Exklusiv im Gespräch mit Alexander Wallasch

Der BSW-Aussteiger: Friedrich Pürner über seine Beweggründe

von Alexander Wallasch (Kommentare: 6)

"Das BSW war meine erste große Liebe."© Quelle: X/@DrPuerner, Screenshot

Die Entscheidung ist ihm nicht leichtgefallen. Im Gespräch spüren wir gemeinsam mit Dr. Pürner dem Moment nach, wo es für ihn nicht mehr weiterging. Wo er den Wählern kein X für ein U vormachen wollte. Die Geschichte eines Gewissenhaften.

Lieber Dr. Pürner, it’s over, Sie sind der Mann des Tages heute. Wie lange reift denn so was? Bis man sich dann endlich von so einer Lichtgestalt wie Sahra Wagenknecht trennt?

Ich trenne mich ja nicht von Sahra Wagenknecht, sondern trete aus der Partei aus. Das ist schon ein Unterschied. Mit dem Gedanken spiele ich schon länger. Eigentlich wollte ich bis zum Ende des Jahres 2024 eine Entscheidung treffen. Die habe ich aus familiären Gründen verschoben, weil ich einen Todesfall in der Familie hatte. Unter einer solchen Emotionalität stehend, wollte ich so eine weitreichende Entscheidung nicht treffen. Deshalb habe ich die Entscheidung nach hinten verschoben. Nun war es letztendlich so, dass ich für mich gesagt habe, ich muss jetzt einfach einen Schlussstrich ziehen. Mir tut es auch nicht mehr gut, ich kann das für mich nicht mehr verantworten. Ich möchte mich nicht verbiegen lassen.

Die schönste Scheidung ist ja die einvernehmliche …

Davon habe auch schon gehört, aber ich würde es jetzt nicht als Scheidung bezeichnen.

Aber eine Trennung ist doch eine Scheidung, oder?

Bei einer Trennung geht man auseinander. Zu einer Scheidung gehört viel mehr dazu. Da hat man sich ewige Treue geschworen und teilt „Tisch und Bett“. Das ist offensichtlich bei einer Parteimitgliedschaft nicht der Fall.

Man tritt in eine Partei ein, weil man von den Inhalten und Zielen überzeugt ist und diese verwirklichen möchte. Wenn man feststellt, sich die Partei intern oder extern unaufhaltsam in eine Richtung entwickelt, die man nicht mittragen kann, dann ist die logische Konsequenz, dass man diese Mitgliedschaft beendet.

Jetzt haben wir hier einen interessanten Fall. Wir könnten ja theoretisch sagen: Der gute Mann lässt sich auf der Welle des BSW ins Europaparlament tragen und tritt dann aus, macht sein eigenes Ding. Aber das BSW hat zweifelsfrei auch von Ihnen profitiert, sie sind ein relevantes Gesicht der Corona-Maßnahmen- und Impfkritik. Da wird es schwer, Sie hier als Trittbrettfahrer zu diffamieren.

Ob das verfängt, weiß ich nicht. Man wird es sicher versuchen. Die Denkweise kann ich sogar bis zu einem bestimmten Punkt nachvollziehen. Es ist allerdings nicht so. Ich glaube, wir haben beide voneinander profitiert. Aber jetzt einfach zu sagen, der hat das ausgenutzt, weil er im Europäischen Parlament sitzt, gut versorgt ist und nun aus dem BSW austritt, halte ich für viel zu eindimensional und viel zu einfach gedacht.

Vielleicht mögen Sie uns aufklären. Sie haben jetzt mehr Freiheiten. Haben Sie auch die Freiheit, sich einer Fraktion anzuschließen und dadurch automatisch auch mehr Rederecht im Parlament zu bekommen? Das BSW war ja bisher fraktionslos im EU-Parlament.

Dass ich jetzt mehr Freiheiten habe als bisher, glaube ich nicht. Denn ich habe innerhalb des BSW auch in der Delegation nach meinem Gewissen entschieden. Ich habe niemals Dingen zugestimmt, die ich nicht verantworten konnte. Auch als BSW Mitglied bestand die Möglichkeit für jeden von uns, sich einer Fraktion anzuschließen. Eine inhaltlich passende Fraktion muss man natürlich erst einmal finden. Das habe ich jetzt überhaupt nicht auf meiner Agenda.

Sie hatten mir mal in einem früheren Gespräch erklärt, dass der Fraktionsstatus eben auch ein besonderes Rederecht impliziert.

