„Diese rhetorischen Darmwinde von einer Melonisierung der Rechtsparteien sind unerträglich“

Gerald Grosz im Interview: Der Herr Wulff soll einfach das Maul halten und schweigen

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

Der AfD fehlt: Geschlossenheit, Unterbindung von Lagerbildung, Loyalität und Disziplin.© Quelle: Youtube / Gerald Grosz, Screenshot

Wir sprechen mit dem Österreicher Gerald Grosz über den Ausgang der Europawahl, über die AfD und die Rolle von Maximilian Krah im Besonderen. Gerald Grosz ist einflussreicher Politiker, Autor und Kolumnist.

Gerald Grosz ist seit Jahrzehnten eine bedeutende konservative Stimme in Österreich. Gemeinsam mit Jörg Haider gründete er das „Bündnis Zukunft Österreich“. Er war Abgeordneter im Nationalrat. Heute schauen wöchentlich Hunderttausende seine Sendung auf OE24.TV. Heute bei Alexander-Wallasch.de im Interview.

Welche Bedeutung hat die EU heute für die nationale Politik und Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten? Was hat sich da aus ihrem Blick in den letzten Jahrzehnten verändert? Hat sich was verändert?

Der Vertrag von Lissabon und sämtliche anderen EU-Beschlüsse der letzten zwanzig Jahre haben massive Gesetzgebungskompetenz von den nationalen Staaten an die Europäische Union abgegeben. Das dürfen wir nicht vergessen. Allein wenn ich an die Diskussion denke, die um das Renaturierungsgesetz stattfindet, oder beispielsweise an den sogenannten Green-Deal von Ursula von der Leyen, dann bedeutet das ja einen direkten Eingriff in die nationale Gesetzgebung über die Freiheit der Wirtschaft in die soziale Marktwirtschaft einzelner Nationalstaaten.

Das heißt, leider, und das ist ein massiver Einschnitt, das ist Beschneidung der Grundrechte der Mitgliedsstaaten bis hin zu Budgethoheit. Die Europäische Union hat die letzten Jahre und Jahrzehnte immer mehr Kompetenz an sich gerissen beziehungsweise nicht an sich gerissen, denn die europäische Union ist ja kein abstraktes Gebilde, sondern die einzelnen Staats- und Regierungschefs haben immer mehr Verantwortung, nationale Verantwortung nach Brüssel abgeschoben.

Wie schaut Österreich auf das Geschehen rund um die AfD in Bezug auf die EU-Wahl und auch generell auf die deutsche Oppositionspartei?

Die AfD ist ein wesentlicher Partner für alle rechtskonservativen Parteien in Europa. Die AfD hat einen aus meiner Sicht historischen Wahlsieg errungen, indem sie bei der Europawahl zweitstärkste Partei wurde.

Dennoch dürfen wir uns nicht in den Sack lügen. Vor einem Jahr hätte die AfD bei der EU-Wahl noch 22 bis 23 Prozent erringen können. Das heißt: Einerseits die Kampagne, die gegen die AfD gefahren wurde, die massive Medienkampagne der letzten sechs Monate, beginnend mit Potsdam und endend mit der Skandalisierung gegenüber einzelnen Kandidaten, hat ihre Wirkung gezeigt. Aber natürlich wurde auch andererseits das Gefühl verstärkt, dass bei der AfD eben nicht an einem Strang gezogen wird.

Was ist das Erfolgsgeheimnis der Freiheitlichen Partei in Österreich? Was ist das Erfolgsgeheimnis von „Rassemblement National“? Was ist das Erfolgsgeheimnis der „Lega Nord“? Was ist das Erfolgsgeheimnis von Viktor Orbán? Absolute Geschlossenheit, Unterbindung jeglicher Lagerbildung, absolute Loyalität und Disziplin der einzelnen Führungsfunktionäre, Das ist bei der AfD noch nicht gegeben. Die AfD sieht es einerseits als Vorteil, weil sie die Basisdemokratie und den demokratischen Ablauf ihrer Gremien als Vorteil sieht. Ich sehe es in dem Fall eher als Nachteil, und zwar als massiven Nachteil sogar. Denn Parteien sollten sich so organisieren wie auch Staatengefüge, und das ist eine repräsentative Demokratie und keine direkte Demokratie.

