Steinmeiers „Verzicht für immer“ ist ein Opfer der Zeitenwende geworden

Die USA liefern Streumunition an die Ukraine – Deutschland schaut nur betreten weg

von Alexander Wallasch (Kommentare: 15)

Der amtierende Bundespräsident unterschrieb in Oslo ein Abkommen zur Ächtung der Streumunition und nannte es „einen Meilenstein des Völkerrechts“. Ein Verzicht für immer sollte es sein. Nun liefern die USA wieder Streumunition und Steinmeier schweigt.© Quelle: Youtube/ Deutsches Rotes Kreuz Screenshot

In Deutschland wird wieder über den Einsatz von Streubomben debattiert, als hätte es das Abkommen von Oslo nie gegeben.

Die Lieferung US-amerikanischer Streubomben an die Ukraine ist eine Perversion. Ohne Wenn und Aber müsste Deutschland diese Lieferung gemäß Ächtungsabkommen verurteilen. Stattdessen erklärt Steffen Hebestreit, der Pressesprecher der Bundesregierung, am Freitag Folgendes:

„Ich möchte mich dazu jetzt nicht weiter einlassen, weil es sofort in einen Sachzusammenhang zu möglichen aktuellen Entscheidungen der US-Administration gestellt werden könnte.“

Aber diesen Zusammenhang gibt es nun mal. Warum will sich die deutsche Regierung nicht dazu äußern? Weil Washington keinen Widerspruch aus Berlin duldet?

Angesicht der Opferzahlen, der Verletzungen und Verstümmelungen insbesondere unter den Zivilbevölkerungen beispielsweise in Südostasien, im Irak, in Afghanistan oder im Libanon nach einem Einsatz von Streumunition hat man Mühe, seine Emotionen im Griff zu behalten, wenn man sich damit befassen muss, dass die USA Streumunition in die Ukraine liefern wollen.

Vor etwa 15 Jahre schrieb der Spiegel über einen Besuch des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in Oslo:

„Es ist ein Verzicht für immer: Mehr als 100 Staaten haben sich zum Verbot von Streubomben bekannt. Das entsprechende Abkommen wurde am Mittwoch in einer feierlichen Zeremonie in Oslo unterzeichnet. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein britischer Kollege David Miliband sprachen dabei von einem "Meilenstein in der Geschichte des Völkerrechts".“

„Ein Verzicht für immer“ und „ein Meilenstein des Völkerrechts“? Hat Frank-Walter Steinmeier die Bundesregierung in Erinnerung an seine Unterschrift und seine vollmundigen Bekundungen heute folgerichtig dazu aufgefordert, sich an das Abkommen von Oslo zu halten und beim amerikanischen Partner zu intervenieren? Oder wenigstens klarzustellen, dass deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine an klare Bedingungen geknüpft sind? Bisher hat der Bundespräsident das nicht getan, und er wird es voraussichtlich auch nicht tun.

Steinmeiers „Verzicht für immer“ ist ein Opfer des Krieges, ein Opfer der Zeitenwende geworden. Regierungssprecher Steffen Hebestreit äußerte sich mit Blick in die USA folgendermaßen:

Die Ampelkoalition sei sich „sicher, dass sich unsere US-Freunde die Entscheidung über eine Lieferung entsprechender Munition nicht leicht gemacht haben“.

Hier wird es sogar der Tagesschau zu bunt, die, als der Sprecher erklärt, Russland habe doch bereits Streumunition eingesetzt – als wäre das eine Legitimation für die Gegenseite – kommentiert: „Offiziell nachgewiesen ist das nicht“, lediglich die Ukraine und Menschenrechtsorganisationen hätten diesen Vorwurf geäußert.

Was die Tagesschau nicht sagt: Besagte Menschenrechtsorganisationen hatten beispielsweise bei Antipersonenminen längst mit dem Finger auch in die Ukraine gezeigt. Aber diese verstörende beschwichtigende Lässigkeit und Eiseskälte der Bundesregierung in Sachen Streumunition kann ihr Sprecher noch steigern, als Hebestreit seiner Stellungnahme folgenden Satz anfügt:

„Die Ukraine setzt eine Munition zum Schutz der eigenen Bevölkerung ein, es geht um einen Einsatz durch die eigene Regierung zur Befreiung des eigenen Territoriums.“

Der grüne MdB Anton Hofreiter machte gerade einen Vorschlag, wie man eine deutsche Zusage für Streumunition umgehen könne. Deutschland solle dafür ersatzweise Marschflugköper liefern und Zubehör für Kampfjets.

