Interview mit Staatsrechtler Ulrich Vosgerau

Die Deutschen sind Eigentümer von Deutschland

von Alexander Wallasch (Kommentare: 3)

„Parlament und Regierung verwalten Deutschland in treuhänderischer Funktion“© Quelle: DALLE-E

Wir fragten Staatsrechtler Vosgerau, ob die Deutschen durch zu schnelle Einbürgerung schleichend enteignet werden. Das warf Folgefragen auf. Ein langes Gespräch über das Eigene und über den Verlust des Eigenen.

Dr. iur. habil. Ulrich Vosgerau meint, für die Verfassungsschutzbehörden sei man neuerdings schon Verfassungsfeind, wenn man dem Deutschen als Staatsbürger auch ein anderes, alternatives, paralleles, kulturell, abstammungsmäßig, also irgendwie seinsmäßig statt nur positiv-rechtlich begründetes Deutschtum an die Seite stellen will.

Darüber wollen wir reden. Ein langes Gespräch über das Deutschsein, über Deutschland und was nun werden soll ...

Sind die Deutschen Besitzer von Deutschland?

Ja, die Deutschen sind Eigentümer – Besitzer ist ja nochmal was anderes – von Deutschland, und zwar zur gesamten Hand. Das heißt, das ganze deutsche Volk bildet eine Gemeinschaft, der zur gesamten Hand gemeinschaftlich die Bundesrepublik Deutschland gehört. Das folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, also der eigentlichen idée directrice des modernen Völkerrechts spätestens seit 1918. Und deswegen ist es auch nicht ohne weiteres möglich, dass man Länder abtritt.

Es gab mal so einen Fall, das muss in der Anfangszeit der Regierung Kohl gewesen sein, als der Kanzler ganz neu im Amt war. Helmut Kohl hatte von Anfang an auf eine deutsch-französische Verständigung gesetzt und auf den europäischen Gedanken. Kohl wollte damals ein kleines deutsches Wäldchen im Saarland an Frankreich verschenken, dafür gab es praktische Erwägungen der Grenzbegradigung an einem Flußlauf.

Das informelle Vorgehen – das Ganze geschah wohl im Rahmen eines eher informellen Randgesprächs bei einem Staatsbesuch des Präsidenten Mitterand – sollte die Enge und die Güte des deutsch-französischen Verhältnisses betonen. Ein Notar klagte dagegen, machte u.a. geltend, daß vor einer Wiedervereinigung bzw. der endgültigen Klärung des territorialen Status des deutschen Nationalstaates nicht ehemaliges Reichsgebiet durch Westdeutschland einfach aufgegeben werden darf.

Rechtlich war ziemlich klar, daß Kohl mit dem Versuch, seinem Freund und Staatschef-Kollegen mal so eben ein Stück Deutschland zu schenken, seine Kompetenzen überschritten hatte. Aber wie kann man das gerichtlich geltend machen? Kann ein Privatmann quasi die Interessen des Deutschen Reiches, d.h. des deutschen Nationalstaats im abstrakten, übergeordneten Sinne, gegen die konkrete Bundesrepublik als seinerzeitiger territorialer Teilstaat, wenn auch mit Alleinvertretungsanspruch, und ihren Bundeskanzler geltend machen? Das Gericht hat das damals schon bejaht.

Ein wahlberechtigter deutscher Staatsbürger kann das Interesse an der vollumfänglichen Erhaltung des einen und einheitlichen deutschen Nationalstaats gegenüber Staatsorganen, deren Politik dieses Interesse gefährdet, zur Geltung bringen. Das war dann ja auch viele Jahre später der Grundgedanke des Lissabon-Urteils des Bundesverfassungsgerichts.

Und um nochmal Ihre Frage zu beantworten: Ja, das deutsche Volk ist – gewissermaßen – Eigentümer von Deutschland. Parlament und Regierung verwalten es gewissermaßen nur, haben jedenfalls eine treuhänderische Funktion. Überschreiten sie dabei die Grenzen ihrer Vertretungsmacht erkennbar, so kann dies von einzelnen Deutschen u.U. sogar gerichtlich angefochten werden, so beim „Notar für Deutschland“ wie auch im Lissabon-Verfahren, dort u.a. durch den Münchner Rechtsanwalt Peter Gauweiler.

Aber Staaten sind doch keine besitzbaren Objekte im Sinne eines Territoriums ...

Genau, es geht um das Territorium. Vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist davon auszugehen, dass der Staat dem Staatsvolk gehört.