Genau. Man hat mehr Redezeit. Man kann viel mehr tun. Man kann auf mehr Mitarbeiter zurückgreifen. Man hat als Fraktion viel mehr Mittel zur Verfügung. Das ist schon richtig. Aber auch da kommt natürlich das Argument: Ich werde mich nicht verbiegen und ich werde mich nicht verkaufen. Einfach nur zu einer Fraktion zu gehen, weil sie einen schönen Ausschussplatz verspricht oder mit mehr Redezeit winkt, würde ich natürlich nicht machen, wenn deren Ausrichtung, Inhalte und Werte mir widersprechen. Nochmal: Ich verkaufe mich nicht.

Eine neue Partnerschaft bedeutet zunächst ein gegenseitiges Kennenlernen. Anschließend weiß man voneinander. Können Sie mit gutem Gewissen sagen, dass dieses Kennenlernen für Sie tatsächlich ausreichend ausgeschöpft war für so eine wichtige Entscheidung?

Ja, das denke ich schon. Meine Entscheidung ist über eine lange Zeit gereift. Ich habe lange gehofft, dass meine interne und dann auch öffentliche Kritik ein Umdenken im BSW bewirkt. Leider war dem nicht so. Die Strukturen haben sich mit jeder Landesverbandsgründung verfestigt und nun sehe ich ein, dass viele Mitglieder dies auch genauso wollen und sich das auch nicht ändern wird. Es war somit ein längerer Prozess. Ich treffe Entscheidungen selten ganz spontan. Vor allem, wenn es weitreichende Entscheidungen sind. Auch überlege ich mir die Dinge gut und versuche, diese immer zu Ende zu denken. Es mag nicht ausgeschlossen sein, dass ich Fehler mache und bestimmte Komponenten einfach übersehe. Ich bin auch nur ein Mensch. Aber ja, letztendlich habe ich mir das sehr gut überlegt und ich bin mit mir absolut im Reinen.

Hat Ihnen Fabio De Masi eigentlich schon Schläge angedroht?

(Lacht) Nein, ich bitte Sie. Nein, natürlich nicht. Keiner, der mir in der Partei bis jetzt über den Weg gelaufen ist oder den ich kenne, neigt dazu, dass er mir körperliche Gewalt androht oder ausübt. Es sind alles zivilisierte Menschen. Ich kann mir vorstellen, dass man etwas verstört, ungehalten ist und es Befindlichkeitsstörungen geben wird. Das ist aber alles normal.

Es ist nicht so, dass ich mir jetzt denke, hurra, alles ist gut. Die Enttäuschungen kann ich ja verstehen. Aber das ist der Preis, den man zahlen muss. Wenn ich da jetzt absolutes Unverständnis hätte, würde das nur zeigen, dass ich die Dinge nicht zu Ende gedacht habe und dass es nur rein persönlich um mich geht. Ich kann das durchaus verstehen, wenn Personen auch massiv enttäuscht von sind. Das liegt in der Natur der Sache.

Stichwort Fabio De Masi vom BSW. Wie oft hat man sich denn bei der EU-Arbeit gesehen und mal miteinander gesprochen? Kann man das an fünf Fingern abzählen?

Am Anfang hat man sich öfter zu Besprechungen getroffen. Aber aufgrund von bestimmten Sachverhalten oder inneren Spannungen habe ich mich immer mehr aus diesen Treffen zurückgezogen. Da wollte ich mich nicht mehr so vereinnahmen lassen. Ich bin ein freier Abgeordneter und möchte die Dinge so regeln, wie ich sie für richtig halte. Dennoch hat man sich, wenn man in Straßburg oder in Brüssel war, eigentlich jeden Tag irgendwo gesehen. Wir haben ja auch die Büros nebeneinander. Da war keiner dabei, der sich einfach weggedreht oder nicht mehr gegrüßt hätte. Man unterhält sich. Bis zum jetzigen Zeitpunkt war es auf jeden Fall so.

Das heißt, dieses – Klopf, klopf, ich platze mal bei dir rein Bro, ich habe einen Streifen Zuckerkuchen bei, hast du Kaffee? – ist eher selten?

Das ist tatsächlich eher selten.

