Im Rahmen der Ermittlungsarbeit zum Amoklauf in Hamburg rückte die Pressekonferenz des Hamburger Polizeipräsidenten eine wichtige Frage in den Mittelpunkt:
Gab es Wochen vor der Tat eine Gelegenheit, den 35-jährigen Sportschützen und späteren Todesschützen zu entwaffnen? Medien berichten zunächst, dass das schnelle Eingreifen der Polizei mutmaßlich weitere Morde hatte verhindern können.
Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gab der Presse heute einen ersten Überblick zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen. Im Wortlaut teilte Meyer unter anderem mit:
„Die Frage, die sich bei solchen Taten ja immer stellt, ist, wie kommen Personen in den Besitz von Schusswaffen? Insofern lassen sie mich kurz auf diesen Umstand eingehen. Zunächst einmal ist da die bereits erwähnte waffenrechtliche Zuverlässigkeitsüberprüfung, die bei Beantragung des Waffenscheins durch Philipp F. erfolgt ist, unter Einbindung der Stellen, so wie es vorgesehen sehen ist: Abfragen aus dem polizeilichen System, Abfragen beim Landesamt für Verfassungsschutz, bei einem Staatsschutz der Polizei, und das ist auch hier erfolgt.“
Hier muss zunächst angemerkt werden, dass der Polizeipräsident fälschlicherweise von einem „Waffenschein“ spricht, mutmaßlich handelt es sich bei der Philipp F. erteilten Erlaubnis aber lediglich um eine Waffenbesitzkarte. Die Besitzkarte erlaubt den Erwerb und Besitz, demgegenüber gestattet ein Waffenschein das Tragen der Waffe außerhalb des eigenen Grundstücks oder Hauses.
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Meyer führt weiter aus:
„Darüber hinaus ist unserer Waffenbehörde ein anonymer Hinweis zugegangen, und zwar im Januar 2023, also diesen Januar, ein Hinweisschreiben von einer bis heute unbekannten Person mit dem Ziel - dieses Ziel ist in dem Schreiben zum Ausdruck gebracht - das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf den Philipp F. zu überprüfen. Die anonyme Person brachte in einem Schreiben die Auffassung zum Ausdruck, dass der Philipp F. an einer psychischen Erkrankungen leiden könnte, ohne, wie die Person schreibt, dass dieses ärztlich diagnostiziert sei, da Philipp sich schlicht nicht in ärztliche Behandlung begeben würde.
Philipp F. hege eine besondere Wut, auch religiöse Anhänger, wurde ebenso erwähnt, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas und seinem ehemaligen Arbeitgeber.
Da eine zeugenschaftliche Vernehmung des Hinweisgebenden aufgrund der Anonymität nicht möglich war, unternahmen die Beamten der Waffenbehörde weitere Recherchen.
Recherchen in den polizeilichen Auskunftssysteme, die sie ja schon mal abgefragt hatten, aber jetzt erneut abfragten und in öffentlich zugänglichen Quellen, bei denen sie insgesamt keine Informationen erlangen. Bis zum heutigen Tag ist keine Registrierung erfolgt.
Am 7. 2. wurde dann der Philipp F. im Rahmen einer unangekündigten Kontrolle von zwei Polizeibeamten der Waffenbehörde an seiner Wohnanschrift in Altona aufgesucht. Jedem anonymen Hinweis, und davon gibt es einige bei der Waffenbehörde, wird standardmäßig mit einer Kontrolle begegnet, das heißt, standardmäßig nimmt man eine Kontrolle vor.
Die Besonderheit hier: Man hat eine unangekündigte Kontrolle vorgenommen, weil man sich aufgrund des Schreibens doch die Situation, ohne dass man den Philipp vorher quasi vorwarnen wollte, anschauen wollte.
Bei dieser unangekündigten Kontrolle wurde Philipp F. angetroffen. Er zeigte sich kooperativ, erteilte bereitwillig Auskunft. Es war ein offenes Gespräch. Man hat die waffenrechtlichen Vorschriften, dazu gehört die Verwahrung der Waffe und der Munition im Tresor, überprüft und die als eingehalten festgestellt.
Insgesamt gab es bis auf eine Kleinigkeit, bei der ein Projektil oberhalb des Tresors lag, keinerlei relevante Beanstandungen. Die gesamten Umstände wiesen auch keinerlei Anhaltspunkte für die Beamten auf, die hätten auf eine psychische Erkrankung hindeuten können.“
Hier stellt sich zunächst die wichtige Frage, welche Kompetenz Polizisten überhaupt mitbringen, psychische Erkrankungen zu erkennen. Haben hier Mediziner bessere Möglichkeiten, einen solche Erkrankung festzustellen? Warum war also kein Mediziner bei der waffenrechtlichen Überprüfung anwesend? Immerhin hielt man das anonyme Schreiben für relevant genug, dort unangemeldet zu erscheinen.
Langfristig müsste man hier statistisch ermitteln, ob psychisch instabile Täter überhaupt im Vorfeld auffällig geworden sind. Denn wenn man heute zu Durchsuchungen bei vermutet sprachlichen Barrieren Dolmetscher mitbringt, warum nicht auch bei behaupteten psychischen Problemen einen psychologischen Dienst anfordern?
