Die Heringspolizei zur See - Petri Heil

Unterwegs mit dem Heringsversteher

von Alexander Wallasch (Kommentare: 5)

Der erste Ruck, der erste Zug und dann will es nicht mehr aufhören.© Quelle: privat

Was wir gerade beim Heringsangeln erlebt haben, das mag einige an das Deutschland von früher erinnern. Aber wir hatten im Moment des Erlebens keinerlei nostalgische Gefühle.

Was wir jetzt erlebt haben, empfanden wir als exemplarisch für eine grassierende Unart, welche in der deutschen Bürokratie und der Exekutive Einzug gehalten hat, weil die Ordnungsmacht ihre multiple Kapitulation an den Brennpunkten im Land damit kaschieren möchte, dass sie am Einheimischen mit Gratismut konsequentes Durchgreifen trainiert, wie es früher einmal flächendeckend gewesen sein mag.

Wir hatten zu viert ein kleines Boot samt Bootsführer gebucht, um endlich einmal während einer Heringssaison zu jenen glücklichen Anglern zu gehören, die ihren Eimer voll bekommen. In den Jahren und Jahrzehnten zuvor reichte es immer nur für eine magere Ausbeute von ein paar Heringen, die nach Stunden des vergeblichen Angelns schon ganz matschig aus dem Eimer schauten.

Dabei muss man wissen, dass Heringsangeln auch bei vollem Eimer ein Minusgeschäft ist. Denn wer von außerhalb kommt und zudem keinen Angelschein besitzt, muss eine Gastkarte und eine Sondererlaubnis von 25 Euro pro Person bezahlen.

Das Boot kostet samt Guide noch zusätzlich, die Angeln müssen vorbereitet und das Angelzeugs teilweise erneuert werden, sodass der Hering aus der Dose rechnerisch preiswerter wäre. Aber den bekommt man jeden Tag, darum geht es nicht bei der Heringsangelei.

Ich greife vorweg: Wir sitzen auf dem ablegenden Boot. Der begleitende Besitzer verfügt über diesen typisch nordischen Slang und eine raue herzliche Art, er ist gefühlt 2,10 und wiegt etwa 120 Kilo. Aber was viel wichtiger ist, er hat sich uns als echter Heringsaufspürer vorgestellt, kaum hundert Meter von der Anlegestelle entfernt erzählt er uns von Fangerfolgen, die noch jedes Jägerlatein in den Schatten stellen.

Immerfort hatte er sein Echolot im Auge und kommentiert jeden vorbeiziehenden Heringsschwarm, als könne er durchs Wasser schauen, was ja dank seiner Technik irgendwie auch stimmt. Aber kurioserweise: Immer dann, wenn die Ansage kommt, dass wir die Angeln auswerfen sollen, beißt kein einziger dünner Hering.

Die erste halbe Stunde ist rum. Alle schauen schon etwas belämmert. Aber dann erinnert sich unser Heringsversteher an diese eine legendäre Stelle, wo die Heringe stehen sollen, wenn die Strömung weniger stark sei. Als wir angekommen sind, wirft er seinen Anker und wir legen los. Der erste Ruck, der erste Zug und dann will es nicht mehr aufhören. Einmal hängt jeder einzelne der fünf Haken voll, wir sind tatsächlich im Heringsanglerparadies angekommen.

Die Freude währt aber nicht lange. Denn es nähert sich eines der beiden orange leuchtenden Polizeischlauchboote, die wir schon beim Rausfahren beobachtet hatten. Tatsächlich macht das mit drei Uniformierten besetzte Polizeiboot am Angelboot fest und kontrolliert die Sondergenehmigungen. Aber kein Problem, wir haben das Geld nicht gescheut, die passenden Genehmigungen samt Stempel und Kleber eingeholt, alles hat seine Ordnung.

Ärgerlich nur, dass wir mitten in diesem Heringshotspot kontrolliert werden. Die Beamten lassen sich deutlich mehr Zeit, als wir ihnen zugestehen wollen, zu sehr hat uns schon das Jagdfieber gepackt. Als wir schon denken, die Sache ist endlich erledigt, wird unser Bootsführer nach seinen Papieren gefragt und ob er einverstanden wäre, 35 Euro bar zu bezahlen oder ob er es per Banküberweisung erledigen will.

Während wir uns noch wundern, zeigt die Schlauchbootpolizei ans Ufer hinüber und hin zu einem nigelnagelneuen Schild mit einem rot durchkreuzten Anker. Das sei doch gestern noch gar nicht dagewesen, protestiert schwach unser Bootsbesitzer. Ja, grinst der Polizist, das habe man versetzt, damit man es besser sieht, das sei bisher verdeckt gewesen. Eine Szene wie aus einem Louis-de-Funès-Film. Unser Mann wundert sich auch, zahlt aber in bar.

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Aber dann geht es erst richtig los. Immer noch halten zwei der drei Polizisten unser Boot fest, während der ältere Dritte das Bargeld über irgendein System in seinem Handy verbuchen will, was aber einfach nicht klappen mag. Nach gefühlt einer halben Stunde hat er doch noch einen Zugang gefunden und kann seine 35-Euro-Strafe endlich amtlich dokumentieren.

Aber wer nun glaubt, die sichernden Beamten hätten derweil nur Däumchen gedreht, der kennt diesen Typus deutscher Beamter noch nicht. Einer der beiden scheint gerade eine Tierrettungsschulung bekommen zu haben und beginnt den bisher sehr dürftigen Fang zu begutachten, nur um festzustellen, dass wir das im Eimer liegende Heringsdutzend zwar ordnungsgemäß geknüppelt, aber nicht mit dem Messer abgestochen hätten.

Er weiß es, wir wissen es, alle Heringsangler wissen es hier: Niemand, der Heringe angelt, geht so vor. Dafür muss es viel zu schnell gehen, wenn das Boot erst einmal ideal über dem Schwarm steht. Von der Berufsfischerei ganz zu schweigen, die selbstredend keinen einzigen dieser betäubenden Kopfstöße vollzieht, geschweige denn den Kiemenschnitt oder den Herzstich setzt. Sollte das obligatorisch werden, wäre es das Ende der Heringsfischerei.

Während dieser quälend langen Prozedur mitten auf dem Wasser schaue ich auf meine Mitfahrer und verbeiße mir mühsam jede Bemerkung in Richtung Polizei, es soll ja nicht noch länger dauern.

Aber als es endlich erledigt ist und der uralte Diesel von 1960 in diesem noch älteren hölzernen Boot sein gemütliches Tuckern fortsetzt, frage ich mich dann doch, wie sich diese Beamten selbst wohl dabei gefühlt haben müssen.

Wie kann man reinen Herzens so tun, als wäre die Welt noch in allerbester Ordnung wie in einer von einem Sechsjährigen aufgebauten Playmobilwelt mit Polizisten, Anglern und leuchtend orangenem Polizeiboot, während die Kollegen in der Großstadt die echten Probleme schon lange nicht mehr in den Griff bekommen?

Die Sicherheitsarchitektur bricht überall in Deutschland zusammen. Aber wer eine paar Heringe fängt, der wird auf dem Wasser von drei Polizisten gestellt. Beamte, die flink zur Heringssaison ein paar neue Ankerschilder am Ufer aufgestellt haben und wider besseres Wissen erklären, man mache sich strafbar, wenn man den einzelnen Hering nicht umgehend sticht, wie es den Beamten zur See in einem der vielen staatlich beauftragten und finanzierten Lehrgängen einer selbsternannten Umweltpolizei vorgeführt wurde. Petri Heil.

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