Jenseits von Döner

Ein Lob der deutschen Küche – Vergessen aber nicht verloren

von Alexander Wallasch (Kommentare: 5)

Die Aromen sind das Geheimnis. Und sie entstehen hinterm Gartenzaun, dort, wo noch jemand über der Erde buckelt© Quelle: Gregor Leip

Bitte nicht falsch verstehen, ich bin kein Traditionalist, was Essen angeht. Die Hälfte der Familie is(s)t vegetarisch, eine Person vegan, eine Pescetarier, der Rest ohne Einschränkungen.

Es gäbe also genug zu erzählen über Besonderheiten von Tofu bis zur Frage, welche Hafermilch nicht wie Zuckerwasser schmeckt (die rote von Aldi).

Nein, was ich heute ansprechen möchte, ist eine Dominanz oder fast Arroganz türkischer oder arabischer Küche, die sich mit den Gastarbeitern und Zuwanderern über Jahrzehnte bei uns eingeschlichen hat.

Viele kennen das, der Nachkriegsdeutsche ist generell multikulturell interessiert. Wenn er im Urlaub war, dann bringt er immer ein paar Brocken Fremdsprache mit, mit denen er daheim stolz im fremdländischen Restaurant seine Bestellung aufgibt. Zuerst die Pizza und Paella, dann Gyros, was später in Döner umbenannt wurde, aus Spanien die Tapas und zuletzt aus Asien das Sushi.

Wer einmal die Küche kalt lässt und die Online-Bestellung nutzt, der weiß, dass es so gut wie keine deutsche Speisekarte mehr im Bringservice gibt. Allenfalls „Essen auf Rädern“, aber dieses Angebot für Versehrte gibt es noch nicht bei Lieferando.

Insbesondere was die türkische Küche angeht, ist die Sättigung mit Dönerimbissen in Deutschland unschlagbar. Dazu kommen diverse türkische Restaurants „mit drinnen sitzen“ und neuerdings die neudeutsch „Foodtruck“ genannten Imbisswagen, die wie Pilze aus dem Boden schießen.

In Braunschweig beispielsweise gab es jahrzehntelang einen stadtbekannten Innenstadtimbiss, der mit seiner alten Neon-Werbung „Kalt & Heiß“ für Bouletten, Bratwurst, Bratcurry, Kotelett, Kartoffelsalat und Puffer warb. Auch dort ist längst ein Anatole mit Döner-Drehspieß und offener Grillstelle mitten im Lokal eingezogen.

Wer wissen will, wie das kommt, der muss sich an die Anfangsjahre Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre erinnern. Die griechischen und später die türkischen Gastarbeiter hatten beschlossen, nicht mehr in die alte Heimat zurückzukehren, die deutschen Unternehmen hatten die Verträge immer wieder gern verlängert und dahingehend auf die Politik eingewirkt. Der Familiennachzug war genehmigt worden, Kinder wurden nachgeholt und später auch hier geboren.

Aus dem einzelnen Malocher wurden Familien oder Großfamilien. Wer jetzt einen Imbiss eröffnete, für den man keine Meisterprüfung oder ähnliche aufwendige Voraussetzungen benötigt, der konnte hier auf ein Pool verwandter Mitarbeiter zurückgreifen. Hier lag in der Anfangszeit der Gyros- und Döner-Imbisse das Erfolgsrezept.

Wer sich erinnert, der weiß es: Der skeptische Deutsche wurde nicht zuerst über die Ware, sondern mit dem günstigen Preis überzeugt, Geiz ist geil. „Mit alles“ für zwei Mark war das Zauberwort. Es war schnell zubereitet, es konnte in einer kurzen Arbeitspause bestellt und ohne Zeitdruck verzehrt werden.

Erstaunlich ist eigentlich nur, dass Döner nicht auch die großen Betriebskantinen erobert und auch dort die beliebte Currywurst verdrängt hat.

Aber ganz gleich, ob Döner oder Currywurst, beide Gerichte werden es zukünftig schwer haben, sie gelten in einer woken grünen Welt als Pfui, selbst Aldi hat mittlerweile eine vegane Dönervariante für den heimischen Herd im Angebot für 2,99 Euro zum selber aufbraten.

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Jetzt gibt es nicht mehr hier die Deutschen und dort die Türken. Viele Türken sind zudem längst (oder auch) deutsche Staatsbürger geworden. Unsere Kinder gehen in die gleichen Kitas und Schulen, über die Geburtstagsfeiern der Kinder hat man zusammengefunden und sich schätzen gelernt.

Der Türke hat dabei öfter bei McDonald's gefeiert oder im professionellen Spieleparadies gebucht, was die Kinder gern mal attraktiver fanden, als die von deutschen Müttern aufwendig organisierten individuellen Spielenachmittage.

