Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin

Rückzug der Kriegsdienstverweigerung - Gratismut neuer deutscher Kriegshelden

von Alexander Wallasch (Kommentare: 19)

Dieser Zivildienst am Menschen formt auch den Dienenden. Zivildienstleistender Robert Habeck wird mir das sicher bestätigen. Das verbindet uns über alle politischen Gräben hinweg.© Quelle: Pixabay/ Planet_Fox

Es gibt wohl kaum eine bessere Zeit als heute, stolz darauf zu sein, dass man in Deutschland den Kriegsdienst verweigert hat, als es noch eine Wehrpflicht gab. Was damals galt, ist aktuell noch viel gültiger.

Bevor ich etwas über diese Zeit und Motivation erzählen will, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann, sei gesagt, dass es auch viele akzeptable Argumente dafür gab, damals den Dienst an der Waffe angetreten zu haben. Allerdings jenseits der Behauptung, dass der Wehrdienst schon „einen Mann aus Dir macht“, wie die Großväter mit Kriegserfahrungen vielfach ihren Enkeln grinsend mit auf den Weg gaben.

Wie ich an einem schönen Sonntagmorgen Ende Februar 2023 darauf komme? Der nur wenige Jahre jüngere Kulturredakteur Tobias Rapp schrieb im "Spiegel" hinter der Bezahlschranke eine Kolumne, von der ich mich fast angewidert weggedreht habe. Die Schlagzeile von Rapp lautet: „Warum ich meine Kriegsdienstverweigerung zurückziehe“. Im Intro schreibt Rapp weiter:

„Bundeswehr, nein danke. So dachte ich vor über 30 Jahren, wie fast alle in meiner Klasse. Heute weiß ich, dass ich es mir zu einfach gemacht habe.“

Bevor ich dazu komme, was das für eine beschämender Gratismut ist, kurz noch zur Frage, wie das überhaupt geht, nach erfolgreicher Ableistung seines Zivildienstes, diesen wieder zurückzuziehen. Es ist nicht mehr als ein bürokratischer Akt, eine Unterschrift auf einem Bogen Papier.

Und es gibt einen noch viel prominenteren Fall, der aber mutmaßlich noch mehr mit Karrieretum zu tun hat als bei Rapp. Die Rede ist vom FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner. Und auch hier zunächst zur Einordnung ein Spiegel-Intro aus 2022:

„Er war Zivildienstleistender, später machte er Wehrübungen – jetzt organisiert Christian Lindner Milliarden für die Bundeswehr. Beim Truppenbesuch in der Slowakei gefällt sich der Finanzminister in seiner Rolle.“

Auch Justizminister Marco Buschmann hat seinen Zivildienst 2019 „zurückgezogen“.

Tobias Rapp ist also so etwas wie ein Nachfolger von Christian Lindner und Marco Buschmann. Nur dass Lindner tatsächlich niemals mit der Idee der Kriegsdienstverweigerung geliebäugelt hat, ihm ging es einzig um die Idee, dass er als Zivildienstleistender seine jungunternehmerische Tätigkeit besser aufrechterhalten konnte. Später bekannte er sich zur Bundeswehr. Darüber muss man keine Worte mehr verlieren.

Diese egozentriert-opportunistische Verhaltensweise brachte ihn an die Spitze des Finanzministeriums: Erst Jamaica aufkündigen, dann unter den Grünen in der Ampel den ersehnten Ministerposten angenommen und mit beiden Ellenbogen im Lebenstraum angekommen. Christian Lindner ist vom Verweigerer in die Uniform gewechselt, als es keinen Schweiß mehr kostete.

Ist das so ein FDP-Ding? Nein, es gibt auch unter den Grünen solche Fälle, wie den des Namensvetters des Finanzministers, der schon 2019 unbedingt mit Cem Özedemir auf Manöver das schicke Flecktarn tragen wollte (schauen Sie sich bitte die Bilder an).

Weitere Mitglieder der Bundesregierung, einschließlich des Bundeskanzlers selbst, sind Wehrdienstverweigerer oder Ausgemusterte.

Erst mit dem neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kam einer ins Kabinett Scholz, der noch auf dem Kasernenhof lernen musste, wie man stramm steht und salutiert. Der Bundeskanzler selbst amüsiert sich heute über seine Zivildienstverweigerung und besteht darauf, schon damals die Sache nicht ernsthaft betrieben zu haben, wie er in einem Podcast erzählte, so wie jemand einen Witz erzählt, über den nur er selbst lachen kann.

Er hätte sich, erzählt Scholz da, bei der damaligen Begründung seiner Verweigerung einen Scherz erlaubt. Neben den Kriegserfahrungen seiner Eltern und seiner Bewunderung für Martin Luther King hätte er auch behauptet, er habe alle Bücher von Karl May gelesen, und die jeweiligen Helden hätten niemals jemanden getötet. Das habe ihn moralisch sehr geprägt. „Irgendwie“, sagte er, „bin ich mit dem Witz durchgekommen“. Lindner und Scholz: Das ist alles schwer zu fassen und es erzählt vor allem viel über die frühe charakterliche Eignung dieser Spitzenpolitiker. Und Scholz ist noch mit viel mehr durchgekommen in seinem Leben, aber das ist eine andere Geschichte.

Robert Habeck (Grüne) hat übrigens ebenfalls verweigert und seinen Ersatzdienst beim Hamburger Spastiker Verband abgeleistet. Dafür uneingeschränkten Respekt. Denn wer heute über Personalengpässe im Pflegedienst jammert, der weiß längst, was Leute wie Habeck damals geleistet haben und dafür selten Dank bekamen und viel häufig noch beschimpft und lächerlich gemacht wurden.