Das heißt, es muss eine klare Parteiführung geben. Und es muss eine klare Autorität der jeweiligen Parteiebenen geben. Das ist ein Prozess, den die AfD sicherlich einleiten wird müssen. Warum? Weil es ja nicht sein kann, dass man aus reinem Selbstzweck bei 16, 17 Prozent bleibt und zweitstärkste Kraft ist, sondern weil es Anspruch der AfD sein muss, 20, 25, 30 Prozent zu erringen, damit auch in Deutschland jener Zustand hergestellt wird, dass an der AfD niemand vorbeikommt.

Könnten Sie dem Leser bitte einmal erklären, was das alles bedeutet rund um diese Fraktionsbildungen im EU-Parlament?

Jede Partei entsendet nach Wahlergebnis Mitglieder an die Europäische Union. Und die finden sich in sogenannten Parteidelegationen, in nationalen Parteidelegationen. Diese Delegationen haben die Möglichkeit, wenn es sieben Delegationen sind, aus sieben verschiedenen Ländern und wenn sie ein bestimmte Anzahl Mandatare haben, Fraktionen zu bilden. Das ist eigentlich recht einfach: Der Fraktionsstatus im Europäischen Parlament wird einem zugebilligt, wenn man einzelne Mandatare aus sieben Mitgliedsstaaten in einer gewissen Anzahl an sich binden kann.

Wir müssen kurz über Maximilian Krah sprechen. Der war Spitzenkandidat der AfD für das EU-Parlament und hat jetzt große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Frau Le Pen hat wegen Krah Frau Weidel nach Paris einbestellt. Was passiert da rund um Krah?

Maximilian Krah ist ein hochintelligenter Mensch, das ist nicht abzustreiten. Er ist auch ein brillanter Formulierer. Aber er hat die letzten fünf Jahre innerhalb der Europäischen Union Irritationen ausgelöst. Und auch Irritationen unter allen Rechtsparteien, nicht nur bei Marine Le Pen, sondern auch bei Viktor Orbán und auch bei der freiheitlichen Partei Österreichs.

Das gehört zu seiner Persönlichkeitsstruktur dazu. Das große Problem ist kein deutsch-französisches Problem, sondern das große Problem ist, dass während des letzten französischen Staatspräsidenten-Wahlkampfes Max Krah gegenüber der eigenen Parteifamilie massiv illoyal geworden ist, weil er eine Wahlempfehlung für Eric Zemmour abgegeben hat und nicht für die Vorsitzende der eigenen Schwesterpartei. Das wird unter den europäischen Rechtsparteien als massiver Verrat gesehen. Das wäre ungefähr so, wie wenn Max Krah bei der österreichischen Nationalratswahl keine Empfehlung für Herbert Kickl abgibt, sondern sich irgendeinen Obskuranten sucht am rechtsextremen Rand und für diesen eine Wahlempfehlung abgibt.

So kann eine Parteienfamilie nicht funktionieren. Und ich glaube, diese emotionale und zutiefst persönliche Erschütterung, die die letzten fünf Jahre hier in der ID-Fraktion, in der Parteienfamilie ausgelöst worden ist, hat leider Gottes dazu geführt, dass vor der EU-Wahl die AfD aus der ID-Fraktion ausgeschlossen wurde.
Ich halte es für einen massiven Fehler, weil ich die Deutschen für unverzichtbare Partner halte. Ich hoffe, dass die Emotionen jetzt abkühlen werden, dass alle einen einigermaßen kühlen Kopf bewahren, dass die AfD stabil bleibt, und das spätestens nach der französischen Parlamentswahl die AfD wieder Anknüpfungspunkte findet.

Denn wir dürfen nicht vergessen, bei der ID-Fraktion geht es ja in Wahrheit nicht nur um eine Partei, wo Marine Le Pen dabei ist, sondern da geht es um eine Parteienfamilie, wo die Freiheitliche Partei mit sechs Mandaten drittstärkste Delegation ist. Da geht es um eine Parteienfamilie, wo Geert Wilders daran beteiligt ist. Da geht es um eine Parteienfamilie, wo möglicherweise Viktor Orbán sich angliedern wird.

