Am Anfang war der Terror

Die Todeszahlen der Zivilisten im Gaza

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, dass die Zahlen der Hamas stimmen.© Quelle: Youtube / Tagesthemen, Screenshot

Der Terror gegen Israel erschütterte die Welt, dann wurde er vergessen. Jetzt bestimmen die grauenvollen Bilder aus Gaza die Berichterstattung. Jeder weiß, dass die Hamas Kinder als Schutzschilde benutzt. Aber wohin sollen die Zivilisten fliehen, wenn jetzt auch der Süden das Ziel ist und Ägypten die Grenzen nicht öffnet?

US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat die Lage im Gaza-Streifen nach den seit Oktober 2023 andauernden israelischen Angriffen als „humanitäre Katastrophe“ bezeichnet. Harris hatte gestern in Alabama eine Rede gehalten. Sie wird unter anderem von der Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert:

„Unser Herz bricht (...) für all die unschuldigen Menschen in Gaza, die unter dem leiden, was eindeutig eine humanitäre Katastrophe ist. (...) Die Menschen in Gaza hungern, die Bedingungen sind unmenschlich. (...) Die israelische Regierung muss mehr tun, um den Hilfsfluss deutlich zu erhöhen, es gibt keine Ausreden.“

Die US-Vizepräsidentin vertritt die Ansicht, es seien zu viele unschuldige Palästinenser getötet worden. Aber welche Zahl wäre hier ein für Harris akzeptabler Kollateralschaden? Das von der Terrororganisation Hamas betriebene Gesundheitsministerium meldet zehntausende Tote, unter ihnen ein hoher Anteil von Kindern. Eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen bestätigen die Zahlen im Wesentlichen so wie auch UN-Hilfsorganisationen und auch ein Sprecher des israelischen Militärs. Aber es bleibt schwierig, verlässliche Zahlen zu nennen, dazu gleich mehr.

Kamala Harris betonte am gestrigen Sonntag aber auch, dass Israel das Recht habe, sich gegen die Bedrohung durch die Hamas zu verteidigen. Wörtlich sagte sie: „Die Bedrohung, die die Hamas für das israelische Volk darstellt, muss beseitigt werden."

Bezogen auf das „unermessliche Leid“ palästinensischer Zivilisten forderte Harris eine „sofortige Feuerpause“ mindestens für die nächsten sechs Wochen. Warum sechs und nicht vier oder zehn, bleibt unklar.

Unklar ist auch die Rolle des direkten Gaza-Nachbarn Ägypten. Die „Zeit“ schrieb wenige Tage nach den Terroranschlägen und dem Beginn der israelischen Militärintervention im Gaza darüber, dass Ägypten vor einem Dilemma stehe:

„Das Nachbarland möchte den Palästinenserinnen und Palästinensern helfen, fürchtet aber gleichzeitig, dass eine Grenzöffnung die eigene Stabilität gefährdet und die Machtverhältnisse in der ganzen Region für die nächsten Jahrzehnte ändert.“

Auch nach vier Monaten und mutmaßlich zehntausenden zivilen Opfern im Gaza-Streifen weigert sich Ägypten weiter beharrlich, die Grenze zum Gaza-Streifen zu öffnen, wie der Stern vor wenigen Tagen berichtete. Und auch der Tagesspiegel meldete Mitte Februar, dass es der ägyptische Präsident al Sisi mit allen Mitteln verhindern will, dass Palästinenser in großer Zahl die Grenze überschreiten.

Die Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen gehört zu den am besten gesicherten Grenzen der Welt. Neuesten Meldungen zufolge will Ägypten den Flüchtenden nun allerdings doch helfen. Die „Zeit“ titelte Mitte Februar: „Ägypten baut laut Medien Auffanglager für Gaza-Geflüchtete“.

