Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach vorgestern bei der Eröffnung der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates. Hier sind über 350 christliche Kirchen vereint, der Sitz des 1948 gegründeten zentralen Rates ist Genf.
Steinmeier betonte dabei, dass die „bunte Vielfalt“ von Anfang an „zu den Wesensmerkmalen des Christentums“ gehört hätte. Wir wollen uns hier gar nicht damit aufhalten, welche schrecklichen Blutopfer die Missionierung samt die Vernichtung der Naturreligionen und ihrer Vertreter mit sich brachte, diese bunte Vielfalt zu organisieren.
Nur so viel aus der Gegenwart: Noch vor kurzem fuhren Kirchler mit Zahnarzt-Schiffen den Amazonas herunter und stopften Löcher – nicht ohne vorher eine Missionierung an den vom Industriezucker gepeinigten Eingeborenen vorzunehmen – das bekannte christliche Quid pro quo. Ein besonders passendes Bild.
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Viel aktueller und deshalb interessanter sind aber die Verhaltensregeln der Veranstaltung, denen sich auch der Bundespräsident zu unterwerfen hatte, bevor er das Rednerpult erklomm.
Der ökumenische Rat der Kirchen hatte im Vorfeld „Verhaltensrichtlinien für alle Teilnehmer“ ausgegeben. Und schaut man sich inhaltlich an, was da auch vom deutschen Staatsoberhaupt angemahnt wird, da fühlt man sich für den Moment zurückkatapultiert in die Goldgräber-Missionarsstellung des christlichen Blut-Kolonialismus jenseits der Lebenswelt eines Albert Schweitzers.
Oder nein, die Reise rückwärts, die man bei der Lektüre macht, legt schon einen Zwischenstopp in einem düsteren Kapitel der neueren Kirchengeschichte ein, dort nämlich, wo Kirchenleute ihre Schäfchen sexuell nötigten, missbrauchten und vergewaltigten – durch die Kirchenbank von der älteren Frau bis zum kleinen Jungen in der vermeintlichen Obhut der Kirche.
Oder wie es Papst Franziskus 2014 als Oberhaupt der Katholiken formulierte:
„Ich fühle mich gerufen, um Vergebung zu bitten für alles Böse, für all den Schaden, den einige Priester angerichtet haben, für die Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern. Es ist ein persönlicher und moralischer Schaden, verübt durch Männer der Kirche.“
„Persönlicher und moralischer Schaden“ ist hier allerdings eine geradezu unanständig sanfte Umschreibung für die multiplen Quälereien. Die Zeugenaussagen rauben den Lesern den Schlaf.
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Jetzt also Verhaltensrichtlinien für alle Christen, herausgegeben vom Ökumenischen Rat der Kirchen. Und man muss das schon zwei Mal lesen, um zu begreifen, zu was für eine Selbsteinschätzung die führenden Vertreter der Kirchen bei der Selbstbetrachtung kommen. Da kommt einem schon mehr als nur die Galle hoch.
Offensichtlich weiß man genug um die Verhaltensweisen von führenden Christenmenschen und mahnt an, dieses Verhalten wenigstens für das Zusammentreffen einzustellen:
„Die Verhaltensrichtlinien für die 11. ÖRK-Vollversammlung entsprechen der Verpflichtung, alle Formen von Fehlverhalten, einschließlich Korruption, Ausbeutung, Betrug, Belästigung, psychischen und sexuellen Missbrauch zu vermeiden und die Sicherheit sowohl für die Erwachsenen als auch die Minderjährigen zu gewährleisten.“
Weiter heißt es da:
„Diese Verhaltensrichtlinien stützen sich (…) insbesondere auf die Personalordnung und die Personalrichtlinien des ÖRK (…) die Kinderschutzrichtlinie, die Richtlinie zur Vorbeugung von sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch sowie die Grundsätze für Geschlechtergerechtigkeit.“
Für die Vollversammlungen, so das Papier, sind die Anweisungen eine „Vereinbarung zwischen allen Vollversammlungsteilnehmenden, respekt- und würdevoll miteinander umzugehen.“
Das muss man sich vorstellen, dass so etwas zwischen Christen explizit verabredet werden muss. Immerhin, es liest sich wie ein großes Eingeständnis.
