Claudia Roth, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, hat sich auf der Leipziger Buchmesse eine üppige Fläche samt Raum für Lesungen und Diskussionen angemietet. Auf einer dieser Lesungen war Julian Adrat für uns. Der Künstler und Autor hat im richtigen Moment abgedrückt und einen exemplarischen Gesprächsverlauf aufgezeichnet, der es in sich hat.
Schon das Motto, unter dem die Runde lief, lässt tief blicken und man muss sich die Frage stellen, merken die Initiatoren der Bundesregierung und ihre Gäste diese von ihnen selbst produzierte Doppeldeutigkeit wirklich nicht? Auf einem großen Flatscreen über der Gesprächsrunde eingeblendet stand nämlich:
„Bücher, die wissen, wo sie stehen – Verlage gegen Rechts“
Die Runde wird moderiert von der Autorin Zoë Beck, sie ist Mitbegründerin des feministischen Schriftstellerinnennetzwerks Herland und Mitinitiatorin des Aktionsbündnisses „Verlage gegen Rechts“ bei der Leipziger Buchmesse 2024. Ihre Gäste, die sich an dem Gespräch beteiligen, sind der Gründer des Berliner lesbisch-schwulen Querverlages, Jim Baker, und Mario Pschera vom Berliner Dagyeli Verlag.
Hier zunächst der Gesprächsauschnitt:
Zoë Beck: Wann cancelt man denn wirklich? Was soll das überhaupt? Bitte definiert das mal für mich ...
Jim Baker: Du stellst ja eine schwierige Frage ...
Zoë Beck: Meine Güte, ja (grinst) ...
Jim Baker: Ich würde es auch gerne wissen. Weil ich meine ... vor allem, weil ich jetzt nur für „Verlage gegen Rechts“ spreche. Wir sitzen da und überlegen uns in der Gruppe sehr basisdemokratisch solche Themen und überhaupt. Und da wird halt diskutiert, wen wollen wir einladen, wen kennste. Zumindest in meiner Erfahrung war das nie ein aktives „Den würde ich auf gar keinen Fall einladen.“ Sondern wir setzen die Schwerpunkte, wir setzen die Themen, wir entscheiden ganz aktiv, wen wir dabeihaben wollen. Klar, wir wollen diejenigen haben, mit denen wir diskutieren wollen. Klar kann die andere Seite daraus ziehen, von wegen: „Ja, ich lade den nicht ein und deswegen wird keine Diskussion zustande gekommen.“ Aber ich glaube, dass das vielleicht ein Ergebnis dieses Prozesses ist ... das war nie die Absicht, würde ich dann behaupten ...
Zoë Beck: Naja, die Absicht ist ja auch, dass Diskussionen zustande kommen und nicht einfach der Platz, der Raum gegeben wird für Propaganda. Und darum geht's ja. Und deshalb müssen wir halt auch ein bisschen schwierige Fragen ...
Jim Baker: Es gab ja auch genug Störaktionen, kann ich mich erinnern ...
Mario Pschera: Also, das ist genau der entscheidende Punkt. Findet tatsächlich auch eine Diskussion statt? Auch aus unterschiedlichen politischen Milieus, aus einem breiten Meinungsspektrum? Oder wird es zur Propagandaveranstaltung? Und gerade also insbesondere die neue Rechte ist ja sehr gut geschult, auch Veranstaltungen zu kapern, es gibt dafür extra (etwas), findet man auch im Internet ...
Das muss man mehrfach lesen: Denn man versteht zunächst gar nicht, wer da eigentlich für wen spricht. Warum ist das so schwer zuzuordnen? Wenn Frau Beck und Herr Baker davon sprechen, sie wollen Diskussionen führen, dann meinen sie das Gegenteil davon. Dann sind tatsächlich Kontrahenten, Teilnehmer einer „Störaktion“, wie es Baker nennt.
Aber Frau Beck treibt es auf die Spitze, wenn sie ihren Zuhörern versucht plausibel zu machen, dass man quasi keine Gegenmeinung zulässt, weil die Äußerung einer anderen Auffassung mindestens im Verdacht stehe, Propaganda zu sein. Die Idee einer ergebnisoffenen Diskussion ist hier auf erschütternde Art und Weise ad Absurdum geführt worden.