Ägypten fürchtet hier insbesondere einen Angriff Israels auf die Gaza-Grenzstadt Rafah. Das Lager soll ummauert werden, um die Flüchtlinge dort zu halten, berichtete die Deutsche Presseagentur und zitiert dabei das Wall Street Journal, welches sich auf ägyptische Beamte und Sicherheitsanalysten beruft. Auch soll bereits eine größere Zahl an Zelten in das entsprechende Gebiet gebracht worden sein.

Rafah hatte vor dem Krieg etwa 150.000 Einwohner. Nach der Aufforderung der israelischen Armee an Zivilisten, den Norden Gazas Richtung Süden zu verlassen, wuchs auch die Zahl der sich in Rafah aufhaltenden Palästinenser. Laut UN-Angaben sollen es mittlerweile 1,3 Millionen Menschen sein. Zwar hatte Israel die Palästinenser aufgefordert, in den Süden – also auch nach Rafah – zu flüchten, aber Nachbar Ägypten befürchtet offenbar jetzt eine massive israelische Militäraktion, auch auf diese Fluchtgebiete.

Und diese Befürchtung kommt nicht von ungefähr: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte dem Militär seines Landes den Befehl erteilt, Pläne für eine Offensive in Rafah zu erarbeiten. Das ZDF meldete Ende Februar:

„Israels Regierungschef Netanjahu hält weiter an einer geplanten Bodenoffensive in Rafah fest. Dadurch wäre die Terrororganisation Hamas innerhalb von Wochen besiegt, so Netanjahu.“

Das ZDF berichtet außerdem davon, dass das Militär dem israelischen Kriegskabinett einen Plan für eine Evakuierung von Zivilisten aus Kampfgebieten in dem Palästinensergebiet vorgelegt habe. Die wegen der Kriegshandlungen aus dem Norden in den Süden vertriebenen Menschen (weit über eine Million Palästinenser) werden demnach jetzt ein zweites Mal vertreiben, die Grenze zu Ägypten bleibt aber weiter verschlossen.

Was will die israelische Armee in Rafah? Es heißt, so das ZDF weiter, Israel wolle die „letzten verbliebenen Hamas-Bastionen" zerstören, um dort vermutete Geiseln zu befreien. In einem CBS-Interview Mitte November 2023 hatte Netanjahu erklärt:

„Es muss getan werden, denn der vollständige Sieg ist unser Ziel, und der vollständige Sieg ist in greifbarer Nähe - nicht erst in Monaten, sondern in einigen Wochen, wenn wir mit der Operation beginnen.“

Zu den Zahlen der getöteten Bewohner des Gaza-Streifens: Hier gibt es verschiedene Angaben. Im Wesentlichen beruhen diese auf Veröffentlichungen des von der Terrororganisation Hamas gesteuerten Gaza-Gesundheitsministeriums. Sie werden allerdings teilweise auch vom israelischen Militär, von den Vereinten Nationen und von Hilfsorganisationen bestätigt.

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Euronews spricht in einem Bericht vom 27. Januar 2024 davon, dass die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen die 26.000-Grenze überschritten habe.

Der Bericht beruft sich zwar auf Angaben des Hamas-kontrollierten Gesundheitsministeriums, aber auch die israelischen Streitkräfte sprechen von 10.000 getöteten Terroristen der Hamas. An anderer Stelle sprechen die Israelis von einem Verhältnis von 1:2 zwischen getöteten Terroristen und Zivilisten, was die Zahlen des Gaza-Gesundheitsministeriums mindestens bestätigt bzw. sogar noch übertrifft.

