In Plastikfolie an Laternenmasten getaped und gequält

The Ukrainian Wrap: Die Renaissance des Schandpfahls

von Alexander Wallasch (Kommentare: 2)

Die Solidarität des Westens für die von Russland angegriffene Ukraine ist beispiellos. Spendenaufkommen und Solidaritätsbekundungen sind überwältigend, die Verurteilung der Russen durch fast alle Mitglieder der Weltgemeinschaft ist beeindruckend geschlossen.

Kritik an Politik oder Kriegsführung der Ukraine hat es jetzt besonders schwer. Wer beispielsweise in dieser Situation das rechtsextreme ukrainische Asow-Regiment thematisiert, der begibt sich auf dünnes Eis, der muss im Zweifel damit rechnen, als Netzbeschmutzer der guten Sache zu gelten.

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Noch einmal auf besondere Weise auf die Probe gestellt werden könnte das jetzt von einem grausigen Phänomen, dass von einer wachsenden Zahl von Handyvideos aus der Ukraine dokumentiert wird: Zu sehen sind hier Menschen, die von anderen Menschen mit mehreren Schichten von Plastikfolie eng an Bäume, Laternenpfähle oder Verkehrsschilder gebunden werden, großteils mit heruntergelassenen Hosen, vereinzelt mit in den Mund gestopften Lappen. Aber wie das Unaussprechliche benennen? Der ukrainische Wickel? the Ukrainian Wrap?

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Quälend lange Minuten ist zu sehen, wie foliengewickelte Männer, Frauen und teilweise sogar Jugendliche gequält und gefoltert, getreten, beschimpft und mit Stöcken und Peitschen malträtiert werden. Teilweise von militärischen, vielfach von privaten Personen. Wer diese Videos schockiert in den sozialen Netzwerken teilt und auf Antworten oder Erklärungen hofft, der bekommt nicht selten zu hören, die Gequälten wären Plünderer, die noch Glück gehabt hätten, nicht gleich standrechtlich erschossen worden zu sein.

Aber können solche Beschwichtigungen den Betrachter beruhigen? Der Firnis der Zivilisation scheint hier ganz besonders dünn, die Barbarei ist ausgebrochen, weitere Videos tauchen auf. Oder ist das doch alles russische Propaganda? Besonders irritierend ist die Art und Weise der Fesselung mittels Plastikfolien, die Technik der Festsetzung ähnelt sich, als gäbe es für diese Vorgehensweise eine Art Blaupause des Schreckens.

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Hierzulande werden sofort Bilder wach, die man besser in der dunkelsten Stunde der eigenen Geschichte belassen hätte: verstörende Schwarzweiß-Aufnahmen der Reichskristallnacht 1938, als Juden aus ihren Wohnungen und Geschäften gezerrt, gedemütigt, beleidigt, gequält und mehrere hundert von ihnen erschlagen wurden. Oder auch die Demütigungen und Quälereien an den Wiener Juden, die unter dem Johlen der Massen das Straßenpflaster mit Bürsten reinigen mussten.

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Die Geschundenen waren in der Geschichte aber nicht nur jene, die durch ein vermeintliches Sein verfolgt wurden, auch durch ihr Tun wurden Menschen gehasst, verfolgt, gequält und umgebracht. Das gilt für Deserteure ebenso wie für Frauen, die mit dem Feind Verbindungen eingegangen waren und dafür öffentlich geschoren, gedemütigt, gezeichnet und gequält wurden. Auch hunderttausende Deutsche Vertriebene mussten 1945 sprichwörtlich durch die Hölle gehen.

Aber darf man das überhaupt vergleichen? Es ist wohl unvermeidbar. In allen beschriebenen Fällen wird der wehrlose Mensch von seinesgleichen verfolgt und gedemütigt. Diese Ukrainian Wrap Videos – es braucht dafür die neue Wortschöpfung - lösen Entsetzen aus. Noch mehr Entsetzen als die ebenfalls in wachsender Zahl zur Verfügung stehenden Filme aus dem direkten Kriegsgeschehen. Denn auch die gibt es ja: Aufnahmen von verbrannten Panzerinsassen, solche von Explosionsopfern und erschossene Soldaten am Straßenrand.

