Kotelett, Heilbutt und gekochter Schinken

Der Vater aß sein Kotelett ausschließlich mit Besteck

von Alexander Wallasch (Kommentare: 17)

Sonntags gab es immer Rouladen. Ich musste eine mit meinem Bruder teilen, nur bei der Oma gab es eine ganze.© Quelle: Youtube / La Cocina Kochschulen Screenshot

Mein Vater war fünf Tage die Woche ganztags arbeiten. Wenn er am Abend nach Hause kam, machte ihm die Mutter ein Abendbrot. Dafür kaufte sie mal ein Kotelett ein, mal ein Stück Heilbutt oder ein paar Scheiben Kochschinken.

Keines dieser Lebensmittel war in Plastik eingeschweißt oder sonst wie vakuumiert. Die Verkäuferinnen hatten es jeweils in rosa Papier eingeschlagen, welches innenseitig eine Art Folie oder Wachsbeschichtung hatte. Oder war es nur außen rauh und innen glatt?

Ich erinnere mich noch daran, dass diese Damen zaubern konnten. Ähnlich wie Konditorfrauen, wenn sie das Papier um die Tortenstückchen falteten. Auch hier war kein Gummiband nötig, das Papier wurde so geschickt eingeschlagen, dass es so fest saß, als wäre es geklebt.

Außen auf dem Papier wurden mit einem dicken Maurerbleistift Zahlen geschrieben, damit die Kassiererin am Ausgang auch den korrekten Preis eintippen konnte. Ich weiß nicht, ob diese Dinge wirklich teuer waren, reich waren wir jedenfalls nicht. Aber wenn wir mal eine Mark für uns haben wollten, gab Mutter sie fast immer gerne her.

Der Vater aß sein Kotelett ausschließlich mit Besteck. Und weil so immer etwas Fleisch am Knochen hängen blieb, waren wir Kinder ganz scharf drauf, diesen zu bekommen. Fleisch war etwas Besonderes. Oft war der Erhalt allerdings mit der Beantwortung einer schlauen Frage verbunden.

Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, mir dabei wie ein Hund vorzukommen, dem man etwa einen Knochen hingeworfen hätte. Der schöne Knochen vom Vater hatte immer diese blitzsauberen Schnittkanten, er sah dann aus wie wieder ein neues, ganz eigenes Produkt.

Auch an den fettigen Heilbutt kann ich mich gut erinnern. Merkwürdig war hier allerdings, dass das Papier zwar äußerlich fettfrei daheim ankam, aber weil der Vater den Geräucherten nicht mit einem Mal aß, wurde er mehrfach neu ein- und wieder ausgepackt. Aber schon beim zweiten Neueinschlag kam das Fischfett durch.

Vater hob immer ganz vorsichtig die Heilbutthaut ein stückweit ab, schnitt sich sorgsam etwas Fischfleisch herunter, manchmal fiel das Fleisch schon beim Schneiden in Schichten ab, was Vater zu ärgern schien. Ein anderes Mal blieb die Schnittkante ganz glatt, dann schlug er die Haut vorsichtig wieder darüber zurück, als wäre nichts gewesen.

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Ich glaube nicht, dass es eine verklärte Einbildung ist, aber Kotelett, Heilbutt und Schinken schmeckten nie so gut wie damals. Ich kann es heute besonders am Kochschinken festmachen. Der, den man heute aus dem Aldimarkt holt, ist glasiger, fester und uneinheitlicher in der Substanz. Der in Papier eingeschlagene Schinken, den meine Mutter mitbrachte, war trockener, er zerfiel schneller im Mund und er schmeckte so, wie die Schlachterei oder die Fleischabteilung roch, viel mehr noch als das Kotelett.

Letzteres wurde von meiner Mutter paniert. Aber die Panade sah nie so aus, wie die fertig panierten Stücke, die man ebenfalls kaufen konnte. Immer blieb etwas in der Pfanne hängen oder spätestens auf dem Teller beim Umdrehen. Und obwohl die Mutter extra Butter genommen hatte, sah auch die Kruste an einigen Stellen zu hell und an anderen viel zu dunkel aus. Ob der Vater bekümmert war, wenn die Panade nicht hielt? Ich erinnere mich nicht daran.

