Jenseits der Klarheit des Gedankens

Precht will kein Grüner mehr sein – aber noch fehlt ihm die Kühnheit für alles andere

von Alexander Wallasch (Kommentare: 12)

Precht: „Das ist so rechts, dass ich Riesenabstand zu den Grünen habe.“© Quelle: Youtube/ Hotel Matze Screenshot

Precht zu Gast bei Youtuber „Hotel Matze“. Ausschnitte werden im Netz gefeiert, weil sich Precht von den Grünen lossagt. Wie ernst ist es ihm und wo sieht Precht seine neue Heimat, wenn er nicht im Niemandsland hängen bleiben will? Eine Spurensuche.

Was ich an Bestsellerautor Richard David Precht mag, ist, dass er um seine psychische Grundstruktur kein Geheimnis macht. Precht ist mein Jahrgang, wir wurden demnach grundsätzlich ähnlich sozialisiert.

Und ich kann mich gut an diese Typen erinnern, die ich immer dafür bewundert habe, dass sie so stringent und stur einen unsichtbaren Plan zu folgen schienen. Selbstkritik oder gar Selbstironie Fehlanzeige. Dann besser im Fall der Fälle noch eine Schippe mehr Pathos und Bedeutung reinlegen, damit bloß nicht diese banalen Unklarheiten aufkommen.

Precht und Co, das waren in den 1980er und 1990er Jahren jene Zeitgenossen, die auch bei den Weibern ganz vorn mitmischten. Die konnten Frauen so totquatschen, dass diese sich richtig verstanden fühlten. Das war damals tatsächlich so: Frauen wollten jenseits von Machoallüren erobert werden. Dann wurde halt gequatscht, was das Zeug hielt, und das führte noch präziser zum Ziel, wenn man es mit dieser beneidenswerten Inbrunst und mit überzeugender Ernsthaftigkeit so gnadenlos durchziehen konnte.

Ich will das ohne jede Häme und nicht ohne Bewunderung sagen: Ich glaube, Richard David Precht war so ein Typ, der wusste, wie man an die Honigtöpfe kommt, und der von Hause aus auch das Rüstzeug dafür mitbekommen hatte.

Aber darum soll es ein anderes Mal gehen. Bis hierher war das nur die Vorgeschichte. Aktuell saß Precht jetzt beim Youtube-Influencer Matze Hielscher und stand bei„Hotel Matze“ etwas mehr als zwei Stunden Rede und Antwort. Ausschnitte davon verbreiten sich gerade in den sozialen Medien vor allem deshalb, weil Precht an einer Stelle einen veritablen Linken- und Grünen-Diss hingelegt hat.

„Hotel Matze“ ist ein erfolgreiches Format, das zuletzt mit Til Schweiger als Gast von sich reden machte, der noch eine Stunde länger aushielt als Precht. Beide wiederum hielten nicht so lange durch wie Maximilian Krah, der saß aber nicht bei „Hotel Matze“ sondern weit über sechs Stunden bei Thilo Jung – genutzt hat es dem EU-Spitzenkandidaten am Ende nichts.

Was ist der Nutzen der Session mit Richard David Precht? Wenn seine Eltern ihn Richard Bodo Horst genannt hätten, wäre wahrscheinlich ein Autor „Richie Precht“ aus ihm geworden. Wie auch immer, hier zunächst mal zwei Minuten aus dem Matze-Precht-Gespräch, zusammengeschnitten auf X:

„Ich (fühle mich) nicht mehr zugehörig, weil sich aus meiner Sicht die Grünen so stark nach rechts bewegt haben. Ein Kennzeichen unserer heutigen Zeit, das beunruhigend ist, ist Identitätspolitik. Also es gibt zwei Pole: Das eine ist der moralische Universalismus, zu dem ich mich bekenne in der Tradition von Kant. Geschlechter werden gleichbehandelt, da wird niemand bevorzugt. Und wie man sonst irgendwie aussieht, ist völlig egal. Und das ist für mich links.

Wenn ich sage, es ist wichtig, dass diese Rolle, dieses Amt, von jemand mit dem und dem Geschlecht und der und der Hautfarbe gemacht wird – (dann denke ich:) Moment, ich mache die Identität eines Menschen an seinem Geschlecht fest, ich mache sie an seiner Hautfarbe fest, im Zweifelsfall noch an seinem Alter? Das haben immer nur die Rechten gemacht, das ist klassisches „rechts“. Das ist ein Erbe des Rassismus, Leute wegen der Hautfarbe zu identifizieren als das, was sie sind, oder jemand wegen seines Geschlechtes zu identifizieren. Wir waren nur gerade froh, dass wir das losgeworden sind.

Und diese Tendenz, die eben sehr stark ist bei den Grünen, dass man also ein ganz besonderes Auge auf usw. – und nicht wie bei meinen Geschwistern (Red.: Precht hat zwei adoptierte Geschwister aus Vietnam), es spielte keine Rolle, es ist egal – es ist ein Erbe des Rechtsseins. Ich weiß, dass die Leute, die das vertreten, sich für linke Avantgarde halten. Aber es ist nicht links. Man kann es jetzt hunderttausend Mal sagen, es ist nichts links daran.