Der Ökumenische Rat erinnert daran, dass die Richtlinien „die Risiken für Belästigung und Missbrauch“ benennen würden, „die bei großen öffentlichen Zusammenkünften vorkommen können“.
Warum der Rat seinen Teilnehmer Verhaltensrichtlinien mit auf den Weg gibt, die sexuelle Belästigung auch von Minderjährigen untersagt, liefert das Papier mit:
„Die Verhaltensrichtlinien für die Vollversammlung sind in der christlichen Lehre und Verantwortung verwurzelt. Sie festigen die rechtliche Verantwortung aller Teilnehmenden unter dem Gesetz des Gastgeberlandes.“
Ebenfalls kaum zu glauben: Es gibt während der Veranstaltung auch „ein Beschwerdeverfahren für Fehlverhalten, einschließlich rechtliche(r) Schritte“.
Und weil man offensichtlich davon ausgeht, dass es zu solchen Beschwerden kommen wird, empfiehlt der Rat, die Beschwerden „in gutem Glauben und in gegenseitiger Fürsorge“ einzureichen.
Wie bitte? Dem Gottesmann gegenüber, der einen Minderjährigen auf dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Karlsruhe sexuell belästigt, soll das Opfer noch in „gegenseitiger Fürsorge“ begegnen?
Oder ist das ein Lesefehler, man will es nicht glauben, die Sprache der Christen offenbart eine Perversion, die man im 21. Jahrhundert nicht mehr für möglich erachtet hätte.
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Sogar eine Ortsangabe wird gemacht, wo diese Verhaltensrichtlinien für die Kirchenoberen insbesondere gelten: Die Regeln „sind während der Vollversammlung jederzeit und überall gültig, einschließlich am Tagungsort, in der Stadt Karlsruhe und auf Ausflügen.“
„Und auf Ausflügen“!
Ein Gelöbnis, vorgetragen wie ein bigottes Glaubensbekenntnis kurz vor dem alltäglichen Missbrauch:
„Ich vermeide jedes Verhalten, das als Überschreitung des Strafgesetzes gilt oder rechtlich als Missbrauch, Ausbeutung, Fehlverhalten oder sexuelle Belästigung verstanden werden könnte, wie zum Beispiel:
- Körperliche oder sexuelle Übergriffe, unsittliche Entblößung, Stalking oder obszöne Kommunikation.
- Nötigung, Gewaltanwendung, Aufhetzung oder Aufforderung zu einer nicht einvernehmlichen sexuellen Handlung.
- Sexuell anzügliches Verhalten, wie lüstern blicken oder glotzen, im Vorübergehen berühren, anfassen, streicheln, umarmen oder sexuell aufreizende Kommentare oder Witze machen.
- Erkaufen von Sex, einschließlich sexuelle Gefälligkeiten oder andere Formen von demütigendem, erniedrigendem oder ausbeutendem Verhalten gegen Geld, eine Anstellung, ein Gut oder eine Dienstleistung.“
Der Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun (AfD) fühlt sich bei der Lektüre an Sodom und Gomorra erinnert und schickt uns dazu folgende Bemerkungen:
„Wer diese Richtlinien liest, fragt sich ratlos: Tagt der Weltkirchenrat nicht in Karlsruhe sondern in Sodom und Gomorra? Was hat es an sexuellen Straftaten bei früheren Tagungen gegeben, dass man jetzt solche irren, ausführlichen Richtlinien für nötig hält? Oder greift man auf Erfahrungen von Treffen der deutschen Grünen zurück, die für ihr Verständnis für sexuellen Kindesmissbrauch berüchtigt sind? Ernste bis entsetzliche Themen werden so bürokratisch-verquast behandelt, dass man nur noch den Kopf über diese Abgründe schütteln kann. Ich frage mich, ob der Weltkirchenrat unsicher ist, noch wenigstens die 10 Gerechten in den eigenen Reihen zu finden, die schon in Sodom nicht zu finden waren.“
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Kommentar von Quege
Mehr Eingeständnis geht wohl nicht.
