Die Debatte um Waffenlieferungen in die Ukraine ist nicht aufzuhalten

Pöbelnder Botschafter Melnyk beleidigt Alice Schwarzer

von Alexander Wallasch (Kommentare: 4)

„Es gibt wenig in meinem Leben, was so viel Sinn gemacht hat wie das Initiieren dieses offenen Briefes“, sagt Alice Schwarzer, Gründerin der Frauenzeitschrift Emma. Schwarzer kann mit Fug und Recht als Mutter des deutschen Nachkriegsfeminismus bezeichnet werden.

Sinn macht für die Feministin ihr offener Brief, in dem sie sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen hat. Zu den Erstunterzeichnern gehörten unter anderem die Schriftsteller Martin Walser und Juli Zeh.

Vielen Frauen in Deutschland wird heute einiges einfallen, das sie Schwarzer zu verdanken haben. Die Verlegerin war in den 1970er Jahren mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre befreundet und europäisierte so gewissermaßen den deutschen Feminismus.

Zusammen mit der Schauspielerin Catherine Deneuve und anderen stand Schwarzer ebenfalls an der Spitze der Bewegung für mehr Frauenrechte, Gleichberechtigung und vor allem für das Recht am eigenen Körper und gegen Sexismus in den Medien.

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Oder kurz gesagt: Alice Schwarzer ist kein Feigling. Wenn die Journalistin Haltung zeigt, kommt Bewegung in eine Debatte. Wenn Schwarzer gegenüber T-Online sagt, dass ihr offener Brief „den Korken aus der Flasche gehauen hat“, dann trifft das exakt so zu.

Die wütenden Reaktionen des polit-medialen Komplexes und einiger Randfiguren wie die des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk verdeutlichen sogar, dass der offene Brief von Schwarzer kein Korken aus der Flasche war, sondern eher der Sprengung eines brodelnden Vulkans glich.

Nun ist der Botschafter der Ukraine ganz entgegen seiner Berufung nicht für diplomatische Töne bekannt. Aber was er sich jetzt gegenüber Alice Schwarzer, einer Person des öffentlichen Lebens in Deutschland, erlaubt hat, ist mehr als nur eine Unverschämtheit – jedenfalls gemessen an der den offenen Brief diffamierenden Motivation dahinter.

Melnyk twitterte Folgendes:

„Hi Alice Schwarzer, Ihr Aufruf zur Kapitulation der Ukraine bedeutet, dass Ihr gefeierter Feminismus nur eine Fassade, ein Fake ist. Massenvergewaltigung von ukrainischen Frauen durch russische Soldaten in Kauf zu nehmen, ist Zynismus pur. Keiner mit gesundem Verstand soll Ihre schäbige EMMA kaufen.“

So eine lediglich beleidigen wollende Aussage muss man entlang der Lebensleistung von Schwarzer nicht mehr kommentieren. Hier geht es einzig darum, ihre kritische Haltung gegenüber Waffenlieferungen zu diskreditieren. Das ist schäbiger als es jedes Magazin inhaltlich sein könnte. Da zeigen wohl selbst die St. Pauli Nachrichten mehr Anstand als dieser Schreihals im viel zu großen Diplomatenanzug.

Die Charakterschwäche eines sich als Rumpelstilzchen inszenierenden Botschafters wird mit jedem seiner übergriffigen Twitter-Kommentare deutlicher. Zuletzt forderte er, in einer Art expandierendem Größenwahn, ein Mahnmal zu errichten für die ermordeten Ukrainer im Zweiten Weltkrieg. Melnyk hatte kritisiert, dass die Ukraine in der Topografie der deutschen Erinnerung fast komplett abwesend sei.

So ein Verlangen im Kontext mit der Forderung nach mehr schweren Waffen zu formulieren, ist mindestens inakzeptabel. Wann Deutschland ein Mahnmal errichtet, wo und für wen, wird 80 Jahre nach Kriegsende sicher nicht in der Entscheidung dieses ukrainischen Botschafters liegen. Und die Ausgestaltung des Geschichtsunterrichts an deutschen Schulen bleibt weiter Angelegenheit der Deutschen.

Soll sich Andrij Melnyk an Alice Schwarzer ruhig die Zähne ausbeißen. Daran sind in den vergangenen Jahrzehnten schon deutlich härtere Kerle gescheitert als dieser freche Mann aus Ost-Europa. Eine Debatte um Sinn und Unsinn von Waffenlieferungen ist längst angestoßen und Alice Schwarzer zu verdanken.

Der ukrainische Präsident und sein Botschafter mögen glauben, mit unserer Regierung Katz und Maus spielen zu können. Und der Ton der beiden macht den starken Eindruck, als wüsste man recht genau, dass man dabei die Amerikaner zur Seite hat.

Teil unserer westeuropäischen Nachkriegskultur ist eine starke Zivilgesellschaft. Und Alice Schwarzer ist kein unbedeutender Baustein einer Zivilgesellschaft, die es beispielsweise erfolgreich verhindert hat, dass Korruption sich im selben Maße ausdehnen konnte, wie das in vielen Ländern Ost-Europas der Fall ist:

Die Ukraine rangiert hier auf Platz 117 zwischen Sambia und Sierra Leone. Deutschland liegt auf Platz 9 zwischen Holland und Luxemburg. Das sind nur ein paar unbestechliche Hinweise zur Idee eines gemeinsamen europäischen Hauses.

Alice Schwarzer hat es nicht bei ihrem offenen Brief belassen. Sie hat jetzt anlässlich der Premiere des Dokumentarfilms „Alice Schwarzer“ noch einmal in Richtung Ukraine nachgelegt:

Selenskyj höre nicht auf zu provozieren. Und sei eine Schande, dass die Bundesregierung hier nicht lautstark protestiert hat, als die Einladung des Präsidenten kam, der Bundeskanzler solle ausgerechnet am 9. Mai nach Kiew reisen, während Russland quasi nebenan den sowjetischen Sieg über Nazideutschland feiert.

Der ukrainische Wunsch, Deutschland in einen Krieg hineinzumanövrieren, ist überdeutlich. Aber er wird nicht deutlich genug von der Bundesregierung abgewiesen. Die unsichtbare Hand von Uncle Sam im Nacken von Selenskyj und Co. – da will man gar nicht so genau hinschauen.

Alice Schwarzer kauft der deutschen Regierung den Schneid ab und bezeichnet die Einladung des ukrainischen Präsidenten als „Provokation ohne Gleichen“.

Der von Oskar Lafontaine als Blackrock-Lobbyist titulierte Friedrich Merz muss bei Selenskyj offenbar den Eindruck hinterlassen haben, mit den Deutschen könne man alles machen. Oder der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag hat es ihm so souffliert.

Und weil die Kampagne gegen Schwarzer jetzt erst so richtig hochgefahren ist, darf auch ein Klitschko nicht fehlen und der deutschen Feministin ein paar Upper Cuts verpassen. Die allerdings waren im Verhältnis zu Andrij Melnyks Pöbelei von geradezu ausgewählter Diplomatie: Blinder Pazifismus sei so falsch wie glückselige Kriegstreiberei. Aber etwas anderes hatte Alice Schwarzer auch gar nicht behauptet.

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