Das Grausen und der eiskalte Schrecken sind über die Bilder der Gedemütigten in den wohltemperierten westlichen Wohnzimmern angekommen. Ist es das christliche Menschenbild, das hier unmittelbar mit den Geschundenen mitfühlt? Simon von Cyrene fragte auf dem Passionsweg nicht, ob Jesus schuldig oder unschuldig ist, er trug einfach dessen Kreuz. Aber es war über Jahrhunderte hinweg auch das Christentum, die Inquisition, welche die Blaupausen liefert für Quälereien, Folter und Mord auf vielen öffentlichen Plätzen. Die Zurschaustellung war hier elementarer Teil einer Inszenierung des Grauens zum Zwecke der Abschreckung.

Sollte der russisch-ukrainische Krieg schon morgen vorbei sein, die Bilder der Gemarterten werden bleiben. Es wirkt bald so, als wären sie überhaupt erst dafür entstanden.

Der Westen, der jetzt so entsetzt auf diese Szenen schaut, glaubte sich im 21. Jahrhundert schon immun gegen solche Entmenschlichungen aus der Mitte der Gesellschaft. Aber die Deutschen müssen gar nicht bis ins Mittelalter zurückschauen, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft liegt kaum drei Generationen zurück. Wie und wann fällt der Funke ins Pulverfass, so etwas auszulösen?

Oder reichen womöglich weitere zwei Jahre Corona-Regime und Lockdown, um der Hetze eines Bundesgesundheitsministers gegen Ungeimpfte zu folgen und auch hierzulande die Plastikfolien auszupacken und Ungeimpfte öffentlich auszustellen und zu quälen? Nein, auch wenn es solche Ängste gibt, so bleibt es doch unvorstellbar. Aber was, wenn jetzt noch eine Lebensmittelknappheit dazu kommt oder wider Erwarten tatsächlich eine bedrohliche pandemische Situation?

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete 2014 von Folterungen in der Ostukraine: „Die meisten Entführungen gehen auf das Konto von bewaffneten Separatisten", sagt Denis Krivosheew von Amnesty International, Vizedirektor für Europa und Zentralasien. "Die Opfer wurden oft brutal geschlagen und gefoltert. Aber auch seitens der regierungstreuen Kräfte haben wir Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.“

Hat die Organisation 2022 schon Untersuchungen dieser Schandpfahl-Quälereien angeordnet?

Plünderer sollen es sein, die da öffentlich gezüchtigt werden. Zwar existieren die filmischen Zeugnisse, aber in den Medien wird nur ganz vereinzelt darüber berichtet. Der Bürgermeister der umkämpften Stadt Mariupol soll die sofortige Erschießung von Plünderern angeordnet haben.

Eine in deutscher Sprache erscheinende ukrainische Zeitung beschreibt einen Fall von Fesselung und Demütigung an einem „Schandpfahl“ in Mykolajiw. Und der österreichische Express titelt: „Wie im tiefsten Mittelalter: Ukrainer treiben Plünderer nackt durch die Stadt“. Das Blatt zeigt Szenen dieser öffentlichen Zurschaustellung sogar unverpixelt, als gäbe man der Maßnahme noch ein Forum.

Die taz berichtete schon wenige Tage nach Kriegsbeginn von der Angst der Menschen nicht nur vor Nahrungsmangel, sondern auch vor Plünderungen: „Die Angst vor Plünderern geht um. Jetzt, wo sich jeder ganz offiziell kostenlos ein Gewehr holen kann, ist die Furcht groß, dass sich diese Waffen auch mal auf einfache Bürgerinnen richten könnten. Aus den Gefängnissen sind Schwerverbrecher entlassen worden.“

Aber was man auf keinen Fall vergessen darf, wenn es um Lebensmittelknappheit geht: Die Ukraine hat im so genannten „Holodomor“ in den 1930 Jahren erlebt, was es heißt, zu hungern. Als Stalin das Land aushungerte, starben laut Schätzungen bis zu vier Millionen Ukrainer, bald 13 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Das Trauma des Verhungerns ist demnach Teil der DNA dieses Volkes. Wenn es sich bei den an Laternenmasten gebundenen also um Plünderer handelt, ist diese Behandlung aus dem historischen Blickwinkel zu relativieren? Kaum vorstellbar?

