Er war einfach immer da, er war der Politiker im Hintergrund und einer in vorderster Reihe, wenn diese Rolle von ihm verlangt wurde. Wolfgang Schäuble beherrschte die seltene Kunst, immer wieder zurück ins zweite Glied zu gehen.
Schäuble wurde 81 Jahre alt. Seine Familie teilte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mit, dass der CDU-Politiker am Dienstagabend gegen 20 Uhr friedlich eingeschlafen sei. Er ist nach langer schwerer Krankheit verstorben.
Der ehemalige Bundestagspräsident prägte die Ära Kohl ebenso wie die von Angela Merkel. Er war der treue Heinrich der Mächtigen. Als Kohl nach 16 Jahren Kanzlerschaft über die Spendenaffäre stolperte, gab auch Schäuble alle Ämter ab.
Er galt als der loyalste Mitarbeiter des Oggersheimers. Im Februar 2000 legte Schäuble sowohl den Vorsitz der CDU wie auch den Vorsitz der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag nieder. Er war damals der Auffassung, Partei und Fraktion bräuchten einen Neuanfang.
Tatsächlich mag diese Entscheidung am Anfang einer Reinigungsphase der CDU gestanden haben. Gerhard Schröder und Joschka Fischer regierten, während die Union die rot-grünen Jahre nutzte, die Ära Kohl zu verdauen. Was Friedrich Merz nach der Ära Merkel so schwer fällt – als Parteivorsitzender die Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, sich mit dem Gestern zu versöhnen, Konsequenzen zu ziehen – war für Wolfgang Schäuble nach Helmut Kohl fast schon eine Reflex-Handlung.
Dabei vergisst man beinahe den größten Schicksalsschlag, den Wolfgang Schäuble erlebte, als ein Attentat ihm die Mobilität raubte und dauerhaft an den Rollstuhl fesselte. Im Oktober 1990 hatte ein psychisch kranker Mann auf einer Wahlkampfveranstaltung Schüsse auf Schäuble abgegeben, seitdem war der Politiker vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen.
Nur seine Familie mag wissen, wie Schäuble wirklich mit sich gerungen hat, sich dauerhaft in seinem Rollstuhl einzurichten. Aber in Erinnerung bleibt auch hier seine eiserne Disziplin. Wenige Tage vor dem Attentat war am 3. Oktober die Deutsche Einheit vollendet worden, Schäuble gilt als einer der maßgeblichen Architekten.
In seiner wohl düstersten Stunde auf dem Krankenbett mit der Gewissheit, für immer gelähmt zu sein, fragte er seine Ehefrau Ingeborg: „Warum habt Ihr mich nicht sterben lassen?“ Doch „mit eiserner Disziplin“ kämpft er sich ins Leben zurück, schrieb dreißig Jahre nach dem Attentat der WDR, der auch die Ehefrau zitiert hatte.
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Schäuble übernahm bereits wenige Wochen nach dem Attentat wieder die Kontrolle über sein Leben, als er erklärte: „Sicher ist, dass ich für absehbare Zeit im Rollstuhl leben muss. Sicher ist allerdings auch, dass ich im Rollstuhl leben kann.“
Wolfgang Schäuble saß fast 35 Jahre lang in diesem Stuhl. Er war Bundesminister für besondere Aufgaben, Chef des Bundeskanzleramtes, Bundesinnenminister, Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender, Bundesfinanzminister, Bundestagspräsident und Alterspräsident des Deutschen Bundestages. Die Position als Innenminister hatte er sowohl unter Helmut Kohl als auch unter Angela Merkel inne.
Man darf es als ein weiteres politisches Meisterstück begreifen, Merkel davon überzeugt zu haben, dass er auch ihr so loyal dienen kann wie zuvor Helmut Kohl. Der radikale Schnitt mit der Aufgabe aller Ämter mag einen Teil dazu beigetragen haben. Merkel löste Schäuble als Parteivorsitzende ab.
Wolfgang Schäuble saß seit 1972 ununterbrochen im Deutschen Bundestag. Kein Abgeordneter in der deutschen Geschichte saß länger in einem nationalen Parlament. Als seine größte politische Leistung wird allgemein die Aushandlung des Einigungsvertrags betrachtet.
Mit Wolfgang Schäuble ist auch ein Repräsentant der Bonner Republik, der alten Bundesrepublik verstorben. Er war über dreißig Jahre lang tragende Säule der Bundesregierung, seine Rolle war also keine geringe. Entsprechend hoch auch seine Verantwortung für den Zustand des Landes, wie wir ihn heute erleben. Historiker mögen jetzt entscheiden, ob Schäuble ein Diener der Macht, des Landes oder beides zusammen war.
Wolfgang Schäuble hinterlässt Frau und vier Kinder.
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Kommentare
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Kommentar von Dr. Klaus Rocholl
Schäuble - der Kissinger der Bundesrepublik?
Da halte ich mich an meine Erziehung mit: de mortus nihil nisi bene.
Aber es ist schon bezeichnend, daß die beidem, Schäuble und Kissinger, fast zeitgleich an dem Ort eingetroffen sind, an den sie gehören.
Der Teufel hat ein gutes Gespürvfür Timing….
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Kommentar von Reginald Guempel
Schäuble war wohl eher der Erich Mielke der Bundesrepublik. Ein Opportunist und sonst nichts.
Ruhe in Frieden.
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Kommentar von Dr. Florian Knopf
Schäuble war ein Amilakei und Eugeniker:
"Seit 1945 ist Deutschland nie vollständig souverän gewesen."
„Abschottung würde Europa in Inzucht degenerieren lassen.“
Helmut Schmidt: "Weder aus Frankreich noch aus England, noch aus Deutschland dürfen Sie Einwanderungsländer machen. Das ertragen die Gesellschaften nicht. Dann entartet die Gesellschaft!"