Kommen wir zum Auge des Hurrikans: Ihre Vorwürfe sind gravierend: Sie haben ein Schreiben an den Parteivorstand geschickt, darin von einer Kultur des Misstrauens und der Überwachung geschrieben, von autoritärem Verhalten, davon, dass Nachfragen nicht erwünscht waren. Das klingt sehr nach Gefängnis.

Mit einem Gefängnis würde ich es nicht vergleichen. Es ist aber schon so, dass bei mir relativ schnell der Eindruck entstanden ist, dass ich eher ein betreuter Abgeordneter sein soll. Dagegen habe ich mich gewehrt und mehrmals angesprochen - z.B. in der BSW-Delegation im EU-Parlament und auch im Bundesvorstand.
Ich habe bestimmte strukturelle Abläufe kritisiert und gesagt, manche Dinge gehen einfach gar nicht. Auch der Umgang miteinander. Auch das mit der Überwachung und Kontrolle, was Sie gerade angesprochen haben. Da werde ich jetzt nicht ins Detail gehen, allerdings ist man in Teilen komplett über das Ziel hinausgeschossen. Natürlich habe ich gesagt, dass ich das nicht mittragen kann und das aufhören sollte. Es änderte sich nichts. Daher habe ich es dann auch des Öfteren kritisiert.

Jetzt wollen wir auch dem BSW eine gewisse Lernfähigkeit zugestehen. Auch Sahra Wagenknecht, die ja eine der klügsten Politikerin ist, die wir in Deutschland haben. Jetzt stellen Sie sich doch mal vor, man lernt etwas aus Ihrem Weggang und verändert sich tatsächlich. Kann eine zweite Ehe möglich sein?

Was Sie gerade über Sahra Wagenknecht gesagt haben, würde ich sofort unterschreiben. Das sehe ich auch so. Sie ist wirklich klug. Sie ist repräsentativ. Sie kann sich staatsmännisch und elegant kleiden und hat sehr gute Umgangsformen. Wenn eine Frau dieses Formates Deutschland repräsentiert, dann ist es tatsächlich super. Andere können das leider weniger. Mit dem Gedanken einer erneuten Mitgliedschaft habe ich mich nicht beschäftigt.

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Vielleicht eine generelle Frage: Haben neue Parteien es heute schwerer? Die Werteunion hatte auch große Chancen und gleichzeitig große Probleme. Es gibt immer sehr schnell sehr viel Widerspruch, die sozialen Medien sind superschnell mit dem Fallbeil. Ist es besonders schwierig, eine Partei 2025 überhaupt erst mal zum Laufen zu bringen in irgendeiner Form?

Definitiv. Es spielt natürlich die Angst eine große Rolle. Man nimmt immer als Beispiel die AfD, wie die AfD begann und wohin sie sich entwickelt hat.

Und Einflussnahmen von bestimmten Gruppen, die dann immer stärker werden …

Die Gefahr besteht natürlich. Deshalb fand ich die Idee des kontrollierten Wachstums gar nicht schlecht. Allerdings hat man bei einigen ehemaligen Linken wohl nicht so gut durchschaut, was deren Motivation ist und ob tatsächlich ein Umdenken zum Parteiaustritt geführt hat. Auch hat man viel zu lange die Partei „exklusiv“ gehalten. So war es natürlich möglich, sämtliche Posten, Ämter und Listen mit ausgewählten Personen zu besetzen - leider meistens mit ehemaligen Linken.

Deshalb sind uns sehr viele Unterstützer wieder abgesprungen, die eine super Wahlkampf-Unterstützung gemacht haben, fleißig waren und sogar gespendet haben. Als diese Leute in die Partei eintreten wollten, haben sie nicht mal ein Antwortschreiben bekommen. Es kam die vorgezogene Bundestagswahl und dann sind sie wieder gefragt worden, wollt ihr nicht helfen, wollt ihr nicht spenden. Viele Enttäuschte sagten dann natürlich zu Recht „Nein“.

Und jetzt haben wir noch gar nicht über den Einfluss bestimmter Gruppen bei der Ausrichtung der Partei im Inneren gesprochen. Für was ist das BSW angetreten?

Wir wollten anders sein, wir wollten keine Vetternwirtschaft, wir wollten Meinungsfreiheit statt Maulkorb und etliches mehr. Die Unterstützer, aber auch Mitglieder haben das wirklich anders erfahren müssen. So wurden sehr viele enttäuscht durch das Agieren weniger.