Das heißt, ich hielte es für einen entsetzlichen Startnachteil auch für die Deutschen, wenn sie dieser ID-Fraktion nicht angehören, denn dann würden sie ja nicht in Freundschaft zu Viktor Orbán stehen oder zu Herbert Kickl, sondern in massiver Gegnerschaft. Dann wäre – am Beispiel der österreichischen Situation – die Freiheitliche Partei nicht mehr Schwesterpartei der AfD. Ich weiß schon, dass es in manchen Kreisen so gesehen wird: Ach, das ist ja ein deutsch-französischer Krieg, und man versucht hier Le Pen als „Systemkandidatin“ darzustellen oder gar als „Ostküstenagentin“ und andere Verschwörungstheorien zu spinnen um Frau Le Pen. Das ist alles fürchterlicher Schwachsinn und dient offenbar nur dazu, Intrigen innerhalb der AfD anzuheizen. Ich appelliere hier wirklich an die Vernunft und auch an die Geschlossenheit der AfD.

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Aber Sie sprechen von der „Parteienfamilie“. Die AfD hat ja nun ein deutliches Zeichen gesetzt, sich von Maximilian Krah distanziert und hat die Delegation alleine zur ID-Fraktion entsandt, aber sie wurde wieder abgewiesen. Was ist das denn seinerseits für ein familiäres Verhalten an der Stelle?

Das ist kein familiäres Verhalten. Ich glaube auch, dass die Franzosen hier einen schweren Fehler gemacht haben. Auch mit diesem Ausschluss drei Wochen vor der Wahl. Nur man muss ehrlicherweise sagen, dass für Außenstehende in Wien, in Paris, in Rom, aber auch in Budapest die interne Lagerbildung innerhalb der AfD nicht mehr durchschaubar ist.

Wie gesagt, das Erfolgsgeheimnis eines Viktor Orbán, eines Herbert Kickl, eines Jörg Haider, eines Heinz-Christian Strache, einer Marine Le Pen, eines Geert Wilders, ist absolute Geschlossenheit, Unterbindung jeglicher Lagerbildungen. Persönliche Eitelkeiten und Emotionen haben in Parteien nichts verloren. Frage nicht, was eine Partei für dich tun kann, sondern frage, was du für das Land tun kannst. Diese Grundsätze sollten sich auch die einen oder anderen Obskuranten in der AfD endlich zu Herzen nehmen, damit die AfD wieder ein fixer Bestandteil, ein geschlossener Bestandteil dieser erfolgreichen rechtskonservativen Parteienfamilie wird.

Wir brauchen nicht darüber diskutieren, dass die Reaktion der Franzosen falsch war, dass die Reaktion der Franzosen überzogen war. Aber man muss für die Franzosen insofern auch ein Verständnis aufbringen: Marine Le Pen kämpft in drei Wochen um den Posten des Premierministers in Frankreich. Sie kämpft in zwei Jahren um den Staatspräsidenten. Und es ist absolut unerträglich, dass man in Wien bei Pressekonferenzen, dass man in Paris bei Pressekonferenzen, dass man in Rom bei Pressekonferenzen oder in Budapest ständig mit irgendwelchen internen Verwürfnissen in der AfD belästigt wird. Das empfinde ich als eine Belästigung.

Die Rechtspopulisten und Rechtskonservativen in Europa haben eine Holschuld, aber die AfD hat auch eine Bringschuld, stabil zu bleiben.

Kurz noch einen Satz zur Rolle von Frau Meloni?

Giorgia Meloni mag zwar in den Augen einiger verwirrter Geister eine Rolle spielen, um quasi die Resentiments gegenüber der ID-Fraktion in Deutschland zu stärken. Aber Frau Meloni ist nicht Bestandteil der ID-Fraktion. Sie war es nie und wird es auch nie sein. Matteo Salvinis Lega Nord ist die Schwesterpartei der ID-Fraktion, aber doch nicht Meloni.