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Kommentar von Johannes Schumann
Ich verstehe den Hass auf Wolle Schäuble nicht. Mir fällt auf Anhieb kein intelligenterer Politiker in Deutschland ein. Dass er auch Fehler gemacht hat, steht außer Frage. Dass Paul Brandenburg Schäuble als Teufel bezeichnet, ist schon unerhört. Ich möchte nur mal an eine Äußerung aus der Anfangszeit des Corona-Wahns erinnern:
"Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig. Grundrechte beschränken sich gegenseitig. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen."
(https://www.tagesspiegel.de/politik/schauble-will-dem-schutz-des-lebens-nicht-alles-unterordnen-7507174.html)
Das sind die richtigen Worte und hätte zum sofortigen Beenden des damaligen Lockdowns führen müssen, selbst wenn sich das Virus als gefährlich herausgestellt hätte. Zudem wurde missachtet, dass das Grundgesetz den Staat einschränkt und beim Recht auf körperliche Unversehrtheit geht es um die Auswirkung von Gewalt, nicht um Krankheit, denn Krankheit ist Natur und wir können die Natur nicht juristisch einhegen. Will jemand die Natur verklagen, weil er sich was einfing und seitdem im Rollstuhl sitzt?
Wäre die Krankheit die Folge einer Biowaffe, dann wäre es etwas anderes, denn dann hätte man Verantwortliche, Schuldige. Dass das Virus einem Waffenlabor entstammen könnte, wurde aber damals vehement bestritten.
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Kommentar von Evmarie Naumann
Kann man so schreiben.
Achgut formuliert es so:
Letzte Zeilen für Dr. Schäuble
Wolfgang Schäuble ist gestorben, und da kommt man als Medienschaffender nicht umhin, etwas dazu zu schreiben. Immerhin war der Mann einzigartig: Seit 1972 saß er 51 Jahre lang als Abgeordneter im Bundestag, und so lange hat in der deutschen Parlamentsgeschichte noch kein Abgeordneter in einem Parlament durchgehalten.
Aber auch wegen der vielen anderen herausgehobenen Ämter, die der Mann im Lauf der letzten Jahrzehnte innehatte, hat er natürlich irgendwie Anspruch auf ein paar letzte Zeilen bei Achgut.com. Aber da gibt es ein Problem: Der Grundsatz „De mortuis nihil nisi bene“, also „Über Tote rede man nur gut“, sitzt allen fest in der abendländischen Kultur Verwurzelten im Nacken. Der lässt sich aber nicht befolgen, wenn man einen Nachruf auf Dr. Schäuble schreiben soll. Was also tun? Statt über einen Toten zu schreiben, verweisen wir deshalb in unseren letzten Zeilen für Dr. Schäuble einfach auf drei frühere Achgut-Artikel über das jeweils aktuelle Wirken dieses deutschen Politikers. Diese Texte wurden über einen Lebenden geschrieben. Also lesen Sie bitte zur Erinnerung an Deutschlands längstgedienten Parlamentarier:
Bereicherungen von Dr. Schäuble
Schäuble bereitet nächsten Angriff auf die Meinungsfreiheit vor
Die Ratschläge des Dr. Schäuble
https://www.achgut.com/artikel/letzte_zeilen_fuer_dr._schaeuble
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Kommentar von Jürgen Frohwein
Fortsezung:
... Meineidmann mit dem Geldkoffer und den Merkelbücklingen nicht verabschieden.
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Kommentar von Jürgen Frohwein
Gerade Kommentar diesbezüglich bei Paul Brandenburg gelesen:
"Ein Teufel fährt zurück in die Hölle"
Treffender kan man zum
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Kommentar von Hans-Joachim Gille
Schäuble ist & bleibt der Groß-Kaschierer des üblichen politischen Versagens im Nachkriegsdeutschland. Ganz schlimm war die Rückabwicklung der von seinem Vorgänger, Otto Schily, gegen viele Widerstände angeleierten, dringlichen Reform des Beamtenrechts. Hier hätte er großes leisten können, hat aber bitterlich versagt. Das kommt quasi einem verlorenen Krieg gleich.
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Kommentar von hans
… mhmm, betrachte ich Schäubles Bilanz als 'BRD'-Politiker im Hintergrund und in vorderster Reihe', sehe ich, ausgenommen seiner bewusst angerichteten Schäden am Deutschen Volk - NIX. (Wobei die 'CDU'-Parteispendenaffäre noch der geringste war.)
… und wenn März meint Schäuble war sein 'engster Freund', dann wissen die Deutschen was sie vom 'BlackRock-Guru-Keks' zu erwarten haben.
… aaaber; 'man' soll über Tote nicht schlecht reden - gut das er tot ist.
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Kommentar von .TS.
Sehe Schäuble sehr ambivalent:
Einerseits ein bewundernswertes Durchhaltevermögen bei jemand dem Schicksal und Umfeld wiederholt schwer getroffen haben.
Andererseits Steigbügelhalter beider schwarzer Autokraten und überzeugter Befürworter von Überwachungsstaat und Gesundheitsdiktatur, mithin jemand dem eigene Vorteile wichtiger sind als das Wohlergehen des Volkes. Somit weniger Repräsentant der alten BRD sondern vor allem der heutigen "C"-Parteien.
Nein, dem weine ich keine Träne nach.
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Kommentar von Bernhard Rossi
Aus meiner Sicht von außen ein mit allen Wassern gewaschener Strippenzieher, sowohl im Parlament, als auch in der Regierung und ganz besonders auch in der CDU. Im positivsten Sinne. Meinen Respekt für die Härte und Kraft seines Geistes und Körpers, nach dem Attentat, unbedingt weiter zu machen!