Wir sprechen nicht über, sondern mit dem Gründer der Identitären Bewegung

Martin Sellner im Interview: „Sie haben jetzt ihre Atombombe abgefeuert und es ist nichts passiert“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 16)

Hunderttausende sind wegen ihm und der AfD auf der Straße.© Quelle: Martin Sellner

Martin Sellner hätte nicht gedacht, was sein Vortrag über „Remigration“ vor einem privaten Club von Konservativen und Rechten auslöst. Wurde der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Aktivist benutzt, um die AfD anzugreifen und zu diskreditieren?

Sie stehen aktuell zentral im Mittelpunkt der Correctiv-Affäre. Als Redner einer privaten Veranstaltung haben sich ein paar gutsituierte ältere Herren einen jungen wilden Wiener Aktivisten zum Essen eingeladen, um sich hinter ihrer Serviette ein bisschen zu gruseln. Richtig zusammengefasst?

Sie meinen, dass ich dort als österreichischer Exot eingeladen wurde? Ulrich Siegmund von der AfD zum Beispiel ist auch sehr jung und sehr dynamisch, ich war also nicht der einzige Jüngere dort. Aber abgesehen davon ging es den Gastgebern auch darum, verschiedene Perspektiven zusammenzuholen. Und als Aktivist bringe ich eine andere Perspektive mit als ein AfD-Politiker. Ich glaube, das war Ziel dieser Einladungspolitik, ein möglichst breites Spektrum des gesamten patriotischen Lagers zusammenzubringen.

Worin besteht die Angst vor diesen privaten Treffen? Was sollte Böses daraus erwachsen?

Ich glaube, die größte Angst des Establishments – und das wurde noch viel zu unterbelichtet – ist, dass diese Gesprächsrunde nur eine von ganz vielen ist, wo sich privat auch Leute verschiedener Strömungen – sei es die Union, die Identitäre Bewegung oder die AfD oder auch ganz unpolitische Leute treffen und sich austauschen.

Die Botschaft lautet jetzt: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern! Wenn aber immer mehr Leute die Angst verlieren und sich mal privat anhören wollen, was so ein Sellner zu sagen hat, dann klappt ihre Dämonisierung nicht mehr. Deshalb wollen sie auch ein Exempel statuieren.

Sie haben einen jungen AfD-Politiker erwähnt. Wenn Sie im Vorfeld gewusst hätten, was das für die AfD bedeutet, wären Sie dennoch hingegangen? Warum haben Sie nicht auf den Hacken kehrtgemacht und gesagt, ich will nichts riskieren für die AfD?

Wenn ich diese Lügenkampagne hätte verhindern können, hätte ich das auch getan. Die Sache ist aber die: Ich habe mich schon häufiger mit AfDlern getroffen. Wir haben Podcasts gemacht und öffentliche Gespräche geführt über verschiedenste Themen. Und die haben dann bizarrerweise nicht eine derartig krasse Welle ausgelöst.

Für mich und für niemandem war ersichtlich, dass ein privates Treffen derartig missbraucht wird. Wirklich niemand, der dort war, hätte das erwartet. Aber auch niemand, der von diesem Treffen wusste oder gewusst hätte in der AfD, hätte gedacht, dass das derartig inszeniert und missbraucht wird. Also, ich glaube, es war schlicht nicht vorherzusehen.

Wenn man am Ende schaut, wer der Gewinner ist, dann sehe ich Sie ganz weit oben auf dem Podest. Ein Aktivist will Aufmerksamkeit. Mehr Aufmerksamkeit als im Moment können Sie doch kaum bekommen. Sie haben die ganze Republik gegen die AfD auf die Straße gebracht und Hunderttausende friedensbewegt ...

Das ist so eine Frage. Ich persönlich sehe es als einen Erfolg für den Begriff „Remigration“. Aber wenn es um mich persönlich geht: Ich habe jetzt wieder ein Spotify-Konto verloren. Der Fokus erhöht auch die Zensur gegen mich. Ich kriege vielleicht eine Einreisesperre nach Deutschland. Und was Sie nicht unterschätzen dürfen: Wahrscheinlich wird sich jetzt kein einziger Politiker mehr mit mir treffen wollen, mit mir reden wollen. Ich bin wieder sehr stark dämonisiert worden. Das darf man nicht unterschätzen.