Bei Hofreiter und Co sollte man sich ernsthaft Gedanken über ein Angebot von Ausstiegsprogrammen machen. Leute wie Hofreiter suchen mutmaßlich längst Rückzugsmöglichkeiten aus der eigenen Kriegstreiberei, wissen aber offenbar nicht, wie das ohne Gesichtsverlust vonstattengehen soll und eskalieren deshalb immer hysterischer.

Die USA, China und Russland haben als große Produzenten der Streumunition deren Ächtung nicht unterschrieben.

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Allerdings hatten die USA zu Beginn des Krieges, als Gerüchte aufkamen, Russland setze Streumunition ein, eilfertig erklärt, der Einsatz hätte das Potenzial zum Kriegsverbrechen. Auch davon will man heute nichts mehr wissen: Die UN-Rede von Linda Thomas-Greenfield wurde gar vom US-Außenministerium nachträglich bearbeitet. Der Satzteil ihrer Rede „die auf dem Schlachtfeld nichts zu suchen haben“ wurde aus dem offiziellen Redemanuskript gestrichen.

Wer hier einen Zusammenhang sehen will, dem ist schwer zu widersprechen: 16 Monate später teilte Joe Bidens Nationaler Sicherheitsberater am Freitag der versammelten Weltpresse mit, dass die USA nunmehr Streubomben an die Ukraine liefern werden:

„Es ist eine schwierige Entscheidung. Es ist eine Entscheidung, die wir aufgeschoben haben. Es ist eine Entscheidung, die eine genaue Prüfung der potenziellen Schäden für die Zivilbevölkerung erforderte."

Wie man hier zu einem positiven Ergebnis kommen konnte, ist eine Perversion, aber mindestens ebenso verstörend ist eine weitere Begründung für die Lieferung: Die Produktion der herkömmlichen Munition käme dem Verbrauch nicht hinterher, jetzt müsse eben geliefert werden, was man reichlich auf Lager hätte. Biden sagte: „Den Ukrainern geht die Munition aus.“

Aber auch, wenn die USA das Abkommen von Oslo nicht unterschrieben haben, so ist der Einsatz von Streumunition dennoch auf nationaler Ebene geächtet worden. Joe Biden muss sich jetzt für die Lieferung der Streumunition auf den "Foreign Assistance Act" berufen, welcher es dem Präsidenten erlaubt, die Parlamente zu überstimmen, wenn er die Interessen und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten in Gefahr sieht.

Es wäre eine weitere Recherche wert, einmal der Frage nachzugehen, ob trotz deutscher Ächtung solche Streumunition auf US-Stützpunkten in Deutschland gelagert wird und inwieweit die Logistik und die Stützpunkte für den Transport dieser Streumunition in die Ukraine oder anderswohin genutzt werden.

Hilfreich ist hier ein Artikel auf Domradio.de zum Thema Streubomben. Der Sender schrieb 2008 zum Abkommen über die Ächtung:

„Allerdings ermögliche der Vertrag bestimmte Ausnahmen, kritisierte Handicap International. Die USA hätten von Ferne Druck auf viele der anwesenden Staaten ausgeübt, so Handicap. Denn ein erst spät eingebrachter Artikel erlaubt Vertragsstaaten, bei gemeinsamen militärischen Operationen mit Nicht-Vertragsstaaten Unterstützung beim Einsatz von Streumunition zu geben. Zudem könnten Staaten, die den Vertrag nicht unterzeichnet hätten, ihre Munition in Ländern lagern, die zu den Unterzeichnern gehören. Beide Regelungen kämen den USA zugute.“

Eine Direktorin von Human Rights Watch drückt die möglichen Folgen der US-Lieferentscheidung besonders drastisch aus: Sie rechne erst mit einem echten Aufwachen bei amerikanischen Politikern, wenn Bilder aus der Ukraine die USA erreichen würden, auf denen „Kinder ohne Gliedmaßen“ zu sehen sein werden, verletzt von „unserer eigenen amerikanischen Streumunition“.

