Es liegt auch an uns, negative Veränderungen nicht zuzulassen

Freie Meinungsäußerung auf Schleichfahrt

von Alexander Wallasch (Kommentare: 8)

Man darf sich nicht bedrücken lassen, sich nicht einfangen lassen von Menschen auf Flüsterfahrt.© Quelle: Pixabay / Uboiz

Neulich traf ich einen Ex-Kollegen wieder, man hat sich aus den Augen verloren. Seinerzeit, das erinnere ich gut, waren wir öfter ähnlicher Auffassung in den Dingen, er war ein streitbarer Geist, nie um eine These verlegen, die er auch bereit war, auszufechten – sympathisch, weltoffen, gemütlich.

Sie kennen das sicher: Es gibt Leute, bei denen spürt man sofort dieses Einvernehmen, dafür braucht es nicht viele Sätze. Bei meinem ehemaligen Bekannten erkannte ich nach all den Jahren leider recht schnell, dass dieses Einvernehmen verschwunden ist.

Oder nein, schlimmer: Es ergab sich gar keine Gelegenheit, zu testen, ob das Einvernehmen verschwunden war. Von Anfang an verhielt er sich zögerlich, zurückhaltend in seinen Äußerungen, geradezu ängstlich, wegduckend.

Hätten wir uns über die Jahre immer mal wieder gesehen, möglicherweise wäre mir seine schleichende Entwicklung in diese Ängstlichkeit hinein verborgen geblieben. So aber kam ich mir vor, wie nach einer langen Reise heimgekommen und alles vollkommen verändert vorgefunden.

Nach ein paar ziemlich betretenen Sätzen gingen wir mit den üblichen Floskeln auseinander. Nicht einmal über Frau und Familie hatten wir ungezwungen ein paar Minuten plaudern können.

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Ich habe dann noch eine Weile darüber nachgedacht und eine Idee davon bekommen, was unserer Gesellschaft da über die Jahre widerfahren sein könnte.

Wir haben etwas Wichtiges verloren gegeben, das zu erarbeiten einer der großartigsten Erfolge der Nachkriegsgeschichte war: Den offenen Diskurs in seiner ganzen Bandbreite. Diese unbändige Lust am Austausch der Positionen, eine große Neugierde, wie das Gegenüber seine konträre Haltung begründet, was seine Argumente sind und wie geschickt es sie vorzutragen weiß.

Ja, so war das früher und es hat verdammt viel Freude gemacht.

Sicher, dass eine oder andere Mal ist man ohne Einigung nach Hause gegangen. Aber man dachte für sich weiter über die Argumente des Anderen nach. Und entweder man erkannte einen Funken Wahrheit in den Worten des Anderen und korrigierte sich schon innerlich für das nächste Gespräch, mit wem auch immer, oder man fühlte sich in seinen eigenen Argumenten gestärkt. Beides wertvoll.

Diese Normalität des Miteinander ist verschwunden, einfach weg! Und das ist sehr traurig, denn diese gepflegten Auseinandersetzungen gehören mit zu den wertvollsten Errungenschaften. Ich glaube, sie sind der Lackmustest einer funktionierenden Gesellschaft.

So gesehen war diese Begegnung mit meinem ehemaligen Kollegen nicht nur deshalb enttäuschend, weil wir nicht an dieses „sich wohlgesonnen sein" anknüpfen konnten. Es war für mich viel mehr: Nämlich die Erkenntnis eines großen Verlustes auf einer anderen Ebene als der persönlichen. Und als jemand, der in der alten Bundesrepublik aufgewachsen ist, fragte ich mich gerade, ob sich wohl so bisweilen das Miteinander in der DDR angefühlt haben muss.

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Dieses Belauern, Herantasten, Vorfühlen und Abwägen, wohin ein Gespräch führt, wirkt auf mich wie Tanzen ohne Musik, nur vorgetäuscht, nachgeahmt, unecht, nicht authentisch, unlebendig, und deshalb auch auf groteske Weise unsinnig.

Jetzt bleibt aber die Frage, was ich anders hätte machen können. Und ich glaube, ich weiß eine Antwort: Man darf sich nicht bedrücken lassen, sich nicht einfangen lassen von Menschen auf Flüsterfahrt. Wenn man feststellt, dass der Andere im Tauchgang ist: Verführen Sie ihn dazu, aufzutauchen. Plaudern Sie wie früher, sparen Sie nicht damit, offen zu sagen, wie Sie auf die Welt blicken. Was haben Sie zu verlieren?

Locken sie das olle U-Boot an die Oberfläche, indem sie ein paar verbale Fassbomben werfen. Ich weiß, es ist schwer, aber es ist enorm hilfreich, sich dabei selbst nicht allzu ernst zu nehmen – eine gute Gelegenheit, sich mal selbst zuzuhören, so lange das Gegenüber sich noch in seinem Gefechtsturm befindet.

Sicherlich, dass Schwierigste dabei ist, solche so dahingesagten Schleichkatzen-Antworten an sich vorüberziehen zu lassen, wie diese hier:

„Ach ja, die Merkel hätte ruhig noch ein paar Jahre weiter regieren sollen …“

Der Witz hier ist doch, dass das Gegenüber vielleicht sogar dachte, so ein Satz wäre eine Art Schnittmenge, irgendwie ein Entgegenkommen. Aber überlegen Sie einmal, was passiert wäre, wenn man darauf das geantwortet hätte, was einem spontan in den Kopf gekommen wäre:

„Wie bitte? Geht’s Dir noch gut? Diese FDJ-Sekretärin hat das Land zerstört! Erst hat sie es mit illegalen arabisch-muslimischen jungen Männer geflutet, sie hat die deutschen Außengrenzen aufgegeben. Anschließend hat sie eine Grippewelle mit Hilfe von geltungssüchtigen Pseudowissenschaftlern dafür genutzt, die Deutschen ihrer Grundrechte zu entwöhnen und dann haben ihre Erben dafür gesorgt, dass dieses Land wirtschaftlich ruiniert wird und zu guter Letzt wurden die Heizung und der Strom ausgestellt. Und ohne Strom kein Internet und keine regierungsfeindliche Kommunikation mehr.“

Nein, das habe ich meinem Ex-Kollegen so nicht gesagt. Aber ich frage mich gerade, warum eigentlich nicht. Was hätte passieren können, was nicht schon passiert ist: Wir sind unserer Wege gegangen. Und solange es mir noch leichter fällt als meinem Gegenüber, meine Meinung zu formulieren, sollte ich es auch tun, anstatt diese grassierende Schleichfahrt noch zu begünstigen.

Haben Sie keine Angst, sich zu outen. Schon die Idee, dass es sich dabei um ein Outen handeln könnte, hieße ja, anzunehmen, die eigenen Gedanken seien schon verboten.

Wir sollten uns gemeinsam unsere laut ausgesprochene oder aufgeschriebene Meinung nicht verbieten lassen. Solange sie noch nicht verboten ist. Wenn aber jedermann so tut, als wäre der freie Gedanke schon verboten, dann wird er es bald auch.

Ich glaube, es ist sogar unsere Pflicht, unsere Meinung offen zu sagen. Gestatten Sie sich selbst eine eigene Meinung und äußern sie sie beim Bäcker, am Kiosk, am Nachbarzaun und am Arbeitsplatz!

Denn was kann schon passieren, was sowieso passieren wird, wenn wir unsere Meinung nicht mehr sagen?

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