Auch die Frankfurter Rundschau hat sich Anfang 2024 kritisch mit den Angaben der Hamas zu den Todesopfern beschäftigt. Die Zeitung vergleicht die Angaben mit Zahlen früherer Konflikte und leitet daraus ab, dass die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die Zahlen der Hamas stimmen können:

„Im Gaza-Krieg 2014 habe das Gesundheitsministerium beispielsweise 2.310 palästinensische Tote in dem zweimonatigen Krieg gezählt, während die Vereinten Nationen die Zahl auf 2.251 und das israelische Außenministerium auf 2.125 beziffert hätten, so die Zeitung.“

Die Rundschau erwähnt allerdings auch jene falschen Zahlen, welche von der Hamas verbreitet wurden im Zusammenhang mit dem Al-Ahli-Krankenhauses im Norden des Gazastreifens. Diese Falschangaben hätten das Vertrauen in die Zahlen des Gesundheitsministeriums zerstört. Die Zeitung zitiert den US-Präsidenten, der Ende Oktober auf einer Pressekonferenz sagte: „Ich habe kein Vertrauen in die Zahlen, die die Palästinenser verwenden.“

Das Gaza-Gesundheitsministerium reagierte daraufhin mit der Veröffentlichung von Alter, Geschlecht und Ausweisnummern von 7.028 Palästinensern, die im Gazastreifen getötet wurden und die das Ministerium gesammelt habe. Die London School of Hygiene & Tropical Medicine untersuchte diese Angaben auf ihre Richtigkeit hin und veröffentlichte ihre Untersuchung in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ mit dem Ergebnis, dass man keinen Grund gefunden habe, die Daten anzuzweifeln.

Die Rundschau schreibt weiter:

„The Lancet stellte fest, dass die Zahl der Todesfälle bei Männern zwischen 30 und 34 Jahren am höchsten ist, was „möglicherweise auf die Exposition gegenüber Kämpfern oder Zivilisten zurückzuführen ist“. 42,8 Prozent der Todesopfer seien Kinder unter 18 Jahren gewesen.“

Mitte Dezember 2023 hatte sich auch der Stern ausführlich mit den Todeszahlen im Gaza beschäftigt und gefragt: Wie glaubwürdig sind die Statistiken und wie werden sie erfasst?

Der Stern bestätigt, dass sich Medien weltweit bei den Opferzahlen im Gazastreifen auf Daten des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums berufen. Denn das seien die einzigen Daten, die es zu den Opfern in dem Küstenstreifen gibt. Und weiter heißt es: „Auch Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz veröffentlichen Daten – allerdings ebenfalls auf Grundlage der Statistiken der Gaza-Behörde.“

Der Stern befasst sich deshalb auch kritisch mit den Zahlen der Hamas:

„Bisher haben die Hamas keine gesonderten Statistiken zu den getöteten Kämpfern veröffentlicht. Auch darüber, wie die Menschen ums Leben kamen, ob bei einem israelischen Luftangriff oder durch fehlgeleitete palästinensische Raketen, verlieren die Behörden kein Wort.“

Auch der Stern verweist auf die falschen Zahlen im Zusammenhang mit dem Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza-Stadt.

Von besonderem Interesse bleibt, was die israelische Seite zu den Zahlen sagt. Zwar erwähnt der Stern einen israelischen Militärsprecher, welcher den Behörden in Gaza vorwarf, die Todeszahlen aufzublasen. Aber ein anderer Militärsprecher hatte diese Vorwürfe in einem Pressebriefing Anfang Dezember revidiert. Das Magazin schreibt:

„Das Verhältnis zwischen getöteten Hamas-Kämpfern und zivilen Opfern liege bei 1:2. Auf die 5000 toten Kämpfer, von denen Israel damals ausging, kommen doppelt so viele Zivilisten. ,Ich sage nicht, dass es nicht schlimm ist, dass wir ein Verhältnis von zwei zu eins haben', sagte der Militärvertreter, fügte jedoch hinzu, dass die Hamas Zivilisten als Schutzschilde nutze. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium sprach an dem Tag von fast 15.900 Toten. Der israelische Militärvertreter bezeichnete die Zahlen als mehr oder weniger korrekt. ,Hoffentlich wird (die Quote) in der kommenden Phase des Krieges viel niedriger sein.'“

Tatsächlich hat der Stern den wahrscheinlich umfassendsten und fundiertesten Artikel zu den Todeszahlen veröffentlicht. Das Grauen begann mit Terror gegen Israel. Jetzt sterben zehntausende Kinder im Gaza.

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