Wieder Polizeipräsident Meyer:
„Im Gegenteil, man hat ein weiteres Gespräch über verschiedenste Dinge, die Einrichtung der Wohnung und ähnliche Dinge, mit ihm geführt und ist am Ende des Tages rausgegangen und hat ihm wegen der von mir erwähnten kleinen – wegen des kleinen Verstoßes, eine mündliche Verwarnung erteilt.
Er hat sich entschuldigt, das war ihm erkennbar peinlich, und dieses Projektil wurde auch sofort im Tresor verschlossen. Damit lagen für die vor Ort tätigen Beamten keine weiteren rechtlichen Möglichkeiten für polizeiliche Maßnahmen mehr zugrunde.
Die Sicherstellung der Waffe nach Paragraph 46 Absatz 4 Waffengesetz oder auch die Beantragung eines fachpsychologischen Zeugnisses nach Paragraph 6 Absatz 2 Waffengesetz verlangen beide Tatsachen. Und für diese Tatsachen gab es keine ausreichende rechtliche Möglichkeit, beziehungsweise die Rechtsgrundlage lag nicht vor, weil schlicht nur nur ein anonymes Schreiben zugrunde lag. Die rechtlichen Möglichkeiten der Beamten waren damit ausgeschöpft.“
Soweit der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.
Das besondere Augenmerk liegt jetzt allerdings auf dem „Projektil“. Hier ist es von Bedeutung, ob es sich wirklich um ein Projektil gehandelt hat, wie es der Polizeipräsident geschildert hat oder doch um eine scharfe Patrone. Die deutschen Vorschriften kennen diesen Unterschied.
Waffenrechtlich ist das in Deutschland nämlich ein großer Unterschied. Eine Patrone darf bei Besitzern einer Waffenbesitzkarte niemals außerhalb des Tresors bzw. nur in einem verschlossenen Behältnis gelagert werden. Ein Projektil hingegen ist frei käuflich, es wird sogar als Schmuck angeboten. Ergo hätte es im Haus des späteren Todesschützen für ein „Projektil“ auch keine Verwarnung oder Entschuldigung geben müssen. Und auch kein Wegschließen im Tresor. Gab es aber. Warum?
Da von den Beamten laut Hamburger Polizeipräsident Meyer eine mündliche Verwarnung ausgesprochen wurde, zudem eine Entschuldigung im Bericht erwähnt und ein anschließender Einschluss des vermeintlichen „Projektils“ vorgenommen wurde, müsste es sich bei dem vermeintlichen „Projektil“ um eine scharfe Patrone gehandelt haben.
Eine nicht ordnungsgemäß aufbewahrte scharfe Patrone außerhalb des Tresors oder eines verschlossenen Behältnisses hätte die Beamten theoretisch dazu berechtigt, alle vorhandenen Waffen einzuziehen, da die Zuverlässigkeit - gemäß der Vorschriften - dann nicht vorgelegen hätte. Es kann tatsächlich schon bei einer Patrone eine Zuverlässigkeitsüberprüfung anberaumt werden.
Zuverlässigkeit ist demnach nicht gegeben, wenn Munition nicht gesetzeskonform aufbewahrt wird. Eine Polizeibeamtin bestätigte gegenüber alexander-wallasch.de, dass diese strengen Maßnahmen durchaus so vorgenommen werden können. Warum sollte das in Hamburg anders sein?
Die Verwechslung von „Waffenschein“ und „Waffenbesitzkarte" ist das eine. Die mutmaßliche Verwechslung von „Projektil“ und „Patrone“ etwas anderes.
Selbstverständlich wird es jetzt Waffenbesitzer geben, die sich darüber empören, dass um eine Patrone so ein Bohei gemacht wird. Damit mögen sie sogar recht haben. Es ändert aber leider nichts daran, dass die Vorschriften einen Einzug der Waffe(n) möglich gemacht hätten, wenn das Projektil eine Patrone gewesen ist. Aber wenn es doch ein Projektil war, wozu dann dieses Theater der Polizei mit "mündlicher Verwarnung", "Entschuldigung" und sofortigem Wegschluss des Fundstücks im Tresor?
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Kommentar von B. Otto
Worin besteht der Mangel an Zuverlässigkeit, wenn ein Sportschütze ein Projektil oder Munition oder eine Waffe nicht verschließt, SOLANGE ER SICH WIE IN DIESEM FALL ALLEIN DAHEIM BEFINDET?
Antwort: Er besteht gar nicht! Und das zurecht, da die Waffen / Munition durch seine ANWESENHEIT vor fremdem Zugriff geschützt sind.
Im vorliegenden Fall ist die mündliche Rüge durch die Beamten zu UNRECHT ergangen, was die Unkenntnis und damit die schlechte Durchsetzbarkeit des Waffenrechts durch die Beamten belegt.
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Kommentar von Bernhard Rossi
Zuverlässigkeit ist nicht gegeben, wenn Munition ( ...und Waffen...) nicht gesetzeskonform aufbewahrt wird!
Immer und immer wieder wird von den Verbänden, Sportschützen und Jäger z.B., darauf hingewiesen, dass die Gesetze beachtet werden, sonst ist die Waffenbesitzkarte und die Erlaubnis weg! Da wird auch von Seiten der Waffenbehörden und ihrer Mitarbeiter in den Landkreisen nicht mehr diskutiert! Sofortiger Entzug!