Nur ein Alibi-Artikel oder eine Neuausrichtung des CDU-nahen Portals?

Julian Reichelts Portal „Nius“ schickt der AfD einen Liebesbrief

von Alexander Wallasch (Kommentare: 8)

„Egal, was die Menschen wählen – die Mehrheit wird ignoriert.“© Quelle: Pixabay / ulleo

Ein Mitglied der Chefredaktion von „Nius“ hat jetzt die Reißleine gezogen und sich gegen die Brandmauer von Friedrich Merz gegenüber der AfD ausgesprochen. Der Anlass: Eine konservative Zweidrittelmehrheit aus CDU und AfD kündigt sich in Sachsen an.

Julian Reichelts Plattform „Nius“ – oder die Plattform, bei der er beschäftigt ist – steht nicht erst seit gestern in der Kritik , über ihren Finanzier ein CDU-U-Boot zu sein, das Friedrich Merz zum Kanzler machen will.

CDU-Generalsekretär Linnemann hatte zuletzt verkündet, dass es keine Aufarbeitung der Merkel-Ära geben werde, sondern man im Gegenteil die Ex-Bundeskanzlerin darum bitten werde, Wahlkämpferin für Merz zu sein.

Das wurde jetzt offenbar selbst den Lesern von „Nius“ zu heikel und die Portalmacher baten Wilhelm Haentjes aus der Chefredaktion darum, in einem Meinungsartikel dagegenzusteuern. Jetzt macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Und Ex-Springer-Mitarbeiter Haentjes ist vertraut mit dem Springer-System der Alibi-Artikel, aber bemerkenswert ist es dennoch.

Was ist ein Alibi-Artikel? Das sind Artikel, welche die Grundhaltung eines Blattes verschleiern sollen und die später als Alibi genommen werden, dass man eine unterstellte Haltung gar nicht hat.

Welt-Chef Poschardt beherrscht dieses Prinzip so gut, dass er es auch zum täglichen Geschäft seiner X-Postings gemacht hat. Springers „Welt“ hat sich mit solchen Alibi-Artikeln – und Alibi-Autoren! – sowohl entlang der illegalen Massenzuwanderung ab 2015 als auch durch die Pandemie gemogelt.

Aber zurück zu „Nius“ und Wilhelm Haentjes. Der schrieb jetzt einen erstaunlichen Artikel, welcher sich explizit gegen die Brandmauer wendet, die die CDU – namentlich Friedrich Merz – aufgestellt hatte, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Über diese Brandmauer urteilt das Mitglied der Chefredaktion so: „Wir sind gerade auf dem besten Wege in eine defekte Demokratie.“ Ein wenig windet sich Haentjes noch um den heißen Brei, aber seine Aussagen sind eindeutig:

„Die Kombination aus aktuellen Umfragen und politischer Realität zeigt uns aber gerade: Egal, was die Menschen wählen – die Mehrheit wird ignoriert. Im Osten droht nicht weniger als ein demokratisches System-Versagen.“

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Speziell die Analyse des Wählerverhaltens in Sachsen hat es „Nius“ angetan. Der Autor stellt fest, dass 67 Prozent der Sachsen CDU und AfD wählen. Also „ausdrücklich NICHT links“. Und weiter:

„Aber weil die AfD im Parteiensystem als unberührbar gilt, bräuchte es ein völlig unrealistisches CDU-Links-Bündnis, um eine Regierung gegen die AfD zu bilden.“

„Nius“ schlussfolgert, dass entlang der Umfrageergebnisse Sachsen unregierbar sei, wenn die CDU die Brandmauer aufrechterhalte. Der Autor befürchtet, dass die etablierten Parteien diese Unregierbarkeit auf die Wähler schieben:

„Die Parteien werden keine Lösung für dieses Problem anbieten. Sie werden sagen: Tja liebe Bürger, da habt ihr falsch gewählt, mit diesem Ergebnis können wir nichts anfangen!“

Die Brandmauer gegen die AfD verhindere den „inhaltlichen Fortschritt“, schreibt „Nius“. Hier beginne ein „demokratische(s) System-Versagen“. Wilhelm Haentjes hat auch eine Idee, warum der Wähler sich der AfD zuwendet:

„Die Wähler sind immer unzufriedener mit den etablierten Optionen auf dem politischen Markt. Sie fühlen sich von den Parteien der Berliner Bubble bei den Themen Migration, Inflation, Energie offensichtlich so schlecht repräsentiert, dass sie zur AfD abwandern.“

Das Fazit des Nius-Autors fällt eindeutig aus:

„Während die SPD-Spitze von einem Verbotsverfahren und die Grünen-Spitze von Nazis spricht, klettert die AfD Punkt für Punkt in den Umfragen. Am Ende werden die Parteien die Gründe des AfD-Erfolgs nicht bei sich suchen – sondern auf den Wähler schieben. Und spätestens dann ist unsere Demokratie defekt.“

Das ist zum Abschluss aber auch etwas putzig, denn das Brandmauer-Gerede hat hier wenig mit der SPD oder den Grünen zu tun, sondern mit Friedrich Merz und der CDU. Erträumt sich „Nius“ für Sachsen eine Zweidrittelmehrheit aus CDU und AfD? Oder handelt es sich hier um einen dieser eingangs beschriebenen Alibi-Artikel um AfD-affine Leser bei der Stange zu halten?

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