Es soll „kein Raum für Propaganda sein“. Dass eine Diskussion ohne unterschiedliche Meinungen gar keine Diskussion, sondern Propaganda für eine einvernehmliche Haltung ist, kommt der Runde gar nicht in den Sinn. Und auch aus dem Publikum am Stand der Bundesregierung auf der Leipziger Buchmesse gibt es dazu keinerlei Protestregungen. Null und Nichts.
Bestürzend: Die Zuhörer machen hier nicht den Eindruck, als seien sie still, weil sie etwa zu geschockt wären von dieser offen vorgetragenen Renaissance totalitärer Denkstrukturen. Ist das schon ein Gewöhnungseffekt?
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Noch ein Wort zu den „Störaktionen“, von denen Baker und Pschera sprechen: Beide wissen natürlich genau, dass linksradikale und -extreme Störer Auftritte konservativer und rechter Verlage auf vergangenen Buchmessen massiv gestört haben. Und dass diese Antifa-Adepten dann allerdings – etwa bei Kubitschek und Antaois – auf eine selbstbewusste Gegenwehr stießen und diese sich nicht einfach dem Druck beugten und ihren Stand abbauten.
Frage also: Wie weit muss man ideologisch schon zerfressen sein, wie Mario Pschera, angesichts massiver linker Störaktionen festzustellen, die neue Rechte sei „sehr gut geschult, auch Veranstaltungen zu kapern“? Das ist in etwa so zynisch und dämlich, wie einem Opfer sexueller Übergriffe zu erklären, ihr Rock wäre zu kurz gewesen.
Und das alles findet auf einer Bühne der Bundesregierung auf der Leipziger Buchmesse statt. „Verlage gegen Rechts“ bittet aktuell um Spenden, aber man darf sicher sein, dass, soweit es nicht bereits geschieht, eine staatliche Förderung nicht lange auf sich warten lässt. Der eine oder andere teilnehmende Verlag hat so eine Unterstützung offenbar auch dringend nötig.
Julian Adrat kommentiert das Erlebte per X:
„Absicht ist, dass Diskussionen zustande kommen, ohne dass Raum gegeben wird für Propaganda“, sagt Zoë Beck, die Kriminalromane ohne Masuklinum schreibt 🤡 Zwei Schritte rein in die Leipziger Buchmesse und schon stoße ich auf völlig entseelte Schwurbelei, einzige Überzeugung: Gendersterne und Nazi-Psychose. Nicht ein My Debattenkultur. Aufklärerisches Wertebewusstsein: Fehlanzeige.“
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Kommentar von Jörg Hensel
Wenn ihr eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, werdet ihr sie brauchen, um zu weinen. Jean-Paul Charles Aymard Sartre …
Wenn mit „Ratifizierung“ eines Rechtsaktes zeitgleich seine Rechtsgrundlage aufgehoben wird, hat dieser Rechtsakt zu keinem Zeitpunkt Rechtskraft erlangt.
Hier: Angenommener Beitritt gem. Art. 3 EinigVtr und die zeitgleiche Aufhebung seiner Rechtsgrundlage (s.g. „Beitrittsartikel“ resp. Art. 23 GG a.F.) via Art. 4 Ziff. 2 EinigVtr.
Daher gab es auch keinen Beitritt der DDR zur BRD, als Voraussetzung für die Wiedervereinigung, so dass die DDR-Verfassung auch nicht – wie beabsichtigt – durch Beitritt aufgehoben wurde resp. weiter fortbesteht und dem Grundgesetz folgerichtig kein Rechtskraft entfaltender Geltungsbereich (Präambel) zugewiesen wurde resp. das Grundgesetz nirgendwo mehr gilt.
Die BRD gibt es nicht mehr. Sie wurde vor 33 Jahren von der DDR annektiert.
Und das ist noch lange nicht alles.
https://menschenrechtsverfahren.wordpress.com/2023/12/02/wir-sind-ddr/
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Kommentar von Carl Peter
Es ist ja eine alte Streitfrage, ob ein Werk für sich allein steht, oder der Autor immer mit einbezogen werden muss.
Insofern hat das Motto, in dem das Werk weiß, wo es steht, die Frage zugunsten des Werks entschieden.
Es geht aber hier nicht um Bücher und Autoren, es geht um
“Verlage, die wissen, wo sie stehen - Bücher gegen Rechts”
- denn so wäre das Motto in seiner Absicht ehrlich und eigentlich dumm.