Von daher halte ich diese Rülpser, diese Blähungen und diese rhetorischen Darmwinde von einer Melonisierung der Rechtsparteien für noch unerträglicher. Man soll in deutschen Kreisen nicht glauben, dass andere Staaten nicht Twitter lesen.

Das geht doch aber auch von Frau Le Pen aus, die sich da ein Stück weit Richtung Frau Meloni ausgebreitet hat ...

Nein, mir wäre neu, dass sich Frau Le Pen gegenüber Frau Meloni ausgebreitet hat, ganz im Gegenteil. Diese beiden Damen verbindet bestenfalls eine herzerfrischende Abneigung. Aber man darf nicht vergessen, dass Frau Meloni Ministerpräsidentin Italiens ist. Aber der Partner von Marine Le Pen in Italien ist Matteo Salvini und nicht Meloni.

Wird es auf EU-Ebene eine spürbare Reduzierung der Zuwanderung geben in Zukunft?

Das muss es geben. Es muss eine Festung Europa geben. Das ist aber nur dann möglich, wenn die ID-Fraktion mit den europäischen Reformisten und Konservativen die zweitstärkste Kraft wird.

Viktor Orbán hat vor drei Tagen angeboten, dass sich seine Fidesz-Partei mit einer neuen rechtskonservativen Parteienfamilie zusammenschließt. Das ist möglich, wenn alle an einem Strang ziehen, wenn alle einigermaßen stabil sind, wenn alle das große Ziel in den Vordergrund rücken und nicht eigene Eitelkeiten und Befindlichkeiten und Egoismen.

Ziel für die ID-Fraktion muss es sein, es zu schaffen, die zweitstärkste Fraktion zu werden, vor den Sozialdemokraten, vor den Grünen und vor den Liberalen. Das muss in Wahrheit das große Ziel sein. Und dann kommt an einem Herbert Kickl, an einem Viktor Orbán, an einer Marine Le Pen in Europa keiner mehr vorbei. Und dann wird auch die Zuwanderung begrenzt, indem Europa eine starke Festung ist, die eine transkontinentale Zuwanderung einfach nicht mehr zulässt. Das muss das große Ziel sein.

Aber ich betone: Mein großer Wunsch ist, dass die AfD hier als großer Player im Europaparlament geschlossen an diesem Projekt teilnimmt. Aber ich glaube, dass diese Lösung sich erst in den ersten Juliwochen abbilden könnte. Bis dorthin muss auch jeder seinen Beweis antreten, dass er geschlossen an einem Ziel arbeitet.

Der ehemalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff war bei Maischberger im Fernsehen und prophezeite dort, dass 2040 alle dankbar auf die weiterhin offenen Grenzen schauen werden, so wie man 1989 bei der Grenzöffnung zunächst kritisch war und sich dann Jahre später darüber gefreut habe ...

Ich möchte mich zur Person und zu den Ideen und Äußerungen von Herrn Wulff nicht auslassen. Wir wissen alle, unter welchen Umständen ausgerechnet ein deutscher Bundespräsident, der ein ehrbares Amt ausgeübt hat, sich unehrenhaft verhalten hat.

Herr Wulff ist der letzte in einer langen Schlange von deutschen politischen Persönlichkeiten, der sich zu Wort melden sollte. Der sollte eher sein ganzes Finanzgebaren und sein sonstiges schillerndes Leben mal genau überdenken, welchen großen Schaden er in Wahrheit den deutschen Institutionen angetan hat.

Und wenn Herr Wulff dann zu dieser Selbsterkenntnis im Rahmen der Selbstreflexion gekommen ist, dann soll er einfach das Maul halten und schweigen.

Angela Merkel – und das ist in ganz Europa unbestritten – ist die Zerstörerin Europas gewesen. Sie gilt als die Zerstörerin Deutschlands. Sie hat keinerlei Weitsicht gezeigt. Sondern sie ist heute dafür verantwortlich, dass vor einer Woche zum Beispiel der Polizist Rouven in Mannheim beerdigt werden musste.

Angela Merkel trägt Blut an ihren Händen, und das wird auch historisch so gesehen und selbst Lobhudelei eines Christian Wulff kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Danke für Gespräch!

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