Sofagedanken am Sonntag

Die Jugend von heute ist mehrheitlich systemkompatibel

von Alexander Wallasch (Kommentare: 16)

In den sechzehn Regierungsjahren von Angela Merkel ist dieses Common-Scene-System zerstört worden.© Quelle: Youtube Kalenderblatt Screenshot

Wo sind die verdammten letzten zwanzig Jahre geblieben und warum sehen plötzlich alle so alt aus? Aufwachen in einer Gegenwart, die gestern noch Zukunft war und morgen schon Vergangenheit sein wird.  

Wie alt sind Sie eigentlich? Ich habe mich neulich um ein Jahr vertan, als mich jemand nach meinem Alter fragte. Ich dachte wirklich, ich sei noch ein Jahr jünger und habe dann – doch leicht verunsichert, weil es mir nicht so schnell über die Lippen kam – nachgerechnet in Zehnerschritten, mit Hilfe der Finger geht es ja längst nicht mehr.

So ein geschmeidig-träger Sonntagnachmittag suggeriert – womöglich fälschlicherweise, das will ich gar nicht ausschließen – dass man auch mal aus dem Nähkästchen plaudern darf: Ich tue mich gerade schwer mit dem Älterwerden. Eigentlich habe ich gar kein Verhältnis zu meinen Jahresringen.

Diese Worthülse, dass man so alt sei, wie man sich fühlt, greift bei mir nicht, denn sie ist ja so gemeint, dass man mit fünfzig gern innerlich dreißig oder mit sechzig innerlich vierzig sein darf.

Tatsächlich ist es anstrengend, einen Fünfundfünfzig-Jährigen dabei zu beobachten, wie er mit seinen eigenen Kindern konkurrieren will in Sachen Fitness, moderner Sprache, Lebensart oder gleich mit allem zusammen.

Bei dem Gedanken musste ich lachen. Denn wenn ich meine Kinder so einzeln durchgehe, dann ähnelt deren Lebensstil eher dem meiner Eltern, als dem meinen, als ich noch jung war. Würden sie allerdings meinem Leben nacheifern, jedenfalls was die ersten fünfunddreißig Jahre angeht, für mich wäre das ein Anlass zur Sorge.

Tatsächlich war die Geburt meiner Kinder auch ein Erziehungslager für mich. Und es war langwierig, intensiv und entbehrungsreich. Auch wenn es nach einer Brigitte-Kolumne klingt – die ich übrigens sehr gerne mal übernommen hätte – aber meine Frau hat diese Rolle einfach angenommen, anstatt so mit ihr zu ringen, wie ich es tat.

Nun ist es bei mir nicht anders als in den meisten Haushalten in Deutschland. Meine Kinder sind wie alle Generationen zuvor von jenem System geprägt worden, in dem sie aufgewachsen sind. Was für meine Generation die Ära Kohl war, war für meine Kinder maßgeblich die Ära Merkel.

Das muss man sich erst einmal klar machen. Und dann erschrickt man. Der Unterschied kann ja kaum deutlicher auf der Hand liegen: Es gab gegen Angela Merkel keine nennenswerte junge außerparlamentarische Opposition.

In meiner Jugend war das anders. An Helmut Kohl konnte man sich abarbeiten. Klar gab es die Junge Union und ihre schmallippigen Vertreter. Aber sie gingen komplett unter, und galten – vielfach nicht zu Unrecht – als spießig, kleinbürgerlich oder einfältig.

Aber es gab noch einen wesentlichen Unterschied: Die jungen Leute der alten Bundesrepublik wussten um die Stärke des Systems. Die Bonner Republik hat die 68er und die RAF niedergerungen, Helmut Kohl erschien als personifizierter Sieger dieses Kampfes der Systeme, ein Bollwerk, gegen das man immer wieder anrennen konnte, ohne dabei etwa auf die Idee zu kommen, Schaden anrichten zu können oder gar zu obsiegen.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Ich glaube, es war in einem Buch des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, der davon erzählte, dass sich sein Chow-Chow immer mit dem des Nachbarn an dessen Gartenzaun entlang wie wild anbellte, als wollten sie sich gegenseitig zerfleischen, bis eines Tages der Zaun für eine Renovierung abmontiert war und die beiden einfach auf Abstand so weiter kläfften, knurrten und drohten, als wäre der Zaun immer noch da.