Denn das ehrliche Motto würde eine erhebliche Anzahl von Autoren verprellen - Bücher gegen Rechts wollen nicht unbedingt viele schreiben, die schreiben können.
Das platte Verkaufsmotto von Büchern, die wüssten wo sie stehen, wollen die Verlage zeitgeistig den Büchern unterschieben, um damit einen Verkaufsvorteil zu erhoffen.
Vielleicht ist aber das Verhältnis zwischen Bücher-Lesern und Event-Lesern schon derartig ungünstig, dass das Bücherlesen keine Schriftsteller mehr anlockt, die die Arbeit und das Vergnügen des Lesens lohnen.
Autoren sollten heutzutage am besten schon über genug Vermögen verfügen, damit die Schriftstellerei dieses nicht allzu sehr verringert - bei Verlagen sind die Honorare meist wie Pennystocks.
Einen Reich-Ranicki hat man auch nicht mehr im Genick, um sich selbst Höchstleistungen abzuverlangen - beim Schreiben und auch beim Lesen.
Zeitgeistiges Abbiegen nach links oder rechts waren ihm ein Gräuel.
Nicht von ungefähr trifft plötzlich das Mainstream- Verlagswesen mit Gegen-Rechts-Bapperln auf Widerstand durch ganz andere Verlage - für jeden der Lesen und Denken kann und will, sind die Zustände in Deutschland zumindest eine Beleidigung, und diese anderen Verlage versuchen da gegenzusteuern.
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Kommentar von .TS.
@Bernhard Rossi: Für totalitär Gesinnte gibt es keine Privatsache, bei denen hat sich alles der Einheizdiktatur unterzuordnen
@StephanU: Richtig, ein großer Teil der Eskalation der letzten Jahre erklärt sich von selbst wenn man davon ausgeht daß viele davon ausgehen daß andere genauso denken wie sie selbst.
Das ist aber nicht Neues, was aber dazukam ist die unheilsame Verbindung mit der neuzeitlichen Selbstüberschätzung, sowohl was eigene Bedeutung als auch Kompetenz angeht, zusammen mit der eklatanten Schamlosigkeit wenn man bei einem - heutzutage überwiegend folgenlosen - Fehltritt erwischt wird solange man innerhalb der eigenen Blase bleibt.
Zum Geschehen selbst hat Julian Adrat schon in seinem Schlußwort alles gesagt. Insbesondere der eklatante Mangel an geistigem Tiefgang und Selbstreflexion auf diesen Selbstbeweihräucherungsverunstaltungen spricht mehr Bände als dort zwischen alle Zeitgeistpappdeckel passen.
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Kommentar von Bernhard Rossi
An einem Stand der Bundesregierung? Diese Grünlackierten Sozialisten haben bis heute nicht verstanden, dass das Leben, Lieben, Arbeiten, Heizen, Fahren, Lesen, Hobby, Sprechen, Schreiben usw. PRIVATSACHE sind.
Dort hat sich die Politik komplett heraus zu halten!
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Kommentar von StephanU
In der Psychologie werden diese Phänomene als Übertragung oder Projektion bezeichnet, glaube ich: Eigene negative Eigenschaften werden unbewusst (!) auf einen Gegner übertragen bzw. projiziert.
So konnte der "Spiegel" am 16.3. texten:
"Es klingt nach Weimar und Kaltem Krieg, nach längst vergangenen Zeiten – aber Propaganda ist zurück. Das verändert Politik und unsere Gesellschaft. Höchste Zeit, sich einzugestehen, dass nichts mehr ist, wie es einmal war."
Propaganda machen natürlich immer die anderen, die Bösen, Rechte, Trump, Putin... Man selbst berichtet nichts als die Wahrheit, die reine Wahrheit.
Was machen "die anderen" mit ihrer Propaganda? Sie spalten die Gesellschaft, sie gefährden das Wirtschaftswachstum, sie verhindern Fachkräftezuwanderung, sie bedrohen Andersdenkende...
Ich weiß nicht, ob sich Projektion und Übertragung zu einer Psychose auswachsen können. Vieles spricht aber dafür, wenn man sich etwas in der Gesellschaft umguckt. Unklar ist, ob sie sich noch im Anfangs- oder schon im Endstadium befindet.