trauer auf einen Artikel über eine junge Frau aus der Nachbarschaft"
Das erinnert mich an unsere Politiker.
Viel Geschwätz aber niemand hilft das Problem zu lösen.
Wo ist die Person, die dieser jungen Frau einen Ausbildungsplatz anbietet?
Nur das hilft diesem Mädel weiter.
Mitgefühl, Empörung, Trauer, sonst nichts?