Das erinnert mich an den O.T.O. (Ordo Templi Orientis), der in seinem Handbuch (https://b-oto.org/OB_Handbook.pdf) auf Seite 22 warnt:
"Opfern Sie keine Tiere und führen Sie keine anderen Handlungen oder Praktiken aus, die den Ruf oder das rechtmäßige Ansehen des Ordens beeinträchtigen könnten, einschließlich… eindeutiger sexueller Handlungen bei offiziellen oder öffentlich zugänglichen Veranstaltungen."
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Kommentar von Hildegard Hardt
In der christlichen Urkirche war wohl noch so etwas wie eine Verbindung zur Lehre Jesu vorhanden, wenn es außer den Evangelien auch keine diesbezüglichen Quellen gibt. - Spätestens unter Karl dem Großen begann dann das, was man als Moralverfall bezeichnen kann.
Karl war nicht nur fünfmal verheiratet, sondern hatte auch zahlreiche Maitressen und mit ihnen Kinder. Außerdem christianisierte er mit dem Schwert und hinterließ eine Blutspur auf seinem Weg zum Großreich, die ihresgleichen sucht. Nur weil ihn sein Hofberichterstatter Abt Einhard glorifizierte wird er heute quasi mit einem Heiligenschein versehen und als "Vater Europas" bezeichnet.
Spätestens wenn man jedoch die Geschichte der Borgias kennt, weiß man, was die "Stellvertreter Christi auf Erden" wirklich trieben; für Laster und Ausschweifungen war die katholische Kirche ebenso bekannt wie für ihr brutales Verhalten gegenüber "Ungläubigen"; Inquisition und Hexenverbrennungen belegen das überdeutlich.
Bis heute hat sich am System Kirche nicht viel geändert. Papst Franziskus steht der Kurie machtlos gegenüber, beläßt Kurienkardinäle in ihren Ämtern, obwohl sie Mißbrauchsskandale vertuschen und erteilt ihnen die Absolution. Dann darf kräftig weiter gesündigt werden, denn bei der nächsten Beichte beim Amtskollegen wird wieder die Absolution erteilt.
Ganz erbärmlich verhält sich aber die Kirche bei der Entschädigung der Mißbrauchsopfer. Es reicht nicht, daß sie Jahrzehntelang seelische Qualen litten, sie müssen sich auch noch durch erniedrigende Prozesse quälen, um als Opfer anerkannt zu werden. Und die Wiedergutmachung für all das Erlittene wird dann auch noch bei 50.000 Euro gedeckelt, wobei die meisten Geschädigten nur mit Minimalbeträgen abgespeist werden.
Aber auch in der evangelischen Kirche ist der Mißbrauch üblich. Wenn es völlig normal ist, daß auf dem Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund ein Workshop für "Vulven malen" angeboten wird und in kirchlichen Kindergärten die frühkindliche Sexualerziehung Einzug hält, muß man sich über nichts mehr wundern.
Bei Mk. 10, 13-16 heißt es ".....Lasset die Kindlein zu mir kommen....."! Die geistlichen Herren beider Konfessionen haben das Wort Jesu offenbar zu wörtlich genommen.
Da kann man direkt Sympathie für den Buddhismus aufbringen. Nur wer die Tugenden auch wirklich lebenslang praktiziert, kann in das Nirwana eingehen. Wer bei seinem Tod "unvollkommen" ist, muß immer wieder reinkarnieren, bis er die geistige und sittliche Reife erlangt hat.