Mein Ziel war, was auch passiert ist, dass es einfach normal wird, mit mir zu reden, dass ich auch Vorträge halten kann, dass ich auch langfristig mit verschiedensten rechten Leuten ins Gespräch kommen kann. Aber das hat sich jetzt wieder ein Stück weit gedreht. Ich bin ähnlich wie nach dieser Ibiza-„Cristchurch“-Geschichte ziemlich markiert worden.

Zusammengefasst: Ich gebe Ihnen Recht, es ist viel Aufmerksamkeit da. Aber zugleich auch sehr viel Dämonisierung. Man wird sehen, wie sich das entwickelt. Es besteht jetzt ein Risiko, dass jeder AfDler oder FPÖler in Zukunft denkt: Nein, den Sellner laden wir nie wieder ein, den laden wir lieber aus. Oder dass genau das passiert, was Sie angedeutet haben: Wenn mich in Zukunft irgendein Parteipolitiker in einem Raum sieht, macht er auf dem Hacken kehrt, dreht um und nimmt Reißaus. Das ist langfristig für einen politischen Aktivisten nicht gut.

Sie haben den Begriff „Remigration“ erwähnt, den Sie ja besetzt bzw. in die Debatte eingeführt haben. Ansonsten müssten Sie doch aber inhaltlich enttäuscht sein. Denn das meiste, was Sie fordern in Sachen Abschiebungen und Migration, findet sich in vielen Versatzstücken auch bei CDU, SPD, FDP und sogar bei grünen Politikern wieder. Wenn Ihr Vortrag eine Doktorarbeit gewesen wäre, hätte man Ihnen den Titel jetzt entziehen müssen ...

Da haben Sie Recht. Ich glaube, der Masterplan ist ein Scholz-Plagiat (lacht). Tatsächlich aber ist es wirklich so, dass die Alt-Parteien schlicht die Konkurrenz ausschalten wollen. Vielleicht auch ein bisschen aus schlechtem Gewissen, weil sie genau wissen, dass auch sie eine gewisse Remigrationspolitik betreiben, sei es die Abschiebung Illegaler, sei es eine Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts. Das alles geht bereits in die Richtung einer Remigrationspolitik. Ich glaube, es geht hier ausschließlich darum, die AfD anzugreifen und eine Drohkulisse aufzubauen.

Wenn es für die Etablierten etwas zu fürchten gibt, dann wohl nur, dass Sie es ernst meinen im Gegensatz zur Politik, die seit 2015 nichts dergleichen tatsächlich veranlasst. Selbst wenn man Merkel liest, findet man an vielen Stellen Martin Sellner in Reinkultur ...

Der einzige Unterscheid ist der: Die reden nur, wir planen schon mal. Eigentlich habe ich das Zitat geklaut, das stammt vom Ring Freiheitlicher Jugend. Sehen Sie, ich kann mir nichts mehr selber ausdenken, was nicht vorher schon jemand gesagt hat (lacht). Diese Parteien wollen einfach unliebsame Konkurrenz loswerden, um dann selber so eine Fake-Remigration, eine bloße Verbalremigration einzuleiten. Denn was sie wissen, ist, das Volk will Remigration und die AfD sind die Einzigen, die das glaubhaft vertreten.

Aber die politische Macht ist weder auf Ihrer noch auf Seiten der AfD. Die politische Macht ist in den Händen jener, für die heute auf die Straße gegangen wurde ...