Zudem gibt es neben dem öffentlichen Eigentum auch Privatbesitz. Der allerdings kann in bestimmten Situationen auch enteignet bzw. entschädigt werden ...

Genau, da gibt es das Eigentumsgrundrecht im Grundgesetz. Dieses Eigentumsgrundrecht unterscheidet sich von anderen Grundrechten. Das ist übrigens der Grundfehler der Libertären im Gegensatz zu den Liberalen, die das nicht erkennen und immer an ein sozusagen naturrechtartiges Eigentum glauben.

Das Eigentum unterscheidet sich von anderen Grundrechten dadurch, dass es ein normgeprägtes Grundrecht ist. Andere Grundrechte knüpfen an quasi naturgegebene Sachverhalte an, zum Beispiel Glauben und Gewissen oder Meinung. Das ist dann eine naturrechtliche Grundierung, auch wenn die im modernen Verfassungsstaat nicht mehr unmittelbar eine Rolle spielt, sondern nur im Hintergrund, bei der Grundrechtsauslegung im Geiste der Wesensgehaltsgarantie und des Menschenwürdekerns jedes Grundrechts.

Ich sage ja immer, der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes mit der Menschenwürde an der Spitze ist positiviertes Naturrecht, und so wurde der alte philosophische Gegensatz zwischen Naturrecht und positivem Recht, den niemand auflösen kann, gewissermaßen methodisch gangbar gemacht und praktisch befriedet. Gewissermaßen: Auch in der Juristerei ist Ingenieurskunst oft hilfreicher als Philosophie.

Beim Eigentum ist das aber etwas anders. Es gibt kein naturrechtliches Eigentum, sondern was Eigentum ist, kann immer nur von den geltenden Gesetzen bestimmt werden. Eigentum und Diebstahl werden durch die Gesetze unterschieden und nicht durch Naturanschauungen. Und deswegen ist es auch möglich, ins Eigentum einzugreifen, jemandem ein Stück wegzunehmen, es zu enteignen.

Da gibt es dann Geld dafür, eine Entschädigung, weil dort z.B. eine Straße gebaut werden muss. Anders ist es auch nicht möglich, wenn man sich beispielsweise ansieht, wie die moderne Industriegesellschaft in Preußen bzw. Deutschland entstanden ist. Da sind vor allen Dingen Verkehrswege gebaut worden, Eisenbahnen, Straßen, Autobahnen. Das wäre ja alles gar nicht möglich gewesen, wenn Grundstückseigentümer sich auf quasi naturrechtliches Eigentum berufen hätten und sagen könnten, da wird jetzt aber keine Autobahn gebaut, weil ich dort mein Grundstück habe.

Die Grundrechtsposition für den privaten Einzelnen mit seinem Eigentum besteht darin, dass das Rechtsinstitut des Eigentums gewahrt sein muss, das heißt, das, was er am Ende in der Hand behält, muss im Großen und Ganzen noch den Namen Eigentum verdienen.

Die öffentlichen Flächen gehören nicht dem Bürger als Individuum, sondern dem Staat beziehungsweise öffentlichen Körperschaften, Bund, Länder, Kommunen und so weiter ...

Genau, jedenfalls, was die öffentlichen Flächen, das öffentliche Land, die Straßen und dergleichen betrifft. Das löst man rechtspositivistisch. Da kommt man auch nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker weiter, denn das wäre sozusagen der allerletzte Grund. Nein, was öffentliche Flächen angeht, da schaut man ganz einfach, welcher Gebietskörperschaft gehört das? Das gehört entweder der Stadt, der Kommune oder auch einem Landkreis oder im Einzelfall dem Bund, da gibt es Gebietskörperschaften.

Die ganze Bundesrepublik Deutschland ist eine Gebietskörperschaft. Die Bundesländer sind Gebietskörperschaften und nebenher Strukturen von Staatsqualität, wie das Bundesverfassungsgericht sagt. Und denen gehört dann das öffentliche Land. Selbstverwaltungskörperschaften wie Gemeinden, Städte und Landkreise sollen ihre Staatsgewalt jeweils von den Ländern ableiten.

Der Begriff des „Volksvermögens“ ist demnach nur eine Spielerei? Nichts rechtlich Fassbares?