Robert Habeck hat aus seinem Zivildienst nie ein Geheimnis gemacht. Olaf Scholz hat 16 Monate in einem staatlichen Pflegeheim Ersatzdienst geleistet. Als Bundeskanzler fehlte ihm das Rückgrat, dazu zu stehen. Der Karrierist Scholz dachte, es sei wohl klüger, diese Monate mit alten hilfsbedürftigen Menschen aus seinem Leben zu streichen. Erst nach Veröffentlichung der Medien ergänzte Scholz diesen weißen Fleck in seinen Bundeskanzler-Lebenslauf.

Aber zurück zum peinlichen Gratismut des Spiegel-Kulturschreibers, der seine Kriegsdienstverweigerung zurückgezogen hat. Hier muss man die nicht ganz ernst gemeinte Frage stellen: Warum geht Tobias Rapp nicht in die Ukraine und schließt sich einer der internationalen Brigaden an? Dort kann er dann beweisen, dass er kein Maulheld ist. Vorher soll er sich aber ein paar dieser Unmengen von Kriegshorror-Filmclips anschauen, welche vorwiegend auf „Telegram“ kursieren: Dieser Wahnsinn aus Blut, Tränen und Scheiße ist dort erschöpfend dokumentiert.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Sie finden, das klingt wie damals, als Linksradikale gesagt bekamen: Dann geh doch rüber? Genauso ist es gemeint.

Aber nun schnell noch wie angekündigt zum Kriegsersatzdienst von Alexander Wallasch. Der Zivildienst dauerte immer ein paar Monate länger als der Wehrdienst. Das sollte wohl so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit sein. Ich hatte das Pech, zu einem Zeitpunkt Zivildienst zu machen, als es um 16 bzw. 20 Monate ging. Ich entschied mich für eine Stelle auf dem Sozialamt Helmstedt in der Sozial- und Asylantenbetreuung oder sie wurde mir aus einer vorher getroffenen Auswahl zugewiesen, ich weiß es nicht mehr genau.

Ohne ins Detail zu gehen, kann ich heute sagen, dass dieser Dienst am Menschen auch den Dienenden formt. Leute wie Habeck und Co werden mir das sicher bestätigen und das verbindet uns über alle politischen Gräben hinweg. Wenn ich nicht im Außendienst tätig sein musste, saß ich an einer Art Schalter und nahm die Anträge der vorsprechenden Sozialfälle und Asylbewerber zur Bearbeitung entgegen.

Die Antragsteller schauten dabei auf ein gegenüberliegendes Porträt des Bundespräsidenten Richard Weizäcker, das ich dort aufgehängt hatte, weil ich mir einbildete, dass die eine oder andere Respektlosigkeit hinter der Scheibe dadurch geringer ausfällt.

Ich könnte ein Buch über diese Zeit schreiben, auch über den alten Mann, der so lange im Wald in einem Erdloch gelebt und dann in die „rote Villa“ umgesiedelt wurde. Sein Energiebedarf war enorm, sein neues Zimmer auf Sauna-Temperatur geheizt, Getränke und Tabak wurden ihm auf Vorrat auf Paletten angeliefert, er hatte immer Angst, dass beides zur Neige geht.

Als man ihn aus dem Wald holte, waren seine Socken in den Schuhen quasi mit der Hornhaut seiner Füße verwachsen gewesen. Damals war ich froh, nicht mit dem Zivildienstleistenden im erstbehandelnden Krankenhaus tauschen zu müssen.

Was mich damals schwer emotional beschäftigte, sind nach den vielen Jahren Anekdoten geworden. Also wieder zur Frage, wie man überhaupt dazu kommt, sich dem Wehrdienst zu verweigern. Hier kommen eine idealistische und eine historische Sichtweise zusammen, was die Entscheidung für die Kriegsdienstverweigerung leider auch angreifbar für Hohn und Spott realpolitischer Erwägungen gemacht hat:

Zum einen die idealisierte Annahme, dass wenn niemand mehr eine Waffe in die Hand nimmt, auch keiner erschossen werden kann. Und zum anderen die deutsche Sonderrolle, die noch viel wirkmächtiger ist, die Erfahrungen zweier Weltkriege samt einer ungeheuerlichen Blutspur quer durch Europa. Mich erstaunt bis heute, dass junge deutsche Männer damals überhaupt eine Begründung dafür abliefern mussten, warum sie das G3-Sturmgewehr partout nicht in die Hand nehmen wollten.

Tobias Rapp hat jetzt hinter der Bezahlschranke seine „Kriegsdienstverweigerung“ zurückgezogen. Er verweigert den Krieg also nicht mehr. Er hätte korrekter "Wehrdienstverweigerung" schreiben müssen, aber „Krieg“ gefiel ihm vom Sound her besser, inhaltlich passender und dringlicher. Wehrdienst wäre zu sehr Bundeswehr gewesen, zu sehr Landesverteidigung, zu sehr dass Eigene und zu wenig von den vielbeschworenen europäischen Werten, die er in Charkow verteidigt sieht.

Mein Großvater Eddi Wallasch wurde in Charkow verwundet, ihn traf ein Granatsplitter an vorderster Front in den Allerwertesten.

Ein Twitter-User gibt Tobias Rapp folgenden Ratschlag:

„Einberufung sofort, dann Ausrüstung fassen und Flixbus Richtung Ukraine besteigen. Aber Flotto.“

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Kommentare