Völlig richtig. In Deutschland demonstriert die Regierung gegen dich. Das ist ein sehr bizarrer Fall. Die politische Macht, die Gestaltungsmacht und damit die alleinige Verantwortung für Silvesterkrawalle, für zwei Gruppenvergewaltigung am Tag, für No-go-Areas, für Jihadismus, für Hamas-Demos liegt bei den Altpartien, bei der Ampel, aber auch bei der CDU, die ja bis dato immer in der Regierung war. Die sind verantwortlich dafür, und deshalb wollen die Leute der AfD eine Chance geben, weil sie sagen, so wie es bis jetzt gelaufen ist, wenn es so weiterläuft, wird es nur weiter schlechter. Und die AfD und um sie herum das patriotische Lager, das ist die einzige authentische Alternative.

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Jürgen Todenhöfer hat gestern den Widerstandsfall, Artikel 20 Absatz 4 gegen die AfD ausgerufen. Was kommt als Nächstes, die Bundesregierung nimmt für sich den Widerstandsparagraphen gegen das eigene Volk in Anspruch?

Die Leute, die die Macht haben, die eine immer totalitäre Herrschaft ausüben – ich verwende den Begriff nicht leichtfertig, aber wenn man dem wichtigsten Oppositionspolitiker die Grundrechte entziehen möchte, geht das in diese Richtung – die führen jetzt den Widerstandsparagraphen für Demonstrationen an gegen die Opposition.

Das Ganze ist kognitive Dissonanz. Denn diese Demos sind keine Demos, die sind zu vergleichen mit den letzten Demos der SED 1990, wo sich auch 250.000 Leute versammelt haben, um gegen Rechts zu demonstrieren. Und das war, wie man heute weiß, kurz vor einer patriotischen und demokratischen Wende.

Was unterscheidet die SED von der Ampel heute? Das klingt bei Ihnen so, als hätten wir hier schon die reinsten DDR-Zustände ...

Die SED ist auf jeden Fall ehrlicher, das ist schon mal ein erster Unterschied. Und sie macht das Ganze offener. Aber natürlich gibt es schon noch Unterschiede. Man sollte auch nicht übertreiben. Wir haben noch gewisse Möglichkeiten. Aber das Traurige ist, genau diese Möglichkeiten will man uns ja nehmen. Wir bewegen uns mit drastischen Schritten in eine Situation, wo die größte Oppositionspartei verboten wird, wo oppositionelle Jugendbewegungen vielleicht auch verboten werden, auch das wurde schon angesprochen.

Und Begriffe wie „Remigration“ – vollkommen legitime Begriffe – sind derartig dämonisiert oder werden vielleicht sogar strafrechtlich verboten. Wir bewegen uns mit Riesenschritten in eine totalitäre Struktur, in der keine offene Debatte mehr möglich ist, und auch keine evolutionäre demokratische Veränderung, und das ist eine Art Putsch von oben.

Rechtsanwalt Markus Haintz war heute auf ein paar Demonstrationen und hat mit Erstaunen festgestellt, dass Migranten eigentlich kaum vertreten waren ...

Diese Demos sind biodeutsche Selbsthilfegruppen, rückwärtsgewandt, negativ und anti-anti. Diese Leute wälzen sich da in ihren Phantasmagorien von angeblich vor der Tür stehenden Dritten Reichen, Wannsee-Konferenzen und Konzentrationslagern. Das sind natürlich alles haarsträubende Vergleiche. Und aus diesem Grund wird die Bewegung auch scheitern. Sie hat keine Antworten auf die brennenden Fragen. Sie ist nicht zukunftsgewandt, sondern vergangenheitsfixiert. Und sie ist zutiefst neurotisch. Ich glaube, dass auch jeder Migrant einfach kopfschüttelnd danebensteht und sich letztlich dann auch ein bisschen indigniert abwendet von diesem Schuldkultsturm.

Eine These, warum heute so viele auf die Straße gegangen sind: Manch einer hatte sich innerlich schon mit der AfD angefreundet. Die Werte der Partei sind gestiegen, es gab eine gewisse Toleranz, aber da waren noch diese hässlichen Bauchschmerzen. Als jetzt der Vorwurf der Deportationsplanung kam, waren die Verhältnisse wieder hergestellt, die Ampel macht viel Mist, aber bloß keine Nazis. Teilen Sie diese These?