Ich weiß gar nicht, ob wir das „Volksvermögen“ so sehr als Begriff haben, das hat ja eher in der DDR eine Rolle gespielt. Da hieß es ja volkseigener Betrieb. Und da sind manche Leute bis heute noch enttäuscht, dass das über die Treuhand ganz anders aufgelöst worden ist. Haben wir diesen Begriff „Volkseigentum“ im positiven Recht? Es wäre jedenfalls ein Abstraktum. Wir sagen das auch eigentlich gar nicht, wir sagen „Staatseigentum“, „öffentliches Eigentum“ oder so etwas.

Nochmal zum allgemeinen Verständnis: Was ist der Unterschied zwischen Volk und Staat?

Der Staat ist eine Sache, die sich nach herkömmlicher Lehre – der sogenannten Drei-Elemente-Lehre – aus drei Elementen zusammensetzt: Das ist das Staatsgebiet, das Staatsvolk und die Staatsgewalt.

Das sind die drei Elemente, die ich immer brauche. Und nun gibt es etwas ganz Faszinierendes, so ähnlich wie in dieser berühmten Bibelstelle aus dem Brief des Paulus an die Korinther (1. Korinther 13) – das ist diese Stelle, die immer bei Hochzeiten gerne vorgelesen wird, und die heißt: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Alle drei Elemente werden also benötigt. Dennoch sind diese Elemente nicht hierarchisch völlig gleichrangig, sondern eines dieser Elemente wird herausgehoben und als das größte unter ihnen bezeichnet.

Und genauso verhält es sich mit der Drei-Elemente-Lehre im Völkerrecht: Es gibt ein Element, das ist privilegiert, und das ist das Volk. Und es ist deswegen privilegiert, weil allein an der Fortexistenz des Volkes als Träger und Subjekt des Selbstbestimmungsrechts der Völker die Staatenkontinuität hängt.

Deswegen gilt auch der Satz im Völkerrecht, der auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht – und mitnichten irgendeine Verschwörungstheorie ist oder ähnliches –, dass das Deutsche Reich 1945 überlebt hat. Das Deutsche Reich besteht nach wie vor fort. An diesem Ausgangspunkt haben die Reichsbürger Recht. Der Wahn der Reichsbürger besteht aber darin, dass sie glauben, es gäbe eine Parallelstruktur und sie könnten sich zwischen der Bundesrepublik und dem Deutschen Reich irgendwie entscheiden.

Das kann man natürlich nicht, sondern es verhält sich ganz einfach so, dass der eine und einheitliche Deutsche Nationalstaat, der nach herrschender Meinung übrigens bereits im Sommer 1867 gegründet worden ist und nicht erst im Januar 1871, seither existiert und fortbesteht, wenn er auch Name und Verfassung gelegentlich gewechselt hat. Daher ist die Bundesrepublik Deutschland nicht etwa Rechtsnachfolgerin, sondern identisch mit dem von Bismarck ins Leben gerufenen Staat.

Auch die Kapitulation 1945 konnte daran gar nichts ändern. Kapitulieren können Staaten sowieso nicht. Kapitulieren können nur Streitkräfte. Die Wehrmacht hat kapituliert und nicht das Deutsche Reich.

Und der weitere Umstand, dass es keinerlei deutsche Staatsgewalt mehr gab, sondern jeder Quadratmeter des deutschen Reiches von Besatzungsmächten besetzt war – jahrelang – die also dann alleine entschieden, ändert nichts an der Kontinuität. Denn es war über die ganze Zeit ein deutsches Volk da, dass die Nationalstaatlichkeit und die Selbstständigkeit wollte. Und deswegen entscheidet die Fortexistenz des Volkes über die Staatenkontinuität. Und deswegen ist das Volk dasjenige Element der Drei-Elemente-Lehre – also nochmal: Staatsgebiet, Staatsgewalt, Staatsvolk – das besonders herausgehoben ist.

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Ich gehe mit der nächsten Frage zum Anfang zurück: Was ist richtig an folgendem Satz: „Die Deutschen werden durch zu schnelle Einbürgerung schleichend enteignet“?

Das ist vollkommen richtig. Aber ich würde es gar nicht mal enteignen nennen. Es geht nicht um Eigentum im technischen Sinne – damit hat man bereits eine juristische, technische Vorstellung, also alle Beziehungen zu Sachen und so weiter – es ist vielmehr wie folgt: Das deutsche Volk ist die verfassunggebende Gewalt des Grundgesetzes, was im Grundgesetz ausdrücklich steht und was im Übrigen auch aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker folgt. Das deutsche Volk ist das Legitimationssubjekt. Alle Staatsgewalt muss sich vor diesem Volk rechtfertigen. Deswegen steht ja im Grundgesetz, die Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Ist eine Einbürgerung demnach eine Erweiterung des Staatsvolks?

