Wie ist es, heute alt zu sein?
Heute ist der Abstand zwischen den Jungen und den Alten sehr viel größer als früher. Auf dem Dorf waren früher meistens alle irgendwie Landwirte und Handwerker, und die Familien waren alle auf ihre Weise eingeteilt. Der eine machte die Arbeit in der Werkstatt, die anderen lernten, und die Hausfrau, die hatte Haus und Kinder. Die musste dann sehen, dass der Garten in Ordnung blieb, damit sie Früchte und Obst ernten konnten, das dann verarbeitet wurde. Heute hingegen wollen alle alles, und dadurch wird es schwierig in manchen Fällen.
Du hast von Problemen etwa mit Bank- und Arztterminen berichtet ...
Ich habe zum Beispiel einen Arzttermin, jetzt am Montag. Da will mich eine Verwandte fahren. Da ist dann wieder die Schwierigkeit mit dem Parken. Dann muss wieder einer hinspringen und den Parkautomaten füllen. Auf der Bank selbst war das früher so, dass man sich anmelden konnte und sich mit dem Sachbearbeiter, der meine ganzen Konten kannte, dann in ein kleines Zimmerchen gesetzt und besprochen hat, was gemacht werden kann oder soll, und das wurde dann gemeinsam in die Wege geleitet.
Es war immer derselbe Sachbearbeiter, der kannte die Verhältnisse genau. Und heute soll alles automatisch und möglichst ohne Personal funktionieren. Man kann keine Überweisung tätigen, weil die Bank in meinem Stadtteil nicht einmal mehr Automaten zur Verfügung stellt. Hier leben viele alte Menschen, nur die Jüngeren können das mit den modernen Möglichkeiten erledigen. Ich wohne alleine und bin immer stolz darauf gewesen, dass ich noch alleine zurecht komme und weder Hilfe vom Staat haben muss, noch von der Stadt oder von der Gemeinde. Das lässt natürlich mit den Jahren alles nach.
Es wird heute vieles online erledigt, aber Du hast ja gar kein Internet ...
Augenblick, man kann ja wohl nicht erwarten, dass eine Alleinstehende, die auf die 100 zugeht, sich jetzt noch damit beschäftigen soll. Wenn ich jetzt junge Menschen um mich hätte, dann könnte ich im Problemfall immer schnell mal jemanden fragen. Aber das geht nicht mehr. Ich höre doch nicht mehr gut. Das heißt, ich verstehe dadurch auch nicht, was jemand sagt. Übrigens auch dann nicht, wenn ich mich nur telefonisch schlau machen möchte.
Wie läuft das bei Arztbesuchen mit dem schlechten Hören?
Der Arzt kann gar nichts mehr machen. Genauso ist das mit dem Sehen. Du kriegst ein Hörgerät, das piept immer. Du kannst es entweder einstellen für die menschliche Stimme oder draußen für den Verkehr. Und wenn es auf den Verkehr eingestellt wird, dann ist wiederum die menschliche Stimme nicht zu verstehen. Die Maschinen werden viel lauter verstärkt, als wenn jemand nur normal spricht.
Nehmen sich die Ärzte Zeit für Dich?
Nein, die Ärzte haben keine Zeit. Und wenn man wirklich mal einen Satz mehr sagt, hat man schon ein schlechtes Gewissen. Die typischen Alterserscheinungen können allerdings auch schon bei jungen Menschen eintreten, beispielsweise, was das Gedächtnis betrifft. Neulich jammerte ein viel Jüngerer darüber, wo er schon wieder seinen Autoschlüssel verbummelt hat. Das sind alles Dinge, die eben schwierig sind.
Was bedeutet Dir die eigene Wohnung?
Die bedeutet mir alles. Ich bin ja ein Nachtmensch. Das heißt, ich kann am Morgen nicht so gut in die Gänge kommen wie abends um zehn. In der Nacht geht es manches Mal bis um vier, ich kann nicht einschlafen und bin hellwach. Und dann ärgere ich mich, dass ich morgens nicht in Gang komme. Ich kriege das nicht in die Reihe. Das habe ich aber nie gekonnt. Ich habe mein ganzes Berufsleben lang kämpfen müssen, morgens pünktlich aufzustehen.