Nein, ich würde sie sogar scharf kritisieren. Diese Deportationsfantasien finden ja nur in den Köpfen unserer Gegner statt. Ich möchte zitieren, Spiegel international: “We have to deport people more often and faster” – ein Interview mit dem deutschen Bundeskanzler. Was heute auf die Straße gegangen ist und gestern, das ist nicht die Mitte, die sich jetzt auf einmal gegen AfD entschieden hat, sondern dass ist das Kernmobilisierungspotenzial der Friedensvolksgemeinschaft gegen Rechts.

Woran machen Sie das fest?

Auch an den hochgehaltenen Schildern. Und daran, dass radikale Antifa-Gruppen dort darin schwimmen wie ein Fisch im Wasser. Und wenn man genau hinschaut, kaum Migranten. Man sieht auch keine Landwirte, keine Unternehmer. Das sind normale Deutsche. Aber es ist sicher auch der ideologische harte Kern, der da auf die Straße geht. Diese Leute haben jahrelang keinen Aufruf zur Mobilisierung mehr gehabt wegen Corona, wegen Bauerndemos. Und jetzt wurden sie in einer großen, hochemotionalen Kampagne auf die Straße gerufen mit den Superlativen Wannseekonferenz, Massendeportationen. Die Deutsche Bahn hat aufgerufen, die Bischöfe haben aufgerufen, die Bundesliga hat aufgerufen. Das ist wirklich das Mobilisierungsmaximum.

Ich will es auch nicht kleinreden. Es sind viele gekommen. Ich glaube nur, wenn das jetzt keine Konsequenzen hat, sprich, wenn die AfD nicht in den Umfragewerten einbricht – und seit zehn Tagen ist sie stabil auf 22 Prozent – wenn sich die AfD jetzt nicht zerlegt und in Streit und Chaos zerfällt, dann haben sie ihre größte Waffe, ihre Atombombe, abgefeuert, und es ist nichts passiert. Und dann würde ich mir an deren Stelle wirklich mal ganz ernste Gedanken machen, wie es überhaupt weitergehen soll.

Der neurechte Götz Kubitschek hat Alice Weidel in seinem Blog massiv kritisiert für die Entlassung ihres Referenten. Aber warum sollte das Kubitscheks Angelegenheit sein? Ist das Angst, dass ihm die Felle wegschwimmen?

Alice Weidel hat jedes Recht, zu entscheiden, wer für sie arbeitet. Und Götz Kubitschek hat jedes Recht diese Entscheidung zu kritisieren in ihrer öffentlichen Wirkung. Auch ich habe ein kritisches Video hochgeladen. Das war allerdings vor der Pressekonferenz von Weidel und Chrupalla, die ich sehr souverän fand.

Es ist unklar, warum der Referent Hartwig genau gegangen ist. Klar ist aber, dass das von „Correctiv, als Sieg gefeiert wurde, dass es so wirkte nach außen, als wäre es eine Reaktion gewesen auf das Treffen, und dass damit das Narrativ, es hätte Deportationsphantasien gegeben, gestärkt wurde.

Sprich: Die Außenwirkung dieser Entscheidung, wer auch immer dafür wirklich verantwortlich war, war schlecht, ja verheerend, weil sie die Methoden von Correctiv gerechtfertigt hat, weil sie Correctiv und Co motiviert hat, damit weiterzumachen, und weil es eben diese Lügen und den Verdacht genährt hat. Abgesehen davon: Auf der besagten Pressekonferenz haben Chrupalla und Weidel sehr souverän reagiert, und die gesamte AfD und die FPÖ natürlich waren sehr stabil.

Welches Verhältnis hat Martin Sellner zu Frau Weidel und Herrn Chrupalla?

Keines. Ich kenne die beiden tatsächlich nicht. Mein Verhältnis ist einfach eine parasoziale Beziehung, sprich, ich sehe sie online, höre mir ihre Reden und Interviews an, und ich hoffe, dass sie als Kanzlerin und Vizekanzler, oder umgekehrt Kanzler und Vizekanzlerin in Deutschland bald auch politische Gestaltungsmacht haben werden.

Danke für das Gespräch!

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