Genau das ist der Punkt. Deswegen ist auch vollkommen klar, dass sich die Regierung oder das Parlament, ganz gleich, nicht im rechtlichen Sinne ein neues Volk wählen, sondern das Parlament wie auch die Regierung muss vom Volk gewählt werden. Und die können nicht umgekehrt sagen, wir wählen uns ein neues Volk durch die Einwanderungspolitik.

Dabei ist zugleich klar, dass es ganz herkömmliche Gesetze über Einwanderung und Einbürgerung geben muss. Das hat es ja im Prinzip schon immer gegeben, wenn auch längst nicht in so großem Stil wie heute. Und praktischerweise muss es darüber parlamentarische Gesetze geben, die dann durch die Verwaltung angewendet werden.

Nach der deutscher Verfassungslage muss aber das ius sanguinis – also das Abstammungsrecht – als eine wesentliche verfassungsrechtliche Grundentscheidung, die nicht komplett über den Haufen geworfen werden darf, beibehalten werden. Denn das Grundgesetz geht davon aus, dass das deutsche Volk im Kern eine Abstammungsgemeinschaft bildet, die sich selber fortpflanzt und nicht etwa hauptsächlich durch Einwanderung ergänzt.

In dem Moment, wo die Politiker sagen, wir holen millionenfach Fremde hinein und bürgern sie zügig ein, weil wir sie integrieren wollen, beginnt letztlich der Versuch von Parlament und Regierung, sich ein neues Volk zusammenzuwählen. Ich halte das für verfassungswidrig.

Frage an ChatGPT: Gibt es Deutsche im Sinne einer Abstimmung? Antwort kurz und knackig: Die Frage, ob es Deutsche im Sinne einer bestimmten Abstimmung gibt, ist historisch und ideologisch geprägt und hat sich über die Zeit gewandelt. Heute ist der Begriff Deutsch in erster Linie eine Frage der Staatsangehörigkeit, der Identifikation und der politischen Zugehörigkeit und nicht eine der Abstammung ...

Nein, so würde ich das nicht sagen. Denn hier wird eine zeitliche Reihenfolge, ja eigentlich ein Fortschrittsnarrativ, aufgemacht im Sinne des Satzes: Früher war es so, heute ist es anders. Dieser zeitlichen Reihenfolge würde ich entgegentreten und würde sagen, wir haben nach wie vor ein Nebeneinander und ein Miteinander.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geht davon aus – und die Väter und Mütter des Grundgesetzes sind ohne jeden Zweifel davon ausgegangen–– dass es es ein deutsches Volk gibt, und zwar auch im ontologischen, also im seinsmäßigen Sinne. Und dass dieses im seinsmäßigen Sinne seit Jahrhunderten daseiende deutsche Volk wesentlich als eine Abstammungsgemeinschaft verstanden wird.

Wobei es schon immer Einwanderung und auch Einbürgerungen gegeben hat. Aber eben in einem zahlenmäßig deutlich geringeren Umfang als heute. Man nannte und nennt das „Naturalisation“. Und immer zu der Bedingung, dass Einwanderer sich assimilieren müssen, und die Naturalisation, das heißt die endliche Verleihung der Staatsbürgerschaft, dann in der Regel die Krönung und der Abschluss der vollendeten Assimilation ist.

Das war die herkömmliche Herangehensweise. So sieht es das Grundgesetz bis auf den heutigen Tag. Und das Wort „Deutscher“ kann, wie ausnahmslos jedes Substantiv, auch wenn jetzt die Verfassungsschutzbehörden es neuerdings bestreiten und diesen Umstand zu skandalisieren versuchen, natürlich mehrere Bedeutungen annehmen. Es ist völlig blödsinnig, dass man dogmatisch zu sagen versucht, das Wort „Deutscher“ kann aber im verfassungsmäßigen Sinne oder wenn man kein Verfassungsfeind werden will, nur eine bestimmte Bedeutung haben.

Jedes Wort in der Sprache und speziell jedes Substantiv in der Sprache kann viele verschiedene Bedeutungen annehmen und zwischen diesen Bedeutungen changieren. Die ganze literarische Kunst und die ganze Poesie beruhen auf diesem Phänomen, dass Worte gleichzeitig Verschiedenes bedeuten.