Und das zweite ist, in Konfliktsituationen zu sagen, es helfen nur Waffen. In meiner Sozialisation: FÜR Bundeswehr, FÜR Aufrüstung, FÜR Waffen, das waren die Rechten. Die Friedensbewegung, damals noch die Grünen, als sie links waren, aber auch Teile der SPD, die gesagt haben, Frieden schaffen mit immer weniger Waffen statt mit immer mehr. Das ist links. Links ist der Universalismus.

Und was die Grünen vertreten, nur Aufrüstung hilft und noch mehr Panzer und noch mehr Waffen rein und was weiß ich, was ... Die klassische Position, die immer von rechts übernommen wurde. Und wenn in zwei so wichtigen Feldern, also in Feldern der Identitätspolitik, nur die Stärke zählt und nur Krieg und Kampf im Zweifelsfall und so weiter – darwinistisches Bild! – , es gibt keinen Ausweg, außer immer mehr und mehr und mehr. Das ist so rechts, dass ich Riesenabstand zu den Grünen habe.

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Nach dem kurzen Ausschnitt sollte die polemische Einleitung hier verständlicher sein. Denn wenn jemals jemand populistisch war, dann doch wohl Herr Precht. Auch das darf man übrigens positiv bewerten, muss es aber nicht.

Folgt man den Gesprächsfetzen von Precht, dann kann man zunächst dieses Links-Rechts-Denken bemängeln und man würde damit nicht einmal einen originellen Einwand üben. Was Precht hier fehlt, ist das nächste Quantum Mut und die Kühnheit der Fortsetzung des Gedankens. Ja, Sie merken es längst, dieser Precht-Sprech steckt an!

Aber weiter: Auf den ersten Gedanken folgt bei Precht nicht automatisch der zweite. Wenn nämlich links jetzt rechts ist, ist rechts dann nicht folgerichtig der Ort des neuen Precht-Universalismus? Da wehrt er sich mit Händen und Füßen und erklärt, rechts wäre traditionell ausgrenzend, rassistisch und identitär. Was wäre aber, wenn die AfD – denn um die geht es ja hier – der neue Hort eines Universalismus nach Prechts Gnaden ist? Dann wäre der Fernseh-Philosoph in echten Schwierigkeiten.

Prüfen wir es nach: Zunächst einmal werden im Universalismus Angebote an alle Menschen gleichermaßen gemacht, unabhängig von einer ethnischen Zugehörigkeit. Aber ist das – bezogen auf die westlichen Werte als Klammer – nicht exakt das Angebot der AfD?

Universalisten geben an, über politische und territoriale Grenzen hinauszudenken. Universalismus als Ersatzbegriff, wenn man nicht den „Weltenbürger“ aus dem den zwischenzeitlich arg angeranzten Hippie-Vokabular benutzen will.

Noch eine Küchenpsychologie: Precht ist jetzt in jenem fortgeschrittenen Alter, wo die Unsterblichkeitsblase längst geplatzt ist und wo man beginnt, darüber nachzudenken, was übrig bleibt. Wo man im Garten nach dem Umgraben eines Beetes den Notarzt rufen möchte, aber doch weiß, dass die Erschöpfung nur länger dauert, wo man in der Wiederholung beginnt den Charme des Lebens zu entdecken, einfach weil sich so vieles nur noch wiederholt und der Abzug nur jedes Mal blasser wird, wie die letzten Blätter des Grundschulmatrizendruckers.

Aber es kommt alles noch schlimmer: Zeitgleich mit den Aha-Erlebnissen nimmt auch das Testosteron ab. Wer sich jetzt wütend gegen den Verfall stemmt, der landet unweigerlich im Don-Quijote-Modus im Kampf gegen Windmühlen.

Noch etwas fällt auf an diesem kurzen Precht-Abschnitt zu den Grünen: Es fehlt die Erkenntnis, dass die Grünen nie anders waren. Es fehlt eine abschließende Antwort auf die berühmte Frage, die sich Eheleute nach der Trennung stellen: Wer der Andere schon immer so scheiße?

Richard David Precht steckt in der Twilight Zone fest, eingeklemmt zwischen den politischen Sortierungen „rechts“ und „links“. Aber wer sich nun Hoffnung macht, dass Precht endlich dort ankommt, wo die eisernen Kreuze wachsen, dem muss man reinen Wein einschenken. Und zwar direkt aus dem Regal der Küchenpsychologie:

Precht stammt genauso wie etwa der Journalist Jan Fleischhauer aus einem links-grünen Elternhaus. Das ist ihr Kinderglaube. Opposition gehört hier zur natürlichen Entwicklung selbstverständlich dazu. Aber wenn – Achtung, Küchenphilosophie! – das Leben eine Kreisbahn ist, dann kommen beide am Ende wieder zu Hause an, dann ist das Linke ihre unverrückbare Heimat. Und seine Heimat kann man sich nun mal nicht aussuchen.

Der Journalist und Autor Matthias Matussek, hat den Begriff des „Kinderglaubens“ einmal in „Das katholische Abenteuer“ passend und in einem wunderbaren Satz beschrieben:

„Dieser Kinderglaube hat ein Reservoir angelegt wie einen unterirdischen See. Der mochte im Laufe des Lebens teilweise verschüttet werden, doch er war stets da.“

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