Braunschweig ist ein Vorort von Berlin

Sonntag an der Tankstelle: Opa wird als Drecksau an der Hundeleine vorgeführt

von Alexander Wallasch (Kommentare: 15)

Aber das ist doch nur ein Fetisch, erklärt die Polizei© Quelle: privat

Sonntag auf dem Weg zur Mutter und Oma, wir haben Kuchen dabei. Schnell noch tanken. Ich war kaum ausgestiegen, da machte die Tochter auf eine Szene aufmerksam, die sich gerade vor dem Tankstellengebäude abspielte.

Ein älterer Herr und eine jüngere Dame verließen gerade den Verkaufsraum, die Frau hatte einen Kaffee-to-Go in der Hand und führte den Mann im fortgeschrittenen Rentenalter an einer Hundeleine am Halsband. Der Oberkörper des Mannes war nackt, auf seiner Brust stand mit Lippenstift hingeschmiert „Dreckige Sau“.

Ich hatte den Fuß schon aus dem Fahrzeug, schaute noch zum Enkel zurück ins Wageninnere, der die Szene ebenfalls aus seinem Kindersitz beobachtete. Die Frau musste in den Vierzigern sein, Louis Vuitton-Tasche und einen überdimensionierten schwarzen Hundebeutel an der Leine angehängt, hier wird offenbar mit einem großen Geschäft gerechnet.

Die Frau lachte kalt, der Herr schaute stoisch duldsam. Dafür bekam er von der lachenden Frau immer wieder ein paar Ohrfeigen. Spätestens dieser Moment regte mich auf, dass ich das Gefühl hatte, mich einmischen zu müssen. Und anstatt zu tanken, wie geplant, ging ich zu den beiden hinüber und machte zunächst ein paar Fotos. Die Frage an den Herrn, ob ich helfen könne, blieb unbeantwortet. Und die Frau am anderen Ende der Hundeleine schaute nur verständnislos, als ich sie fragte, ob das denn ihr Ernst sei, hier am Sonntag eine insbesondere für Kinder so verstörende Szene abzuliefern.

Wir tankten nicht und fuhren weiter Richtung Zielort. Nun bin ich alles andere als ein Anschwärzer, aber diese Szene hatte mich abgestoßen, also rief ich die örtliche Polizeidienststelle an, schilderte die Situation und bat um eine Reaktion. Die erfolgte in Form von Unverständnis. Das sei doch nicht strafbar, erklärte der mutmaßlich jüngere Beamte.

„Warum nicht?“ – wollte ich wissen. Das sei ein „Fetisch“, erklärte der Beamte in einem Tonfall, als sei ich ein alter prüder Greis im Rentenalter. So etwas bringt mich allerdings erst recht auf den Plan. Meine Tochter zupfte von der Rückbank schon beschwichtigend an meiner Jacke, ich hatte das Handy auf laut gestellt.

Das Gespräch war aber noch nicht zu Ende. Ich fragte den Beamten dann, ob er Kinder habe. Als die Frage unbeantwortet blieb, wollte ich wissen, wie er sich verhalten würde, wenn er mit seiner fiktiven Achtjährigen zum Tanken fahre und diese nun zuschauen müsse, wie ein Großvater mit „Dreckige Sau“ auf dem nackten Oberkörper geschrieben an einer Hundeleine von einer lachenden Louis-Vuitton-Person geohrfeigt wird.

Der Polizist antwortete bemüht lässig, dann fahre er halt eine andere Tankstelle an. Ich fragte nach, ob er denn sein Auto abmelden und zu Fuß gehe, wenn er bald an jeder Tankstelle eine solche Szene anträfe. Keine Antwort. Aber wenn jemand der Kollegen frei sei, könne er ja mal jemanden hinschicken. Das Gespräch war damit zu Ende und ich blieb zurück wie ein spießiges Arschloch, das harmlose Fetischperverse bei der Polizei angeschwärzt hatte.

Als ich die Bilder bei X hochgeladen und die Szene dazu kurz beschrieben hatte war die Reaktion durchaus gemischt und meine Empörung nicht ungeteilt. Der eine oder andere ließ durchklingen: Ach, lassen Sie die doch machen. Gereizt mutmaßte ich zurück, dass es sich um einen kinderlosen Follower handeln müsse.

Aber ich will dennoch nicht ausschließen, dass ich falsch liege oder es womöglich nur eine Geschmacksfrage ist.

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Meine Mutter wohnt in Braunschweig, dort waren wir unterwegs. Aber Braunschweig ist nicht Berlin. Solche Szenen sind hier keineswegs an der Tagesordnung, daran erinnere ich mich jedenfalls nicht. Und ich hatte lange Jahre Szenegastronomie in einem früher traditionell der Rotlichtgastronomie zugeordneten Viertel, ich bin also das, was man gemeinhin eher hartgesotten nennen könnte. Aber das war, bevor ich eine Familie gegründet habe, aus der bereits Enkelkinder hervorgegangen sind.

Was am gestrigen Sonntag an dieser Tankstelle für eine Szene geboten wurde, sollte nicht in aller Öffentlichkeit geschehen. Auch deshalb nicht, weil, was der Polizist hier „Fetisch“ nannte, schon deshalb Öffentlichkeit sucht, weil es diese Öffentlichkeit mit in ihr Fetischspiel einbezieht. Es geht hier darum, den Alten vorzuführen. Wer weiß schon genau, ob er überhaupt im vollen Besitz seiner geistigen Fähigkeiten zugestimmt hatte.

Und für diese Vorführung braucht es die Interaktion mit einer erwünschten entrüsteten Öffentlichkeit. Und spätestens ab diesem Moment werden Unbeteiligte gegen ihren Willen instrumentalisiert. Wir wollten nur Tanken und nicht die unfreiwilligen Empörungsstatisten dieser Szene werden.

Was wäre eigentlich gewesen, wenn ein Mann eine halbnackte Frau so vorgeführt hätte mit „Dreckige Sau“ auf ihrem Oberkörper geschrieben und mit Ohrfeigen satt? Die Polizei wäre binnen Minuten dagewesen, von einer Erniedrigung von Frauen wäre die Rede gewesen und jede Anzeige dieser frauenverachtenden Szene wäre auf fruchtbaren Boden gefallen. Nach einer Zustimmung der Frau hätte niemand gefragt, weil diese Szene grundsätzlich Frauen erniedrigt, also unter die Rubrik gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit fällt. Und was wäre gewesen, wenn der „Hundesklave“ ein oder eine Farbige gewesen wäre? Nicht auszudenken!

Im Übrigen – ich bin kein Psychologe, spekuliere also nur – basiert diese Szene, soweit ich sie einschätzen kann, mutmaßlich auf einer seelischen Störung. „Fetisch“ ist hier ein verharmlosenden Wort dafür, dass es im Leben dieses älteren Herren zu Ereignissen gekommen sein muss, die dazu geführt haben, dass er sich an einer Hundeleine als „dreckige Sau“ öffentlich ohrfeigen lässt.

Was für eine traurige Szene.

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