Hast Du denn Angst vor einem Heimaufenthalt?
Die habe ich erst seit Kurzem verstärkt. Ich mache mir schon Gedanken, wie das gehen soll. Denn ich habe schon unterschiedliche Altersheime bei Freundinnen und Bekannten kennengelernt und immer das Negative erlebt oder gesehen. Ich habe eine Vorstellung davon, wie das ist. Massenverpflegung kenne ich von meiner jahrzehntelangen Arbeit in einem großen Unternehmen ebenfalls. Von daher weiß ich: Man kann sich noch so viel Mühe geben, dass Essen ist halb kalt auf dem Teller. Das ist wirklich schwierig.
Was fällt Dir zum Begriff „Lustige Witwe“ ein?
Da denke ich an die Witwen hier im Haus. Inzwischen gibt es nur noch den einen Herrn, alle anderen sind alleinstehende Frauen. Aber was das Lustig sein betrifft, das liegt immer auch ein bisschen daran, wie man selber groß geworden ist.
Wie ist das denn mit dem Tod des Partners und Einsamkeit im Alter?
Ich hätte vor zwei, drei Jahren gesagt, das macht gar nicht so viel aus. Man muss versuchen, dass der Geist immer weiter angeregt wird. Und dabei ist es gleich, ob man versucht zu stricken, oder lieber neue Bücher liest. Ich habe eine Ausbildung für Stadtführungen gemacht. Und dazu gehört eine ganze Menge an Wissen, dass man sich aneignen muss. Das ist das eine. Aber auf der anderen Seite wird alles sehr viel langsamer und dadurch schwieriger. Und du kannst auch nicht mehr so viel Gedanken verfolgen. Wenn jemand etwas Interessantes sagt, und du fängst an zu denken, dann hat der andere schon fünf Sätze weitergesprochen.
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Bedeutet Älterwerden auch ein ständiges Abschiednehmen, Abschied nehmen vom Auto, Abschied nehmen von regelmäßigen Veranstaltungen usw.?
Das passiert unterschiedlich schnell und fängt auch vom Alter her unterschiedlich an. Was mir sehr gefehlt hat, ist tatsächlich das Auto. Nicht nur, dass ich jetzt jemanden brauche, der für mich die Einkäufe macht oder Einkäufe trägt, sondern wenn ich zum Arzt will und der ist in der Stadt, ist das schon so, dass ich das alleine nicht mehr mag.
Ich bin in der Stadt zweimal gestürzt. Ich weiß nicht, ob das passiert ist, nur weil mir schwindlig war oder ob ich gestolpert bin. Auf jeden Fall lag ich da und alle guckten komisch, ganz besonders die Männer. Da waren dann noch ein paar ausländische Mädchen. Die saßen da irgendwo draußen und hatten Kaffee getrunken. Die haben das gesehen und kamen gleich angelaufen und haben mir aufgeholfen.
Du kennst die Stadt schon seit Ende der 1940er Jahre. Findest Du Dich noch zurecht, hat sich viel verändert?
Ich bin zwei, drei Jahre nicht mehr durch die Stadt gebummelt. Das habe ich sonst schon mal gemacht. Und ganz früher war ich immer traurig, als ich noch berufstätig war, dass ich nicht in Ruhe irgendwas in der Stadt erledigen konnte. Ich konnte das ja immer nur nach Feierabend machen. Und dadurch habe ich die Stadt nicht so erleben können.
Außerdem wohnte ich ja immer auf dem Dorf. Und damals hatte ich erst nur ein Fahrrad. Dann hatte ich mir ein Moped gekauft. Ich war die erste Frau im Unternehmen mit einem Moped. Später bin ich aufs Auto umgestiegen. Da musste man wieder überlegen, wo man parkt. Also so viel Zeit um richtig in Ruhe zu bummeln, habe ich nie gehabt. Und Sonnabend oder Sonntag – Sonnabend haben wir früher noch gearbeitet! – hatte ich keine Lust, da bin ich mit meinem Mann spazieren gegangen oder wir haben Ausflüge gemacht.