Nach dem Essen ging Vater meistens noch ins Wohnzimmer an seinen Sekretär mit Innenbeleuchtung. An einer der inneren Seitenwände klebte ein kleiner Zeitungsausschnitt. Eine Schwarzweiß-Fotografie eines nackten Frauenrückens, auf den jemand die Schalllöcher eines Kontrabasses gemalt oder geklebt hatte.

Vater trug allzeit ein kleines Taschenmesser mit fast hellen Griffschalen in der Hosentasche. Das klappte er am Schreibtisch auf, zog eine der Schubladen auf und holte sich dort noch Wochen nach Ostern ein schon angefangenes Marzipanei heraus.

Mit einer ähnlichen Geste, wie er es auch beim Heilbutt mit der Haut machte, schlug er sorgsam die Folie zurück, schnitt sich eine unnatürlich dünne Scheibe ab, ohne dass dabei – für uns ein kleines Wunder – die Schokoladenschicht absplitterte, und legte die hauchdünne Scheibe auf ein kleines quadratisches Papier aus seiner Zettelbox.

Anschließend schlug Vater die Folie wieder über das angeschnittene Ei, lege dieses zurück in die Schublade und teilte dann seine dünne Scheibe noch einmal sorgsam mit dem Messer, wischte dieses an einem weiteren Zettelchen aus besagter Box ab, klappte die schmale Klinge zurück, steckte das Messer zurück in seine Hosentasche, dafür musste er sich auf seinem Drehstuhl etwas zur Seite drehen, und aß dann wie in Zeitlupe seine Marzipaneischeibenstücke.

Wir hatten unsere Ostersüßigkeiten natürlich längst schon verschlungen und waren beim Anblick dieses Marzipanei-Zenmeisters beschämt darüber, dass wir wieder zu schnell alles aufgegessen hatten. Niemals hätten wir beim Vater um eine dieser sowieso viel zu dünnen Scheiben bettelnd am Schreibtisch angestanden.

Ich wusste allerdings schon mit drei oder vier Jahren, dass der Aufwand, so eine Scheibe zu bekommen, viel zu groß gewesen wäre, gemessen am eigentlichen Gewinn.

Sonntags gab es immer Rouladen. Ich musste eine mit meinem Bruder teilen, nur bei der Oma gab es eine ganze. Aber da war die Soße viel dunkler und dicker als bei meiner Mutter und ich musste einmal weinen, weil die Oma einfach noch eine Kelle nachgegossen hatte, als ich den Teller doch schon so brav ganz leergegessen hatte.

Dafür gab es als Trost anschließend eine Folge „Bonanza“ aus dem großen lackschwarzen Fernsehschrank. Obendrauf stand eine Unruhe, eine Art Lampe, die man nicht berühren durfte, denn sie bestand aus lauter hauchzarten Glasröhrchen, die von innen in wechselnden, bunten Farben leuchteten.

Wenn die Großmutter geschäftig daran vorbeiging, der Opa ungehalten war, weil das Bild kurz verdeckt war, tanzten aber anschließend die Lichtpunkte ganz wild und brauchten immer eine Weile, bis sie sich wieder beruhigten, als wäre die Oma absichtlich für uns etwas schwungvoller daran vorbeigegangen. Pusten durften wir aber nicht, das war streng verboten.

Paniertes Kotelett und Heilbutt sind bei uns mittlerweile ebenso vom Speiseplan verschwunden wie Semmelbrösel auf Blumenkohl. Letztens kaufte ich einen beim Aldi, der nach Fisch schmeckte, ohne dass Heilbutt auch nur in der Nähe gewesen wäre.

Mein Vater aß zum Essen immer eine zitronengelbe Enzynorm-Tablette. Viel später hatte mal ein Arzt bei ihm festgestellt, dass diese Pille gar nicht nötig sei, also ließ er sie einfach weg. Am Essen meiner Mutter kann es also nicht gelegen haben.

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