Deutscher kann natürlich zunächst einmal bedeuten, ein Deutscher im rein formellen Sinne, im rein positiv-rechtlichen Sinne zu sein. Und in der Tat ist das die Bedeutung des Wortes Deutscher, die das Wort auch im Völkerrecht zunächst einmal hat. Im Völkerrecht wie im Verfassungsrecht sind die Deutschen zunächst einmal ganz einfach alle Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft, egal wie sie aussehen, auch wenn der eine oder andere mit komischem Akzent spricht und wenn wir bei dem einen oder anderen vielleicht das Gefühl haben, ja, der hat die deutsche Staatsbürgerschaft, aber so richtig assimiliert er nicht.
Von Rechts wegen sind die Deutschen selbstverständlich alle gleichberechtigt, und kein Staat wäre berechtigt zu sagen: Der ist zwar Deutscher, aber ich finde, kein richtiger Deutscher, weil der ist irgendwie eingewandert und sieht so komisch aus. Das ist völlig klar. Juristisch, staatsrechtlich wie auch völkerrechtlich bedeutet das Wort deutsches Volk zunächst einmal die Gesamtheit aller Inhaber des Staatsbürgerschaftsrechts.

Aber davon abgesehen hat das Wort „Deutscher“ natürlich auch eine andere Bedeutung, nämlich eben diese ontologische Bedeutung, dass man Deutscher ist, weil man es wesenmäßig eben ganz einfach ist, unabhängig davon, ob man einen Pass hat, nämlich kraft Abstammung und Kultur.

Und diese zweite ontologische Lesart hat auch eine rechtliche Bedeutung. Sie wird im Grundgesetz in Artikel 116 ausdrücklich aufgenommen. Da ist nämlich davon die Rede, dass es nicht nur Deutsche gibt, die Deutsche sind, weil sie die Staatsbürgerschaft haben, sondern dass es auch Deutsche gibt, die kulturell zum und abstammungsmäßig zum Deutschtum gehören, das Grundgesetz spricht insofern von „deutscher Volkszugehörigkeit“ anstelle von „Staatsbürgerschaft“. Das sind zum Beispiel die Russlanddeutschen oder die Siebenbürger Sachsen.

Nach 1990 hat Helmut Kohl systematisch Deutsche aus Russland geholt. Helene Fischer ist in Sibirien geboren. Peter Maffay in Rumänien geboren, den hat allerdings nicht Helmut Kohl geholt, der war schon vorher da. Das sind richtige Deutsche, die aber zu dem Zeitpunkt, als sie als Deutsche erkannt wurden und man deswegen zu ihnen sagte, du kannst auch gerne nach Deutschland kommen, du kriegst hier sofort den Personalausweis, weil du ja dazugehörst zu uns, gar keine Deutschen gerade im Sinne der Staatsangehörigkeit waren, sondern rumänische oder sowjetische Staatsbürger. Und wir erkannten sie doch! Und das Grundgesetz geht eben in Artikel 116 auch davon aus, dass es diese Leute gibt und dass sie Deutsche sind.

Für die Verfassungsschutzbehörden ist man hingegen neuerdings schon Verfassungsfeind, wenn man dem Deutschen als Staatsbürger auch ein anderes, alternatives, paralleles, kulturell, abstammungsmäßig, also irgendwie seinsmäßig statt nur positiv-rechtlich begründetes Deutschtum an die Seite stellen will.
Aber das ist alles Quatsch! Das Grundgesetz selbst geht davon aus, das es die Deutschen auch seinsmäßig gibt und nicht nur der positiv-rechtlichen Staatsbürgerschaft nach. Das Grundgesetz strebt den Zustand an, wo das Sein  mit der juristischen Rechtslage übereinstimmt, weil nach Möglichkeit die seinsmäßig Deutschen auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Dann ergeben sich auch keine Konflikte oder keine offenen Fragen. Aber diesen Zustand hat man natürlich nie.

Und das Grundgesetz geht unbedingt davon aus, dass es ein deutsches Volk im seinsmäßigen Sinne gibt, das die verfassungsgebende Gewalt ist. Und daraus folgt schon, dass das deutsche Volk seins mäßig auch da sein muss, denn es geht ja dem Grundgesetz voraus. Das deutsche Volk hat sich ja das Grundgesetz gegeben. Das heißt, das deutsche Volk war vor dem Grundgesetz da.

Danke für das Gespräch!

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