Was sind die alltäglichen Probleme heute?
Vieles ist zum Problem geworden. Manchmal auch ganz banale Sachen. Zum Beispiel bin ich kleiner geworden. Ich bin also geschrumpft. Und da mache ich mir Gedanken, ob die Beine besonders geschrumpft sind, weil mir alle Hosen zu lang geworden sind. Und selbst Hosen, die ich vor Jahrzehnten hatte. Ich habe da eine, die ich immer auch auf den Reisen anhatte, die habe ich mir mal wieder angezogen, die muss ich neuerdings umschlagen.
Und wie sieht es mit technischen Dingen aus? Technik vom Fernsehen oder vom Telefon?
Früher hat mich Technik immer sehr interessiert. Wenn Handwerker bei uns waren, war ich immer sehr gut im Anreichen. Die brauchten mir selten sagen, was für ein Werkzeug sie gerade haben wollten, dass sah ich schon vorher. Ich weiß nicht warum. Ich bin nämlich gar nicht so geschickt von der Feinmotorik her. Heute kann ich kaum noch einen Faden durch ein Nadelöhr fädeln. Und das mit der Technik wird alles schwieriger.
Was würdest Du denn wünschen, was für ältere Leute besser gemacht werden soll?
Auf jeden Fall wäre es gut, wenn Ältere ein bisschen mehr Zeit zugeteilt bekämen. Wenn hier jemand zu Besuch ist, dann müssen sie schon wieder losstürzen, weil der nächste Termin dran ist. Ganz gleich, ob das jetzt vom Pflegedienst ist oder ganz egal wer das ist. Alle haben zu wenig Zeit. Niemand kann mehr etwas in Ruhe machen. Und wenn jemand dann auch noch ein bisschen nervös veranlagt ist, dann wird schnell eine große Unruhe verbreitet.
Jetzt sagt die Bundesregierung, wir brauchen viele Zuwanderer, weil wir unsere Alten nicht mehr pflegen können ...
Das ist doch das gleiche Problem. Die haben ganz andere Sitten. Und dadurch gibt es auch manchen Crash. Ich war nach dem Krieg selbst fünf Jahre lang Ausländerin in Schweden. Da gab es viele Kleinigkeiten, die unterschiedlich waren. Eine Sache wäre egal, aber wenn sich das vermehrt, dann fühlt man sich auch nicht wohl.
Du warst als Deutsche in Schweden. Jetzt kommen Afghanen und Syrer und sollen hier Pflegekraft für Alte werden?
Das ist schon etwas anderes. Das waren christliche Länder damals, und die hatten ähnliche Vorstellungen vom Leben oder vom Alltag. Aber wenn sie aus einer anderen Kultur kommen, das ist sehr schwierig. Ich brauche doch niemanden, der mir die Küche schrubbt, wenn ich gerne Gardinen abgenommen hätte.Irgendwann sollten alle Kinder erst einmal auf höhere Schulen. Und dadurch ist das Handwerk, und das alltägliche Arbeiten, immer fremder geworden, und dadurch müssen wir Ausländer haben, die das tun.
Selbst beim Fußball gestern habe ich mich so aufgeregt, dass sie von Adidas-Kleidung weggehen und irgendeine ausländische amerikanische Firma nehmen. Wir machen uns so abhängig von den Ausländern. Das ist nicht nur, wenn im Haushalt jemand fehlt, im Krankendienst, im Pflegedienst. Alle diese Berufe müsste man für Deutsche attraktiver machen und zwar nicht nur mit Geld.
Danke für das Gespräch!
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Kommentar von .TS.
Aufschlußreiches Gespräch. Gerade weil es um weitgehend banale Alltäglichkeiten geht zeigt es doch sehr deutlich woran es heutzutage fehlt.