Die Europa-Abgeordnete der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann – im EU-Parlament Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) – erklärte heute im Interview mit „Welt“ wörtlich:
„Russland hat immer (...) vor drei Jahren klar gemacht, sie wolle die ganze Ukraine. Für Russland ist dieser Krieg und diese Annexion noch lange nicht zu Ende.“
Ist das die Schutzbehauptung einer Kriegstreiberin und Waffenlobbyistin, die sich nicht damit abfinden kann, dass es dem US-amerikanischem Präsidenten gelingen könnte, im Ukrainekrieg einen Frieden zu erreichen? Oder eine Tatsachenbehauptung?
Wer sich fragt, welche Rolle Frau Strack-Zimmermann als EU-Ausschussvorsitzende spielt, der muss sich vorab vergegenwärtigen, dass es im EU-Vertrag der Mitgliedstaaten eine Verteidigungsklausel gibt. Die EU ist damit auch ein militärisches Bündnis laut Artikel 42, Absatz 7. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist damit weit wirkmächtiger als ihr viele zugestehen möchten.
Wollte Russland mit Kriegsbeginn die ganze Ukraine? Es gab niemals eine explizite offizielle Erklärung, die das belegen könnte. Das Gegenteil wurde behauptet, als Putin von begrenzten regionalen Operationen sprach. Als sich der russische Präsident am Morgen des 24. Februar 2022 im russsischen Fernsehen zum Beginn des Ukrainekrieges meldete, sprach er nicht von Krieg, sondern von einer „Spezialoperation“.
Krieg oder Spezialoperation: Fakt ist, dass die kriegerische Auseinandersetzung mittlerweile hunderttausenden von Soldaten auf beiden Seiten das Leben gekostet hat. Wie hatte Putin den Angriff in der genannten Ansprache begründet?
Zunächst verkündete er, dass Russland die ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk als eigenständige Volksrepubliken völkerrechtlich anerkannt habe. Dabei berief er sich auf Artikel 51 der UN-Charta, dem „Recht auf Selbstverteidigung“. Im Wikipedia-Eintrag zu Putins „Spezialoperation“ heißt es wörtlich:
„Er wird weithin als Euphemismus angesehen, der darauf abzielt, die Invasion zu verharmlosen und das ursprüngliche Ziel des Krieges, alle russischsprachigen Regionen der Ukraine zu annektieren, zu verschleiern.“
Hier ist der Nachsatz entscheidend. Der nämlich widerpricht Strack-Zimmermann deutlich, wenn als Kriegsziel nicht die Eroberung der gesamten Ukraine genannt wird.
Auf der anderen Seite hat Putin in seiner Rede auch klargestellt, dass die Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine sein Ziel sei. Der gesamten Ukraine, nicht nur der genannten Gebiete der Region im Donbass. Allerdings ergänzte Putin hier auch explizit, Russland habe keine Pläne, ukrainisches Territorium dauerhaft zu besetzen. Es muss demnach darum gehen, herauszufinden, was Unterwerfung versus Besetzung meint und wenn, welchen Unterschied das macht.
Frau Strack-Zimmermanns Behauptung ist mindestens dahingehend unwahr, Russland habe vor drei Jahren „immer“ klar gemacht, die ganze Ukraine zu wollen. Putin hat das im Wort nicht ein einziges Mal gesagt. Allenfalls kann man bestimmte Aussagen dahingehend interpretieren, wenn man die entsprechenden Thesen vertritt.
Russland hat 2022 keine offizielle, klare Absichtserklärung abgegeben, die gesamte Ukraine besetzen oder annektieren zu wollen. Aber selbst, wenn Russland die ganze Ukraine hätte annektieren wollen, hätte man erwarten können, dass dies klarer kommuniziert wird – ähnlich wie bei der Annexion der Krim 2014.
Präsident Selenskyj selbst und ebenso die US-Regierung gingen beim Angriff auf Kiew davon aus, dass das erklärte Hauptziel zunächst die Absetzung von Selenskyj war und nicht die Gesamtbesetzung der Ukriane.
Auch die militärische Strategie der Russen deutet in diese Richtung. Die Angriffe von 2022 deuten militärisch nicht darauf hin, dass Russland die gesamte Ukraine kontrollieren wollte. Zwar begann die Invasion mit Angriffen aus mehreren Richtungen – einschließlich eines Vorstoßes auf Kiew. Aber wahrscheinlicher ist der Wunsch, Selenskyj zu stürzen und eine pro-russische Regierung einzusetzen. Ein solcher Plan würde nicht zwangsläufig die vollständige Annexion bedeuten, sondern eher in Richtung einer politischen Kontrolle über die Ukraine zielen.
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Auch könnte der Angriff auf Kiew als Ablenkung oder Druckmittel gedient haben, um die ukrainische Regierung zu Verhandlungen zu zwingen, ohne dass eine vollständige Besetzung geplant war.
Fakt ist, dass das Leben in der ukrainischen Hauptstadt ebenso wie im überwiegenden Teil des Landes nicht von direkten Kriegshandlungen betroffen ist. Es herrscht sogar ein umfangreicher privater und politischer Reiseverkehr in die nicht vom Krieg betroffenen Gebiete.
Seit Anfang April 2022, also nach Aufgabe der Idee, Selenskyj in Kiew direkt zu stürzen, gibt es faktisch keine nennenswerten militärischen Angriffe der Russen außerhalb des Donbas und der südlichen Regionen (z. B. Cherson und Saporischschja). Dies legt nahe, dass die russischen Priorität auf der Sicherung strategisch wichtiger Gebiete lag bzw. liegt, nicht auf der Eroberung des gesamten Landes.