So freundeten sich vielfach auch die Eltern miteinander an, wenn auch selten in einer engeren Intensität, irgendeine letzte unsichtbare Barriere blieb, störte aber beide Seiten nicht weiter.

Aber was mich bis heute irritiert – und es hat nichts mit der muslimisch geprägten Abneigung gegen Schweinefleisch zu tun – der Türke in Deutschland kocht selten deutsch. Der Deutsche hat es offenabr hingenommen, dass Gäste und Neubürger seines Landes über seinen Speiseplan die Nase rümpfen, wie über was Ekliges, als wäre da kulinarisch nichts, als hätte es bei Mutti zu Hause immer nur Senfeier und Bouletten gegeben.

Apropos Bouletten: Über Köfte wird mit der Zunge geschnalzt und Bouletten sind pfui? Auch die kann man ja mittlerweile aus Rindfleisch fertigen, wenn man ein Problem mit Schwein hat, allerdings kenne ich mittlerweile etliche Türken, die beim Grillen im Garten auch nichts gegen eine zünftige Bratwurst haben.

Haben die Deutschen eigentlich komplett vergessen, was ihnen ihre Mütter und Großmütter oder, viel seltener, ihre Großväter und Väter gekocht haben? Auch ohne Schwein ist der Tisch reich gedeckt von der Roulade über Wildgerichte bis zum falschen Hasen. Die regionale Vielfalt ist gigantisch.

Suppen, Linsen, Kartoffelgerichte, Gerichte vom Huhn – Wo ist eigentlich der Wienerwald geblieben? Ist er ein Opfer der Dönerbuden geworden oder der Tierschützer und der Hühnerpest? Hühnerfrikasse, Sauerbraten, Rinderbraten, Knödel in allen Varianten, Kartoffelklöße.

Und dabei sind wir noch gar nicht bei den norddeutschen Fischgerichten angekommen. Und wer es nicht mehr weiß, Rotkohl ist nicht nur eine kalte Beilage im Döner. Sie ist eine Lieblingsbeilage der Deutschen in der kalten Jahreszeit gewesen.

Und was ist mit den deutschen Kohlgerichten? Was mit Rosenkohl und Kohlrouladen? Wer, der älter als drei Jahre ist, hat wann zuletzt Kohlrabigemüse gegessen? Klar, Babys und Kleinkinder vertragen noch kein Döner, aber in wenigen Jahren werden sie sich daran gewöhnen müssen, weil die Alternativen fehlen.

Frittiert und fettgebacken: Die türkische Imbissgemeinde müsste eigentlich längst einen Entschädigungsanteil an die deutschen Krankenkassen abführen.

Ein für viele heute überraschender Merksatz: Mehl ist nicht nur Grundlage eines Fladenbrots. Mehlspeisen sind vom Eierkuchen bis hin zur Soßengrundlage und der reichhaltigen deutschen Backkunst elementarer Bestandteil der deutschen Küche. Türkische Backwaren sind dagegen geradezu hinterwäldlerisch. Wer schonmal diese in Honig und Zuckerwasser ertränkten Würfelkuchen beim Türken gegessen hat, der weiß erst, was deutsche Bäckereien und Konditoreien wirklich können.

Ein Trost: Die deutschen Restaurants sterben aber deshalb noch nicht aus. In den ländlichen Regionen, dort, wo das Vereinsleben, die Schützen- und Kegelvereine und die Freiwillige Feuerwehr noch nicht unter Mitgliederschwund leiden, dort ist auch die deutsche Küche weiterhin die Nummer eins.

Und zu einer guten deutschen Küche gehören auch gute Zutaten. Nein, die krause Petersilie ist noch nicht ausgestorben, jede Region hat ihre spezifische Bodenbeschaffenheit, der im Harz beispielsweise ist schwer, feucht und dunkel, die Böden in der Heide sind locker und sandig, hier wächst der Spargel gern.

Was hier den unterschiedlichsten Böden entwächst, schmeckt nach allem, aber nicht nach niederländischem Folienbeet. Die Aromen sind das Geheimnis. Und sie entstehen hinterm Gartenzaun, dort, wo noch jemand tiefgebeugt über der Erde buckelt. Gemüse wäschst nicht in der Tiefkühltruhe. Erntedankfeste werden nicht im Kassenbereich vom Aldi gefeiert.

Wer die Grundlage guten Essens nicht sprichwörtlich über die Muttermilch eingesogen hat, wer hinterm Haus keinen Garten sein Eigen nennt oder den örtlichen Gemüsebauern nicht mehr kennt, der ist zu bedauern.

Hier allerdings – das muss man eingestehen – hat tatsächlich die grün-ideologische Bewegung einen Art Renaissance erreicht. Regionalität, die Rückerinnerung und der Anbau alter Gemüsesorten, die grünen Kisten im Abo, die man beim Bauern nebenan bestellen kann, haben ein besonders großes Potenzial auch für eine Renaissance der heimischen Küche. Mahlzeit.

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