Ich stelle mir gerade vor, Sie wären der dritte Gast des Servus-TV-Treffens zwischen Herrn Lafontaine und Herrn Chrupalla gewesen. Was kann denn repräsentativer sein für eine Partei, für einen tollen Austausch als dieser Auftritt von Oskar Lafontaine?

Ich habe es tatsächlich nicht gesehen. Was ich wahrgenommen habe, ist, dass es ein sehr anständiges und ein sehr gutes Gespräch gewesen sein soll. Aber genau so stelle ich mir das auch vor. Allerdings: Lafontaine mag im BSW dabei sein, aber er kann in bestimmten Landesverbänden oder auch im Bundesvorstand nicht ohne den Willen der anderen für ein anständiges Gesprächsklima sorgen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass andere Parteien den Braten riechen und sich so einen freien EU-Abgeordneten schnappen wollen. Ist da schon was passiert

Anfragen kamen. Anfragen kamen aber auch schon, bevor ich überhaupt dem BSW beigetreten bin. Ich habe immer abgelehnt und das habe ich auch zum jetzigen Zeitpunkt. Mir fiele auch keine einzige Partei ein, wo ich sagen würde, da kann ich wieder mit Herzblut und mit gutem Gewissen und Überzeugung beitreten. Das mag sich vielleicht mal ändern, auch wenn sich bestimmte Parteien verändern, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht so. Jetzt habe ich meine erste Erfahrung gemacht. Das BSW war meine erste große Liebe.

Da habe ich meine Schlagzeile, danke.

Ja, das ist so. Jetzt habe ich gesehen, wie solche Parteistrukturen laufen. Und muss sagen, ich bin bitter enttäuscht. Wir hätten was großes schaffen können. Allerdings hätten dafür viele Mitglieder alte Verhaltensweisen und Denkmuster ablegen müssen und bereit für etwas Neues sein. Ich glaube auch nicht, dass es in anderen Parteien anders ist. Das eben hätte das Alleinstellungsmerkmal des BSW werden können. Ein Alleinstellungsmerkmal, das jedes inhaltliche Thema überdauert. Das war die Vision am Gründungsparteitag. So ist es jedoch nicht und ich werde mich nicht verbiegen oder verkaufen. Ich werde mir persönlich treu bleiben.

Wenn das in einer Partei nicht geht, bleibe ich parteilos und werde in Brüssel weiterhin mit Herzblut, Überzeugung und Ehrlichkeit wirken. Mir ist wichtig, dass die Menschen erfahren, was in der EU passiert. Ich bin ganz sicher, es wird sich etwas anderes finden. Jetzt rede ich nicht von einer Partei. Vielleicht gibt es auch eine ganz andere Form.

Ich glaube, die Gesellschaft braucht dringend Menschen, die in der Lage sind, die Mitte zu repräsentieren. Diejenigen, die es vorgeben, denen gelingt es ganz einfach nicht, weil sie unglaubwürdig geworden sind. Mir ist das ein ganz großes Anliegen. Es muss um die Menschen gehen, vollkommen egal, welche Partei mit stimmt. Der Mensch und die Gesellschaft müssen im Zentrum stehen. Das ist mir wichtig.

Mein Eindruck: Wenn ich Paartherapeut wäre, ich würde es mit Ihnen und dem BSW noch nicht aufgeben, nachdem, was Sie mir so erzählt haben. Der Drops ist noch nicht gelutscht.

(Lacht) Möglich. Aber auch in einer Paartherapie braucht es Problembewusstsein und Veränderungswillen der Beteiligten. Das kann ich nicht erkennen. Es ist viel passiert und ich kann nicht mehr mit Überzeugung sagen, „wählt uns“. Da ist das nicht mehr mit tiefer Überzeugung sagen kann, ist ein Punkt erreicht, an dem ich aussteigen muss.

Das erklärt auch den Zeitpunkt. Wir sind mitten im Wahlkampf. Ich habe jetzt keine Veranstaltung gemacht, weil ich bestimmte Dinge nicht vertreten kann. Dafür bin ich zu wenig abgebrühter Politiker. Ich kann nicht vor den Leuten stehen, um Geldmittel werben und sie überzeugen die Stimmen dem BSW zu geben. Ich weiß, welche Leute mittlerweile die Macht an sich gezogen haben und dass intern entgegen den ursprünglichen Zielen und Visionen agiert wird. Dann ist es doch absolut konsequent zu sagen: Ich trete aus.

Danke für das Gespräch!

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