Eine vollständige Besetzung der Ukraine – ein Land mit über 40 Millionen Einwohnern und einer Fläche von mehr als 600.000 Quadratkilometern – wäre auch für Russland eine enorme Herausforderung, sowohl logistisch als auch militärisch.
Das Institute for the Study of War (ISW) veröffentlicht regelmäßig Berichte und Analysen zur militärischen Lage in der Ukraine. Hier wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass Russland aufgrund logistischer Probleme, hoher Verluste und wirtschaftlicher Sanktionen Schwierigkeiten hat, langfristig große Gebiete zu kontrollieren.
Der Atlantic Council veröffentlichte Artikel und Studien, die die militärischen und wirtschaftlichen Herausforderungen Russlands thematisieren. Auch Experten wie John Herbst oder Anders Åslund haben wiederholt darauf hingewiesen, dass Russlands Kapazitäten durch den Krieg stark beansprucht werden.
Westliche Medien haben Artikel veröffentlicht, die begründete Zweifel an Russlands Fähigkeit anmelden, die gesamte Ukraine dauerhaft zu kontrollieren, insbesondere nach Rückschlägen wie in Kiew oder Charkiw.
Ehemalige Militärs und Experten wie Ben Hodges (ehemaliger Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa) haben in Interviews und öffentlichen Diskussionen darauf hingewiesen, dass Russland Schwierigkeiten hat, seine Streitkräfte effektiv zu versorgen und gleichzeitig die besetzten Gebiete zu kontrollieren.
Berichte und Analysen von NATO- oder EU-nahen Institutionen wie etwa der European Union Institute for Security Studies (EUISS) haben ebenfalls auf die Herausforderungen hingewiesen, denen Russland gegenübersteht.
Russische Annexionen deuten auf regionale Ziele hin: Im Herbst 2022 hat Russland vier ukrainische Gebiete – Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson – offiziell annektiert, nachdem es dort sogenannte Referenden abgehalten hatte. Wenn Russland die ganze Ukraine hätte annektieren wollen, hätte man eine breitere Annexion erwarten können.
Trotz der Invasion gab es 2022 mehrere Versuche, Verhandlungen zu führen – etwa in Belarus und der Türkei. Russland zeigte zumindest oberflächlich Bereitschaft, über einen Waffenstillstand zu sprechen, auch wenn die Bedingungen der Ukraine und ihren Partnern unrealistisch erschienen (z. B. die Anerkennung der Annexionen).
Wenn das Ziel die vollständige Eroberung der Ukraine gewesen wäre, hätte man diese Bereitschaft zu Verhandlungen erwartet? Es bleibt rein spekulativ, zu behaupten, Russland wolle die gesamte Ukraine annektieren. Aber warum dann behaupten?
Unabhängig von der gegenüber der Problematik unangemessenen Ausdrucksweise ist es nicht korrekt von Strack-Zimmermann zu sagen, dass Russland 2022 „klar gemacht“ habe, die ganze Ukraine zu wollen, da weder die offiziellen Erklärungen noch die militärischen Aktionen eindeutig darauf hindeuten. Strack-Zimmermanns Aussage ist eine zielgerichtete Interpretation, die nicht unmittelbar durch Fakten gestützt wird. Es sind zielgerichtete Fake News. Es ist Kriegstreiberei.
Russlands Handlungen sprechen viel eher für eine Strategie mit begrenzten Zielen als für den Plan, die gesamte Ukraine zu übernehmen.
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Kommentar von Ombudsmann Wohlgemut
"Nicht Graf Dracula" soll einfach die Klappe halten.
"Aber Putin will die alte UdSSR wieder zurück", mimimi...
Na und? Was ist an seinem Traum verkehrt?
Der Mann ist immerhin schlau genug, um zu wissen, dass das für ihn auch immer nur ein süßer Traum bleiben wird.
Das kann man von unseren verblödeten Sozialisten jedoch nicht behaupten.
Die sind komplett weltfremd und können weder differenzieren, noch haben die ein so anderes Ziel mit der EUdSSR.
Aber sind frohen Mutes auf Selbstvernichtungskurs...
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Kommentar von Schwar Zi
Ich höre immer "der Russe kommt"...besonders aus dem "Westen". Da scheint die Angst ja groß zu sein. Aber mal Hand auf´s Herz, was will "der Russe" hier? Jede deutsche Brücke ist eine Todesfalle für seine Panzer. Bodenschätze haben wir nicht. Die Industrie ist längst abgewandert...also in die USA. Unsere deutschen Patente? Die hängen in China im Museum. Unser Handynetz? Oh Gott...lieber nicht, das wäre ja schon fast Zersetzung. Aber was würde ihn hier erwarten? Multi-enthnische Konflikte, Messer-Akrobaten, Massenvergewaltigungen...erscheint mir nicht lohnenswert. Ok, Audi, BMW und Mercedes wären dann russsische Automarken, aber hey, die kaufen jetzt eh in China.
Achtung...Kommentar enthält satirische Elemente!
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Kommentar von Jakob
Wenn wir schon wieder in religiösen Inquisitionszeiten leben, kann ich dann eine Hexenprobe für solche Leute haben? Die ist mir nämlich nicht ganz geheuer, die Frau.
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Kommentar von Kurt Wührer
Eines ist gewiss, Putin mit Stalin zu vergleichen wäre blancker Unsinn- hatte dann "Barbarossa" doch den Charakter eines Präventivschlages?. Fragen darf man doch mal-oder?
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Kommentar von Kurt Wührer
Die Ukraine gehört ebenso zu Russland wie Ostpreußen zu Deutschland.