Zur häufigsten Art von Plünderungen in Kriegen gehören jene siegreicher Soldaten, die durch eine eroberte Stadt ziehen und rauben, was ihnen wertvoll erscheint. Und dann gibt es in Kriegen, Katastrophen und Notzeiten Plünderer aus den eigenen Reihen. Mitbürger, welche entweder den Zusammenbruch der Ordnung ausnutzen, um sich dort zu bereichern, wo der Besitz des Nachbarn nicht mehr geschützt ist oder aus Hunger und Not zum Äußersten greifen und ihre Nachbarn bestehlen, um ihre Nächsten zu retten.

In der deutschen Nachkriegszeit wurden Waren für den täglichen Bedarf „organisiert“, die ältere Generation, die sich erinnert, schildert es wie einen Volkssport in Verbindung mit nostalgischen Berichten vom Schwarzmarkt mit seiner Zigarettenwährung.

Aber schon im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe im Ahrtal von 2021 wurde in Deutschland wieder über das Phänomen der Plünderungen berichtet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung entdeckt sogar eine Gruppe Osteuropäer, die an einer Sammelstelle für Freiwillige „jede Menge Werkzeug und Arbeitskleidung“ stehlen wollte. Osteuropäer?

In Ländern wie Deutschland, Österreich und Schweiz gilt Plündern rein rechtlich als schwerer Landfriedensbruch. Und nach der Haager Landkriegsordnung ist Plündern während eines Kriegs verboten. Während des zweiten Weltkrieges und insbesondere unter den alliierten Bombardierungen deutscher Großstädte wurden für die Aneignung von Gegenständen aus den Trümmern teils drakonische Strafen verhängt, nicht selten bis hin zur Todesstrafe.

Dennoch fällt es schwer, solche Szenen wie in den Videos aus der Ukraine von Fesselungen und Auspeitschungen als irgendwie noch milde Form einer Bestrafung zu verstehen, wie es verschiedentlich in den sozialen Medien rechtfertigend behauptet wird.

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) titelt „Putins brutaler Ukraine-Krieg – ein Zivilisationsbruch“ und schreibt weiter: „Jeder Krieg produziert hässliche Bilder. Doch der Angriff auf die Ukraine, den Russlands Präsident Wladimir Putin vom Zaun gebrochen hat, sprengt alle Grenzen.

Aber gilt das nicht für jeden Krieg, der kein Befreiungskrieg ist? T-Online schreibt: „Die ukrainische Zivilbevölkerung (…) wehrt sich und ruft den russischen Soldaten "Haut ab!" entgegen. Das passt nicht in das Bild eines "Befreiungskrieges“.

Eine von vielen quälenden Fragen ist jene, wie es zu diesem mutmaßlichen Massenphänomen der Zurschaustellungen und Quälereien nach dem immer gleichen Muster gekommen ist. Wo war die Blaupause für den ukrainischen Wickel? Wer hat damit überhaupt begonnen und warum wurde es dann von wem nachgeahmt?

Die New York Post berichtet, dass es sich nicht nur um Plünderer handelt, die so gequält werden: „Man hört Geschichten von echten oder eingebildeten Eindringlingen, die von einer verständlicherweise paranoiden Bürgerschaft verhört und körperlich festgehalten werden. Diese Vorfälle sind oft ziemlich hässlich. Im schlimmsten Fall beinhalten sie manchmal Selbstjustizgewalt oder Männer, die ausgezogen und an Telefonmasten geklebt werden, bevor die Polizei eintrifft.“

Die amerikanische Faktenfinder-Webseite truthodefiction.com hat eine ganze Reihe von Fällen zusammengestellt und die Newsseite bizpacreview.com titelte am 3. März noch vorsichtig: „Berichten zufolge geht die Ukraine auf SEHR unkonventionelle und demütigende Weise mit Plünderern um.“

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