Es gehörte zu den allgemein akzeptierten Paradoxien dieser Zeit: Junge Oppositionelle und Punks bekämpften das System aus Prinzip, aber sie lebten gleichzeitig recht gut in ihm.

In den sechzehn Regierungsjahren von Angela Merkel ist dieses Common-Scene-System zerstört worden. Die Niedrigtemperatur-Technokratin Angela Merkel wollte – insbesondere in den letzten beiden Regierungsperioden – geliebt werden. Diesen merkelschen Chow-Chow-Endphase-Wesenszug hatten und haben bis heute nur wenige Merkel-Analysten auf dem Plan.

Nun hätte man diesen altersbedingten Schrei nach Liebe auch als Schrulligkeit durchwinken können, wenn er nicht in einer verhängnisvollen Kombination mit der Abwesenheit einer Beziehung zum Land selbst dahergekommen wäre.

Es ist durchaus kein widergekäutes Ressentiment, hier jenes Bild zu bemühen, als Merkel ihrem damaligen Generalsekretär Gröhe am Wahlabend 2013 die Deutschlandfahne aus der Hand nimmt, als wäre es etwas Schmutziges, herübergeweht aus einer Zeit vor der Herrschaft der Bundeskanzlerin.

Aber zurück zur Jugend von heute. Sie ist mehrheitlich systemkompatibel. Proteste sind ihr zuwider. Konformität ist oberstes Ziel, sie gilt gar als Tugend.

Wer an der Stelle widersprechend auf die Klimabewegung, die „Letzte Generation“ oder andere Gruppierungen verweist, der übersieht, dass es sich dabei im Wesentlichen um staatlich geförderte Organisationen handelt. Und das nicht nur inhaltlich, sondern wie beispielweise bei der so genannten „Seenotrettung“ oder anderen jungen Nichtregierungsorganisationen zunehmend auch staatlich subventioniert.

Luisa Neubauer und Co gehen ja nicht in Opposition zu den Plänen der Bundesregierung, sie fordern sie im Gegenteil dazu auf, die bestehenden Pläne der Regierungspolitik noch radikaler zu gestalten und voranzutreiben.

Nicht ohne Grund sah und sieht man auf Demonstrationen gegen den Kurs der Regierung zuletzt vornehmlich gestandene Semester. Das führte möglicherweise auch dazu, dass Polizeigewalt so offensichtlich wurde. Denn diese älteren Herrschaften, die dort verprügelt wurden, luden nicht gerade dazu ein.

Da gab es kaum Anreize, als Polizei einmal draufzuhalten, wie man es von den Demonstrationen der 1980er Jahre kannte, als die jungen Wilden die Schottersteine der Bahngleise als Wurfgeschosse nutzten oder das Straßenpflaster aufrissen. Allenfalls Bilder aus Frankreich demonstrieren heute, wie es sein könnte, wenn es eine junge deutsche Klientel gäbe, die sich außerparlamentarisch aktivieren würde. Stattdessen bekommen die Vorfeldorganisationen der Ampel Flügel.

Aber jetzt bin ich vom eigentlichen Thema abgekommen, dem Älterwerden. Niemand ist so alt, wie er sich fühlt. Das ist Unsinn. Es gibt fitte Menschen und weniger fitte.

Beim Kardiologen hatte ich auf dem Fahrrad mal einen besonders guten Wert. Aber das lag an der jungen Arzthelferin, der gegenüber ich mich nicht auch noch sportlich blamieren wollte, wo sie schon meinen altersgemäßen Oberkörper gesehen hatte.

Aber ich muss hier eine deutliche Warnung aussprechen. Versuchen Sie so etwas bitte niemals nachzumachen.

Denn die Überraschung selbst nach der überzeugendsten Verausgabung kommt zeitverzögert in Form eines Schweißausbruchs, begleitet von zittrigen Knien. Versuchen Sie so mal die Schuhe wieder anzuziehen, ohne zu schnaufen, während einen halben Meter neben Ihnen noch gelangweilt routiniert die Werte eingetragen werden.

Ja, dass Alter kann entwürdigend sein. Tragen Sie es mit Fassung und üben Sie sich bitte in Geduld. Ich vermute, es wird noch unterhaltsamer.

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Kommentare