Aber hat das die Amerikaner in der Vergangenheit zu einer Umkehr veranlasst? Wo ist der Unterschied, wenn Streubomben ukrainische Kinder anstelle von laotischen oder afghanischen Kindern verstümmeln oder töten?

An der Stelle muss man ausnahmsweise dem gescholtenen regierungsnahen Portal „T-Online“ gute Arbeit attestieren. Bastian Brauns hat hier aus Washington berichtet und solche Kollegen wie Lars Wienand im Vorübergehen und allein mit der Qualität seiner Arbeit in Grund und Boden gestampft.

Der Tagesspiegel hat keinen Bastian Brauns, hier führen weiter die Wienands das Zepter. Und was dabei herauskommt, ist so verstörend, dass man es nur zum Zwecke der Dokumentation wiederholen kann. Christoph von Marschall schreibt seit über 30 Jahren für den Tagesspiegel, vorgestellt wird er den Lesern als „Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion“. Den Titel muss er für sich selbst erfunden haben, andere Redaktionen haben solche Posten nicht.

Es bleibt Christoph von Marschalls Geheimnis, wann er beschlossen hat, dass es okay ist, der Bundesregierung anzureichen, für die Bundesregierung die inoffizielle Presseabteilung zu geben und Streumunition zu verteidigen:

„Allerdings eignet sich der Streit um Streumunition nicht sonderlich gut, um eine kategorische Trennlinie zwischen ,Gut' und ,Böse' zu ziehen. Es gibt kein allgemeines Verbot, sie einzusetzen. Gut die Hälfte der Länder der Erde hat sie geächtet, die knappe andere Hälfte nicht, darunter die USA, die Ukraine und Russland. Kiew hat sie im Krieg längst genutzt, ohne dass es einen Aufschrei gab oder jemand die Frage stellte, ob Deutschland aus der Koalition ausscheren müsse.“

Das ist richtiggehend perfide, weil es selbstverständlich einen Aufschrei gab. Den allerdings haben Politik und Alt-Medien wie der „Tagesspiegel“ systematisch unterdrückt und jedem, der auch nur das Wort Friedenverhandlungen in den Mund nahm oder sich gegen die Waffenlieferungen stellte, diffamiert, ausgegrenzt und als „Putin-Versteher“ beschimpft.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die vorliegende Zusammenfassung von Christoph von Marshall ganz besonders zynisch. Denn hier geht es nicht um irgendeine abstrakte Vorstellung, was in Kriegen passiert, was mit Menschen passiert, was Soldaten und Zivilisten passiert, was Streumunition anzurichten in der Lage ist.

Joe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hatte erklärt, die USA hätten „schriftliche Garantien“ von Präsident Selinskyj, dass Kiew die US-Streubomben „nur gegen russische militärische Ziele und nicht gegen Zivilisten“ einsetzen werde.

Ein paar der Schicksale von zivilen Opfern von Streubomben kann man hier nachlesen. Die vielen verstümmelten Soldaten, die Opfer dieser Streumunition wurden, haben keine Stimme. Bei ihnen wird das Grauen als eine Art Berufsrisiko abgehakt. Wer sich die Rekrutierungen auf beiden Seiten der Ukraine-Frontlinie anschaut, der erkennt den Zynismus so einer Aussage. Wo bleibt hier der Aufschrei der Kirchen, der Gewerkschaften, der NGOs?

Anna-Nicole Heinrich, die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), erklärte schon Mitte April 2022: „Waffenlieferungen an Ukraine gerechtfertigt“. Noch hat sie diese Absolution nicht auf Streubomben ausgedehnt. Und man wünscht ihr direkt, sie möge dazu einfach schweigen, denn es besteht die reale Gefahr, dass Frau Heinrich auch Streubomben ihren Segen geben wird.

Und mit Frau Heinrich sind wir noch gar nicht in der teuflischsten Ecke dieses christlichen Vereins angekommen. Annette Kurschus, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hatte Ende 2022 erklärt: „Waffen für Ukraine sind Pflicht christlicher Nächstenliebe“.

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